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William Shakespeare: Sonett 29 - 35

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V. 29–35: MY OUT-CAST STATE –– these poor rude lines


Das dritte Septett in Folge, in dem der Vers das Hauptthema ist. Ein Auf und Ab von Euphorie und Kleinmut. Wie armselig meine Zeilen, wie ausgestoßen mein Status, wie gefährdet unsere Liebe!
Im Zentrum steht Sonett 32: gerade in seinem Kleinmut (these poore rude lines… though they be out-stript by every pen … and Poets better proue), versichert sich der Dichter, werde der Freund die Lauterkeit seiner Liebe erkennen. Diesen Ton wird er in den Rival-Poet-Sonetten wieder aufnehmen.

Die drei vorangestellten Sonette 29 – 31 steigern sich in diese bescheiden–hochgemute Haltung hinein. An ihn zu denken genüge, um den Dichter like to the lark am Morgen in den Himmel zu heben, er mache alle Verluste wett, die er zu beklagen habe, denn in ihm (thou art the graue where buried loue doth liue) leben alle verlorenen Lieben vereint.
In den Sonetten 33 – 35 verfliegt diese Euphorie. Wie aus heiterm Himmel ist aus my Sunne ein sweet theefe geworden, which sourly robs from me; er spricht von trespas, amisse, sensuall fault, und davon, daß er nun als Gegner sein Advokat sein müsse. Ja, er nennt es einen ciuill war zwischen loue and hate. Das nächste Septett wird offen aussprechen, worum es hier geht: um ein Dreiecksverhältnis.


29.

VVHen in disgrace with Fortune and mens eyes,
I all alone beweepe my out-cast state,
And trouble deafe heauen with my bootlesse cries,
And looke vpon my selfe and curse my fate.
Wishing me like to one more rich in hope,
Featur’d like him, like him with friends possest,
Desiring this mans art, and that mans skope,
With what I most inioy contented least,
Yet in these thoughts my selfe almost despising,
Haplye I thinke on thee, and then my state,
(Like to the Larke at breake of daye arising)
From sullen earth sings himns at Heauens gate,

For thy sweet loue remembred such welth brings,
That then I skorne to change my state with Kings.

Wenn ich zerfallen bin mit meinem Glück,
beweine, daß ich immer außen steh,
zum tauben Himmel rufe, mein Geschick
verfluche, wenn ich mich nur seh;
wenn ich so gerne wie ein anderer wär
–– so hoffnungsvoll, so hübsch und so beliebt,
gebildet, weltgewandt wie der und der ––
und das, wes ich mich freu, mich nur betrübt,
und ich mich fast verachte –– eben dann
geschiehts: ich denk an dich und bin beschwingt.
Die Lerche hebt sich, bricht der Morgen an,
aus Erdenschwere himmelwärts und singt.

Solch Wohlstand –– deiner Liebe Innesein ––
ich tauscht ihn nicht um Königswürde ein.


30.

VVHen to the Sessions of sweet silent thought,
I sommon vp remembrance of things past,
I sigh the lacke of many a thing I sought,
And with old woes new waile my deare times waste:
Then can I drowne an eye (vn-vs’d to flow)
For precious friends hid in deaths dateles night,
And weepe a fresh loues long since canceld woe,
And mone th’expence of many a vannisht sight.
Then can I greeue at greeuances fore-gon,
And heauily from woe to woe tell ore
The sad account of fore-bemoned mone,
Which I new pay as if not payd before.

But if the while I thinke on thee (deare friend)
All losses are restord, and sorrowes end.

Wenn ins Gericht ich gehe still für mich
mit der Erinnerung an das, was war,
wonach ich strebte (viel vermisse ich),
woran ich litt, aufs neu beklage gar;
–– dann kann ich weinen (was ich sonst nicht tu)
um teure Freunde tief in Todes Nacht,
verschmerzte Liebe setzt mir wieder zu,
die teure Zeit, die seufzend ich verbracht;
–– dann gräm ich mich um Gram aus alten Tagen,
der Übertrag von Weh zu Weh wiegt schwer,
den düstern Saldo längst geklagter Klagen
bezahl ich neu, als ob er offen wär.

Indes –– an dich zu denken, Freund, genügt:
all dies wird wettgemacht –– ich bin vergnügt.


31.

THy bosome is indeared with all hearts,
Which I by lacking haue supposed dead,
And there raignes Loue and all Loues louing parts,
And all those friends which I thought buried.
How many a holy and obsequious teare
Hath deare religious loue stolne from mine eye,
As interest of the dead, which now appeare,
But things remou’d that hidden in there lie.
Thou art the graue where buried loue doth liue,
Hung with the tropheis of my louers gon,
Who all their parts of me to thee did giue,
That due of many, now is thine alone.

Their images I lou’d, I view in thee,
And thou (all they) hast all the all of me.

Dein teures Herz ist aller Herzen Hort,
die ich vermißt, für tot gehalten habe;
die Liebe, die Geliebten wohnen dort,
die Freunde all –– ich glaubte sie im Grabe.
So manche Träne, die am Grab wir weinen,
hat treue Liebe meinem Aug gestohlen
–– als Zins der Toten, die mir neu erscheinen,
entrückt erschienen nur, in dir verhohlen.
Du bist die Gruft ; darinnen lebt begraben
die Liebe mit Trophäen meiner Lieben,
die all ihr Teil an mir dir übergaben;
was vieler war, ist dir allein geblieben.

Ihr Bild, ich liebte es, ich sehs in dir,
und du bist alle, hast das All von mir.


32.

IF thou suruiue my well contented daie,
When that churle death my bones with dust shall couer
And shalt by fortune once more re-suruay:
These poore rude lines of thy deceased Louer:
Compare them with the bett’ring of the time,
And though they be out-stript by euery pen,
Reserue them for my loue, not for their rime,
Exceeded by the hight of happier men.
Oh then voutsafe me but this louing thought,
Had my friends Muse growne with this growing age,
A dearer birth then this his loue had brought
To march in ranckes of better equipage:

But since he died and Poets better proue,
Theirs for their stile ile read, his for his loue.

Wenn einst nach jenem Tag (er sei willkommen),
an dem der Schurke Tod mit Staub mich deckt,
du diese Zeilen wieder vorgenommen
des Abgeschiednen, ärmlich–unperfekt,
wirst du sie mit der fortschrittlichen Richtung,
wo jede Feder besser schreibt, vergleichen.
Bewahr sie –– mir zuliebe, nicht der Dichtung,
da Glücklichere Höheres erreichen!
O daß dir dann nur dies zu denken bliebe:
‘Hätt meines Freundes Muse, ausgereift,
ein edler Kind geboren, hätt die Liebe
ein edler Roß geritten, stolz geschweift;

doch da er starb und andere besser schrieben,
so lausch ich ihrem Stil, doch seinem Lieben.’


33.

FVll many a glorious morning haue I seene,
Flatter the mountaine tops with soueraine eie,
Kissing with golden face the meddowes greene;
Guilding pale streames with heauenly alcumy:
Anon permit the basest cloudes to ride,
With ougly rack on his celestiall face,
And from the for-lorne world his visage hide
Stealing vnseene to west with this disgrace:
Euen so my Sunne one early morne did shine,
With all triumphant splendor on my brow,
But out alack, he was but one houre mine,
The region cloude hath mask’d him from me now.

Yet him for this, my loue no whit disdaineth,
Suns of the world may staine, whe[n] heauens sun staineth.

Wie köstlich mir der Morgen oft erschien ––
das höchste Aug liebkost die Bergesspitzen,
es küßt mit goldnem Mund der Matten Grün,
es läßt den bleichen Strom von Golde blitzen
–– und mußte sehn, wie niedre Wolken bald
sein Antlitz überziehn mit dunklen Schwaden.
Die Welt verlassen; unsre Lichtgestalt
stahl sich davon auf uns verborgnen Pfaden.
Genau so schien auch meine Sonne mir
am frühen Morgen strahlend ins Gesicht;
doch ach, sie war nur eine Stunde hier,
und nun verhüllt sie eine Wolkenschicht.

Indes –– ob Sonne hier, ob dort sich trübe,
es ändert keinen Deut an meiner Liebe.


34.

VVHy didst thou promise such a beautious day,
And make me trauaile forth without my cloake,
To let bace cloudes ore-take me in my way,
Hiding thy brau’ry in their rotten smoke.
Tis not enough that through the cloude thou breake,
To dry the raine on my storme-beaten face,
For no man well of such a salue can speake,
That heales the wound, and cures not the disgrace:
Nor can thy shame giue phisicke to my griefe,
Though thou repent, yet I haue still the losse,
Th’offenders sorrow lends but weake reliefe
To him that beares the strong offenses losse.

Ah but those teares are pearle which thy loue sheeds,
And they are ritch, and ransome all ill deeds.

Warum versprachst du einen schönen Tag?
Ich gehe ohne Mantel, Hut und Stock,
schon kommen Wolken, bringen Niederschlag,
verbergen deine ganze Pracht im Smog.
Daß du die Wolken teilst, ist nicht genug,
und trocknest mein verregnetes Gesicht
–– wer lobte eine Salbe denn mit Fug,
die Wunden heilt und die Entstellung nicht?
–– noch lindert dein Bedauern Leiden, ach!
Bereust du auch, ich habe den Verdruß.
Des Sünders Buße tröstet doch nur schwach
den, der die schwere Kränkung tragen muß.

Und doch sind Tränen Perlen und erlösen,
wenn Liebe sie vergießt, von allem Bösen.


35.

NO more bee greeu’d at that which thou hast done,
Roses haue thornes, and siluer fountaines mud,
Cloudes and eclipses staine both Moone and Sunne,
And loathsome canker liues in sweetest bud.
All men make faults, and euen I in this,
Authorizing thy trespas with compare,
My selfe corrupting saluing thy amisse,
Excusing their sins more then their sins are:
For to thy sensuall fault I bring in sence,
Thy aduerse party is thy Aduocate,
And gainst my selfe a lawfull plea commence,
Such ciuill war is in my loue and hate,

That I an accessary needs must be,
To that sweet theefe which sourely robs from me,

Nicht länger gräme dich, was du getan!
Sind Rosen dornig nicht und Quellen trüb,
der Mond umwölkt, befleckt die Sonnenbahn,
lebt ekle Raupe nicht in süßem Trieb?
Wir machen alle Fehler –– ich darin,
daß ich vergleiche und autorisiere,
entschuldige, fast übereifrig bin,
zu meinen Lasten deine Schuld salviere.
Ich lege Sinn in deine Sinnlichkeit
(die Gegenseite ist dein Advokat),
plädiere wider mich in diesem Streit
von Haß und Liebe –– ich bin in der Tat

des süßen Diebes, der mich so gemein
beraubt, Komplize, und ich muß es sein.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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