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Aleš Šteger: Über dem Himmel unter der Erde

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Timo Brandt

Das unverbesserliche Vergehen, die unverbesserliche Welt, trifft auf den unverbesserlichen Dichter


„Zeit ist ein Zugvogel.
Aber die Menschheit besitzt
Das Genom eines Steins.“    

Von den Büchern des slowenischen Autors Aleš Šteger sind bereits einige in deutschen Übersetzungen erhältlich; allein seine Gedichte sind bereits in den deutschen Verlagen Suhrkamp, Schöffling & Co, Edition Korrespondenzen und nun im Hanser Verlag publiziert worden. Neben diesem Frühjahrstitel von ihm ist im August auch noch der zweite Band seiner „Logbuch der Gegenwart“-Reihe beim Haymon Verlag erschienen.

Nach dem „Buch der Dinge“ und dem „Buch der Körper“, weist der Titel des Gedichtbandes „Über dem Himmel unter der Erde“ bereits auf die Weitläufigkeit und den umfassenderen Anspruch der hier enthaltenen Gedichte hin. Hier wird die Welt nicht mehr nur an Objekten und abgegrenzten Entitäten erforscht, sondern in großen Zusammenhängen, Phänomenen, in Zeitaltern und Generationen, in Überlegungen, die bis zum und hinter das Vergessen reichen.

„Unser Zeitalter begann
Wie ein Zahnschmerz.

Es wird enden mit Halluzinationen
Von Mikroben im Dunkeln.“

„Unsere Namen sind Proteine.
Wir sind glücklich, wenn wir sie verbrennen.“

Oft gibt es leichte Untergangsanwandlungen, mit Prophe-zeiungszutaten zubereitete Gedichte, die möglicherweise lediglich in den Erschütterungen der eskalativen Zeiten mitschwingen und sie so abbilden wollen, aber doch hier und da wie heitere Apokalypsen, Gesänge auf Tod und Unaus-weichlichkeit anmuten.

Gleichzeitig durchzieht den Band eine hohe Form von ebenso heiterer Gelassenheit, die das eine stets im anderen wiederfindet, Symbiosen und Prozesse aus Wiederkehr und Verfall an allen Ecken und Enden ausmacht.

„O Tode, Tode, Tode,
Seid Flusssteine, Steine, Steine.

Wasser des Lebens,
Wasser der Liebe,
Wasser, das schleift, schleift, schleift.

O Flusssteine, Steine, Steine,
In mir, in mir, in mir.“

Das Allumfassende erweist sich als Omnipotenz, die in Nuancen verdichtet werden kann, als Panorama, das in den Spiegelungen eines Swimmingpools Platz findet. Die Gedichte treten mit großen Ansprüchen an und vollziehen sie auch, geben sie aber, so zumindest hat man den Eindruck, letztlich auf.

Am stärksten ist Štegers Poesie aber dort, wo sie tatsächlich nah am Objekt bleibt und in ihm eine ganze Welt versteckt oder zumindest auf Umwegen hindurchziehen lässt. Sehr schön kann man das am Beispiel des Gedichtes über besagten Swimmingpool verdeutlichen:

„Ein himmelblauer Uterus,
voll Wolken und Flugzeugspuren.

Plätscherndes Versprechen, dass wir alle einmal zurückkehren werden
Ins Fruchtwasser, und sei’s auch chloriert.

Ich akzeptiere alles. Ich entsage allem.
Ich tauche ein in alles, nur in meinen nassen Bart gekleidet.

Ich schwebe in dir wie Abfall, wie ein totes Insekt,
Ein Benzinfleck, ein lahmes Spermium.“

Der Swimmingpool wird zum Spurenteppich, zum Ort, an dem alles schwimmt oder gespiegelt wird, in derselben Flüssigkeit, und doch nicht fortkommt von seiner Beschaffenheit.

Hier und auch in anderen Gedichten, paart Šteger banale Sachlichkeit mit einem geradezu erwartungsvollen Abtauchen in Geistiges, Imaginiertes, in mögliche Allegorien und Bildwelten. So tobt er sich auf vielen Spielfeldern mit vielen Phänomenen aus, winkt heiter ab mit Absurditäten, um sich dann doch wieder (be)wundernd seinem nächsten Sujet zu nähern.

Weniger gelungen finde ich einen Abschnitt mit „Transit“-Gedichten, die man auch getrost als Städte-Gedichte bezeichnen kann und die irgendwie mitunter zu bemüht konzentriert, dann wieder zu persönlich wirken.

„Guadalajara

Schlafende Hunde im Sand.
Wie stille Mariachis
Kommen und gehen meine Erinnerungen.
Ich bleibe.“

Aleš Šteger ist, so glaube ich, ein Dichter, der versucht, die Phänomene der Welt mit Sprache zu erobern, zu erschließen. Weil er diese Ambition weder programmatisch noch verkrampft verfolgen will, sind seine Gedichte nicht nur unterhaltsam, sondern auch mitunter sehr spielerisch und ungezwungen.

Was nicht heißt, dass sie nicht oft einen sehr ernsten und sehr ambivalenten Kern haben. Tatsächlich sind diese Gedichte sogar sehr doppelbödig, und es lohnt, sie als Gebilde zu begreifen, in denen Vergnügen an sprachlichen Bildern und kühnen Verknüpfungen Hand in Hand gehen mit dem Versuch, Botschaften anzubringen, die Existenz aufs Tiefste zu bedenken. Mit der Schrift, mit der Sprache, dem Werkzeug der Erkenntnis, dem Werkzeug der Wahl.

„Ich stecke im Leben fest,
Deshalb schreibe ich.“

„Buchstaben auf einem Blatt Papier,
Ameisen bedecken
Die anonyme Beute.“

„Der Mensch ist ein Schatten,
Den ein Buchstabe wirft.“


Aleš Šteger: Über dem Himmel unter der Erde: Gedichte Edition Lyrik Kabinett. Übersetzt von Matthias Göritz. München (Carl Hanser Verlag) 2019. 96 Seiten. 18,00 Euro.
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