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Àxel Sanjosé: Gelegentlich Krähen

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Dirk Uwe Hansen


Behandle das wie frischen Rosmarin



Im Interesse seiner Leser sollte man ein Buch nach Möglichkeit ohne allzu große Aufregung besprechen, der objektiven Beschreibung den Vorzug vor dem subjektiven Werturteil geben, sine ira et studio also, wie der Lateiner sagt, vorgehen.
Das ist nicht immer leicht. Also mache ich mir erst einmal Luft und versuche mich danach an der objektiven Beschreibung: Àxel Sanjosé ist ein großartiger Dichter. Einer, der die Fähigkeit hat, bewundernswerte, leise Gedichte zu schreiben, die lange nachhallen, und die eine Schönheit besitzen, die ich bei aller Mühe nicht angemessen beschreiben könnte. Wer also das Glück hat, eine gut sortierte Buchhandlung in seiner Nähe zu wissen, sollte sich jetzt – statt weiter zu lesen – lieber aufmachen und die beiden im Rimbaud-Verlag erschienenen Bände „Anaptyxis” und „Gelegentlich Krähen” kaufen.


Und nun zum eher objektiven Teil:

Die Zeit, heißt es,
aber es ist nur
der Wechsel des Lichts.

Einmal sahen wir Möwen:
Wir stellten uns das Meer vor.
Einmal sahen wir keine Möwen:
Wir stellten uns das Meer vor.

Gelassenheit
ist das Gegenteil
von Zeit.

Behandle das wie frischen Rosmarin.


Mit diesem Gedicht endet der Band „Gelegentlich Krähen”, der jetzt in zweiter (leicht bearbeiteter, um einige Gedichte verringerter und durch ein Nachwort von Michael Braun erweiterter) Auflage vorliegt. Zuerst veröffentlicht wurde der Band 2004 im Verlag Landpresse, also neun Jahre vor Sanjosés zweitem Band „Anaptyxis”. 60 Gedichte aus den Jahren 1987-2004 enthielt er in der ersten, 55 enthält er in der zweiten Auflage. Wir können Sanjosé also weder für einen Viel- noch für einen Schnellschreiber halten. Ebenso zurückhaltend und überlegt wie bei der Veröffentlichung zeigt sich der Autor auch bei der Herstellung seiner Texte, denen jede Form von Effekthascherei fremd ist. Da sagt einer, was zu sagen ist, in der Form und der Sprache, die die angemessene ist, und scheut auch die Wiederholung nicht.

Geliebter Ort,
geliebte Gegend,
wir haben dich gehasst
und nicht gehasst.


So beginnt etwa das Gedicht „Geliebter Ort” und setzt dann als eine auf das Notwendige reduzierte Ballade fort:

Am Ufer welkt die Farbe
und löst sich auf die Spur
von einem Liebespaar,
das hier im hohen Gras gelegen.

...


Es ist diese Zurückhaltung in Wortwahl und Form, die neben der allen Texten eigenen Melancholie den spezifischen Ton der Gedichte Sanjosés ausmacht. Und doch – und dies ist auch ein Grund für meine Bewunderung – findet sich in dem schmalen Band eine große Zahl ganz unterschiedlicher Sprecharten, vom Prosagedicht über Balladenhaftes und epigrammatisch Kurzes bis hin zum Sonett. Und stets öffnen die Gedichte dabei den Blick auf ein „Mehr”, das sie in die Welt hinein bringen, ohne es explizit nennen zu müssen, denn Sanjosé beherrscht – und das bewundere ich noch mehr – neben der Kunst der präzisen Formulierung auch die Kunst des präzisen Verschweigens.
So werden zum Beispiel eine ganze Reihe von Verlusten in sechs schlichten Zeilen beschrieben:

Kaum spürbar

Seitdem die alten Nachbarinnen im obersten Stock die
neuen Maschinen haben, sind sie viel leiser geworden.
Beinahe könnte man meinen, es sei ihre Arbeit beendet,
kürzlich jedoch, da sah ich eine der Schwestern beim Mister
Minit um die Ecke. Die Aussicht ist weiterhin schön, nur
unsere Hügel, einst so bedeutend, die sieht man nicht mehr.


An anderen Stellen tauchen hinter den Formulierungen metrische Strukturen auf (ebenso plötzlich wie das Gelb im Grau der Melancholie), die zeigen, dass Sanjosé auch die Form der Ode auf das notwendige Minimum zu reduzieren weiß:

Staub an den Halmen
gelber dies Land,
höher der Himmel, das Laub, die Geräusche,
nimm, was dir zusteht,
Sonne und Ginster und Raps und Senf.
...


Oder wir haben nach der Lektüre eines Gedichtes den Eindruck, einen ganzen Roman gelesen zu haben:

Hotel

Ein Lift, der zufällig
im Erdgeschoss hält.

Warten als Job.
Im Foyer tummeln sich Leute,
ein Pärchen sitzt verstohlen
auf der Couch,
eine Frau ohrfeigt einen Jungen,
einem Mann blutet der Hals vom Rasieren.
Warten als Hobby.

Nach einer kleinen Weile
schließt die Tür automatisch.
Der Liftboy grinst zahnlos.


So unaufdringlich und leise diese Gedichte daherkommen, so intensiv setzen sie sich fest und beschäftigen den Leser noch lange. Das jedenfalls ist meine Erfahrung, die ich noch vielen Lesern mehr wünsche.


Àxel Sanjosé: Gelegentlich Krähen. Gedichte. Nachwort Michael Braun. Aachen (Rimbaud Verlag) ²2015. 88 Seiten. 15,00 Euro.

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