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Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen

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Timo Brandt


Kinder the busy worms than ever love*


This, no song of an ingénue,
 This, no ballad of innocence;
This, the rhyme of a lady who
 Followed ever her natural bents.
 This, a solo of sapience,
This, a chantey of sophistry,
 This, the sum of experiments, –  
I loved them until they loved me.


Dies ist kein Lied im naiven Stil
   Dies hier besingt nicht die Abstinenz;
Dies dichtet eine, die ihr Ventil
   Sucht’ im Erfüllen der Appentenz.
   Dies ein Solo der Kompetenz
Dies ist, was auch die Sophisten piepten,
   Dies ist der Wagnisse Quintessenz –
Ich liebte sie, bis auch sie mich liebten.

So heißt es in der „Ballade mit fünfundreissig. Die dies schrieb, galt als Diva, als Archetyp der Salonlöwin, als unangefochtene Königin der Dinnerpartys: Dorothy Parker, geboren 1893 als Dorothy Rothschild in New Jersey, gestorben 1967 in New York. Eine deutsche Biographie von ihr heißt, unnötig reißerisch und doch in dem Sinne kokett, wie sie sich selber gern gab: „Noch ein Martini und liege unter dem Gastgeber.“
  Als ihr Hauptthema galt der Geschlechterkampf, ein Wort, das unflexibel und eng wirkt in Zeiten wie unseren, in denen es eine vielschichtige Gender- und Feminismuskultur gibt und der Fokus der Diskussion sich von klassischen rolemodels und Archetypen ab- und der Betonung individueller Ausprägungen zugewandt hat. Wobei, ich spreche da über die intellektuelle, akademische Blase, die sich wohl nur sehr wenig in breiteren Schichten der Bevölkerung niederschlägt, denn über die Ladentische der Buchhandlungen gehen nach wie vor, Jahr um Jahr, allerhand Selbsthilfebücher, in denen darüber geschrieben wird, dass Männer so sind und Frauen so, und warum diese beiden Typen (trotz des „Soso“-Tons dieser Bücher) selten zusammenkommen.

If your heart had come to rest,
He will flick it from his breast.
Tender though the love he bore,
You had loved a little more.


Pocht dein Herz vor Liebeslust,
Schnippt er es von seiner Brust.
Liebt er dich noch so sehr,
Deine Liebe glühte mehr.


Vielleicht kann man das Hauptthema ihrer Gedichte (in ihren Storys und Artikeln setzt sie sich wiederum auch mit gesellschaftlichen Minderheiten auseinander – ihren Nachlass hinterließ sie dann sogar Martin Luther King und der National Association for the Advancement of Colored People – und auch ansonsten engagierte sie sich politisch für die unterprivilegierten Teile der Bevölkerung) auch anders und viel einfacher umreißen: Dorothy Parker war eine Dichterin von der Unmöglichkeit unproblematischer Liebe. Dem Song der J. Geils Band „Love stinks“ hätte sie wohl in allen Aspekten zugestimmt „You love her/And she loves him/And he loves somebody else/You just can’t win./And so it goes/Until the day you die/This thing the called love/is gonna make you cry.”
  Als Lyrikerin dieses althergebrachten Themas wäre sie vielleicht nicht unbedingt einer Neuentdeckung wert, und ein ums andere Mal erwische ich mich, der ich passionierter Lyrikleser bin, auch dabei, wie ich denke: Schon wieder unerwiderte Liebe, schon wieder ein gebrochenes Herz, schon wieder ein Gedicht über Ignoranz, Anziehung, Souveränität und Probleme mit dem Herz, dem Kopf, der Nähe? Wie gesagt, das alles wäre wohl zu unterschlagen, wären da nicht die Form und die Hartnäckigkeit dieser Texte, ihre melodiösen Strukturen und ihre immer wieder eingängigen, treffsicheren Reime und ihr dann und wann aufplatzendes Bildpotential. Und, last but not least, dieser Witz, dieser ganz spezielle Humor, der mithilfe von Understatement und Melancholie einen ganz eigenen Kampf austrägt.

Once, when I was young and true,
 Someone left me sad –  
Broke my brittle heart in two
And that is very bad.


Einst – ich war noch jung und treu –
 Blieb traurig ich und leer;
Einer brach mein Herz entzwei
 Und das war wirklich schwer.


Gerade wenn eine Lyrik so sehr von Klang und Verseinhaltung, von Pointen und Esprit lebt, gestaltet sich die Aufgabe der Übersetzung natürlich noch schwieriger. Ich glaube der Übersetzer Ulrich Blumenbach hat grundsätzlich eine ehrenwerte Wahl getroffen, als er sich für Nachdichtungen entschied, aber das rettet diese Texte nicht davor, oft holprig daherzukommen. Denn gerade weil es so wirkt, als wollten sie den Originalen nicht nur als Übertragung dienen, sondern es an Tempo mit ihnen aufnehmen, scheitern sie, schrammen in den Verskurven die Wand entlang, kommen weit hinter den Ursprungsversen ins Ziel.
    Das kann man an einigen der hier zitierten Beispiele gut ersehen, zum Beispiel anhand des Vierzeilers über diesem Abschnitt, wo der schnelle Sprung von true zu treu noch so etwas wie ein kleiner Geniestreich ist, aber spätestens in der zweiten Zeile wirkt die deutsche Version unelegant, auch weil der handelnde „someone“ fehlt. Vielleicht wäre hier ein weiteres Wortspiel gut gewesen, so etwas wie: „Einst – ich war noch jung und treu – /Ließ mich jemand sitzen;/Brach mein kleines Herz entzwei/Da war Schluss mit Witzen.“ Nur ein Schnellschuss und sicher auch nicht optimal.
    Das Wort „wirklich“ hat – ebenso wie das Wort „schwer“ – in meinen Ohren einen sehr emphatischen Klang und passt daher wenig zu der Doppelbödigkeit und dem Ironisch-Bitteren in „very bad“.
    Mir ist klar, dass Kritteln immer einfacher ist als Machen, und ich werde jetzt auch keine weiteren Beispiele beleuchten, es kann sich jede/r seine/ihre eigenen Meinung über die Übertragungen bilden.
    Ich verstehe und respektiere, dass Blumenbach annahm, ähnlich bodenständige und simple Nachdichtungen würden den Ton von Parkers Werk transportieren; der Gedanke ist mir sehr vertraut, da ich mich selten, aber dann doch auch intensiv an Übersetzungen versucht habe, und ich wollte es oft auf dieselbe Weise angehen, wenn es um gereimte Gedichte ging. Aber die hallodrihafte Eigenständigkeit der Nachdichtungen schreckt mich ab und ich bleibe lieber beim Original, wo ich die Nuancen nicht ins Gegenteil verkehrt sehe. Natürlich treffen sich Original und Nachdichtung auch immer wieder, finden zueinander. Aber nicht für lange Zeit.

By the the time you swear you’re his,
 Shivering and sighing,   
And he vows his passion is
 Infinite, undying –
Lady make a note of this:
 One of you is lying.


Lautet dein Eid, du bist sein,
 Sehnsucht hat gesiegt,
Schwört er, seine Liebe rein
 Ist aus Erz gefügt –
Herzchen, red dir bloß nichts ein:
 Einer von euch lügt.


Wer gerade von Liebeskummer geplagt ist und sehr direkte und doch feine Reime über derlei lesen will, dem kann ich eigentlich kein besseres Buch empfehlen als dieses. Man hat hier eine Art Mascha Kaléko auf Englisch vor sich, ebenso zärtlich-ungestüm, zu Tode betrübt und trauernd und doch weise und schön. Von „Enough rope“ bis hin zu „Death and taxes“ sind alle Gedichtbände enthalten, inklusive Biographie und Nachwort.  

Lips that taste of tears, they say,
Are the best for kissing.


In klassischen Lied- und Balladenformen, sogar einigen Sonetten, schwingt Dorothy Parker das Buchstabenbein im Takt der Melancholie oder verflogener oder festgehaltener Euphorie. Mancher Vers wirkt mit allzu leichter Hand geschrieben, Heine comes to mind, aber dann wird wieder ein Gefühl festgemacht, mit ein paar gereimten, gebundenen Versschlägen in den Schädel, ins Blut getrieben. Ein nie endender Reigen glückloser Liebe, wehmütig vom Neuanfang singend, obgleich der schon wieder vorbei ist.


Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Gedichte. Engl. / Dt. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Zürich (Dörlemann) 2017. 600 Seiten. 34,00 Euro.

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