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William Shakespeare: Sonett 85 - 91

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XIII. 85–91: FAREWELL thou art to deare for my possessing

Abschied, Zerknirschung. Die rival-poet-Sonette münden in bodenlosen Selbstzweifel, dessen der Dichter sich immer tiefer bewußt wird. Rühmt er sich zunächst noch seiner gelähmten Zunge (85), so beginnt die Verzweiflung bereits, wenn er bemerkt, daß der Angebetete die Zeilen des Rivalen ergänzt (86) und er sich genötigt sieht lebwohlzusagen (87), weil er glaubt, erfahrene Liebe könne nur Sinnestäuschung gewesen sein.

Gleichwohl hält er an beidem fest, an der Liebe und an der Zerknirschung: Für den Fall, daß der Freund ihn hasse, sei er auf seiner Seite (88), ja, er werde sich selber entstellen und entwürdigen (89), er möge ihn hassen, wie es die Welt ohnehin tue, aber bitte geradezu (90). –– In Sonett 91 beginnt er sich in der Vorstellung einzurichten, der Freund werde sich ihm ganz entziehen.


85.

MY toung-tide Muse in manners holds her still,
While comments of your praise richly compil’d,
Reserue their Character with goulden quill,
And precious phrase by all the Muses fil’d.
I thinke good thoughts, whilst other write good wordes,
And like vnlettered clarke still crie Amen,
To euery Himne that able spirit affords,
In polisht forme of well refined pen.
Hearing you praisd, I say ’tis so, ’tis true,
And to the most of praise adde some-thing more,
But that is in my thought, whose loue to you
(Though words come hind-most) holds his ranke before,

Then others, for the breath of words respect,
Me for my dombe thoughts, speaking in effect.

Bin mundtod –– meine Muse hält sich still,
wenn alle andern Musen kommentieren,
dein Preislied prägen, meißeln, was man will,
mit goldner Feder wundervoll phrasieren.
Bin in Gedanken –– andere formulieren ––
und sage wie ein Laienschreiber ‘Amen’
zu jedem Hymnus, den sie offerieren,
die Inspirierten, in gesetztem Rahmen.
Hör dich gelobt und sag: ‘So ists, ’s ist wahr’,
und auch das höchste Lob verstehe ich
noch zu erhöhen –– in Gedanken zwar,
denn vor dem Wort steht mein Gefühl für dich.

Wenn du die andern schätzt, ihr Wort, den Hauch,
so achte mich fürs Stummsein. Sprichts nicht auch?


86.

VVAs it the proud full saile of his great verse,
Bound for the prize of (all to precious) you,
That did my ripe thoughts in my braine inhearce,
Making their tomb the wombe wherein they grew?
Was it his spirit, by spirits taught to write,
Aboue a mortall pitch, that struck me dead?
No, neither he, nor his compiers by night
Giuing him ayde, my verse astonished.
He nor that affable familiar ghost
Which nightly gulls him with intelligence,
As victors of my silence cannot boast,
I was not sick of any feare from thence.

But when your countinance fild vp his line,
Then lackt I matter, that infeebled mine.

War es sein großer, stolzgeschwellter Vers,
der dich umsegelnd nach der Prise greift?
Was lähmte all mein Denken so, als wärs
im Hirn begraben, wo es doch gereift?
War es sein Geist, den Geister instruierten
von oben her, der mich dahingestreckt?
Nein, weder er noch, die ihm assistierten,
hat mich in meiner Kunst so tief erschreckt.
Nicht er und nicht der Geist, der, ihm zu dienen,
ihn in der Nacht mit Eingebungen narrt,
sind Sieger, denn ich schweige nicht vor ihnen;
ich war nicht krank vor Angst von dieser Art ––

doch wie du Anteil nahmst, wo nichts mehr war,
nahm mir den Stoff; mir schwindelte sogar.


87.

FArewell thou art too deare for my possessing,
And like enough thou knows thy estimate,
The Charter of thy worth giues thee releasing:
My bonds in thee are all determinate.
For how do I hold thee but by thy granting,
And for that ritches where is my deseruing?
The cause of this faire guift in me is wanting,
And so my pattent back againe is sweruing.
Thy selfe thou gau’st, thy owne worth then not knowing,
Or mee to whom thou gau’st it, else mistaking,
So thy great guift vpon misprision growing,
Comes home againe, on better iudgement making.

Thus haue I had thee as a dreame doth flatter,
In sleepe a King, but waking no such matter.

Leb wohl, du bist zu teuer! Mir gehören?
Du weißt nur zu genau, wie man dich schätzt.
Dein Recht auf Freiheit magst du selbst gewähren,
mein Recht auf dich ist abgelaufen jetzt.
Was ists als deine Gunst, daß ich dich habe?
Womit verdiente ich mir dieses Glück?
An mir ist nichts –– wofür die schöne Gabe?
So fällt mein Anspruch denn an dich zurück.
Als du dich gabst, wars, ohne dich zu kennen,
verkanntest mich vielleicht, dem du gegeben;
die Gabe wuchs im –– laß michs Irrtum nennen,
nun kommt sie heim, den Irrtum aufzuheben.

So hab ich dich gehabt –– ein Traum wars schon;
im Schlaf ein König, wach –– nichts mehr davon.


88.

VVHen thou shalt be dispode to set me light,
And place my merrit in the eie of skorne,
Vpon thy side, against my selfe ile fight,
And proue thee virtuous, though thou art forsworne:
With mine owne weakenesse being best acquainted,
Vpon thy part I can set downe a story
Of faults conceald, wherein I am attainted:
That thou in loosing me shall win much glory:
And I by this wil be a gainer too,
For bending all my louing thoughts on thee,
The iniuries that to my selfe I doe,
Doing thee vantage, duble vantage me.

Such is my loue, to thee I so belong,
That for thy right, my selfe will beare all wrong.

Wenn du geneigt bist, mich gelegentlich
zu leicht zu nehmen und zu karikieren,
ich werde mit dir sein und wider mich,
auch wenn du mich verrätst, argumentieren.
Ich kenne selbst am besten meine Schwächen,
geb Fehler zu, verborgene, hier drinnen,
ich kann auf deiner Seite für dich sprechen,
du wirst, wenn du mich losgibst, viel gewinnen.
Und doch –– ich bin ein Nehmender wie du,
denn all mein liebend Sehnen strebt zu dir,
und jedes Unrecht, das ich mir antu,
bringt Vorteil dir und Doppel–Vorteil mir.

So lieb ich dich, so häng ich von dir ab,
daß ich um Recht Unrecht zu tragen hab.


89.

SAy that thou didst forsake mee for some falt,
And I will comment vpon that offence,
Speake of my lamenesse, and I straight will halt:
Against thy reasons making no defence.
Thou canst not (loue) disgrace me halfe so ill,
To set a forme vpon desired change,
As ile my selfe disgrace, knowing thy wil,
I will acquaintance strangle and looke strange:
Be absent from thy walkes and in my tongue,
Thy sweet beloued name no more shall dwell,
Least I (too much prophane) should do it wronge:
And haplie of our old acquaintance tell.

For thee, against my selfe ile vow debate,
For I must nere loue him whom thou dost hate.

Sag, du verließest mich um ein Vergehn,
so will ich mich darüber gern verbreiten.
Sprich von Gelähmtheit, und ich bleibe stehn,
will wider deine Gründe gar nicht streiten.
Du kannst mich, Lieb, nicht halb so sehr entehren
–– du gäbst dem Wandel damit ein Gesicht ––
wie ich mich selbst; ich kenne dein Begehren.
Ich werde tun, als kennte ich dich nicht,
bleib deinen Wegen fern, und nie mehr soll
mein Mund den süßen lieben Namen nennen,
damit er nicht absichtslos–absichtsvoll
ihn preisgibt und verrät, daß wir uns kennen.

Dein Anwalt, bin ich mir zuwider fast,
darf niemals einen lieben, den du haßt.


90.

THen hate me when thou wilt, if euer, now,
Now while the world is bent my deeds to crosse,
Ioyne with the spight of fortune, make me bow,
And doe not drop in for an after losse:
Ah doe not, when my heart hath scapte this sorrow,
Come in the rereward of a conquerd woe,
Giue not a windy night a rainie morrow,
To linger out a purposd ouer-throw.
If thou wilt leaue me, do not leaue me last,
When other pettie griefes haue done their spight,
But in the onset come, so shall I taste
At first the very worst of fortunes might.

And other straines of woe, which now seeme woe,
Compar’d with losse of thee, will not seeme so.

So haß mich, wenn du willst; wenn je, dann jetzt,
jetzt, wo die Welt mein Werk durchkreuzt –– allein:
verbinde dich dem Glück, haßt, beugt, verletzt,
verlaßt mich –– aber nicht im nachhinein,
nicht, wenn mein Herz entkommen diesen Sorgen!
Verfolge nicht die überwundne Klage;
gib einer Windnacht keinen Regenmorgen,
hinauszuzögern nur die Niederlage!
Wenn du mich lassen willst, so laß mich, doch
bevor ein andrer Gram sein Werk getan!
Komm, wenn der Kampf beginnt, so schmeck ich noch
des Unglücks Macht direkt und geh sie an!

Was Weh ist? Weh erscheint? –– Verlier ich dich,
erscheint kein andres Weh wie Weh für mich.


91.

SOme glory in their birth, some in their skill,
Some in their wealth, some in their bodies force,
Some in their garments though new-fangled ill:
Some in their Hawkes and Hounds, some in their Horse.
And euery humor hath his adiunct pleasure,
Wherein it findes a ioy aboue the rest,
But these perticulers are not my measure,
All these I better in one generall best.
Thy loue is bitter then high birth to me,
Richer then wealth, prouder then garments cost,
Of more delight then Hawkes or Horses bee:
And hauing thee, of all mens pride I boast.
Wretched in this alone, that thou maist take,
All this away, and me most wretched make.

Man rühmt sich des Geblüts, der sichern Hand,
genießt Besitz, genießt, wie stark man sei,
man kleidet sich modern, und wär es Tand,
liebt Falken, Hunde, liebt die Reiterei;
so findet jeder letztlich, was ihm Spaß
und Freude macht, es liegt in seinem Blut.
Doch dies Jeweilige ist nicht mein Maß,
ich weiß ein besseres, ein höchstes Gut.
Dies: deine Liebe –– besser als Geblüt,
reicher als reich, teurer als teures Kleid,
beflügelnder als Falken und Gestüt ––
und, dich zu haben, überhebt mich weit!

Ein Elend wärs, wenn du dies alles nimmst,
zum Allerelendesten mich bestimmst.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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