Direkt zum Seiteninhalt

William Butler Yeats: Meister der Tragik

Theater / Kunst > Kunst > Theater


William Butler Yeats


Meister der Tragik



Jetzt weiß ich, daß Offenbarung aus dem Selbst kommt, jedoch aus dem uralten Selbst der Erinnerung, das die kunstvolle Schale der Molluske formt und das Kind im Schoß und die Vögel lehrt, ihr Nest zu bauen, und daß Genie eine Krisis ist, die dieses verschüttete Selbst für Augenblicke mit unserem trivialen Geist des Alltags vereint. Es gibt wirklich persönlichkeits-bildende Geister, die wir am besten bloß Tore oder Torhüter nennen, denn durch ihre dramatische Kraft führen sie unsere Seele in die Krisis, zu Maske und Bild, und es kümmert sie nicht im mindesten, ob wir als Julia zur Hochzeit oder als Kleopatra in den Tod gehen, denn in ihren Augen gilt nur die Leidenschaft. Wir haben viele Jahrhunderte lang einen törichten Traum geträumt, da wir meinten, daß ihnen am kontemplativen Leben etwas gelegen sei, denn sie verachten es mehr als irgend ein anderes Leben, wenn es nicht ein Name für die schwerste aller Krisen ist. Sie haben nur ein Ziel, nämlich ihrem Auserwählten das größte Hindernis entgegenzustellen, dem er ohne zu verzweifeln die Stirn bieten kann. Sie betrieben Dantes Verbannung und entrissen ihm seine Beatrice und stießen Villon in die Arme von Dirnen und ließen ihn am Fuße des Galgens Kumpane sammeln, um Dante und Villon durch Leidenschaft mit ihrem verschütteten Selbst zu vereinen und alles in Maske und Bild zu verwandeln, damit sie in ihren eigenen Augen zu Phantomen würden. Bei großen Dichtern zweiter Rangordnung wie Landor und Keats sehen wir dieses Bild und diese Maske als etwas Getrenntes: Andromeda und ihr Perseus - doch nicht das Meerungeheuer -, in einigen wenigen aber, die wir als die größten Meister der Tragik erkennen, wird der ganze Widerstreit in den Kreis ihrer Schönheit getragen. Solche Meister - etwa Villon und Dante - wollen ihr Schicksal nicht ändern, wenn sie durch ihre Kunst sprechen, und doch ist ihr Spiegelbild in allem Leid der Sehnsucht.

(In: Autobiographie, 4 - Die tragische Generation)

Zurück zum Seiteninhalt