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Patrick Beck: Das Skelett des Moments

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Jan Kuhlbrodt


Zu Patrick Beck



Vielleicht hat es etwas mit Dresden zu tun, oder mit Ostsachsen, mit dieser merkwürdigen Mischung aus vergangenem KuK-Einfluss und sächsischem Barock, dass hier immer wieder Texte entstehen mit einem merkwürdig gebrochenem Verhältnis zum Gegenwärtigen. Texte die einen kosmologischen Zugang suchen zu dem, was wir Welt zu nennen gewohnt sind. Jayne-Ann Igel und Volker Sielaff sind Vertreter dieser tastenden Forschung und eben auch Patrick Beck. Vielleicht kann man von einer neuesten sächsischen Schule sprechen.

Gut, man muss den Referenzrahmen etwas ausdehnen, denn Beck ist im westsächsischen Zwickau geboren. Der Heimstadt Thomas Münzers. Auch hier läge vielleicht ein Link zur allerdings wesentlich kämpferischeren Mystik. Die Texte allerdings, auf die ich ziele, zeichnen sich eher durch einen sanften Weltzugang aus. Durch einen Zugang eben, und nicht durch einen Zugriff. Vielmehr als der Westsachse Müntzer scheint mir der Ostsachse Böhme Pate zu stehen.

Also ist der Himmel das Herz der Natur. Darinnen alle Kräfte sind, wie in Sternen und Elementen, und ist eine weiche und sanfte Materie aller Kräfte, gleichwie das Hirn im Haupt des Menschen … schreibt Jakob Böhme in Aurora oder Morgenröte im Aufgang.

Nun hatte Böhme das Göttliche Wesen noch als Gewähr für seine Betrachtung, wir müssen wahrscheinlich lernen, ohne es auszukommen.

Patrick Beck hat in der Lyrikedition 2000, die von Florian Voß betreut wird, einen Band vorgelegt. In einem namenlosen Text darin heißt es:

… und ich breitete die Arme aus, musste lernen hier oben zu stehen, lernen mich hier oben zu halten, musste lernen hier wieder zu beginnen

Das Skelett des Moments heißt dieser Band mit Prosagedichten, und in der Wahl der Form, die sich an die Novalissche weltzugewandte Phase der Romantik anschließt, scheint mir Beck sein Programm gefunden zu haben. Man kann diese Texte als Etüden, als Einübung einer kosmologischen Weltbetrachtung ohne göttliche Gewähr lesen. Und eben auch als Momente des Gewahrwerdens einer Verlorenheit im Unendlichen.

Schon der Titel verweist auf eine paradoxe Situation, als könne das Verschwindende, das einen Moment ausmacht, sich erhalten, etwas hinterlassen, das seine tragende Hülle war. Entlang dieser Paradoxie hangeln sich dann auch die Gedichte.

Das heißt aber nicht, dass sie sich ihre Sujets nur im Abgewandten, Kleinen oder auf Waldspaziergängen suchen, das sicher auch, aber uns begegnen auch Polarstationen und Raumschiffe. Patrick Becks Erde ist urban, und dort, wo es keine Bushaltestelle gibt, erfindet das Lyrische Ich eine. Die urbanisierte Welt jedoch bringt auf ihre Weise eine zweite Natur hervor, die obzwar Menschenwerk, doch genauso weit und undurchdringlich ist, wie die sogenannte erste. Man könnte sie als unbegriffen und offen bezeichnen. Und diese Unbegriffenheit öffnet erst Raum zum Staunen, zum Spiel, aber auch zu Angst und Ehrfurcht.

Das Kabel
Strommasten stehen am Weg. Ich balanciere auf dem Schatten des Kabels. Er schwankt im Wind. Ich breite die Arme aus.


In allem, was er schafft, und vor allem in dem, was er selbst hervorbringt, bleibt der Dichter Beck das staunende und bedrohte Kind.


Patrick Beck: Das Skelett des Moments. Gedichte. München (Allitera Verlag - Lyrikedition 2000) 2015. 96 Seiten. 11,90 Euro.

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