Admiral Mahić: Flirrende Visionen
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Timo Brandt
Admiral Mahić: Flirrende
Visionen. Bosnisch / Deutsch. Übersetzt von Barbara Sax. Ulm (danube books Verlag
– edition textfluss) 2019. 164 Seiten. 18,00 Euro.
Skurrile Weltbewegtheit
„Genau um 9.29 am 19. Jännervor Christus und Mohammed sprang ich aus einer fliegenden Untertasseauf das vereiste Dach der Gebärklinik von Banja Luka.[…]Denn vor meiner Geburt war ich im Untergrund,aber alle Planeten im Weltallpaktieren mit einer Vorrichtung, die Illegale belauscht –dabei wollte ich nur eine Reportage schreiben über die Arbeiter der Fabrik,die mein Gesicht geschmiedet hatte!“
Schon im Auftaktgedicht der Auswahl aus dem Werk von
Admiral Mahić (1948-2015) – Dichter, Performer und Dramatiker – begegnen wir
dessen unbändiger Synthese aus Weltgehalt und surrealer Phantastik, einer
explosiven und rasanten, jedoch auch immer wieder erstaunlich zärtlichen und
offenherzigen Mischung. Man könnte ihn fast einen bosnischen Ginsberg nennen.
In Sarajewos Kunstszene war der Bohemien und geniale
Interpret seiner eigenen Texte (laut dem Nachwort von Faruk Šehić) bekannt wie
ein bunter Hund. Er korrespondierte mit vielen Autor*innen seiner Zeit und
seine poetischen Einflüsse sind schwer auf einen Nenner zu bringen,
„denn seine Poesie ist Gegenstand ihrer eigenen fortwährenden Kosmogonie; sie erschafft unaufhörlich ihre eigenen Bedeutungswellen“,
wie es wiederum im Nachwort heißt. Für die Elastizität
von Mahićs Dichtungsbegriff kann man beinahe auf jeder Seite des Bandes neue
Beispiele finden.
„Wir liegen im Zimmerunter stürmischen Wolken,unter den himmlischen Kriegen der Wünsche,doch auf der Straße stehen wirzwischen ihren blutigen irdischen Armeen.Unsere Küsse werden wie Gefangene ausgetauscht!“
Ohne Zweifel war Mahić ein Phänomenverzauberer, ein
Sänger wie sein polnischer Kollege Czeslaw Milosz, ein großer Liebhaber des
Universums und aller irdischen Schönheit. Die Liebe und das Universum sind
immer wieder Protagonisten in seinen Texten, karnevalesk inszeniert, umschäumt
von Freude und Aufmüpfigkeit, Aufgewecktheit, Albernheit; wie einer, der an
einen riesigem Kunstwerk bastelt, sprintet Mahić mit schrägen bis feinen
Metaphern durch seine Texte und besprayed seine Zeilen mit ihnen.
„Die Dämmerung schnallte sich Skier an die geschwollenen Füße und stürzte sichdie steile Ašikovac-Gasse hinunter in das Flussbett der Miljacka.Aber nichts ist so gefährlich wie die Erinnerung andie erste Liebe!“„Warum bin ich kein außerirdischer Trainer derdie Materie darauf drillt – sicheine Kugel durch den Kopf zu jagen …Warum habe ich keine Lust irgendjemandes Einsamkeit zu studierenals wäre sie das Heilige Buch?“
Mit der neusten Publikation aus der edition textfluss
der danubebooks kann man einen Blick über den eigenen Tellerrand werfen und
wird auf einige flirrende und wilde, auf einige innige und jubelnde Gedichte
stoßen. Mit Admiral Mahić gibt es einen großen
Positiven, heillos dem Unerhörten verpflichtet, zu entdecken, der von
Sufi-Mystik bis zu Rockmusik, von scharfer Kritik bis zu sanfter Anteilnahme
alles in seine Texte walkt. Die Ergebnisse sind oft episch und lyrisch
zugleich.
„Am Bahnsteig der flirrenden Vision –nach dem Regen – ein Sonnenschauer …Dem Spinnennetzgeflechtentströmen Aquarelle …“„und noch schaffe ich es irgendwievon Tod zu Toddenn auf dem Weg der Rechtschaffenheit herrscht immer weniger Gedränge“