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Andreas Okopenko: Ich hab so Angst, dass die Chinesen kommen

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Timo Brandt

Andreas Okopenko: Ich hab so Angst, dass die Chinesen kommen. Salzburg (Jung und Jung) 2020. 144 Seiten. 20,00 Euro

Worte wechselnden (Un)Behagens


„Der Himmel ist nicht mehr ein spielendes Tuch im Wind
Oder ein ausgelegtes über Grün und unter der Sonne.
Er ist ein eisiges Gas, dünn alles erfüllend und weit entrückt
In seinen Anfängen fern wie der entschwundene Frühling.

Es kann aber auch ein Jahr geben, da der Himmel noch
    freundlich um diese Zeit;“
          
Ich verrate den Leser*innen ein kleines Geheimnis: die Anfänge meines eigenen lyrischen Schreibens hat kein*e Schriftsteller*in so begleitet und inspiriert wie Andreas Okopenko. Vor allem sein Langgedicht 7. Mai und seine frühen Jahreszeiten-Gedichte haben nachdrückliche (und, wie ich fürchte, feststellbare) Spuren in meinen frühen Texten hinterlassen, aber auch noch in den Gedichten meines ersten Bandes „Enterhilfe fürs Universum“.

Heute sehe ich sein Werk zwiespältiger, vor allem die allgegenwärtigen „Mädchen“-Figuren, von denen es in den frühen Gedichten wimmelt (eine Tatsache, die Okopenko allerdings selbst in einem späteren Gedicht gebührend ironisierte), andere Sachen halte ich nach wie vor für viel zu unbekannt.

In jedem Fall war dieser Auswahlband von Jung und Jung, der neben Gedichten aus den Bänden bis 1980 auch welche aus dem Nachlass enthält, eine willkommene Wiederbegegnung.

„In zehn Monaten ist wieder Frühlingsbeginn
Da tritt aus dem Tor eine Chemikerin
Sie denkt an die Schwalben, an Salben und
    Löslichkeit von Eosin.
Ich sage es jetzt schon und nicht erst dann:
Diese Chemikerin geht mich nichts an.

Ich habe den Mai auf meinem Arbeitsplatz
Wie einen Scherben Ton, mit dem der Kleine spielt im Hof.
Er ist so brennend, so viel, der Mai,
Daß man ihn nur verdünnt erträgt,
Wenn man allein ist.

Aber das Grün schließt allmählich seinen Schnabel.“

Wie schon erwähnt sind die Gedichte aus den ersten beiden Bänden „Grüner November“ und „Seltsame Tage“ sehr jahreszeitenaffin. Obgleich diese Thematik eines der gängigsten lyrischen Sujets aller Zeiten darstellt, ist es mitunter spannend, wie sich in Okopenkos Gedichten die Motive und Handlungselemente zu diesem Grundsujet verhalten.

Die Jahreszeiten selbst wirken abwechselnd wie etwas Mächtiges, Übergreifendes und etwas Handliches, Handzuhabendes. Während Okopenko die Veränderungen beschreibt, die sich durch sie vollziehen, bleiben manche Elemente davon unberührt, ja, stechen hervor durch ihre Diskonnektivität, das Unbeeinflusste. Es entsteht ein spürbarer Zwist zwischen Natur und Kultur, aber nicht eingebettet in eine Kulturkritik, die Darstellung einer Entfremdung, sondern in eine Naturerfahrung.

Oft wechselt der Ton der Verse zwischen beschwingt und schwankend, eine Mischung, die nicht frontal besticht, sondern halb umgarnt, halb sich nicht zu scheren scheint. Umso überraschender der Wechsel in der Dynamik bei den Gedichten aus dem Band „Warum sind die Latrinen so traurig?“, die sich fast ausschließlich reimen und ein bisschen an Brechts Hauspostille, ein bisschen an die Wiener Gruppe erinnern – sprachverspielt und nicht selten in balladen-/ liederähnlichen Formaten, mit Refrains und Binnenreimen.

„Warum pflegst du nicht deine Karnickel?
Warum gibst du dem Kind keine Wickel?
Bei der Karnickelpflege
ist mir der Bart im Wege,
und vor dem Wickelgeben
muß ich Artikel kleben,
schwer ist das Leben in Tulln.“

Was noch mehr herauskommt in diesen Gedichten ist der schneidende Witz, den Okopenko im Gegensatz zu bspw. Jandl oder Artmann meist in der Hinterhand behält, nur für kleine Vollendungen hier und da und nicht als Gerüst für ganze Gedichte verwendet. Dennoch wirken viele dieser Gedichte wie Spielereien, genüssliche und anarchische.

Im Abschnitt mit Texten aus „Orte wechselnden Unbehagens“ findet sich dann das Gedicht, das der Herausgeber und Nachwortschreiber Daniel Wisser „für eines der bedeutendsten deutschsprachigen Gedichte des 20. Jahrhunderts“ hält. Ich weiß nicht, ob ich ihm soweit folgen würde, aber ich kann nicht verhehlen, dass nur wenige Gedichte bei ihrer ersten Lektüre so einen Eindruck auf mich gemacht haben, wie das Langgedicht mit dem schlichten Titel „7. Mai“.

Ich zitiere etwas ausführlicher, wobei auch dadurch die Welthaltigkeit und Bewegung, die das Gedicht vollzieht, vielleicht nicht greifbar werden:

„über die Almhäuser, von deren anderer Luft ein
   Vertreter lernen möchte anders zu werden,
aber Mauern und Balken
und die Glocken der Kühe bleiben ihm unabwendbar
   fremd,

über die Mischwälder, deren schwarzbraun und licht-
   grüne Wipfel einem schwarzgrün und rostroten Herbst
   entgegenuhrwerken
und der Reisende im Abteil kaut betroffen seine
   Schokolade
[…]
der Mann mit der Pfeife findet heute schon das eine so
   unwirklich wie das andere,

im Laboratorium durchstrahlt die Sonne bunt die
   Urinsorten,
[…]
über dem mit Kreide eingestaubten Schneider,
der ein himmelblaues Kostüm zuschneidet für eine
   zweiundsiebzigjährige Dame,
aber zu seinem Fenster kommen neugierige Vögel herein,
während er seinerseits bunte Zwirnenden hinaus-
   schmeißt,
sodaß Innen und Außen langsam gleichwerden,
[…]
über all dem und dem Polizisten,
der einen Hund gefunden hat, welcher eine Sonnenbrille
   gefunden hat
und sie nun im Maul trägt gegenüber dem Speisehaus
   mit dem Durchblick auf Aquariumgarten und Lawn-
   Tennis,
wo der Rasenmäher eine Amsel geteilt hat und zugleich
   ein Musterflakönchen Chanel No. 5,
sodaß für belesene Leute eine Eros-Thanatos-
   Atmosphäre entsteht nach dem Rumpsteak,
[…]
fliegt und liegt,
liegt und lügt
unaustrinkbar
der 7. Mai.“

Das Gedicht erschafft quasi einen eigenen Kosmos, macht aus einer bloßen Aufzählung eine Entdeckung der Welt (man könnte fast, wenn es nicht bigott klingen würde, Errettung sagen), die einen Tag darstellt, in dem sich immerfort Dinge ballen und ballen, auffallen und unbemerkt vorbeigehen, vom Kleinen ins Große ragen und umgekehrt. Die Beiläufigkeit, die es dabei an den Tag legt, intensiviert noch den Eindruck des Monumentalen, Ausufernden, die Wucht, mit der uns die Verse etwas hinhalten und direkt wieder entziehen.

Allein schon wegen dieses Gedichts lohnt es Okopenkos Lyrik zu lesen. Es folgen dann noch einige Gedichte aus dem Nachlass, in denen Okopenko u.a. einen Androiden zu Wort kommen lässt:

„In diesem Speicher werde ich lösen
die Quadratur des Kreises,
die es nicht gibt,
und allerhand Leises,
auch das Problem
des »sogenannten Bösen!«
und der Schuh-Ösen,
die nicht ausreißen,
und der Dompteusen,
die der Löwe liebt
mit zärtlichem Beißen.“

Und auch das Rätsel des Titels wird aufgelöst – er stammt aus einem satirischen Gedicht, in dem Okopenko die Ängste zur Zeit des Kalten Krieges auf humoristische Abwege führt.

„Ich stamme aus einer frommen
Familie und heiße Helene,
wenn die Chinesen kommen,
verliere ich alle Zähne.
Mein Vater hat michs gelehrt,
das ist die gelbe Gefahr,
meine Mutter hat zugehört
und dann gesagt: es ist wahr!“

Trotzdem ich große Zuneigung zu Okopenkos Lyrik hege, muss ich zugegeben, dass sie in diesem Auswahlband einen etwas zerstreuten, leicht wahllosen Gesamteindruck hinterlässt. Man muss die undogmatische, eigenwillige Stilvielfalt mögen, die hier an den Tag gelegt wird, und darf sich nicht dazu verleiten lassen, in dieser Vielfalt Dilettantismus oder Beliebigkeit am Werk zu sehen.

Okopenko war ein maßgeblicher österreichischer Autor des 20. Jahrhunderts, das hat er mit seinem Lexikon-Roman und seinen autobiographischen Aufsätzen ausreichend unter Beweis gestellt. Seine Lyrik hat, wie dargestellt, auch ihre Glanzleistungen und wo sie nicht glänzt, da lässt sich immer noch ein gewisser Charme feststellen, ein unverwüstlicher.

„Es ist sicherlich viel damit getan,
Wenn wir die Röntgenbrille aufsetzen
Und verkünden: Die Zeit ist chaotisch.
Und weitere Punkte und Aufsätze.
Nur:
Das Mädchen möchte einen Brief schreiben,
Sie schreibt ihn auf hellem Papier.
Sie braucht eine harte Unterlage dazu, um die es nicht schade ist.
Sie nimmt das Lehrbuch der Logik.“


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