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Theodor W. Adorno: Voraussetzungen

Gedichte > Zeitzünder

Theodor W. Adorno

Voraussetzungen


(In: Akzente 1961, Auszug)


Daß Kunst dem rationalen Verstehen als einer primären Verhaltensweise sich entzieht, ist vom vulgären ästhetischen Irrationalismus ausgebeutet worden. Gefühl sei alles. Die Einsicht wird aber dringlich erst recht, sobald künstlerische Erfahrung zur schlechten, passiven Irrationalität des Konsums wird, und kein Verlaß mehr ist aufs Gefühl. Anstelle des spezifischen Mitvollzugs, den die Kunstwerke verlangen, ist das bloße Mitplätschern mit dem Strom von Sprache, mit dem tonalen Gefälle, mit der gegenständlichen Komplexion der Bilder getreten. Die Passivität jener Reaktionsweise verwechselt sich mit löblicher Unmittelbarkeit. Die Werke werden fertig bezogenen Schemata subsumiert, nicht selber mehr erkannt. Dagegen müssen, nicht heute erst, die Kunstwerke sich schützen und einen Mitvollzug erzwingen, der dem konventionellen Verstehen abschwört, das nur ein seiner selbst nicht bewußtes Nichtverstehen ist. Das in aller Kunst konstitutiv enthaltene, aber bislang weithin von Konventionellem überdeckte Moment des Absurden muß hervortreten, sich selbst aussprechen. Die sogenannte Unverständlichkeit gerade der legitimen zeitgenössischen Kunst ist die Konsequenz aus einem der Kunst an sich Eigentümlichen. Die Provokation vollstreckt zugleich das historische Urteil über die zum Mißverständnis degenerierte Verständlichkeit.   


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