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Sina Klein: skaphander

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Michael Braun

Die Sanduhr ist vom Tisch gekippt
„Skaphander“: Liebesgedichte von Sina Klein


„Alles ist Wundenschlagen“, so hatte einst Ingeborg Bachmann das Verhängnis der Liebe definiert, „und keiner hat keinem verziehn./ Verletzt wie du und verletzend, / lebte ich auf dich hin.“ Bevor die Liebenden sich ihrer unbedingten Hingabe vergewissern können, hat schon das Wundenschlagen begonnen. Diese schwarze Utopie der Liebe hat nun die Dichterin Sina Klein in drei großen Zyklen kunstvoll fortgeschrieben, wobei diese Zyklen in ihrem neuen Gedichtband „Skaphander“ in strenger spiegelbildlicher Ordnung in sechs Teile zerlegt werden.
    In versehrten Sonetten, fragmentierten Volksliedstrophen und zerbeulten Rondeaus werden hier die Beschädigungen der Liebe sichtbar gemacht: Es gibt keine harmonische Fügung in diesen an klassischen Reimstrophen orientierten Gedichten, stattdessen dominieren Figurationen der Zertrennung und Zersplitterung, Bilder der Dissonanz. Das Zusammensein der Verliebten erweist sich als permanente Verfehlung des Anderen:

und wie die ringe spuren sind, so gehen
wir im kreis. du wirfst mich weg, du fügst
der nacht den weißen riss zu, wenn du schreist.

als ich beschloss, dich/ wieder zu verpassen,
wusste ich: was einmal offen ist, ist
ein begriff von schluss, ich/ greife zu und

weißt du? – hier im leisesten der zimmer
bin ich laut und schließe jede wand.
wenn du was hörst, das bin ich nicht, das muss

die andre sein, im stirnverbund mit mir,
die immer von versehrung spricht und immer
mehr davon, wie sehr sie dich vermisst.
                           
Und stets ist in diesen kunstvoll geflochtenen Dreizeilern das Drama der Triangulierung präsent: Ein Dritter oder eine Dritte treten hinzu und der Liebestraum des zuvor absolut aufein-ander bezogenen Paares gerät ins Wanken. Der Liebesschwur wird erschüttert durch den elementaren, verzehrenden Zweifel an der vorbehaltlosen Zuwendung des Anderen. Denn immer taucht in diesen Selbstbehauptungsversuchen des weiblichen Subjekts die Rivalin auf, die in die absolute Bindung an den Partner einbricht und den „weißen Riss“ im Liebesver-sprechen verursacht.    
    Das lyrische Ich Sina Kleins inszeniert die Kollisionen der Liebenden auch formal, die Bruch- und Schnittstellen werden durch Schrägstriche innerhalb der Verszeilen markiert. Als Motti zweier Kapitel zitiert Klein die Puppenbilder des Surrealisten Hans Bellmer. Ähnlich wie auf den Schock-bildern Bellmers, der die einzelnen Glieder der von ihm bearbeiteten Puppen zerlegte und zu neuen grotesken Körpern zusammensetzte, demonstriert dieses Gedichtbuch die Defor-mationen des Begehrens.

ich träume von einer form, die mich hält,
von etwas rigidem, ein sperriges zelt, und
davor streunt dann vielleicht noch ein hund

und wenn er bellt, dann trollt sich der mond.
ich träume von einer form, die mich hält,
weil sie in mir / verstellt ist und alles

nur scheint…

Mit diesem Bekenntnis beginnt das Kapitel „elektroauslässe“. Diese Liebesgedichte stemmen sich gegen die Fliehkräfte der emotionalen Zerreißproben, auch mit Hilfe eines „Skaphanders“ (eine veraltete Bezeichnung für „Schutzanzug“). Die poetische Form und die Schrift sind dabei der Rettungsanker, der vor der inneren Dissoziation des schreibenden Subjekts und den Auf-wühlungen im Liebeskampf schützen sollen.

Bereits aus Sina Kleins lyrischem Debüt „narkotische kirschen“ (2014) bekannt ist das Genre der „schier“-Gedichte. Die Vokabel „schier“, die in der Umgangssprache fast nie als isoliertes Einzelwort auftaucht, verweist bei Klein auf etwas Unfertiges, auf lyrische Fragmente, die sich einer Vollendung und einer poetischen Balance widersetzen. In einem Gespräch mit Cynthia Blasberg hat Sina Klein einmal erklärt, was es mit den „schier“-Gedichten auf sich hat. Es sind gewissermaßen poetische Outtakes, kompositorisch geschlossene Rest-Teile aus Gedichten, die nicht fertiggestellt oder verworfen worden sind. Auffällig ist in den „schier“-Gedichten in „Skaphander“ die Motivik der Uhr. Sanduhren gehören traditionell zum Inventar der Melancholie-Darstellung. Seit Dürers berühmtem Kupferstich „melencolia“ fungieren sie als Topoi für den verlassenen, auf sich selbst verwiesenen Menschen, der über seine eigene Begrenztheit nachsinnt. In stetiger gleichförmiger Bewegung rieselt der Sand im Stundenglas von oben nach unten, bis nach einer einfachen Umdrehung der Uhr die immer gleiche Zeitstrecke erneut vermessen wird. Bei Sina Klein fungieren die in den „schier“-Gedichten aufgerufenen Uhren als intensive Vexierbilder vom Scheitern des Liebestraums und vom Vergehen der Liebes-Utopie:

die sanduhr ist vom tisch gekippt
und sand und scherben mischten sich
zu etwas, das mich schnitt als ich
versuchte noch zu retten, was
zu retten ist: kaputtes / stündchen.

„Alles an uns“, heißt es an einer anderen Stelle dieser Gedichte, „ist aus messern gemacht.“ Die Liebenden bleiben schließlich unerlöst zurück, erstarrt im „kältesten Schweigen“ (Bachmann).


Sina Klein: Skaphander. Gedichte. Klever Verlag, Wien 2018, 80 Seiten, 15,00 Euro.
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