Direkt zum Seiteninhalt

Thomas Havlik: Syllablesshooter

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Konstantin Ames

Eine Kommunizierde:

„Syllablesshooter – 30 Milliarden Silben“ von Thomas Havlik



Gerade in Buchmessenzeiten kann einen schneller und leichter als im Restjahr das Gefühl beschleichen, dass man das nächste Buch gern ungelesen lässt, weil der Klappentext mehr verspricht, als sich auf den vielen Papierseiten des neuesten Generationserklärungs-, Opa-war-Nazi- oder Apokalypse-Romans halten lässt; wer indes Hörbücher für einen grotesken performativen Widerspruch hält, kann die Play-Taste betätigen und hat vorher die CD Syllablesshooter eingelegt. Das ist eine Mitschnitt-Sammlung medienkünstlerischer Auftritte des Wiener Autors Thomas Havlik aus den Jahren 2014/15, die zumeist in Kooperation mit der Kollegenschaft entstanden sind, zum geringen Teil an entlegenen Orten schon publiziert oder bisher nur auf Festivals dargeboten wurden. Der CD liegt etwas bei, das wie ein Booklet aussieht. Mit sowas Banalem wie dem Bemühen, dem interessierten Zuhörer einen Überblick zu verschaffen, Verständlichkeit erhöhen, gibt man sich hier aber nur sehr begrenzt ab; nicht aus einer Amateurlaune heraus, sondern absichtsvoll, vielleicht etwas fanatisch. – Nach anfänglich wildem Durchblättern des Nicht-Booklets zu erstem parallelen Beschall (ein guter Kopfhörer empfiehlt sich für die private Rezeption) fühlte ich mich etwas veralbert; zu einem milden gesellte sich schließlich nacktes Erstaunen.

Unter dem Angstsattel des
Aufwendigen Drachens
Stehen saftig und gelangweilt
Die Zeitalterzitzen

Abgekalbt und versiegelt
Wabbelt das Euter
Behelfsmäßiges Zittern
Vor den nachwachsenden Zähnen


Es ist gar nicht so sehr der Niveau-Ausreißer nach unten, mit dem das Nicht-Booklet eröffnet wird; es scheint sich um eine Art Bonustrack zu handeln; ich habe ihn jedenfalls keiner Einspielung zuordnen können; das ist auch nicht witzlos; warum sollten neben grafischen Gestaltungselementen (dadaeske Montagen sind’s hier zumeist) nicht einfach auch Texte einem Booklet das Booklethafte austreiben? Was ich leider überhaupt nicht nachvollziehen konnte, war die Selbstbeschreibungsprosa am Ende des beigelegten Hefts. Diese Bionotiz ist störend, und zwar nicht, weil eitel gesülzt wurde, sondern weil diese Auskunft eine völlig falsche Einstimmung auf die bezweckte Zusammenfassung der Kollektion gibt. Vor allem die These von der Unmöglichkeit von Kommunikation, auf die Thomas Havliks Schaffen ein Hauptaugenmerk lege, ist doch auf das Allerbeste durch diese Publikation widerlegt. Hand aufs Herz: Wozu ein konzeptueller Ansatz, wenn sowieso alles möglich ist? Was doch der Nebeneffekt von Kommunikationsunmöglichkeit wäre.

Gar nicht einmal wenig scheint mit dem präjudizierten Unwillen der Hörer und Leser kokettiert zu werden. – Vielleicht handelt es sich aber ganz schlicht um eine Verballhornung des populärwissenschaftlichen Axioms von der Unmöglichkeit der Nichtkommunikation aus dem konstruktivistischen Kosmos von Paul Watzlawick. Der Trick des Watzlawick’schen Bonmots („Man kann nicht nicht kommunizieren!“) besteht darin, Handeln mit Verhalten gleichzusetzen. Ich finde weder die eine noch die andere These stark, beide sind defensiv bis zum Abwinken. Wäre Kommunikation unmöglich, wären die elf Tracks nicht auf Compact Disc gespeichert worden, die nicht in einem schicken Blechschächtelchen gelandet wäre, das nicht den Weg zu mir gefunden hätte. Vielleicht braucht es die Anwesenheit des Lautpoeten Thomas Havlik auf der Bühne, um für die Momente der Darbietung sich der Illusion hingeben zu können, sein im Paratext behaupteter Kommunikationsfrust wäre ganz und gar ernst gemeint.

Bei mir sind nicht nur das Bedürfnis zur Expression von Ennui und eine so donnernde wie wohlfeile Medienkritik (mittlerweile übrigens in jedem noch so konventionell gearbeiteten Lyrikband drin) angekommen, sondern eben auch künstlerische Gegenentwürfe zur inkriminierten Vereinzelung, zur Selbstbespiegelung, die da sind: Chor, forcierte Plötzlichkeit, Kollektiv. Zwar wird auch einmal die Geißel der Sozialromantik, die Gitarre, schwungvoll zum Einsatz gebracht. Aber das Ganze gerät makaber, denn es wird (in „Supermarktmusik“) eine ideenflüchtig rezitierende Stimme gegen das gefällige Akkorde-Geplätscher gesetzt, und kehrt im Loop penetrant zu der Frage zurück, welche Musik am „Attentat-Tag“ gehört/ausgeschaltet wurde.

Thomas Havliks Stimme ist ein Glücksfall. Schnarrend und nuschelnd wienerisch, nie kunstlos motzend, rettet sie viel von dem, was aus dem Beiheft (stumm oder halblaut) abgelesen, sich bemüht lieblos, übellaunig, überkandidelt läse: „Wieviele Zikaden sind notwendig, wieviele Ichs/ Um das Schnalzen der gerissenen Sehne zu übertönen/ Welcher Akt. Für das Honorar, das mir dieses Gedicht/ Einbringt, werde ich mir ein weiteres Gedicht zulegen// Anfang April. Pyramidenspiel. Pollenallergie.“ (aus „30 Milliarden Silben“) Es ist das alte Hin und Her zwischen den Weltbewältigungskonzepten Phantasie und Einbildungskraft, wodurch Tempo und Peripetien ermöglicht werden: Die Einbildungskraft (die vielgesungene ‘Kreativität’ von heute) als ein gestalterisches Vermögen, das auf teilbare und tradierbare Bestände von Werten zurückgreift (hier: Redensarten, Kollokationen, Anspielungen, Reiz-Reaktions-Muster); vergleichsweise asozial die Phantasie, die von einem logizistischen Standpunkt aus betrachtet seit jeher im Verdacht steht, mit allerlei pathologisch subversiven Mächten im Bunde zu sein. In Syllablesshooter – 30 Milliarden Silben sind beide Konzepte einigermaßen gleichberechtigt vorhanden, ohne dass eine vermittelnde Instanz ein Urteil über die Stimmenmontage oder das Aufeinanderprallen der beiden genannten Konzepte spräche. Sonst entstünde eben auch wieder eine (unerwünschte) Hierarchie. Parallelen zum literaturphilosophischen Werk von Jacques Rancière drängen sich auf; Rancière stellt in seinen Ausführungen zum „[l]iterarischen Missverständnis“ fest, dass Literatur mit Demokratie im Sinne einer Ochlokratie nichts zu tun hat, mit „einem Überschuss im Verhältnis der Körper zu den Wörtern“ (Jacques Rancière, Politik der Literatur, hrsg. v. Peter Engelmann, übers. von  Richard Steurer, Wien: Passagen Verlag 2008, 57). Nachfolgend zerlegt Rancière klassische und emphatische Literaturbegriffe auf das Genüsslichste und schafft gleichzeitig moderner Schreibweise eine Legitimation fern von allen literaturwissenschaftlichen Diskursen - als Fundament einer (radikalen) Demokratietheorie: „Das [literarische] Missverständnis wird nämlich wie das [politische] Unvernehmen zum Schaden desselben Paradigmas der Ordnung ausgeübt, des schönen Lebewesens, aufgefasst als Harmonie der Gliedmaßen und der Funktionen in einer organischen Ganzheit.“ (ders., dass., 58)

Havliks Antikonsumismus erweist sich in diesem Zusammenhang nicht als einer von der pragmatischen Sorte, sondern als fanatisch. Geil. Gerade deshalb aber habe ich seine Ankündigung in einer biografischen Notiz, er arbeite an seinem ersten „Lyrikband“, mit kaltem Grausen zur Kenntnis genommen. Ich wünsche Havlik nicht, dass er auf dieses Niveau fällt oder sich freiwillig dazu herablässt, an Lyrik, Versepen oder anderem Geländegewinn zu laborieren, sondern bei der Poesie bleibt, die jedes Buch, in dem sie steht, immer etwas dümmlich hüllenhaft aussehen lässt. – Wer sich einen ersten Eindruck vom Schaffen dieses Autors machen möchte, kann das in verschiedenen Onlinemagazinen tun, etwa in der aktuellen Ausgabe der Karawa (http://karawa.net) oder in den Huellkurven (http://www.huellkurven.net/index.php), die Thomas Havlik mitherausgibt.

Möglicherweise mehr instinktiv als via Sophistikation realisiert Thomas Havlik moderne Ästhetik-Programme, vor allem die des Expressionismus, dessen Verehrung der Simultaneität er teilt; und für die er vorerst ein passendes Medium gefunden hat. Eine derart vehemente Dynamisierung von Umwelt durch eine Mixtur von Kalauer, Wut und Trauer ist jedenfalls äußerst rar geworden, oder sie tritt sehr leise auf. „Taumur“, „Article me“ und das titelgebende Sampling „Syllablesshooter“ kommen über ein Abarbeiten an vorfindlichen Verfahrenstechniken der Lautpoesie weit hinaus, es sind Geniestreiche! In einer Kunstsprache, orientiert auf eine Genesis-Passage (11, 1-9), durch Skelettierung des Menschenrechtekatalogs („würde“, „Menschen“) und in einem bestialischen Wechsel von Silben und Gewehrsalven kommt eine Poesie zum Vorschein, die viele Krämerseelen im Jahr 2015 noch für überlebt hielten: Die Poesie der Seher. Das Nationalratsgebäude in Wien und die Staatskanzlei in München sollten 24/7 damit beschallt werden.


Thomas Havlik: Syllablesshooter – 30 Milliarden Silben. Wien (edition zzoo/audiobeans) 2015.
72 min. lautpoesie und soundpoetry. 17,50 Euro

Zurück zum Seiteninhalt