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William Shakespeare: Sonett 148 - 154

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XXII. 148–154: I AM BLIND––thy powre/my periurde eye


Das Schlußseptett ist anders gebaut als alle vorangegangenen. Das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Gestimmtheiten, die das Ich entweder in Apostrophen oder in der dritten Person in sich zur Sprache bringt, verdichtet sich dramatisch zur Climax und bricht dann ab.
Die Sonette 148 bis 152 beginnen mit der Blindheit seiner Augen und der verführerischen Macht, die von den ihren ausgeht, aber von Sonett zu Sonett wird aus dem Vorwurf ihr gegenüber immer mehr das Eingeständnis einer Mittäterschaft. Die Subsequenz mündet mithin in einer verzweifelten Selbstbezichtigung. Das Motiv der wechselseitigen Verlogenheit ihrer Lieben, das ja bereits in Sonett 138 zur Sprache kam, wrd nun zum illusionslosen Schlußbefund.

Ein Abgrund, den die beiden anacreontischen Sonette 153 und 154 wie ein Satyrspiel überspannen. Die Schlußzeile lautet : Loues fire heates water, water cooles not loue.
Der distanzierte, ins Spöttische gezogene Ton der beiden Schlußsonette ist aber mehr als ein satirisches Aperçu: er leitet über zu A Lover’s Complaint, dem lange verkannten großen Erzählgedicht in Rhyme Royal, in dem das Machtgefälle zwischen Verführerin und Verführtem nun ins Gegenteil verkehrt wird. Sonette werden wie Gemmen als Verführungsutensilien entlarvt. Der Dichter zieht sich in eine Rolle als Berichterstatter zurück. Der uralte Konflikt zwischen Illusion und Desillusionierung lebt weiter.


148.

O Me ! what eyes hath loue put in my head,
Which haue no correspondence with true sight,
Or if they haue, where is my iudgment fled,
That censures falsely what they see aright?
If that be faire whereon my false eyes dote,
What meanes the world to say it is not so?
If it be not, then loue doth well denote,
Loues eye is not so true as all mens: no,
How can it? O how can loues eye be true,
That is so vext with watching and with teares?
No maruaile then though I mistake my view,
The sunne it selfe sees not, till heauen cleeres.

O cunning loue, with teares thou keepst me blinde,
Least eyes well seeing thy foule faults should finde.

Was hat mir Liebe in den Kopf gesetzt?
Zwei Augen, die, was da ist, mißverstehn!
Verstehn sie’s doch? Ist es mein Urteil jetzt,
das falsch bewertet, was sie richtig sehn?
Ists licht, was falsche Augen fasziniert?
Was sagt die Welt denn dann: so kanns nicht sein?
Wärs nicht licht, hätte Liebe demonstriert:
ihr Ja ist nicht so wahr wie jenes Nein.
Wie kann es wahr sein? Wie? Der Liebe Auge ––
das Sehen unter Tränen fällt ihm schwer.
Kein Wunder dann, daß ich zu sehn nicht tauge ––
nicht mal die Sonne sieht durchs Nebelmeer.

Du, listige Liebe, machst mich tränenblind,
sonst säh ich klar, wo deine Fehler sind.


149.

CAnst thou O cruell, say I loue thee not,
When I against my selfe with thee pertake:
Doe I not thinke on thee when I forgot
Am of my selfe, all tirant for thy sake?
Who hateth thee that I doe call my friend,
On whom froun’st thou that I doe faune vpon,
Nay if thou lowrst on me doe I not spend
Reuenge vpon my selfe with present mone?
What merrit do I in my selfe respect,
That is so proude thy seruice to dispise,
When all my best doth worship thy defect,
Commanded by the motion of thine eyes.

But loue hate on for now I know thy minde,
Those that can see thou lou’st, and I am blind.

Du, harte Herrin, sagst: ich liebte nicht,
der wider mich ich deinen Anwalt mache?
Bin ich nicht selbstvergessen, denke schlicht
an dich, vertrete herrisch deine Sache?
Wer haßte dich, den meinen Freund ich nenn?
Wem zürntest du, dem ich zu schmeicheln wage?
Ja –– wenn du mich belauerst –– bin ichs denn
nicht selbst, der mich verfolgt mit dieser Klage?
Gibts ein Verdienst, das ich mir zuerkennte?
Verschmähe ich, zudienste dir zu stehn?
Ich heilige deine Sünden noch und könnte
auf einen Wink von dir durchs Feuer gehn.

Doch, Liebe, hasse! Weiß ja längst, es sind
die Sehenden –– die liebst du. Ich bin blind.


150.

OH from what powre hast thou this powrefull might,
VVith insufficiency my heart to sway,
To make me giue the lie to my true sight,
And swere that brightnesse doth not grace the day?
Whence hast thou this becomming of things il,
That in the very refuse of thy deeds,
There is such strength and warrantise of skill,
That in my minde thy worst all best exceeds?
Who taught thee how to make me loue thee more,
The more I heare and see iust cause of hate,
Oh though I loue what others doe abhor,
VVith others thou shouldst not abhor my state.

If thy vnworthinesse raisd loue in me,
More worthy I to be belou’d of thee.

Kraft welcher Kraft hast du’s dazu gebracht,
daß Unzulänglichkeit mein Herz entzückt,
daß ich zum Lügner meinen Blick gemacht
und schwöre, daß das Licht den Tag nicht schmückt?
Wo hast du’s her, daß dir das Dunkle steht,
daß noch in dem, wo du nur Schwäche bist,
stupende Stärke steckt, daß mirs so geht,
daß mir dein Niedrigstes das Höchste ist?
Wie machst du das? Wer brachte es dir bei?
Ich liebe dich, und hätte Grund zu hassen.
O würdest du doch diese Hurerei
zu meiner Schmach und deiner Schande lassen!

Dein Unwert rief die Liebe auf in mir ––
ich bin es wert, geliebt zu sein von dir.


151.

LOue is too young to know what conscience is,
Yet who knowes not conscience is borne of loue,
Then gentle cheater vrge not my amisse,
Least guilty of my faults thy sweet selfe proue.
For thou betraying me, I doe betray
My nobler part to my grose bodies treason,
My soule doth tell my body that he may,
Triumph in loue, flesh staies no farther reason.
But rysing at thy name doth point out thee,
As his triumphant prize, proud of this pride,
He is contented thy poore drudge to be
To stand in thy affaires, fall by thy side.

No want of conscience hold it that I call,
Her loue, for whose deare loue I rise and fall.

Zu jung zu wissen, was das ist: Erkennen,
ist Liebe? Wächst Erkennen nicht aus ihr?
Du Schlange willst mich einen Sünder nennen?
Die Schuld an meinen Fehlern liegt bei dir.
Du bists, die mich verführt. Und ich verführe
die Seele. An den Leib verrat ich sie.
Die Seele setzt dem Leib zu: Triumphiere
in Liebe! Und das Fleisch besinnt sich nie,
steht auf, sowie dein Name fällt, und zeigt
auf dich. Du bist sein Stolz, die Siegesbeute.
Zufrieden als dein Knecht ist es geneigt,
für dich zu stehn, zu falln an deiner Seite.

Was fehlt, wenn ich die Liebe Liebe nenne,
für die ich steh und falle? Ich erkenne.



152.

IN louing thee thou know’st I am forsworne,
But thou art twice forsworne to me loue swearing,
In act thy bed-vow broake and new faith torne,
In vowing new hate after new loue bearing:
But why of two othes breach doe I accuse thee,
When I breake twenty: I am periur’d most,
For all my vowes are othes but to misuse thee:
And all my honest faith in thee is lost
For I haue sworne deepe othes of thy deepe kindnesse:
Othes of thy loue, thy truth, thy constancie,
And to inlighten thee gaue eyes to blindnesse,
Or made them swere against the thing they see.

For I haue sworne thee faire: more periurde eye,
To swere against the truth so foule a lie.

Du weißt, wenn ich dich liebe, ists Betrug
–– ein zwiefacher sind deine Liebeseide;
der Ehebruch ist dir noch nicht genug,
nun schwörst du neuen Haß, betrügst uns beide.
Zwei Eide bring ich vor, die du gebrochen,
und breche selber zwanzig? Ich, ich bin
der, der –– dich zu mißbrauchen –– falsch gesprochen.
In dir ist meine Ehre auch dahin.
Ich war von deiner Tiefe tief durchdrungen,
ich schwor auf deine Treue jeden Eid,
hab meinen Augen Blindheit aufgezwungen,
sie schworen wider die Gegebenheit ––

Du licht? Mehr als das Auge, das betrog,
bin ichs, der falsche Eide schwor. Ich log.


153.

CVpid laid by his brand and fell a sleepe,
A maide of Dyans this aduantage found,
And his loue-kindling fire did quickly steepe
In a could vallie-fountaine of that ground:
Which borrowd from this holie fire of loue,
A datelesse liuely heat still to indure,
And grew a seething bath which yet men proue,
Against strange malladies a soueraigne cure:
But at my mistres eie loues brand new fired,
The boy for triall needes would touch my brest,
I sick withall the helpe of bath desired,
And thether hied a sad distemperd guest.

But found no cure, the bath for my helpe lies,
Where Cupid got new fire: my mistres eye.

Die Fackel sank zur Seite, Amor schlief.
Ein Mädchen der Diana nimmt den Fund,
der Liebe anfacht, schnell und taucht ihn tief
in einen kalten Quell im kühlen Grund.
Der leiht von Amors heiligem Feuer sich
ein heißes Leben, und es dauert an,
ein siedend Bad entsteht, wo sicherlich
ein Mann sein seltnes Leiden heilen kann.
Amor –– an meiner Herrin Aug –– entfacht
die Fackel neu, erprobt sie neu –– an mir.
Ich, krank, hab mich zum Bade aufgemacht,
mein Heil zu suchen, doch was find ich hier?

Kein Heil. Mein Heil liegt nicht in heißen Laugen:
Wo Amor Feuer fing –– in ihren Augen.



154.

THe little Loue-God lying once a sleepe,
Laid by his side his heart inflaming brand,
Whilst many Nymphes that vou’d chast life to keep,
Came tripping by, but in her maiden hand,
The fayrest votary tooke vp that fire,
Which many Legions of true hearts had warm’d,
And so the Generall of hot desire,
Was sleeping by a Virgin hand disarm’d.
This brand she quenched in a coole Well by,
Which from loues fire tooke heat perpetuall,
Growing a bath and healthfull remedy,
For men diseasd, but I my Mistrisse thrall,

Came there for cure and this by that I proue,
Loues fire heates water, water cooles not loue.

Der kleine Liebesgott war eingenickt,
zur Seite sank sein Liebesfeuerbrand,
und viele keusche Nymphen warn entzückt
vorbeigetrippelt; mit der Mädchenhand
ergriff die schönste Keusche diese Glut,
die schon Legionen Herzen angefacht,
und hat den Meister heißer Liebeswut
im Schlafe liegend waffenlos gemacht,
den Brand gelöscht in eines Brunnens Kühle,
der, nun auf immer heiß, zum Bad gedieh,
das Männer heilt. Kuriert es die Gefühle?
Ich kam und hab herausgefunden –– nie,

solang ich Sklave meiner Herrin bliebe.
Liebe heizt Wasser, Wasser kühlt nicht Liebe.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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