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Anna Hoffmann: Vlust

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Frank Milautzcki

Anna Hoffmann: Vlust. Berlin (Hybriden Verlag) 2021. 66 Seiten. Normalausgabe mit Audio-CD 35,00 Euro.

Kernland - Rezension zu Vlust von Anna Hoffmann


Wer sich zu Wort meldet, hat mit der Welt zu tun und bleibt bei ihr und sogar in ihr kleben. So eröffnet der neue Gedichtband von Anna Hoffmann mit den vorangestellten Versen: „wie soll ich durch die helle kommen / ich hab den mund zu rot genommen“. So leicht gereimt, dennoch intensiv der Background und die darin verborgene Kommunikation: Es ist nicht spurlos durch die Welt zu kommen, wenn man sie beschreibt und über sie Bericht erstattet. Wenn vom Leben mitgeteilt wird, dann strickt sich automatisch ein Netz aus Zweifel und Mitgenommensein, der Passagier schreibt sein Dossier. Zu rot heißt nicht geschminkt. Eher gewagt da. Ins Dasein hineingewagt, das man auch überfliegen könnte, dem man sich wegzappen könnte. Es finden sich Mantras, die helfen irdisch zu bleiben: „ich bin nicht wahnsinnig / ich bin feucht für nichts / ich komme aus meinem tod“, was hier Ich ist, strahlt niemanden an und ist zunächst das Unbeleuchtete, das dennoch die Welt selbst illuminiert, indem es Licht in sie schießt und bemerkt, daß es das kann. Fähig sein, aus einem unfassbaren Kern heraus welttüchtig sein, das ist bei aller tragischen Verquickung der Grund der Freude, das erhoffte Ja.

Aus dieser spannungsreichen Konstellation entstehen die Gedichte von Anna Hoffmann. Längst nicht immun gegen das Schwierige und das Dunkel, wagt sie den Schritt der Bekenntnis auf dem Vehikel der Poesie. Der Schritt selbst ist die Form der Bewegung, die das Beschrittene wandelt, und wer in ihm zuläßt, daß selbst im größten Zauber, in der Lust, der Verlust steckt aller sauberen Wahrheit, „bachblüten tantra ratten im haar“, der bewegt sich im organischen Bruch, eigentlich im Zerbrechen, „tod hat blumen an jeder hand“, im Bewußtsein des Wassers, „wir allesträumer auf dem weg zur kippe / der jenseits führt von gin und sinn“, der sich betrügt mit Theatralik und Dogma, mit Hamlet, Ophelia, klassischem Ernst, aber dennoch wahr ist, und begründet bleibt. Es braucht das Aufstehen, um die Begrün-dungen zu kappen und die ganze Banalität zu erfahren: „wir sind nicht tot / wir schlafen nur“ und könnten aber doch wach sein. Nur daß wir das Wachsein verkauft haben an die Rund-umbetreuung durch den Turbo, der uns schleudernd ins Cockpit presst.

Anna Hoffmann nutzt das Schreiben nicht, um eine Art Immunität aufzubauen und sich im Geschehen des Gedichtes wegzuparken, sondern für Entkernungstechniken und Entfernungs-tilgung. Es gibt ein persönliches Nein, in dem sie sich positioniert: „dort will ich nichts als schöne worte fressen / und von den worten noch die haut abziehen / und von der haut die haut / was davon übrig bleibt soll reifen unter der sonne“. Es gibt viele solcher Passagen, die ins Kernland zielen. Hoffmann beschränkt den Aufwand zugunsten einer wertvollen Verletzbarkeit des Sagens. Was sagbar bleibt, ist stets verwundbar (während das Opulente kaum an Strahlkraft verliert, wenn das Falsche daran nur auch recht poliert ist). Reduktion tut hier gut, stellt Intimität her und Verbindung. Das ist mein Grund, warum ich den vorliegenden Band sehr gerne lese und warum er in mir so gut gelingt. Er kommentiert Leben und Leidenschaft als Substanz, die sich verflüssigt, die man trinkt und in der man ertrinkt. Der Einband ist sehr bewußt uni in der Farbe Rot. „sie lacht dann steht sie wieder auf / und er frisst aus ihren augen / liebesschwüre wie austern / dieses lebendige salz“ - Liebe, Lust und Leidenschaft, klassische Themen, sollte man meinen, sind hier so schön erweitert nach Schweiß, Blut und Spucke, daß sie noch einmal als Antipoden dienen können und das Versagen sowohl der bourgeoisen Tradition als auch der Anonymitätsversprechen der Postmoderne bezeugen: Das Leben beginnt, im Zusammensein und Beieinander lebendig zu werden. „fische mehr als frische fische / in dem warmen weichen schoß / los“.


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