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14 Pinselnotizen - 13

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14 Pinselnotizen
aus dem Yue wei caotang biji
("aus der Strohhütte der Betrachtung des Unscheinbaren”)

des Ji Yun (Ji Xiaolan, 1724-1805).
Übersetzung: Rupprecht Mayer

13

Es gibt unzählige Fälle von treuen und standhaften Frauen, die vergessen und nicht überliefert wurden. Der Herr Yao’an [mein Vater] hörte Folgendes von dem Herrn von der Wolkenterrasse: “Als ich zum Ende der Ming-Dynastie auf der Flucht vor den Wirren war, sah ich ein Ehepaar, das gemeinsam auf der Flucht war. Der Mann schien sich einen Beutel mit Geld umgebunden zu haben, und ein Räuber war ihnen mit gezücktem Messer dicht auf den Fersen, als die Frau plötzlich stehenblieb und sich umwandte. Als der Räuber herangekommen war, umklammerte sie seinen Leib, der Räuber stach auf sie ein, Blut floss in Strömen, aber sie liess ihn nicht los. Als sie tot war und hinfiel, da war ihr Mann schon längst entkommen. Leider habe ich ihren Namen nicht erfahren.” Vom Herrn Zhenfan hörte er ferner: “Zu Ende der Ming-Dynastie herrschte in den fünf Provinzen nördlich des Gelben Flusses eine grosse Hungersnot. Es kam so weit, dass man Menschen schlachtete und ihr Fleisch verkaufte, die Behörden waren machtlos dagegen. Ein Reisender, der in der Region von Dezhou und Jingzhou in eine Herberge kam und zu Mittag speisen wollte, sah eine junge Frau nackt auf dem Fleischerbrett liegen. Ihre Arme und Füsse waren gebunden, und der Metzger holte Wasser und wusch sie. Der Anblick der Frau in ihrer Angst und Panik war kaum zu ertragen. Der Fremde hatte Mitleid mit ihr und kaufte sie für den doppelten Preis frei. Er löste ihre Fesseln und kleidete sie an, wobei seine Hand ihre Brust berührte. Die junge Frau sah ihn zornig an und sagte: “ich verdanke Euch mein Leben und hätte Euch mein Leben lang niedrige Dienste geleistet, ohne es je zu breuen. Eure Magd wäre ich geworden, aber Eure Nebenfrau will ich auf keinen Fall sein. Weil ich keinem zweiten Mann folgen wollte, deswegen wurde ich hierher verkauft, wie kommt Ihr dazu, mich geringschätzig zu behandeln?” Sie zog ihr Gewand wieder aus und warf es auf den Boden. Dann legte sie sich nackt zurück auf das Fleischerbrett, schloss die Augen und wartete darauf, geschlachtet zu werden. Der Metzger ärgerte sich darüber und schnitt ihr bei lebendigem Leib einen Streifen Fleisch aus dem Schenkel. Sie schrie und klagte, aber sie änderte nicht mehr ihren Sinn. Leider habe ich auch ihren Namen nicht erfahren.”
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