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Percy Bysshe Shelley: Shelleys Traum nach vorn

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Timo Brandt

Ewigkeitens Schwingen an den Versen, rauschend im Moment des Seins


„Ich schwur, was ich vermag, ich würd es weihen
  Nur dir allein – hielt ich nicht diesen Schwur?
  Mit Herzklopfen und nasser Augen Flur
Rief ich in tausend Stunden Geisterreihen
Aus ihrem stummen Grab: Im seherischen Schrein
  Im Streben nach der Liebe Macht
  Durchwachten sie mit mir die Nacht –“

Es ist, wenn man das Gesamtwerk beider betrachtet, ein eher unpassender Vergleich und doch habe ich mich bei der Lektüre dieser Shelley-Ausgabe (erschienen in der wunderbaren Edition Rugerup) öfter an Heinrich Heine erinnert gefüllt, vor allem an seine frühen Langgedichte aus dem Buch der Lieder, an die Traumbilder und Romanzen mit ihren Geistern und Toten und den Umflirrungen von Natur und Schicksal.

Aber wo Heine seinen romantischen Episoden stets Fatalität und Bitterkeit beigibt, ist bei Shelley in jedem Vers eine höhersteigende und unverhohlene Neigung zum Alles oder Nichts präsent (wie sie der englischen Romantikdichtung allgemein eigen ist) – ein Langen nach der unbedingten Transzendenz, die aus dem Physischen aufsteigt und sich ganz und gar im Geistigen niederschlägt, wodurch beides der, sie verbindenden, Ewigkeit zustrebt. Oder diese Ewigkeit zumindest „schauen“ kann.

„Imagination! von Erd und Himmel her
Und aus tiefster Menschenphantasie
Füllst, im Widerschein von tausend Prismen,
Das Universum hell strahlend Du …“

Shelley, bereits mit 29 Jahren verstorben, gehört in Deutschland zu den eher unbekannteren englischen Dichtern; er ist eines der seltenen Beispiele, bei denen das Werk eines Mannes im Schatten des Werkes seiner Frau steht – oder besser gesagt: dem popkulturellen Verschnitt dieses Werkes. Hört man den Namen Shelley, denkt man wohl zuerst an Mary und an das Ungeheuer Frankenstein.

Aber allgemein sind die englischen Romantiker in Deutschland, meines Wissens, nicht sehr populär – was vielleicht daran liegt, dass Deutschland eine eigene bedeutende romantische Bewegung hatte, vielleicht auch daran, dass es im Zuge dieser Bewegung vor allem Shakespeare war, der in deutschen Landen bekannter wurde, weshalb die damals aktuellen englischen Dichtungen nicht in den Fokus gelangen konnten.

William Blake, John Keats, Samuel T. Coleridge und auch Percy Bysshe Shelley sind zwar durchaus der Gegenstand von essayistischen Betrachtungen, ihre Gedichte aber werden wenig rezipiert; von Colerdige und Shelley gibt es keine nennenswerte Ausgaben der poetischen Werke, die noch erhältlich sind. Wobei in puncto Shelley die Lücke mit dieser Edition nicht abschließend geschlossen wurde, aber doch fürs erste sehr gut ausgefüllt.   

„O Welt! O Zeit! O Leben
Auf deren letzten Streben
  Ich steht, zitternd vor dem, wo ich zuvor;
Wann kehrt zurück der Jugend Glanz und Weben?
           Nicht mehr – Oh, nimmermehr!“

Ich erwähnte schon: alles oder nichts. Im Kern der Versuch einer Erschließung des ganzen Kosmos. Shelleys Dichtung will singen von den höchsten Dingen, Alpha und Omega einschließen. Der Flügelschlag, der Atem des Versgerüstes kann gar nicht schwer und stark genug sein, die Spanne der Begriffe und Bilder in Bezug auf „life‘s rise and fall“ nicht groß und heftig genug.

Und dennoch ist diese Dichtung im Einzelnen eine ungemein feine Angelegenheit, die noch dem kleinsten Gegenstand, dem Bild eines flüchtigen Gedankens, gerecht werden will. Wie ein gewaltiger Wind rast sie durch den Baum des Lebens und lauscht nach, wie jedes einzelne Blatt klingt, wenn es rauscht. Euphorisch schwingt das Gedicht sich hinauf zur Epiphanie, aber gleichzeitig ist da diese behutsame Musik in den Reimen, den kleinen Pausen, dem Zögern; den Bildern, die aufgehen wie Blüten.

„Like clouds in starlight widely spread, –
Like memory of music fled, –
Like aught that for its grace may be
Dear, and yet dearer for its mystery.“

Der Herausgeber und Übersetzer Erich F. Engler hat den Band sehr schön komponiert und führt uns über die verschiedenen Stufen von Shelleys Werk zu den Essenzen seines Schaffens, zeigt uns alle Facetten. Die imaginativen Naturgedichte, die ganz am Anfang stehen, mit ihren glimmenden Dämmerungen; dann die Liebesgedichte, sowie die politischen Lieder und Sonette, in denen Shelley revolutionsaffine und obrigkeitsfeindliche Gedanken mit Solidarität und humanistischen Idealen paarte.

Höhepunkt des Bandes ist dann einerseits der große Zyklus „Adonais“, eine Elegie auf den Tod von John Keats und andererseits das Langgedicht „Triumphzug des Lebens“, über das der Herausgeber im Nachwort schreibt: „[es] führt die Masse Mensch als Totentanz vom vermeintlich prallen Leben hin zu Tod und Verwesung.“ Auch ein kurzes Stück aus Shelleys opus magnum „Prometheus entfesselt“ ist enthalten.  

Es gibt ein Gedicht von Shelley, dem ich mich besonders verbunden fühle und ich bin froh, dass es in dieser Auswahl ebenfalls enthalten ist; es ist ein konzentriertes und anschauliches Kondensat zu Shelleys Denken über Größe und Vergehen, Aufstieg und Verfall, Sein und Werden: Das Gedicht Ozymandias (griechische, gräzisierte Namensversion des altägyptischen Pharaos Ramses II), ein Sonett, in dem das lyrische Ich von einem Reisenden den Bericht eines Fundes in der Wüste erhält. Auf dem Trümmerstück im Sand, dem der Reisende begegnet, ist eine alte Inschrift noch lesbar:
„And on the pedestal these words appear
‚My name is Ozymandias, king of kings
Look on my works, ye Mighty, and despair!‘

Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.

Und auf dem Sockel stehet dieses Wort:
‚Ozymandias der Könige König lebt:
Ihr Mächtigen erbleicht an diesem Ort!‘

Nichts ist geblieben dort. Um den Verfall
 Des Steinkoloss erstreckt sich fort um fort
Der flache Sand im leeren Widerhall.“
Anhand dieses Gedichts lässt sich auch gut über die Übersetzung sprechen. Engler ist alles in allem an vielen Stellen eine gute Übertragung von Shelleys Ton gelungen. Die vielen Aspekte des englischen Originals zu vereinen ist keine leichte Aufgabe und Engler geht stets akkurat vor, sucht eine Balance zwischen den wichtigsten Merkmalen herzustellen.
 
Einzig zu bemängeln ist, dass es wenig Glanzmomente gibt, in der die Übersetzung nicht nur akkurat etwas wiedergibt, sondern eine ganz und gar eigene Intonation für die Aussage findet. Dies als Makel anzumerken klingt ein wenig vermessen, und eine Übersetzung, die sich demütig gegenüber dem Original zeigt, ist einer zu freien Übersetzung allemal vorzuziehen (vor allem, da eine Übertragung im besten Fall als Hilfe und Unterstützung für die Lektüre des Originals dient.)
 
Dennoch habe ich mir manchmal gewünscht, die Übersetzung würde etwas eigensinniger agieren; nicht fahrlässig oder ungenau, aber mit Mut zur Variation ihrer eigenen Gewichtung.
 
Auch wenn der Reim für Shelleys Dichtung natürlich elementar ist, hätte ich es z.B. schön gefunden, wenn bei dem einen oder anderen Gedicht der Reim im Deutschen weniger akkurat eingehalten worden wäre; vielleicht hätte man auch versuchen können, ihn hier und da gänzlich wegzulassen. Das könnte beim Ozymandias-Gedicht beispielsweise so aussehen:
 
„Und auf dem Sockel finden sich folgende Worte:
‚Mein Name ist Ozymandias, König der Könige:
Betrachtet mein Werk, ihr Mächtigen, und verzweifelt!‘
                        
Nichts war geblieben sonst. Um die Reste
des Steinkolosses Wrack, grenzenlos, nackt,
der einsam-ebene Sand, bis zum Horizont.“
             
Eine Beschäftigung mit Shelley (und Keats, Coleridge und Blake) lohnt sich, auch abseits aller, manchmal etwas bemüht herangezogenen, Aktualitätsbezüge. Denn ihre Gedichte suchen nach jener Macht in der Schönheit und der Vergänglichkeit, die in unseren Zeiten unverändert wirkt. Jener Macht/Kraft, der es gelingt, uns auf geheimnisvolle Art zu berühren, zu bewegen, umzutreiben, anzustacheln, aufzurichten, zu verwirren. Eine Kraft, die in uns Sehnsucht und Bewusstsein stiftet, auf denen wir, trotz Sterblichkeit und Mühsal, unseren Glauben an einen Sinn oder zumindest einen Ruf des Lebens errichten.

„Es bleibt sich gleich – Denn Freude oder Sorgen,
  Der Weg von beiden ist noch unbekannt:
Des Menschen Gestern niemals gleicht dem Morgen;
  Und nur der stete Wandel hat Bestand.“
     

Percy Bysshe Shelley: Shelleys Traum nach vorn. Ausgewählte Gedichte. Englisch/deutsch. Übersetzt von Erich F. Engler. Berlin (Edition Rugerup) 2017. 160 Seiten. 22,90 Euro.
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