Es waren Zeitschriften mit kampfeslustigen Namen, die zwar nur eine kurze Lebensdauer hatten, aber dann sofort ein Nachfolge-Perodikum generierten: Zeitschriften wie das 1997 im Basis Druck Verlag gegründete Blatt „SKLAVEN“, auf die der „SKLAVEN Aufstand“ folgte, danach der „GEGNER“. Nach weiteren publizistischen Probeläufen mit Blättern wie „floppy myriapoda“, „telegraph“ und „Zonic“ wurde dann ab 2013 das anarchistische Zentralorgan „ABWÄRTS!“ ins Leben gerufen, worin bis heute die schwarze Fahne der Anarchie geschwenkt wird.
All diese Metamorphosen und Mutationen des anarchistischen Biotops im Prenzlauer Berg kann man nun in einem herrlich ausgestatteten und mit Zeichnungen von Ronald Lippok und heiteren Fußnoten von Papenfuß versehenen Buch nachlesen, das in dem Nürnberger Künstlerbuch-Verlag „starfruit publications“ erschienen ist. Allein schon die sorgfältig erstellte Typographie und die liebevolle Gestaltung, die dem „starfruit“-Verleger Manfred Rothenberger zu verdanken ist, machen dieses „Psychonautikon Prenzlauer Berg“ zu einem großen Lesevergnügen. Die Gedichte und Traktate werden auf weißem Papier im Querformat präsentiert, auf gelbem Papier dann die ethnografischen Gespräche zur Genese des anarchistischen Biotops. Auch wenn man nicht bereit ist, in die kokette anarchistische Selbstbeweihräucherung der Autoren mit einzustimmen, liest man mit Begeisterung diese kleine Kulturgeschichte der poetischen Renitenz. Aus dem Mann mit der Lederkluft ist dreißig Jahre später ein Mann mit üppigem Seemannsbart geworden, der seine experimentellen Poeme in Moritaten, Traktate und lästerliche Lieder verwandelt hat. Bert Papenfuß, der Wortartist, hat mittlerweile eine Poetik der heiter-beiläufigen Schnoddrigkeit entwickelt, die ihre Quellen und Stichwortgeber aus altnordischen Mythologien, Störtebeker-Romantik, der Gaunersprache Rotwelsch und anarchistischem Schrifttum bezieht. Das klingt manchmal verdammt kalauerhaft oder bierselig, zelebriert aber in den stärkeren Passagen einen immer noch verblüffenden Wörter-Tanz. In heiterer Selbststilisierung entwerfen Papenfuß, Ronald Lippok und Annett Gröschner eine „psychogeographische“ Weltkarte des Prenzlauer Bergs, wo alle kleinen Kampfplätze der Szene eingezeichnet werden und wo am Ende deutlich wird, dass alle Wege der Anarchie in die Metzer Straße und die dort von Bert Papenfuß bis September 2015 betriebene Kulturspelunke „Rumbalotte Continua“ führen. Wer jemals als Nicht-Eingeweihter die Schwelle dieser wirkungsmächtigen Raucherkneipe überschritt, geriet nach kurzer Zeit in Atemnot. Denn so viel dicke Luft und auch heiße Luft hat sich wohl kaum jemals in einem Lokal der Gegenwart zu so vielen Ideen der Renitenz inkarniert. In einem Papenfuß-Gedicht aus neuerer Zeit heißt es vielsagend: „Hochheiliger Nibelungenquatsch, / Remmidemmi und Kladderadatsch: / Ich geh schon mal ausbüxen. / So weit, so ungefähr. Ratze-/ kahl. Das Glas ist leer.“ Diese Gestalter des poetischen „Remmidemmis“, die hier ihren privatanarchistischen Mythen-Mix vorlegen – sie verstehen es wirklich sehr gut, auf den Putz zu hauen. Auch wenn dabei die eigenen Legendenbildungen immer mehr abbröckeln.
Bert Papenfuß/Ronald Lippok: Psychonautikon Prenzlauer Berg. Gedichte und Texte: Bert Papenfuß. Zeichnungen: Ronald Lippok. starfruit publications, Nürnberg 2015. 216 Seiten, 21 Euro.