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Johannes Witek: Drei Gedichte

Montags=Text
Johannes Witek
Drei Gedichte


Oktagon Poems

Poesie ist Kampfkunst,
halb Spirit, halb Blut.

(-- halb mit dem Rücken am Boden,
die Augen weit, fixiert auf eine bengalische Nacht)

                               (--- Poesie besteht aus drei Hälften)

Sonette wie nervöse MMA-Fighter
springen herum,
flexen ihre Muskeln,
machen sich fertig für den Kampf.

Eines kickt mit einem Drehkick
meinen Wecker kaputt, sagt:
"Scheiß auf den Wecker. Ab jetzt
leben wir ohne Wecker."

Zwei Elegien sparren
in der Ecke, eine ist leichter
auf den Füßen als die Andere.
Die Schwerfälligere atmet heftig.
Zweifelhaft, wie viele Runden sie
durchhalten wird. Schnelligkeit und Kreativität
schlagen rohe Kraft, jedes Mal.

"BULLSHIT" brüllt ein Gedicht
und kickt meine Küchentür
aus den Angeln.

Ein Haiku kommt mit Pelzmantel und
Goldkette in den Raum, legt die
Füße auf den Tisch und promotet
seinen Whiskey.

"Bester Whiskey aller Zeiten", sagt es.
Ich nicke.
"Ich bin der Champ", sagt es.
"Ich komme zuerst."

"BULLSHIT!" brüllt das Gedicht
das meine Küchentür eingetreten hat.
Die beiden starren sich an.
"Easy", sage ich. "Der Kampf wird stattfinden.
Aber nicht hier."

"Wo dann?", sagen sie.
"Dich ... schicke ich nach Deutschland" sage ich
und zeige auf das Haiku, das seinen Whiskey
promotet, "und dich ... schicke ich nach GRAZ"
sage ich zu dem Gedicht, die meine Küchentür
eingetreten hat.

Die beiden gehen in ihre Ecken.

"Und jetzt", sage ich zu allen
Gedichten im Raum, "auf die Matte!
Wir gehen in den Bodenkampf!"

"GEH SCHEIßEN!" schreien alle
meine Gedichte zurück.

Ich muss grinsen.

Mein Camp produziert
vielleicht nicht nur Gewinner,
aber der Spirit ist da.

Blut im Oktagon,
Gedichte daneben,
Nacht in den Augen:

Wenn das Leben an dir hängt
und dich zu Boden ziehen will
wie Khabib Nurmagomedov
Conor McGregor
am 06.10.2018

dann, mein Freund,
brauchst du alles davon.

Vertrau mir.



Flow

Wir nehmen einfach mal an,
das nächste Jahr
wird aus 365 Tagen bestehen
so wie das letzte;
an manchen wird es regnen
und an manchen nicht
manchmal wird alles
nach Kacke aussehen
und manchmal nicht
ein bisschen Hoffnung
wird kommen
und ein bisschen
Angst
das eine mehr
als das andere
und dann das
andere
wieder mehr
und Regenwasser wird sich in
den Fußabdrücken sammeln
die du hinterlassen hast
(wenn du Glück hast)
und deine Haut und deine Knochen
und deine Gedanken und deine Erinnerungen
und deine Gefühle
und alles, was in dir „Ich“ sagt
werden auf den Grund sinken
auf den Grund deiner selbst
und aus deinen Ecken
(all deinen Ecken)
wirst du dich am Ufer von
allem sehen
was ist:
still, ruhig und unbewegt
wie eine diese kleinen Figuren
in einem japanischen Kunstdruck
mit einem gelben Hut neben
dem Fluss sitzend
unbewegt von der Höhe
des Wasserstands,
unbewegt von dem
was vorbeischwimmt,
unbewegt von der
betrachtenden Instanz
die dich fragt
die sich fragt
was du dort
machst



A Room of Your Own

Du lebst in einem engen
dunklen muffigen Zimmer.

Dein ganzes Leben hast du
darin verbracht.

Du warst noch nie draußen,
warum auch immer.

Unter der Tür und durch die Fensterritzen
kommen Lichtstrahlen, die Schatten
an die Wand werfen.

Du hältst diese Schatten
für die Realität.

Der Zustand deines Zimmers
belastet dich zusehends.

Wie es früher ausgesehen hat
bereitet dir schmerzhafte Erinnerungen.

Wie es zukünftig aussehen wird
bereitet dir Sorge.

Jemand ruft durchs Fenster:
„Oida, draußen scheint die Sonne
und es gibt keine Wände. Geh raus.“

Du bist nicht in der Lage
ihn zu verstehen.

Es gibt keine Ebene, auf der du
realisieren könntest, was er sagt,
solange er draußen ist
und du drinnen bist
in deinem kleinen muffigen
dunklen Zimmer.

Aber andere Leute
haben größere Zimmer.

Andere Leute haben
mehr Zeug in ihrem
Zimmer.

Andere Leute haben es irgendwie
geschafft, ein besseres Zimmer
zu bekommen;
fair oder unfair.

Dein ganzes Leben widmest du
deinem Zimmer: darüber nachzudenken,
daran herumzudoktern,
in ängstlicher Sorge daran zu denken
was andere von deinem Zimmer halten,
andere Zimmer damit zu vergleichen
über andere Zimmer zu reden
abzuwägen, einzuschätzen,
dich nachts rumzuwälzen deswegen.

Oida,
geh raus.



Die Gedichte sind aus dem neuen Band  "Salzburg Flood": https://containerpress.de/Programm/Salzburg-Flood/
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