Direkt zum Seiteninhalt

3 x gONZo

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Timo Brandt


Ein Mord, den jeder begeht



Drei Lyrikbände aus dem gONZo-Verlag, Umfang in Seiten: 12, 16, 11.  
Beginnend mit dem Aufstand.

1. Der Aufstand kommt so oder so, von Clemens Schittko

„sag es, solange es sich noch sagen lässt
und sag es, bevor es jemand anderes tut“


Die zwei in dem Band (dessen Untertitel „Verstreute Gedichte XV“ ist) enthaltenen Gedichte haben einen Manifest-, aber auch einen Leierorgelcharakter. Einmal Spiel mir das Lied von der Selbstverantwortlichkeit, einmal Spiel mir das Lied von der Lächerlichkeit, soweit die Zusammenfassung der Inhalte.
    Muss man denn überhaupt noch etwas sagen, wenn alles lächerlich ist? Und inwiefern ist das eigene Sprechen sinnvoll, wenn es allein dazu dient, andere zum Sprechen aufzufordern? Der deutsche Schriftsteller Michael Ende schrieb in seinen 44 Fragen an den geneigten Leser: „Was treibt wohl einen Nihilisten dazu, andere Menschen von seiner Ansicht, dass alles sinnlos sei, überzeugen zu wollen?“

„ja, alles ist im Grunde lächerlich
bis auf die Lächerlichkeit selbst
die nicht lächerlich ist
die Lächerlichkeit selbst ist nicht lächerlich“


Was treibt Clemens Schittko dazu, den Leuten das Sprechen einzureden und gleichzeitig alles für lächerlich zu erklären? Hofft er auf Widerspruch und ist insofern auch das zweite Gedicht ein Versuch, ein Sprechen hervorzubringen? Sind die Gedichte selber Statements oder sind sie die Vorbereitung für die Statements der anderen, die diese einseitigen, geradezu dogmatischen Anweisungen und Feststellungen vermutlich nicht einfach hinnehmen können?
    Man sieht, ich komme aus dem Fragen gar nicht heraus. Was sicherlich das Anliegen der Texte nicht unbedingt verfehlt. Schittkos Sprache ergeht sich nicht in Meinungen, sie begibt sich, trivial und doch zwingend, in zentrale Handlungs-räume und räumt sie kräftig leer.


Was bleibt, was hat man noch in der Hand? Was ist weder lächerlich, noch unwahrhaftig? Oder: in welche Kategorien teilen wir unser Handeln ein, wie denken wir über unser Handeln nach? Sollten wir, was unser Handeln angeht, über Lächerlichkeit und Revolution nachdenken? Sind diese Extreme hilfreich, wenn es um Perspektiven für das eigene Handeln geht? (Der Philosoph Seneca schrieb einmal an seinen Schützling Lucilius; „Wer ein besserer Mensch sein will, mein Lieber, der muss riskieren für dumm und närrisch gehalten zu werden.“).
    Derlei Überlegungen werden durch Schittkos Texte angestoßen – nicht unbedingt elegant, aber wirksam.

„sag Aufstand, sag Umsturz, sag Anarchie
denn Aufstand und Umsturz und Anarchie sind die
    Wörter, die dich befreien werden
Aufstand und Umsturz und Anarchie sind die Wörter,
     hinter denen du dich verstecken kannst“



2. Waldstücke, von Markus Roloff

„zwei weiße turnschuhe

marke adidas in einem
umkreis von
einhundert metern“

(werbung post-mortem)


Nun wird es etwas morbider, denn in Markus Roloffs elf Gedichten geht es um (größtenteils unaufgeklärte) Mordfälle aus den Jahren 1922 bis 2006, lyrisch-atmosphärisch aufgearbeitet, ausgebreitet.
    Was als erstes auffällt: die leicht kokettierenden Titel, die für zusätzliche Irritationen sorgen. Ein schließlich geklärter Mordfall (wobei man als Lesende/r nicht erfährt, inwiefern er gelöst wurde) ist mit „auf ein neues“ übertitelt, der Fall einer während der Männerfußball-WM 2006 verschwundenen Person mit „2:3“.

                                   „oster-
montag wald bei kronberg

fünfundzwanzig messerstiche
einer zufallsbegegnung auf dem

arbeiterweg zum falkensteiner
friedhof und zurück zur endstation

zehn meter hinein ins unterholz
gezerrt (tat ende)“ ...

(die tat ...)


Ich will diese Betitelung gar nicht kritisieren, denn die damit einhergehende, unangenehme Komik brachte mich immerhin dazu, darüber nachzudenken, mit welchen Gefühlen und Erwartungen man sich den Dokumentationen von Mordfällen nähert. Und inwiefern Voyeurismus und Unterhaltung bei der Faszination für derlei Berichterstattung eine Rolle spielen. Er wirkt zwar unangebracht, aber letztlich kurbelt der Humor nur die Dynamik weiter an, wie es der Nervenkitzel auch tut, und versinnbildlicht so die Verzerrung des realen Geschehens durch die Mittel der Darstellung.
    Die Mystifizierung von Verbrechen und die daraus entstehende Spannung/Unterhaltung ist ja nicht erst seit TV-Serien wie „True Detective“ ein Thema, sondern im Prinzip bereits seit Arthur Conan Doyle und Edgar Allan Poe ein probates Mittel.

    Die Schmucklosigkeit, mit der Roloff seine Verse um die Gegebenheiten arrangiert – ohne einen Schritt weiterzugehen, nur einige Details treten vielsagend in Erscheinung – ist allerdings weniger dazu geeignet, mich sprachlich oder inhaltlich mitzureißen. Die Texte konfrontieren einen mit einer bestimmten Art von Konsum, einer bestimmten Art von Faszination. Mehr bewegen sie meiner Ansicht nach aber nicht.


                      „den wanderweg oben
schützt ein hüfthoher zaun vor dem sturz

in die kronen des waldstücks“

(acht jahre später)



3. Hell
schwarzseher, von Tine Maier

„aber du warst nie ulrike
und ich war nie andreas

unter ausdruck werden ideen zu
diamanten
wir liebten die stürme
nicht
wir brauchten sie, um
in bewegung zu bleiben“


Eine lohnenswerte Anschaffung ist das Langgedicht „Hellschwarzseher“ von Tine Maier, eine feine Wucht, ein Poem, das auf mehreren Ebenen arbeitet, eine Abrechnung und zugleich eine Ode an den Wunsch nach einer besseren Welt, wie er einmal fast gelebt zu werden schien, in den späten 60er und frühen 70er Jahren.
    Und vor allem ein Liebesgedicht, das Bild einer Beziehung, in der die Ideale nicht erreicht wurden, einzeln nicht und auch nicht gemeinsam. Und man versuchte es doch weiter, so lange, bis die Zweifel zu Selbstzweifeln geworden sind. Und selbst dann versucht man es immer noch.

„und wir wurden zum teil des problems
unserer eigenen lösung“

Ich kann nicht genau sagen, was mich an diesem Gedicht so fesselt. Vielleicht die vielen klugen Einzelbeobachtungen oder die selbstreferenzielle, reflektierte Eloquenz oder die Variation in der zum Teil spielerischen, dann wieder erzählenden, dann wieder tiefgreifenden Art des Tons.
    Wahrscheinlich aber liegt es daran, dass dieses Gedicht offen etwas verhandelt, sich wirklich zu ein paar Fragen durchkämpft, sich nicht mit Ahnungen und Eindrücken begnügt. Es will feststellen und es will eine wirkliche Erfahrung in die Sprache transformieren, will abbilden was lief, was abkam von der Bahn, was immer noch aufgeschlagen liegt, und was sich mit der Zeit entzog, verschloss. Ein bestechender Text. Der teilweise in seinen Fragen wieder einen Bogen zu Clemens Schittko schlägt.

aber was machst du, wenn du merkst
dass du nicht dein leben, sondern
dein leben dich lebt?
dass du immer nur re-agierst
ganz gleich, wie schnell du auch bist:
schneller als dein schatten wirst du
niemals ziehen
also: was machst du?
was
machst
DU?


Clemens Schittko: der Aufstand kommt so oder so. Mainz (gONZo Verlag - Verstreute Gedichte 15) 2017. 12 Seiten. 5,00 Euro.

Marcus Roloff: Waldstücke. Mainz (gONZo Verlag - Verstreute Gedichte 16) 2017. 16 S. 5,00 Euro.

Tine Maier: Hell
schwarzseher. Mainz (gONZo Verlag - Verstreute Gedichte 9) 2016. 11 S. 5,00 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt