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Tom Schulz: Lichtveränderung

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Mario Osterland


Der Versuch, sich an der Natur zu orientieren

Tom Schulz' neuer Gedichtband „Lichtveränderung“


Als „der Romantiker unter den jüngeren deutschen Lyrikern“ wird Tom Schulz von seinem Verlag angekündigt. Der Stempel ist also von Anfang an drauf, und ich frage mich, auch im Hinblick auf die Debatten um Jan Wagners Leipziger Buchmessepreis, ob man dem Autor hier nicht einen Bärendienst erwiesen hat. Wie zeitgemäß Gedichte sind, ob und wie sie die Gegenwart verhandeln sollen, was sie uns heute noch zu sagen haben, das sind Fragen, die derzeit auf den einschlägigen Kanälen verhandelt werden. Tom Schulz scheinen sie nur marginal zu interessieren. Denn sein neuer Band Lichtveränderung, um das gleich vorweg zu nehmen, ist eine Absage an eben jene Gegenwart, die nach Meinung einiger Literaturkritiker und -wissenschaftler in der aktuellen Lyrik generell zu kurz kommt. (Was natürlich nicht der Fall ist. Aber das ist eine andere Baustelle.)


Schulz' Gedichte sind geprägt von einem sehr präsenten Ich, das sich zwischen Flucht und Orientierungslosigkeit bewegt. Bewegungen, die von den ersten Versuchen, sich eine Komfortzone einzurichten, unterbrochen werden. So etwa im Text Kap der guten Holzbank, dessen Titel allein schon die Sehnsucht nach Rückzug und Ruhe überdeutlich werden lässt. Zu lesen ist dann „Gewinnen wir die Hoheit über Land. Über Masse, Maße, Trägheit. Lass mich die Aprikosen kosen. Auf Klopstock bestehen. Als Deutscher laufe ich um den Heuschober.“ Ist das vielleicht die auch von den Romantikern geschätzte Ironie oder die in einem anderen Gedicht erwähnte „Erwachsenen-Lyrik“, in der das Ich sich angekommen fühlt?

Lassen wir die Etiketten beiseite. Dafür wirkt der Band insgesamt, wie bereits erwähnt, zu orientierungslos. Besonders auffällig wird das in den Texten, die sich auch formal nicht zwischen Lyrik und Prosa entscheiden können, was jedoch nicht als Werturteil zu verstehen ist. An die Stelle des Verses tritt eine durch häufige Interpunktion gekennzeichnete Struktur, die jedoch keine Sätze voneinander abhebt, sondern vor allem Wortgruppen, die oft wie Gedankensplitter erscheinen, aneinanderreiht. Auf diese Weise webt Schulz vor allem Assoziationsteppiche, die zwar durch Binnenreime und eine insgesamt flüssige Rhythmik zusammengehalten werden, viel zu oft aber an einer Seite ausfransen, wie der Flattersatz des Textes.

So wandert der Leser mit Schulz' lyrischem Ich etwas sprunghaft durch die Provinz, an deren verlassenen Scheunen alte Warnschilder rosten. „Offenes Licht. Polizeilich verboten! Im Winter werden hier die Wege nicht gestreut. Dann klopft der Abschnittsbevollmächtigte an die Tür.“ Dass am Ende dieser Wanderungen ein Mantra steht, das wie folgt klingt, überrascht da nicht: „Wir müssen wieder mit dem Herzen sehen. Durch den Klee und den Schnee. Durch die Krone des Affenbrotbaumes. Wo die Schlehe den ersten Frost erwartet. Wo das Land mit Flechten bewachsen ist. Kindchen, in einer Plastikspielzeugpuppe befindet sich mehr Gift als in einem Autoreifen.“

Ich kann die Liebe zum Rückzugsort Natur, die in fast allen Gedichten des Bandes überdeutlich wird, sehr gut nachvollziehen. Ebenso das Bedürfnis, der geschwindigkeitsgläubigen Gegenwart den Rücken zu kehren. Doch ob sich der Fortschritt als Schuldiger so leicht ausmachen lässt, ob die Entschleunigung die ultimative Antwort auf die Fragen des modernen Ichs ist, lässt sich anhand dieser Gedichte nicht sagen. Doch sie warnen uns implizit vor einem gewissen Eskapismus als Reflex vor den aktuellen Entwicklungen der Welt. Bei allem berechtigen Pessimismus, bei aller Verzweiflung darüber, dass auch das landwirtschaftliche Idyll (das es nicht gibt!) zerstört wird durch eine „Beschleunigte Fruchtfolge“, der Rückzug in ein „gelbe[s] Unterseeboot“ kann kaum die Lösung sein.

ich denke an den Sieg der Schnecke
über die Flugzeuge am Himmel, die sich entfernen
ich denke an dich, wenn es regnet
mit der Dichte von Notenschlüsseln
aus einer über den Rand beschriebenen Partitur

Tom Schulz' Bekenntnis zu einer neuen Romantik ist unübersehbar. Es finden sich in Lichtveränderung sogar Anklänge an eine sehnsuchtsvolle Naturmystik. Dagegen ist per se nichts einzuwenden, doch ließen mich viele der Gedichte ebenso ratlos zurück wie das lyrische Ich. Das Buch ist Produkt einer Suche nach Konstanten in der Welt, die noch nicht abgeschlossen ist. Bei so viel Unsicherheit finde ich es jedoch bemerkenswert, dass Schulz diese Art von Ästhetik selbstbewusst vertritt, ohne Anmerkungen, Vor- oder Nachwort auskommt. Und das in einer Zeit, in der Lyriker mitunter aufgefordert werden, die Welt mit möglichst avantgardistischen Mitteln zu erklären.


Tom Schulz: Lichtveränderung. Gedichte. Berlin (Hanser Berlin) 2015. 88 Seiten. 15,90 Euro.

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