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Wallace Stevens: Teile einer Welt

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Jan Kuhlbrodt

Zusammenstücken

Zu Wallace Stevens



Mit Teile einer Welt legt der Verlag Jung und Jung die meines Wissens bislang umfangreichste deutsche Ausgabe mit Gedichten des amerikanischen Lyrikers Wallace Stevens vor.
Manche Lektüren verlangen den richtigen Zeitpunk.
Als ich jedenfalls vor circa 25 Jahren zum ersten Mal Gedichte von Wallace Stevens las, in einer Ausgabe des Verlages Volk und Welt, der damals die durchaus verdienstvolle Weiße Reihe herausbrachte, verblassten sie bald. Und später konnte ich mich kaum daran erinnern. Woran das lag ist schwer zu sagen, wahrscheinlich an der eingeschränkten Auswahl und am eher ideologischen Zugriff der Übersetzer. Jetzt, da ich in diesem neuen umfangreichen Band lese, habe ich das Gefühl auf etwas für mich vollkommen Neues und Herrliches gestoßen zu sein. Und ich gebe zu, der Band ist für mich zunächst schwer zu fassen, denn noch befinde ich mich in einem Zustand des Wunderns und Staunens. Eines allerdings ist klar: dieses Buch sei allen und jedem empfohlen.

Stevens lebte von 1879 bis 1955. Geboren wurde er in Reading. Sein Leben verbrachte er als leitender Angestellter eines Versicherungsunternehmens und starb in Hartford Connecticut.
Das Leben als Angestellter, auch wenn er es auf höherer Leitungsebene war, verbindet ihn mit literarischen Größen wie Pessoa und Kafka. (Und letztlich auch mit dem Berliner Lyriker Uwe Gressmann, an den ich mich zuweilen erinnert fühlte, aber das mag an meinem persönlichen Zugang liegen. Wahrscheinlich liegt es am kosmologischen Zugriff auf Welt, der die beiden Autoren verbindet. Es ist sicher lohnenswert, dem an anderer Stelle noch einmal nachzugehen).

Neben dem richtigen Zeitpunkt verlangen Lektüren den richtigen Übersetzer. Mein Englisch ist nicht gut genug, als dass ich ohne Hilfe auskäme, muss mir manchmal selber helfen, und meine eigenen sozusagen inneren Übersetzungen mag ich maximal als Angebot an mich verstehen.
Daneben tritt nun Rainer G. Schmidt mit seinem Angebot und lässt das meine schnell vergessen sein. Ich lese sozusagen über Bande. Es ist ein Spiel, das mir unglaubliches Vergnügen bereitet.

Laut Benjamin verändert der Übersetzer das Original nicht, dieses bleibt sich immer gleich, aber er verleiht diesem in der Gegenwart einer anderen Sprache einen je besonderen Ausdruck. Es mag daran liegen, dass Schmidt ein Meister darin ist, die rhythmischen Feinheiten des Originals in seine Übertragungen einfließen zu lassen, was angesichts der Eleganz der Originalsprache und des eher humpelndem Deutsch eine große Kunst ist. Im langen Gedicht AUS GRUSSADRESSEN AN DIE AKADEMIE SCHÖNER IDEEN heißt es in der Schmidtschen Übertragung:

I

Ein zerknittertes Papier klingt großartig.
Die geknickten Rosen knistern, die papiernen,
Und das Ohr ist Glas in dem die Geräusche prasseln,
Die falschen Rosen – vergleicht die stille Rose der Sonne
Und des Regens, die Blutrose, die in ihrem Duft lebt,
Mit diesem Papier, diesem Staub. Das legt die Sache dar.


Diese rhythmische Orientierung findet sich in einem Zitat Lensings in Schmidts Nachwort aufgehoben, das Stevens auf seinem täglichen Arbeitsweg beschreibt. „Er machte langsam, blieb stehen, wippte für einen Augenblick hin und her, trat einen Schritt zurück, zögerte, schritt dann zuversichtlich aus –  nach links, rechts, links, rechts – auf dem Weg zur Arbeit.“

Und das verbindet Stevens mit den eingangs erwähnten Autoren. Stevens machte keine großen Reisen, war ortstreu. Und er konstruierte eine Welt, aus diesem Ort heraus, die an gedanklicher Vielfalt und Tiefe ihresgleichen sucht. Schmidt nennt dies in seinem Nachwort: „widersprüchliche Wirklichkeitszergliederung“ und macht das an drei Texten deutlich. Am eindringlichsten in Bezug auf das Gedicht Jemand setzt eine Ananas zusammen: „Durch die Kunst des Wortes kann der Mensch sich die Welt wieder neu zusammenstücken und so, unvollkommen zwar, das verlorene Paradies wiedererlangen, als seinen neu eroberten Anteil.“
Kaum, ja. Er lässt aus dem Faktum, dass die Welt mir nur eingeschränkt und in Teilen zugänglich ist, eine Kraft wachsen.



Wallace Stevens: Teile einer Welt. Ausgewählte Gedichte. Übers. von Rainer G. Schmidt. Salzburg (Jung und Jung) 2014. 632 Seiten. 45,00 Euro.

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