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William Shakespeare: Sonett 106 - 112

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XVI. 106–112: MY ROSE –– you are my All the World

Ich selber bin es, der unsere Liebe gefährdet, aber wenn ich mich auf dich besinne, und wenn ich mich umsehe (106), überall sehe ich dich vorgebildet (prefigured), und siehe da, meine Liebe sieht frisch aus, der Tod ist mir untertan (107), und ich finde the first conceit of loue, den Inbegriff der Liebe, in dem was meine Tinte festgehalten hat (108), und dann weiß ich, mein Herz war nie falsch, mein Universum, mein All liegt in dir, meiner Rose (109).

Ich gebe zu, ich hatte Appetit, ich habe mich anderswo umgesehen, aber ich bereue, denn deine liebende Brust ist meine Wohnung (110). Hat Fortuna schuld? dann hab Mitleid mit mir, dein Mitleid wird mich kurieren (111), you are in my purpose bred, du bist mir eingeboren, bist der, an dem ich mich abarbeite, du kannst mir gar nicht sterben, du bist mein All (112 wiederholt die zentrale Aussage von 109 fast wörtlich).


106.

WHen in the Chronicle of wasted time,
I see discriptions of the fairest wights,
And beautie making beautifull old rime,
In praise of Ladies dead, and louely Knights,
Then in the blazon of sweet beauties best,
Of hand, of foote, of lip, of eye, of brow,
I see their antique Pen would haue exprest,
Euen such a beauty as you maister now.
So all their praises are but prophesies
Of this our time, all you prefiguring,
And for they look’d but with deuining eyes,
They had not still enough your worth to sing:

For we which now behold these present dayes,
Haue eyes to wonder, but lack toungs to praise.

Erfahre ich aus weggewischter Zeit,
wie Chroniken die Strahlendsten beschrieben,
wie Frauenlob und Ritterherrlichkeit
in schönen alten Reimen schön geblieben;
betrachte ich die Züge, die entzückten,
ob Hand, ob Fuß, ob Mund, Stirn, Auge blitzt ––
dann wird mir klar: die alten Dichter drückten
den Wunsch nach Schönheit aus, die du besitzt;
und was sie priesen, war nur Vorgesicht,
war unsre Zeit, warst du –– präfiguriert,
sie ahnten dich, doch konnten sie dich nicht
besingen, haben nur improvisiert.

Selbst wir, die dich bestaunen, haben Augen,
doch Zungen nicht, die zum Entzücken taugen.


107.

NOt mine owne feares, nor the prophetick soule,
Of the wide world, dreaming on things to come,
Can yet the lease of my true loue controule,
Supposde as forfeit to a confin’d doome.
The mortall Moone hath her eclipse indur’de,
And the sad Augurs mock their owne presage,
Incertenties now crowne them-selues assur’de,
And peace proclaimes Oliues of endlesse age,
Now with the drops of this most balmie time,
My loue lookes fresh, and death to me subscribes,
Since spight of him Ile liue in this poore rime,
While he insults ore dull and speachlesse tribes.

And thou in this shalt finde thy monument,
When tyrants crests and tombs of brasse are spent.

Ist meiner Liebe eine Frist gesetzt?
Nicht meine Angst, noch was die weite Welt
von dem, was kommt, voraus–träumt, wüßte jetzt
bestimmt zu sagen, wann der Würfel fällt.
Der Sterbensmond bestand die Finsternis,
Auguren spotten ihrer Prophetie,
das Ungewisse –– jetzt ist es gewiß,
der Friede proklamiert; er ende nie.
Jetzt tropft die Zeit mir Balsam, meine Liebe
sieht frisch aus, untertan ist mir der Tod,
ich trotze ihm, ich schreibe, und ihm bliebe,
daß er die Dumpfen, Sprachlosen bedroht.

Und du wirst bleiben –– hier im Vers präsent,
wenn Erz zerfällt und jedes Monument.


108.

VVHat’s in the braine that Inck may character,
Which hath not figur’d to thee my true spirit,
What’s new to speake, what now to register,
That may expresse my loue, or thy deare merit?
Nothing sweet boy, but yet like prayers diuine,
I must each day say ore the very same,
Counting no old thing old, thou mine, I thine,
Euen as when first I hallowed thy faire name.
So that eternall loue in loues fresh case,
Waighes not the dust and iniury of age,
Nor giues to necessary wrinckles place,
But makes antiquitie for aye his page,

Finding the first conceit of loue there bred,
Where time and outward forme would shew it dead.

Was ist im Hirn? Was müßte ich notieren?
Was hat mein Geist dir noch nicht ausgedrückt?
Wär meine Liebe neu zu registrieren?
Wär neu zu sagen, wie du mich entzückt?
Nein, süßer Knabe, fast sinds Litaneien,
die aufzusagen ich wohl nie erlahme;
nichts Altes gilt mir alt –– du mein, ich dein ––
und heilig wie am ersten Tag: dein Name.
So daß die Liebe, ewig frisch entfacht,
den Staub nicht wägt des Alters und die Plagen,
noch Runzeln Raum gibt –– ewige Liebe macht
das Alter noch zu ihrem ewigen Pagen

und findet: die Idee der Liebe loht,
wo Leib und Zeit so tun, als wär sie tot.


109.

O Neuer say that I was false of heart,
Though absence seem’d my flame to quallifie,
As easie might I from my selfe depart,
As from my soule which in thy brest doth lye:
That is my home of loue, if I haue rang'd,
Like him that trauels I returne againe,
Iust to the time, not with the time exchang’d,
So that my selfe bring water for my staine,
Neuer beleeue though in my nature raign’d,
All frailties that besiege all kindes of blood,
That it could so preposterouslie be stain’d,
To leaue for nothing all thy summe of good:

For nothing this wide Vniuerse I call,
Saue thou my Rose, in it thou art my all.

Sag nie, ich wäre falschen Herzens –– ich
war fort, so schiens, als legte sich die Lust.
Ich ließe leichter doch mein Selbst im Stich
als meine Seele –– tief in deiner Brust.
Da wohnt sie, meine Liebe. Triebs mich weit,
so kehr ich wie ein Wandrer wieder heim,
zur Zeit, und bin kein andrer mit der Zeit,
bring selber Wasser, wasche alles rein.
Glaub nie (trotz aller angebornen Schwächen,
die mich beherrschen wie so manches Blut),
ich wäre so befleckt, mich loszusprechen,
dich loszulassen, dich, mein höchstes Gut,

für nichts! Was gilt die Welt mir? Rauch und Schall ––
du, meine Rose, bist darin mein All.


110.

ALas ’tis true, I haue gone here and there,
And made my selfe a motley to the view,
Gor’d mine own thoughts, sold cheap what is most deare,
Made old offences of affections new.
Most true it is, that I haue lookt on truth
Asconce and strangely: But by all aboue,
These blenches gaue my heart an other youth,
And worse essaies prou’d thee my best of loue,
Now all is done, haue what shall haue no end,
Mine appetite I neuer more will grin’de
On newer proofe, to trie an older friend,
A God in loue, to whom I am confin’d.

Then giue me welcome, next my heauen the best,
Euen to thy pure and most most louing brest.

Ach ja, es stimmt, ich war bald da, bald dort
und machte mich zum Schecken, war ein Narr
auch in Gedanken, warf das Teure fort,
hab neu verletzt, was längst verwundet war.
Vor allem stimmt es, daß ich auf die Treue
herabsah. Die Versuchung, glaube mir,
dies Streunen hat mein Herz verjüngt aufs neue
und mir gezeigt, mein Bestes liegt bei dir.
So nimm denn, was kein Ende nehmen soll!
Ich schärfe meinen Appetit nie mehr,
den ältern Freund zu prüfen absichtsvoll:
er sei in meiner Liebe Gott, nur er!

O nimm mich, nächst dem Himmel höchste Lust,
an deine reine, liebe, liebste Brust!


111.

O For my sake doe you wish fortune chide,
The guiltie goddesse of my harmfull deeds,
That did not better for my life prouide,
Then publick meanes which publick manners breeds.
Thence comes it that my name receiues a brand,
And almost thence my nature is subdu’d
To what it workes in, like the Dyers hand,
Pitty me then, and wish I were renu’de,
Whilst like a willing pacient I will drinke,
Potions of Eysell gainst my strong infection,
No bitternesse that I will bitter thinke,
Nor double pennance to correct correction.

Pittie me then deare friend, and I assure yee,
Euen that your pittie is enough to cure mee.

Nicht mich, das Glück, die Göttin sollst du schelten,
die schuld an meinen Missetaten ist!
Was sah sie vor, mein Leben zu entgelten?
Publizität –– so bin ich denn Artist.
Daher das Brandmal, das mein Name trägt;
daher wohl auch hat meine Arbeit mich
wie eines Färbers Hand gefärbt, geprägt.
Wünschst du mich neu ? Nun, so erbarme dich!
Ich werde Essig trinken –– ein Patient,
der willig ankämpft wider den Infekt,
der Bitternis als bitter nicht erkennt
und doppelt büßt, korrekter als korrekt.

Erbarme dich, und du kannst sicher sein,
ich bin kuriert, mein Freund, durch dich allein.


112.

YOur loue and pittie doth th’impression fill,
Which vulgar scandall stampt vpon my brow,
For what care I who calles me well or ill,
So you ore-greene my bad, my good alow?
You are my All the world, and I must striue,
To know my shames and praises from your tounge,
None else to me, nor I to none aliue,
That my steel’d sence or changes right or wrong,
In so profound Abisme I throw all care
Of others voyces, that my Adders sence,
To cryttick and to flatterer stopped are:
Marke how with my neglect I doe dispence.

You are so strongly in my purpose bred,
That all the world besides me thinkes y'are dead.

Dein Mitleid, deine Liebe löscht das Mal,
das die Gewöhnlichkeit mir aufgepreßt;
was schert mich Lob, was stört mich der Skandal,
wenn du ihn übergrünst, mich gelten läßt?
Du bist für mich die ganze Welt –– ich strebe,
aus deinem Munde Schmach und Lob zu hören;
kein anderer, der mir lebt und dem ich lebe,
verändert mich –– ich bin nicht umzukehren.
Ich kehre anderer Stimmen in den Staub,
und höre ich Kritik und Schmeichelei,
so stelle ich mich wie die Natter taub,
verweigere mich und spreche so mich frei:

Du bist so stark verwebt in mein Bestreben ––
glaubt alle Welt dich tot, mir bist du Leben.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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