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Wolfram Malte Fues: Hier ist es schön

Gedichte > Münchner Anthologie

Wolfram Malte Fues

Hier ist es schön


Besteigt
den Postkartenberg!
Grundum August-
und Marimba-Feuer
die ersten Salven
legen schon Decke.
Wollen wir uns
nicht Du sagen, sagen sie
Zu der Straßerdkugel
Spitze Gipfelkreuz.

Vor der Hand – welcher ? Der
die fixe Sterne ins Jojo
Für Farbalter schnippt? Der
Die Bergblüte blätternd
Schläfenkranz-Gala hält?
(Die Post, sagt sie. Die Pest
sagen die Kränze.) Der
die mit halbmond geschliffenen Nägeln
Testmüll aus Feuerschutt
Schneckenhäusern und Microfiches
in Betracht zieht?

Daumen und schwächstes Glied
fassen nach für den Knick
den Kick, sagen sie, der ab-
springenden Karte.
Hand vor Hand steckt
der Container-Kante
frühe Milchstraßen an, wirft
Gründe auf Griffe, als ob
sie Ursache hätten. Wer

nicht Hand bieten will, muss
durch frierende Figner
die Sonne kaltatmen, sonst
apert der Blaustich dem Sommerschnee
die Schmolldecke weg, neckt ihn
mit Runsen und Runen, mit wind-
flüchtigem Blendgold, stickt ihm
Perma-Pigment
und Nagelfluhbeete an.

Flühblume Almrausch
Edelweiß-Reigen
auf Sandwich-Papier.
Der FernsehKoch mischt
eine Prise Gletscher-Genom
in den Linsen-Bericht
von Esau- und Jakobsmuscheln: Un-
unterbrochen umbrechend
das beharrliche Scharren
des Stifts auf dem Glanzpapier
was trifft zu? Was sticht?
Die Spitze der Mine oder
die Spitze des Blaulichts
ihr gegenüber?

Wolfram Malte Fues, Prof. Dr. phil., in Bremen geboren, seit 1965 in der Schweiz lebend, Habilitation an der Universität Basel. Von 1994 bis 2010 dort Extraordinarius für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft sowie Medienwissenschaften. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, sowie Lyrik und Essays in Zeitschriften und Anthologien. Vier eigene Gedichtbände. Gründungsmitglied der AutorInnen-Gruppe, die das Internationale Lyrikfestival Basel veranstaltet.


Hans-Karl Fischer

Martinshorn und Matterhorn

Zum Gedicht von Wolfram Malte Fues

„Hier ist es schön“ lautet der Titel des faszinierenden Gedichtes des Basler Lyrikers Wolfram Malte Fues, das sich in seinem Band „dual digital“ von 2011 befindet. Dieser Titel lehnt sich an einen Standardsatz von Post-kartenschreibern an, wie gleich dem Anfang des Gedichts „Besteigt den Postkartenberg!“ zu entnehmen ist. Die Anrede, die an die Leser oder an die Postkartenschreiber gerichtet sein mag, von denen sich das lyrische Ich umgeben sieht, verschwindet jedoch, um einer Zwei-teilung der Welt in die vorgegebene und in die sprachliche zu weichen.
Daß hier die Wörter zusammenstehen, um sich einer als widrig empfundenen Wirklichkeit zu widersetzen, erfährt man aus zahlreichen Alliterationen und Assonanzen, die meist in ein und demselben Vers plaziert sind; da die Verse des aus durchschnittlich zehn Zeilen bestehenden fünfstrophigen Gedichts kurz sind und nur wenige Hebungen haben, könnte man den Eindruck gewinnen, der Autor lehne sich an den Stil der Opernlibretti Richard Wagners an; jedoch fehlt alles Gewollte, was diese auszeichnet, weil Fues versucht, die Sprache anhand der Situation selber sprechen zu lassen.
Dem Autor scheint es darum zu gehen, zu zeigen, welche Macht die Sprache hat und wie ein veränderter Buchstabe (Post oder Pest oder Knick oder Kick) den Inhalt des Geschrie-benen beeinflussen kann; wenn die standar-disierte Sprache der Postkarten nicht ohnedies Post als Pest ist, so wird sie es durch ihre Ästhetik des Papierausfüllens.
Das Postkarten-Ich hat seine eigene Logik. Nach dem Satz „Hier ist es schön“, der ein Verweis auf das vorgefertigte Bild auf der Rückseite ist, steht meistens, daß die Zeit so kurz ist oder die Tage gezählt. Dadurch soll die Vollkommenheit des Bildes auf der Rückseite untermauert werden. Der Mitblick, den die Postkarte dem Adressaten liefert, basiert auf der hinters Bild zurücktretenden Sprachlosig-keit des Adressanten. Wie dieser hinters Bild, so tritt das lyrische Ich von Fues hinter die Sprache zurück.
Es ist aber keineswegs miesmacherisch: die Lust, die es aus seiner Sprachfindungen schöpft, überdeckt in ihrem Entstehen bereits die Unlust an der vorgefundenen Wirklichkeit.

Hans-Karl Fischer, 1957 in Passau geboren, war von 2010 – 2012 Koorganisator des Lyrikpreises München und verfasste bis Mitte 2013 die Berichte zu den Lesungen. 2001 erhielt er den Haidhauser Werkstattpreis in der Sparte Lyrik. Er schreibt hochdeutsche und bayerische Gedichte, Kurz-geschichten und Aphorismen. Außerdem widmet er sich der Scherenschneiderei und hält Vorträge zur griechischen Mythologie und italienischen Renaissance. Publikationen in Zeitschriften und Anthologien. Einzelbände u.a. "Diebstahl" (Literareon, 2002)

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