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Andreas Altmann: Das Wartezimmer

Gedichte > Gedichte der Woche

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Michael Altmann

Das Wartezimmer


Das Wartezimmer wird leerer. Ein Fenster steht offen,
Blätter der Linde liegen auf dem Boden. Das andere
ist geschlossen, hat einen Riss im Glas. Er hat die Form
eines halben Kopfes. Die Blätter bewegen sich immer wieder,
ihre Geräusche erinnern an mich, wie ich mit geschlossenen
Augen in den Himmel sehe. Ein Kind versteckt sich hinter
dem Kleid der Mutter, schaut zu Boden. Wieder geht jemand
durch die Tür. Dahinter spricht eine Stimme, die andere
verschwindet in ihr. Das Licht zieht sich zurück. Gestalten
in weißen Kitteln tragen Körper die Treppen hinauf und dann
wieder hinunter. Es ist ein Auf und Ab. Sie scheinen sich
blind zu verstehen. Sie sagen kein Wort. Ich könnte gehen.
Aber ich habe Schmerzen. Am wenigsten, wenn ich mich
nicht bewege. Draußen beginnt es zu regnen. Der vor mir
steht, schließt das Fenster. Dann geht auch er durch die Tür.
An den Scheiben laufen schwarze Tropfen herunter, durch
den Riss dringt Wasser, kaum sichtbar. Es ist ganz still
im Wartezimmer. Ich höre mich atmen. Ich atme jede Sekunde.
Mein Name wird nicht aufgerufen. Das Licht wird schwächer.
Ich blicke von außen auf mich. Einen Körper, den ich immer
anders gesehen habe. Er hat schon lange den Spiegel
verlassen. Ich könnte gehen. Niemand würde mich aufhalten.
Selbst ich nicht.


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