Christian Steinbacher: Dass es auch zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte
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Sophie Reyer
Christian Steinbacher: Dass es auch zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte.
Ottensheim (Edition Thanhäuser) 2023. 70 Seiten. 24,00 Euro.
Mit dem Hut in der Hand kommt man gut durchs Land
„Mit dem Hut in der Hand kommt man gut durchs Land“ besagt
ein altes Sprichwort, das für jeden und jede gelten soll. Dass Hüte aber auch
eine besondere Faszination auf Schreibende ausüben, ist spätestens seit dem Auftreten
des legendären Hutmachers in Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ klar. Und wen
wundert es? Hüte haben eine magische Aura! Sie können uns beschützen, können
helfen, dass wir uns unter ihnen verstecken – nicht umsonst kommt daher ja auch
das Wort „behütet“ – aber wir können uns auch durch sie verwandeln, können
andere werden, wenn wir sie aufsetzen. Einer, der diese Objekte in seinem neuen
Band einer literarischen Versuchsanordnung unterzogen hat, ist Christian
Steinbacher. In Dass es auch zählt, seinem jüngst in der Edition
Tanhäuser erschienen Lyrikband, das den uneitlen Untertitel 9 Ziffern, 6 Hüte
trägt, thematisiert der originelle Lyriker den Kopfbedeckungs-Fetisch auf etwas
andere Art.
Lieder
als Leitmotive
Die
Form ist klar und strukturiert: Die Basis von Dass es auch zählt bilden
zwei Ebenen: da ist einerseits die Lied-Ebene, die die französischem Werke
Joseph Racailles zitiert und übersetzt, und andererseits die Lyrik- Ebene, die
aus der Feder des Autors stammt, die einen Hut zum Thema hat – und in der sich
der jeweilige Songtext widerspiegelt. So sieht beispielsweise das Gedicht
„Eins“ (s.8) folgendermaßen aus
„Kreisch nicht gleich, wenn’s brichtPlärr doch bitte nichtWeil der Autobus riss ab den Arm o schlicht (dicht)Mach doch kein TraraIst da einer dran noch ja.“Wobei der originale Songtext so lautet: „UnNe crie pas comme çaNon, ne pleure pasParce que l’autobus t’a arraché le bras (droit)Ce n’est pas très bienMais il t’en reste encore un.“

Doch die Übersetzung allein zu präsentieren wäre zu einfach.
So fügt der Autor dem lustigen Text „Eins“ auch gleich eine poetische Meta-Ebene
hinzu, indem es (s.9) in einem ergänzenden Gedicht heißt:
„Geborene versichern uns:Wer früher lebt, birgt mehr Konflikt.Geht’s denn noch trächtiger im ersten Stand?Nicht Zug noch Fuhr, verneint das gute, alte Horn.„Sag ich dir wohl.“ Müsst’s wer betonen?„Ums andere“, wird ausgewischt.“
Klare
Form, große Welten
Doch nicht nur französische Liedtexte und Gedichte würzen
diesen lyrischen Band- auch Christian Tanhäusers abstrakt gehaltene Bilder von
Hüten, kaum mehr als Skizzen oder Umrisse, werden zwischen die literarischen
Arbeiten gestreut, die ihrerseits wieder durch kursive Kommentare beleuchtet
und mit Zitaten angereichert werden.
Auf
den ersten Blick wirkt der Band sehr einfach strukturiert: Die Textflächen zu
den Ziffern sind alle gleich gehalten: Original, Übertragung, poetische
Reaktion formal unterschiedlicher Art, Zitat. „In den Hutgedichten“, so der
Autor, „nehme ich in gewisser Weise die Perspektive von Hüten ein.“
Das
wird spätestens auf S. 5 klar, wenn es heißt:
„streckt
von sich sehr wie unter Augen
spielt
Sitzfleischletter für die Bande allemal
unter
Augen die Bande
Buchstaben
Bande
O
welch Bande
Bande“
Inspiriert
zu dieser Struktur haben den Autor, wie er im Gespräch meint, „Liedchen auf
einer Vinyl (damals: LP) von Patrick Portella & Joseph Racaille mit dem
Titel "Les Flots Bleus", die ich seit Mitte der 1980er-Jahre immer
wieder gerne gehört habe.“ Was Christian Steinbacher schon damals an diesen
Chansons besonders fasziniert hat, ist klar: nicht nur ist die Form dieser Kürzest-Lieder
durch ihre Knappheit bestechend, auch der dadaistische Inhalt hat eine Menge literarisches
Potenzial. Steinbacher versuchte, den Songschreiber Joseph Racaille –
eigentlich kein Poet, sondern ein Musiker – im Vorfeld zu kontaktieren – doch
es gelang leider nicht. Diese Tatsache hat jedoch in keiner Weise einen
Einfluss auf dieses fulminant geschriebene Buch gehabt.
Neun
Ziffern, Sechs Hüte, alle Sinne
Christian
Steinbacher ist ein Wortkünstler. Die Arbeit mit
Reimen und einfachen Lied-Formen wirkt bei ihm nie peinlich oder aufgesetzt –
und besonders die Originalität der unreinen Reime wie im Gedicht „Zwei“ ist
bestechend:
„Man weiß zu trösten sich gar weitWenn man verliebt sich freitMan merkt gar nicht, dass Zeit vergehtWenn man sich so verstehtDoch vor dem Käs’Man nimmt zu voll kein DressWenn man zu zweit.“
dichtet Steinbacher so den Songtext nach – und bringt uns zum
Schmunzeln.
Synergien ohne Ende
Aber nicht nur das Buch an sich hat viele
Ebenen, sei es visuell, sei es formal – auch die Performance des Dichters
selbst verleiht dem Ganzen eine besondere Facette. So gleicht sein Vortrag aus Dass es auch
zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte einer Art Sprech-Gesang und bezieht
außerdem alle Sinne des Publikums mit ein: Denn die
Herkünfte der Hüte, die Christian Thanhäuser in seine Bilder gebannt hat,
werden durch eine Liste offengelegt, die man unter den Zuhörenden verteilt. Ein
Gesamtkunstwerk, oder?
Hut ab!