Crauss: Die harte Seite des Himmels
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Timo Brandt
Welch lebensnahes Zerwürfnis mit den Wirklichkeiten
„deine gedichtesind mir ein großer roman gefühlserregungskunst oder zwischen eros und tod alleswas die brust des menschen durchzieht die sammlungungewöhnlicher lieben und wolf den ich zitierein zahllosen briefen zum beweismeiner sehnsuchtich möchte dir nur noch das quälende nehmen.“
Die Harte Seite des Himmels. Schon der Titel von Crauss‘ Gedichtband ist eine schwer zu knackende Nuss. Und auch bei der Lektüre kommt man sich mitunter vor wie ein Angestrengter, der Kraft aufwenden muss, um die Schale des Poems zu knacken und an die vermutlich gesplitterten, aber essbaren Teile im Inneren zu gelangen.
Was ist die harte Seite des Himmels? Geht es in dieser Formulierung schlicht um die Unerreichbarkeit, den Widerstand, den die Physik dem alten Traum vom Fliegen entgegensetzt? Handelt der Titel vom Fliegen als Metapher für das Glück, vom Himmel als Metapher für das Paradies, wo die guten, gerechten Seelen hingehen? In einem Aphorismus schreibt Franz Kafka:
„Die Krähen behaupten, eine einzige Krähe könnte den Himmel zerstören. Das ist zweifellos, beweist aber nichts gegen den Himmel, denn Himmel bedeuten eben: Unmöglichkeit von Krähen.“
Mitunter kommt es mir so vor, dass es in Crauss‘ sehr vielfältigen Gedichten darum geht: um die Unmöglichkeit von Krähen (wobei die Krähen hier selbstverständlich für etwas anderes stehen), die Schwierigkeit von Krähen, die Abwesenheit von Krähen am Himmel – alles Zustände, die seine harte Seite betonen. Aber das klingt bereits nach Fazit, also erstmal wieder zum Anfang.
Was mir entgegenschlug, als ich die ersten Gedichte las, wirkte direkt höllisch ambitioniert, etwas überinstrumentiert; ich habe selten eine so eigenwillig-entschiedene Diktion erlebt und war von ihr gleichermaßen fasziniert wie entnervt. Bricht sie mit ihrer Heftigkeit durch die Oberflächen, entwirft neue Vor-stellungen von Tiefe, verkörpert sie so etwas wie necessary roughness, oder bin ich zurecht entnervt, weil diese Ent-schiedenheit schlicht exzentrisch ist?, diese Frage stellte ich mir zu Anfang ein halbes Dutzend mal.
Zahlreiche
Gedichte haben fußnotenartige Absätze, die sich wie zusätzliche Gedichte,
zusätzliche poetische Instanzen, am unteren Rand der Seite herumdrücken und uns
nicht verraten inwiefern sie das eigentliche Gedicht ergänzen. Jede Fußnote
wird zu einer ungenauen Erweiterung des Ganzen, wie ein Spiegel, der in einem
Raum voller Vexierbilder hängt.
„der bedienjunge hat einen bart jetzt.ich ziehe ihn aus. immer will ichmit meiner zunge ein mirakel entdecken.ich will es nicht lösen, die meisten mirakellösen sich, ehe der samen versprüht,ehe die lust an dem jungen verglüht ist:dreitagebart, er schenkt mir ein bier aussein prächtiges, braunes geschlechtschwingt mit vergnügen, er strahlt mirein breites lächeln entgegen. […]“
In der
Fußnote zu diesem Gedicht heißt es am Anfang:
„es ohrringt alles, und ich weiß manchmal nicht, hatte ich eine sache schon gelebt oder hatte ich sie mir nur vorgestellt, hatte ich sie nur in meiner imagination durchlebt, ein pausenloses sich täuschenlassen. man kann gar nicht realistisch = radikal genug vorgehen oder man kann gar nicht realistisch = verrückt genug schreiben, was auch bedeutet, man kann gar nicht genug vernarrt sein in diesen und jenen, in dieses und jenes, person oder sache egal […]“
Im
Klappentext heißt es, Crauss spüre den Nullpunkten im Alltag nach; es fallen
Wörter wie arabesk und barock und die Sprache sei eine des Begehrens, Träumens,
habe etwas Schwebendes. Ich kann dem allen zustimmen, nur beim Schweben, da bin
ich mir nicht sicher. Geschickt mit Begierden und Zweifeln durchsetzt, von
ihnen angefixt und abgebremst, sind diese Gedichte in vielerlei Hinsicht
Ausnahmeerscheinungen, was ihre sprachliche Dynamik, ihr Ausschlagen auf der
poetischen Richterskala angeht.
Gefälle,
sich übereinander schiebende Platten, Erschütterungen, Beben, Ausbrüche und
Stürme, ich komme mir ein bisschen lächerlich vor mit solchen Analogien, aber
sie scheinen mir die beste Art zu sein, um zu beschreiben, mit welcher nicht
direkt artikulierten, aber innewohnenden Wucht diese Gedichte sich breitmachen,
Vorstellungen anbahnen und umkrempeln, sobald man beginnt, sie zu lesen.
Auch das
Schweben sehe ich, denn bei aller Wucht haben die Texte auch eine seltsame
Zärtlichkeit, Feinheit, die wie eine Chiffre mitten in der Wucht steht und an Ecken
und Enden das Gedicht befestigt, die geballte Sprache zusammenhält.
Ich erlebe
Crauss‘ Texte größtenteils, wie schon im Titel angekündigt, als Zerwürfnis mit
der Wirklichkeit, dem Versuche von Versöhnung – Umwege, Anrufungen,
Entstellungen, Akribie, etc. – entgegengehalten werden, oder dem schlicht
nachgegeben wird. Dieses Zerwürfnis zu illustrieren gelingt seiner barocken und
arabesken, seiner rauschenden und klickenden, seiner tummelnden und
konzentrierten Sprache sehr gut, oft famos.
Trotz
all dieser Fülle und Begeisterung muss ich gestehen, dass dieser Band mal
wieder eine dieser Erfahrung war, die mich zweifeln lassen, ob ich vielleicht
die Klappe halten sollte, wenn es um bestimmte Lyrikpublikationen geht. Auch
nachdem ich hier mein Bestes gegeben habe, erscheint mir meine Rezension, im
Vergleich zum Pomp und dem Begriffsozean des Buches, geradezu nichtssagend,
affrontverdächtig schmal. Es kommt mir nicht so vor, als hätte ich wirklich
etwas zu dem Band gesagt, bis zu irgendeinem Kern scheine ich nicht vorgedrungen
zu sein.
Deshalb
ärgert mich ein bisschen die Eitelkeit, die ich diesen Texten hier und dort
unterstelle (und gleich darauf ärgert mich dieser unterbewusste Vorwurf). Ein
bohrendes Interesse, eine vielschichtige und ambitionierte Versessenheit, der
Wille, noch mehr ein Dazwischen in der Wirklichkeit aufzuspüren, das alles wird
hier geboten und bringt Schöpfungen hervor. Und selbstverständlich, Achtung
Binsenweisheit: ein Gedicht kann mit jeder Facette eigentlich nur gewinnen.
Aber
dann denke ich an all die Gelegenheiten, bei denen ich mit Leuten über Gedichte
sprechen konnte, einfache Gedichte oft, und wie die unterschiedlichen Lesarten
auch kürzeste Gedichte zu ungeklärten Mysterien machten und dabei Varianten und
verschiedenste Annahmen verviel-fältigten.
Und bei
einigen Gedichten in diesem Band ballt sich die Sprache so heftig, windet sich
so um sich selbst, läuft über so viel Drähte, auf so viel hinaus, dass ich mich
wundere, wer ihr folgen kann, und sei es assoziativ. Die dichtende Person folgt
ihrem eigenen Interesse, ihrer eigenen Vorstellung. Und ich als Leser kann nur
sagen, was davon bei mir ankommt und wie.
„wie sollen wir das nennen: die handin ein überaus fremdes herz, mit gefesseltemgeist durch die stadtwie nennst du mich, wenn ichnicht da bin?“
Crauss: Die harte Seite des Himmels. Gedichte. Berlin (Verlagshaus Berlin) 2018. 116 S. 15,90 Euro.