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Poetische Horizonte in Greifswald

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Poetische Horizonte – Tagung zur Poesie

Dichter, Lyrikverlage, Literaturwissenschaft



Unter dem Titel Poetische Horizonte trafen sich vom 13.11. bis zum 16.11.2014 DichterInnen, WissenschaftlerInnen und VerlegerInnen in Greifswald. Die Tagung fand im Koeppenhaus und im Falladahaus statt. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass das Falladahaus als Tagungsort für derartige Projekte auf Grund von Mietforderungen der Eigentümer und mangelnder öffentlicher Förderung nicht mehr lange zur Verfügung stehen wird. Was äußerst schade ist.

Angekündigt war die Tagung folgendermaßen:


Ähnlich wie in den Wissenschaften schreitet die Differenzierung auch in der Poesie voran. Ein einzelner Dichter, kann das Feld dessen, was probiert worden oder möglich ist nicht überblicken. Kein Kenner, Kritiker oder Literaturwissenschaftler hat für alle Richtungen der Poesie gleichermaßen Verständnis. Leider fehlt im öffentlichen Gespräch über Poesie weitgehend eine Reflexion über die Tendenz zunehmender Fragmentierung. Für einige Tage versammeln sich Dichter und Herausgeber verschiedener Generationen und Szenen aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands in Greifswald und diskutieren gemeinsam mit Literaturwissenschaftlern Probleme, an denen sie aus jeweils unterschiedlicher Perspektive arbeiten. Alle Veranstaltungen sind öffentlich und Gäste sehr willkommen!
Mit Norbert Lange, Bertram Reinecke, Elke Erb, Simone Kornappel, Immanuel Musäus, Dirk Uwe Hansen, Christian Filips, Ann Cotten, Jan Kuhlbrodt, Annette Kühn, Anne Martin, Georg Christoph Rohrbach, Bert Papenfuß, Alexander Pehlemann, Michael Gratz, Kai Pohl, Tom Bresemann, Karl-Heinz-Borchardt, Monika Schneikart, Gudrun Weiland, Eckhard Schumacher, Daniela Seel, Angelika Janz, Martin Holz, Christian Lux, Odile Endres, Irmgard Senf, Ulrike Sebert, Tobias Reußwig, Christoph Georg Rohrbach, Christiane Kiesow, Ron Winkler und Silke Peters
.“

Donnerstag 13.11.2014

Nach einer kurzen Begrüßung und allerlei Grußworten auch begann die Tagung im Falladahaus mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel: Sich selbst neu erfinden. Diskutanten waren die Dichterin Elke Erb und die Dichter Norbert Lange und Bertram Reinecke. Alle drei wechseln von Zeit zu Zeit ihre poetischen Verfahren oder Stile. Wobei zu Erb zu sagen wäre, dass gerade diese ungeheure Beweglichkeit ihr Verfahren ausmacht. Selbstreflexion und Selbstkommentar, ein Verfahren, das von Erb geradezu perfektioniert wird, bestimmten auch den an diesem Abend von ihr vorgetragenen Text.
Lange und Reinecke demonstrierten ihren Umgang mit vorgefundenem Material. Vielleicht kann man sagen, dass bei ihnen Dichtung immer auch das neu sich Ausrichten und Justieren ist.

Am Abend dann gab es eine Lesung von Norbert Lange, Elke Erb, Simone Kornappel, Bertram Reinecke. Kornappel las Texte, die aus einer Konfrontation von lyrischen und grafischen Formen herrühren.


Der Freitag gehörte zunächst der Übersetzung:

Fremde Literaturen

Der Greifswalder Philologe und Musiker Immanuel Musäus eröffnete ihn im Falladahaus mit seinem Vortrag „Pindars Traum“ und mit der Darbietung der gesanglichen Anmutung eines Pindartextes, deren Melodie allerdings eine Erfindung aus barocker Zeit war. Die Melodie stammte von Athanasius Kircher, der sie 1650 entworfen hatte. Dennoch veranstaltete der Vortrag so etwas wie eine Rehabilitation Pindars, indem seine Gesänge rekontextualisiert wurden.

Bei Pindar haben wir die Musik also woanders zu suchen, sagt Musäus, und es wird die Anwesenden nicht wundern, wenn ich sie in der sprachlichen Gestaltung seiner Gedichte finden möchte. Nicht in der Metrik, obwohl das sicher ein dem Adressaten unserer Tagung angemessenes Thema wäre, nein, ich will dem Fortbestand einer bestimmten poetischen Technik der griechischen Archaik bei Pindar nachgehen, die zwar – wie fast alles in Pindars Dichtung – Bestandteil der rhetorischen Handbücher und Regelpoetiken geworden ist, aber, wie ich denke, noch lohnende Einsichtnahmen in das Funktionieren griechischer Dichtung zulässt.

Mich persönlich beeindruckte das von Musäus dargestellte frühe Einsetzen des wissenschaftlichen Kommentierens künstlerischer Texte. Im Grunde verlief das Auftreten dieser Gattungen (künstlerisch und wissenschaftlich) parallel. Die Rezeption wurde sofort verwissenschaftlicht, also schon von Zeitgenossen Pindars.

Um 10.45 Uhr startete dann im Falladahaus der Vortrag „Untote – Vom Weiterleben antiker Formen und Motive“ von Dirk Uwe Hansen.

Hansen zeigte, wie sich die Antike heute in Texten vergegenwärtigt. Manchmal sogar, ohne dass der Autor des Textes dies bemerkt. Antike Formen sind ein Sediment, das wir wohl nicht mehr loswerden, beziehungsweise, sie sind anhaltend gegenwärtig.

Der Mittag und Nachmittag gehörte den „Übersetzungen“ zeitgenössischer Texte. Beginnend mit einer Podiumsdiskussion im Falladahaus zwischen Christian Filips, Dirk Uwe Hansen und Ann Cotten, an die sich eine Lesung von Christian Filips, Jan Kuhlbrodt, Ann Cotten und Dirk Uwe Hansen anschloss, in der die Genannten übersetzte Texte von Pier Paolo Pasolini, Christian Prigent, Keith Waldrop, Konstantín Kavafis und anderen vorstellten. Allerdings wurden weniger übersetzerische Probleme diskutiert, sondern eher poetische Relevanz. Cotten, die einige revolutionäre englischsprachige Dichter der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts vorstellte, beklagte eine postmoderne Beliebigkeit in der gegenwärtigen Dichtung.

Am Abend fand im Koeppenhaus die Buchpremiere des von Dirk Uwe Hansen und Michael Gratz im Greifswalder Freiraumverlag herausgegebenen Bands „Muse, die zehnte: Antworten auf Sappho von Mytilene“ statt.

Und nach einem Gespräch zwischen Bert Papenfuß, Alexander Pehlemann und Michael Gratz über die Kulturlandschaft der späten DDR performten Pehlemann und Papenfuß unter dem Titel: Sounds’n’Poetry „1648“ - Bert Papenfuß feat. Underwater Agent Alexander Pehlemann


Der Samstag gehörte zunächst der Theorie

Moden – Zeiten – Räume

Zum Auftakt eine Podiumsdiskussion im Falladahaus „Hausse und Baisse - Über Konjunkturen und Moden in der Poesie“. Kai Pohl, Jan Kuhlbrodt, Alexander Pehlemann erzählten von ostdeutscher Herkunft und dem Nebeneinander von Stilen und Traditionen im Staubecken DDR.

Danach um 12.00 Uhr im Falladahaus ein Vortrag zur „Geschichte des Politischen Witzes der DDR“ von Karl-Heinz-Borchardt. (Ein Vortrag, mit dem ich so meine Probleme hatte, da er dem politischen Witz eine gewisse subversive Kraft unterstellte, die ihm meiner Meinung und Erfahrung nach nicht zukommt.)

Um 13.30 Uhr, berichteten unter dem Titel „Experiment Textanalyse“ Monika Schneikart und Gudrun Weiland über Lehrerfahrungen an der Universität Greifswald im Modul Textanalyse, das von Michael Gratz nicht unwesentlich mitgeprägt ist und auf strukturalistische Methoden der Analyse von Literatur zurückgreift.

Zukunft schreiben“ hieß der sich anschließende Vortrag von Eckhard Schumacher, in dem er, basierend auf Ingolds Bemerkungen zum literarischen Einzeiler, gewissermaßen lyrische Readymades analysierte. Sätze oder Sprüche aus zum Beispiel Werbung und Hausbesetzung wechselten in De- und Rekontextualisierung ihre literarischen Qualitäten.

Dem schloss sich eine Podiumsdiskussion an: „Das Zentrum und die Ränder“ - Wie prägt Herkunft Schreibstile und die Wahrnehmung eines Lyrikers in der Öffentlichkeit? Es sprachen Daniela Seel, Angelika Janz, Martin Holz und Simone Kornappel, wobei der Greifswalder Lokalmatador Holz sich in einer antibürgerlichen Pose sehr gut gefiel und so die Diskussion auf die Ränder zentrierte.

Um 18.00 Uhr lasen im  Koeppenhaus die Dichterinnen Odile Endres, Irmgard Senf und Ulrike Sebert der Gruppe tEXTRAbatt, die gewissermaßen die Altersfraktion lyrischen Volksschaffens repräsentierte und sowohl thematisch als auch qualitativ einen weiten Bogen von Heidegger-Lektüre zu Hafenromantik spannte.

Dem schloss sich um 19.00 Uhr die Lesung der jüngeren Generation „Lyrik aus dem Hinterland“ mit Martin Holz, Tobias Reußwig, Christoph Georg Rohrbach und Christiane Kiesow an.

Einen Höhepunkt der Tagung bildete die Lesung um 21.00 Uhr im Koeppenhaus von Daniela Seel, Angelika Janz, Kai Pohl und Ron Winkler. Gerade die unterschiedlichen Temperamente der TeilnehmerInnen machten diesen Abend zu einem Erlebnis.


Am Sonntag, 16.11.2014.  klang die Tagung mit einem gemeinsamen Frühstück im Falladahaus aus. Zum Abschluss lasen Silke Peters und Leonce W. Lupette.  Lupette brachte dabei auch Texte des aufgrund von Krankheit fehlenden Tom Bresemann zu Gehör.

Alles in allem handelte es sich um eine gelungene Veranstaltung zu Ehren des 65. Geburtstags von Michael Gratz. Materialien dazu werden demnächst in der Literaturzeitschrift Randnummer veröffentlicht.

Jan Kuhlbrodt


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