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Dilek Mayatürk: Brache

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Kristian Kühn

Dilek Mayatürk: Brache. Gedichte. Türkisch – deutsch. Übersetzt von Achim Wagner. Berlin (Hanser Berlin) 2020. 112 Seiten. 20,00 Euro.

Dilek Mayatürk und der Rosengarten


„Sie haben unseren Garten abgebrannt
Unsere Rose konnte ich retten.

Gib mir so viel Liebe, wie du hast
Das reicht.
Ich werde die Rose auch ohne Garten hochziehen.“
S. 53 (Steinbeet)

Für alle, die gerade etwas verloren haben, zum Beispiel ihren geliebten Partner, oder eine Verwurzelung, ist dies ein sehr schönes tiefes Gedicht. Dilek Mayatürk, die Dokumentarfilmerin und Lyrikerin, 2010 mit einem Cahit Sitki Taranci-Preis ausgezeichnet, deren erster Gedichtband auf Deutsch nun im Hanser Verlag erschienen ist, war dabei, 2017 Deniz Yücel zu verlieren, den Journalisten, der sich für die Gezi-Bewegung stark gemacht hatte und deshalb wegen angeblicher Propaganda für eine Terrorgruppe in Untersuchungshaft auf seine hohe Strafe wartete - sie heiratete ihn im Gefängnis. Das Gedicht „Besuchstag“ (S. 95) berichtet über diese Zeit. Aber auch das Gedicht „Loyalität“ (S. 10) oder das Gedicht „Botin“ (S. 99 = Ich komme und gehe wie ein Lastkahn … Ich bin überladen). Seit 2019 lebt sie nun in Berlin. Ihren Gedichtband beim Hanser Verlag, der ihr Wirken von 2004 bis 2020 umfasst, darin enthalten 15 normal lange bzw. längere und 36 kurze bis kürzeste Gedichte, nennt sie „Brache“. Es sei dies ein landwirtschaftlicher Begriff, sagt sie im Lyrik Kabinett bei der Vorpräsentation des Bandes, zusammen mit ihrem Übersetzer, Achim Wagner. Zwei Jahre nicht beackerte Erde (quasi die Berlinzeit), in der der Boden in Ruhe gelassen wird, nun gelte Abwarten, Geduld, als Zeit für die Erde und Menschen, für die Liebenden sich zu erholen.

„Die früh aus der Brache gerissene Erde
Ist jetzt verkrustete Wüste.

Betrauer nicht die Erde
Versteh die Wüste.“
(S. 67, Brache)

Und gleich danach:

„Von der Erde einer Brache erntet man zuerst Geduld,
Danach Verlangen
Und zuletzt seufzt man und flucht.“
(S. 69, Ernte)

Mit der Orientalisierung Westeuropas ist schon seit geraumer Zeit ein neuer lyrischer Stil auch nach Deutschland gedrungen, der nicht so verkopft ist wie der bisher abendländische, von dem Christian Metz in seinem diese alte Zeit abschließenden Werk „Poetisch denken“ berichtet und schwelgt, sondern vormoderner, um nicht zu sagen, mittelalterlich. Er hat seine Wurzeln im Hochmittelalter – ich denke an Dantes „Vita Nuova“, das das Höhere Weibliche in der angebeteten Frau verehrt, oder an den Rosenroman von Guillaume de Lorris und in seiner Weiterführung von Jean de Meun. Oder an die Gralsepik oder die deutsche Minnelyrik. Interessanterweise hat der Hanser Verlag vor ein paar Jahren eine Anthologie herausgebracht, die diese Entwicklung bereits voraussah: „Unmögliche Liebe. Die Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen“, herausgegeben von Jan Wagner und Tristan Marquardt.  
    Mit anderen Worten, Dilek Mayatürk bricht mit der westlichen Abgeklärtheit und benennt ihre Emotionen. Gemäß des weiblichen Parts der Minnelyrik, die auch im Orient eine lange Tradition hat, sagt sie: „Ich habe dir nicht beibringen können zu lieben.“ (S. 51, Zeit). Das ist natürlich zunächst enttäuschend, letztlich aber weist es auf die erbärmliche conditio humana und darauf, dass der Jüngling, der den Rosengarten einmal, nur einmal und dann erst im Tode wieder, wenn er Glück hat, betritt, von ihr sowie von Amor die Kunst zu lieben beigebracht bekommt.

„Wer die Befehlsgewalt hat übers Herz,
der ist auch Herr des Körpers.“  

heißt es bei Guillaume de Lorris im Rosenroman und: „Hier herrscht der reine Liebeswille.“ Der Blick auf die Rosensträucher, die sich im Kristall auf dem Grund der Quelle spiegeln, lässt die durch Zufall den Rosengarten Betretenden eine Knospe wählen, weshalb er/sie sogleich von Amors Pfeilen getroffen wird. Amor unterweist dann in die Liebeskunst, wie einst Ovid, der Vorläufer. Und der Liebende hat allen Frauen zu dienen, ihnen Ehre zu erweisen und sie gegebenenfalls zu verteidigen. Die Reinheit des Herzens soll er pflegen, und damit die schönen Künste, er soll freigiebig sein und unaufhörlich an die Geliebte denken und ihr sein Herz ungeteilt zuwenden. Denn so spricht Amor: „Teilung ist mir zuwider.“ Doch genau diese tritt ein. Der Rosengarten bleibt vom Moment des zufälligen Glücks an verschlossen. Auch Dilek Mayatürk spricht in „Wegzehrung“ (S. 95) über die Augenblicke, die als Erinnerungen „satthalten.“

Die Liebenden bleiben von da an scheinbar für immer getrennt. Und Guillaume de Lorris weiß:

„Der Wahn wächst unaufhörlich,
wenn man ihn nicht mit aller Kraft bekämpft.
Nimm Deinen Zaum, beiß kräftig zu,
zügle Dein Herz,
Du mußt ihm kraftvoll wehren
Und Deinem Herzenswunsch entsagen.
Wer immer nur dem Herzen folgt,
der muß im Wahne enden.“                

Aber Amor sendet mit seinen Pfeilen Feuer, dass der Körper zu Asche wird:

„Wenn man nur einmal verliebt sein konnte,
War ich es jetzt!
Ich öffnete meine Faust und sah
Eine Handvoll roter Asche.“
(S. 35, Rote Asche)
          
Schon sind wir nicht mehr im Mythos, sondern auf dem Taksim-Platz: der Geliebte hat dieses Buch geschrieben: Taksim ist überall. Der Name des Platzes leitet sich von arabisch / taqsīm / ‚Teilung, Division‘ ab. Der Rosengarten kann nicht mehr erreicht werden, er ist abgeschnitten. Dennoch stehen überall an Wänden und Mauern lyrische Sprüche, Verse aus Gedichten, die zum Widerstand aufrufen, etwa Gülten Akıns „Ich schnitt meine schwarzen Haare ab“ oder Lale Müldürs „Ich wollte, dass dir etwas Schlimmes geschieht / ich wollte, dass du dich in mich verliebst“. Stan Lafleur hat einiges dazu in seinem Essay La poésie est dans la rue – über Lyrik im öffentlichen Raum zusammengetragen. Was die Frauen als Lyrikerinnen in der Türkei betrifft, wollten sie – laut Aussage von Achim Wagner im Lyrik Kabinett – extra blumig an den Wänden erscheinen, um mit dem verpönten Stilmittel der Emotionalität besonders zu provozieren: „Ich will lyrische Gedichte schreiben, mein Herr!“ soll eine der Gezi-Aufschriftem gewesen sein.

„In unserem Munde ließen wir Blüten wachsen
Verdammt
Ihre Zweige, die in meinem Hals vertrockneten, werde ich nicht runterschlingen.“
(S. 37, Ein schönes Warten, - die erste Strophe – die zweite hofft, dass die Wolke sich verzieht und die Sonne wieder scheint und aus dem Strunk wieder eine Blüte wird.)
         
Im Gegensatz zu dem berühmten „Those are pearls that were his eyes“ aus Shakespeares „Sturm“ heißt es aufmunternd bei Dilek Mayatürk:

„Spring!
Das Salz des Meeres trocknet deine Tränen
Versenke deine Tränen im Wasser!
Sie sollen zu Perlen werden.“      

Soweit das (ganze) Gedicht „Meer“ auf S. 83, wobei man bedenken muss, dass Meer türkisch „Deniz“ heißt. Dilek Mayatürk übernimmt auch außerhalb des Rosengartens in ihren Briefen ans Gefängnis die Rolle der Heroine.

„Sobald beides aus deinen Händen gesickert ist,
Liebe und Blut,
Bist du stärker als sie
Verlass dich darauf.“
(S. 85, Evolution)        

Für sie sind Gedichte nichts anderes als „eine Operation am offenen Herzen“ (S. 105, Eingriff) – wobei Achim Wagner es schwer hatte, wie er im Lyrik Kabinett gestand, die türkische Vokalharmonie der Gedichte so zu übertragen, wie sie sich im Original darstellt, wie ein Klangteppich, der in der Strophenfolge vom Hellen oft ins Dunkle wechselt. Das Duale, die Polarität von Mythos (Rosengarten) und Realität (Taksim-Platz), von Liebe und Tod scheint für Dilek Mayatürk ein wesentliches Stilprinzip zu sein.

„Die Liebe ließ ich im Garten eines Hauses aus der Wurzel des Todes wachsen
In ihrer Einzigartigkeit waren sie nahe Verwandte.“
(S. 31, Zwei Erwachsene – das Zitat ist das ganze Gedicht.)

Sie spricht, als sei sie das Prinzip der Minne und trage es als ein Höheres Weibliches weiter. Das ist ihre Reparaturmethode.

„Es kann sein, dass man zerbricht.
Wer ist schon groß geworden, ohne zu zerbrechen?
Wichtig ist es, zusammenzuwachsen.
Konntest du richtig zusammenwachsen?
(S. 17. Kintsugi)


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