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Alexandra Bernhardt: Et in Arcadia ego

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Timo Brandt

Zu Alexandra Bernhardt: Et in Arcadia ego


„Dass sie das macht. Dass sie verboten geglaubte poetische Verfahren wie das antike Metrum, den Reim, den hohen Ton, die Epenthese oder das romantische Stimmungsgefühl verwendet. Dass sie es ohne weiteres und als das Natürlichste von der Welt tut und dass es alles andere als rückgewandt oder beharrend klingt. Und noch viel weniger postmodern, Gott bewahre.“


Zunächst mal: verboten hat niemand irgendetwas und wenn doch, dann sollte man derlei nicht ernst nehmen, noch irgendwelchen Verboten Folge leisten. Um Verbote geht es bei diesen Stilmitteln nicht, eher um Überlegungen und Fragen: Wie kann man diese traditionellen Formen und Ideen zeitgemäß erscheinen lassen?
    Und es gibt eine breite Auswahl von Antworten, die natürlich auch die Verneinung oder Vermeidung beinhalten, aber ebenso Methoden des Aufbrechens, der Imitation und der zeitgemäßen Überführung.


Ich komme nicht umhin, festzustellen, dass der Verlag seiner Autorin vermutlich eher einen Bärendienst erwiesen hat, als er diese Worte von Àxel Sanjosé zu ihrer Lyrik hinten auf dem Einbanddeckel druckte. Sie wirken bereits wie eine Verteidigung, eine Erklärung und es wäre besser gewesen, ein ausführlicheres Nachwort in den Band zu geben, als eine solche Stellungnahme auf dem Einband zu präsentieren – die in ihrer Überhöhung geradezu Widerspruch beim Leser provozieren oder zumindest Erwartungen, welche die Gedichte vermutlich nicht erfüllen.

„Ein Haus ist die Zeit,
Das betrittst du nur
Von drüben her –

Das besitzt du nicht,

Das siehst du nur
Durch zugeworfene Türen.“


Ich weiß nicht, wie ich Alexandra Bernhardts Gedichte gelesen hätte, wenn ich nicht vorher einen Blick auf diesen Einbandtext geworfen hätte. Nun verwickle ich mich schon früh beim Lesen in Argumentationen zum Für und Wider bzgl. bestimmter Formulierungen; und wo ich diese Dichtung vielleicht sonst direkt nach ihren Möglichkeiten beurteilt hätte, tun sich nun allerhand Gedanken zu möglichen Versäumnissen auf.  

Natürlich haben die Gedichte von Anfang an auch ihre Momente, vor allem in einzelnen Zeilen. Wenn zum Beispiel ein Krähenschwarm mit „Ein Schrei nach Schnee“ eingeführt wird. Oder sie sich für einen Moment ganz auf das Augenblickliche zurückziehen und darin Gestalt ausformen. Und selbst leicht überpoetischen Zeilen, wie der folgenden, kann man einen dünnen Reiz nicht absprechen:

„Nächtens
Singen Blumen ihren unruhigen Schlaf“


Was mir früh negativ auffiel, war der Adjektivüberhang. Nun kann man für oder gegen konstitutive Adjektive in der Lyrik sein, aber wenn scheinbar jedes zweite Nomen in einem Gedicht plötzlich mit einem Adjektiv versehen wird, ist das nicht nur auffällig, sondern wirkt auch kontraproduktiv. Denn ein Gedicht kann schwerlich seine Dynamik allein auf Adjektiven aufbauen oder darin zünden.

Aber vielleicht sollte man sich das anhand eines Beispiels ansehen:

„Wie hohnlacht bleich
Der späte Rand der Sonne:
Sommer sei es, sagen sie
Und Kinder spielen laut vor Wonne

Nicht ragt ein Regen in die Lüfte
Und keine Wolke säumt den Abend
Kastanien tragen langsam schwere Düfte.“


Was ist Ungenauigkeit oder Überfluss, was zusätzlicher poetischer Raum? Muss der späte Rand der Sonne bleich sein? Wie kann ein Regen in die Lüfte ragen? Und tragen Kastanien ihre Düfte langsam UND schwer?

Diese Fragen nach der Ökonomie von Gedichten stellen sich bei Alexandra Bernhardt häufig, und vielleicht ist es das, was Sanjosé mit „Natürlichkeit“ meinte. Hier zeigt sich das Wesen dieser Lyrik, die sich stark auf die Durchschlagskraft und die poetische Aura der Emphase verlegt und verlässt. Nicht nur in Form von Adjektiven, sondern generell: Es gibt kaum ein Gedicht, das nicht mit Eindringlichkeit operiert – und ich meine keine aus sich heraus geborene Eindringlichkeit, sondern eine fast schon erzwungene, programmatische.

„Versengt der Straße Teer, die Sonne nackt,
Ein Sperber schreiet hohl sein Sehnen nieder
Und in der sommerbleichen Hitze hackt
Ein Presslufthammer trommelnd seine Lieder“


Nun ist gegen eine solche Poetik ja nichts einzuwenden. Aber über ihre emphatischen Schübe kann man auch stolpern. Sie können sinnlich wirken, aber auch sinnfrei.

Auch in dem oben zitierten Abschnitt wieder die Frage: Ist eine nackte Sonne zu viel oder bringt sie zusätzliche Intensität? Wieso ist der Schrei des Sperbers hohl? Ich kann mir unter diesen Zuschreibungen etwas vorstellen, sie fügen sich zu einer Atmosphäre, aber sie wirken gleichzeitig auch ungelenk, vielleicht aber nur unter allzu kritischem Blick.

Hackt der Presslufthammer, hämmert er nicht? Aber fügt das Hacken nicht ein zusätzliches Bild hinzu, sieht man dann nicht, wie das Gerät langsam die Straße kleinhackt? Es steckt ein Reiz in diesem scheinbaren Überfluss. Selbst wenn man sich den Anfang des Gedichts „Abyssos: New York“ ansieht:

„Ein gähnender Abgrund
Tausendfacher Schlünde Brut
Du sausendes Gähnen
Im Flammen einer späten Glut.“


Das sausende Gähnen, das die späte Glut anfacht, ist ein schönes Bild. Aber ist es nicht zu knapp, zu glatt inszeniert? Ich komme mit meinen Fragen an kein Ende.

Antike Bezüge sind ein Motiv, die sich durch den Band ziehen, mehr wie ein Spuk als eine Auseinandersetzung. Es gibt ein Gedicht mit dem Titel „Pandora“, das wie folgt geht:

„Habe ich versäumt
Dir mein neues
Gesicht zu geben
Ich trug es bei mir
Oder vielmehr
Bewahrte ich es
Auf in einer
Büchse vor meinem
Fenster dort in
Der anderen Welt.“


Auch hier, in diesen antiken Studien, schließt sich für mich die Grenze, an die die Lyrik von Alexandra Bernhardt stößt: sie ist atmosphärisch und emphatisch, aber sie sagt Weniges klar oder neu, sie liefert schwammige Impulse. Sie kleidet ein, sie malt und illustriert, aber es vollzieht sich kein Wandel; die Stimmen verweilen in ihrem Sprechen.

Mit dieser Feststellung will ich weder von diesem Gedichtband abraten, noch ihn empfehlen. Mir selbst hat die Lektüre als Auseinandersetzung gedient (befeuert vor allem durch den Einbandtext), so konnte ich Überlegungen zum Gedicht anstellen, aber lyrische Erfahrung hat sich nicht besonders niedergeschlagen, zu unausgegoren wirkt auch die Zusammenstellung, zu wenig kann ich ihrer Emphase abgewinnen. Aber ich denke, wem die Zitate gefallen haben, dem wird der Band in seiner Gänze vermutlich auch zusagen.

„des nachts blinken
alleingelassene ampeln
den rhythmus des weltalls
in geheimnis=
vollem orange“



Alexandra Bernhardt: Et in Arcadia ego. Gedichte. Klagenfurt (Sisyphus) 2017. 90 Seiten. 12,00 Euro.

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