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Otto Roeld: Malenski auf der Tour

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Kristian Kühn

Soziale Melancholie


Malenski auf der Tour ist ein Roman, der einzige Roman des Kaufmanns, Journalisten und Schriftstellers Otto Rosenfeld. 1930 hat er ihn unter dem Pseudonym Otto Roeld im Erich Reiß Verlag veröffentlicht und erhielt dafür sogar Aufmerksamkeit von Gottfried Benn und Kurt Tucholsky.

„Unter den Büchern, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, hat mich dies besonders berührt.“ „Ein Buch, das ganz durchdrungen ist von einer grossen sozialen Melancholie, aber gleichzeitig auch von einem Kampf gegen eine unzweckmässige Trauer darüber.“
                                                                       (Gottfried Benn, 1930)

»Was ist eine Heirat? Ein Lotteriespiel! Was ist die Grundlage für eine gute Ehe? – der Charakter des Menschen! Ein Hustenbonbon gefällig, gnädige Frau? Seit langem leide ich an Verschleimungen. Alles habe ich schon versucht, nichts hat ... « man lese das nach – es ist wirklich schön. Das ist ein lustiges, ein harmlos lustiges und ganz leise ein melancholisches Buch.“
                                                                       (Kurt Tucholsky, 1930)

Das Thema Geschäftsreisender hat, zumindest in der Literatur, fast immer einen melancholischen oder tragikomischen Unterton. Denn ein Vertreter „führt ein Doppelleben: mit den Füßen ist er auf der Tour und mit dem Kopf ist er zu Hause.“

Vielleicht deshalb ist der Roman, sofern man Roelds Art von Prosa Roman nennen will, vom [SIC] Literaturverlag wieder-entdeckt worden. Wahrscheinlich aus drei Gründen, der Text ist stark, vielleicht gerade aufgrund seines verkappten Humors, seiner Sachlichkeit sich selbst gegenüber, seines psychogrammatischen Inhalts. Dann, weil er an einen Verfasser erinnert, der 1892 in eine ostböhmische, deutsch-jüdische Familie hinein geboren wurde und neben seiner kaufmännischen Tätigkeit beim Prager Tagblatt Redakteur wurde, wo er u.a. mit dem rasenden Reporter E.E. Kisch verkehrte. 1941 heiratete er die um 18 Jahre jüngere Kaufmannstochter Hedwig Wetzler, mit der er bereits im Dezember 1942 ins KZ deportiert wurde. Beide überlebten Auschwitz nicht, Roeld etwa 6 Monate nach seiner Ehefrau, am 6. September 1943 – sein Roman wurde von den Nazis schon 1933 als entartet eingestuft und der Bücher-verbrennung anheim gegeben.

Und drittens auch wegen der dekonstruierten Beziehung zwischen dem Protagonisten Malenski und seiner Ehefrau Adele.

In ihrem Nachwort spannt Adéla Rossípalová einen Bogen von dem damals aufkommenden Stil der neuen Sachlichkeit zu dem Text Roelds und begründet die neue Lebensart. Nach amerikanischem Vorbild emanzipieren sich die Frauen, verdienen eigenes Geld, entscheiden selbst über ihre Partner, tragen kurze Röcke, fahren Auto. Die Technisierung des Alltags führt automatisch zur Entromantisierung und Dekonstruktion von Beziehungen. Als Referenzroman dieser neuen Sachlichkeit nennt Rossípalová Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, 1929, ein Jahr vor Roelds Erscheinen als Romanautor. Mit dem ständigen Fortschritt Schritt zu halten, ist auch für Malenski, dem Protagonisten Roelds mit autobiographischen Zügen, nichts Einfaches. Er lebt unter Normdruck – verdrängt die Angst, eines Tages arbeitslos zu sein.

Ständige Selbstkontrolle, Effizienz und eingeübte, erforderliche Kälte übertragen sich schnell auf seine Liebesbeziehung. Malenski will / muss sich auch hier beweisen (wie Franz Biberkopf bei Döblin), will sich und der Welt vormachen, dass er immer noch lebt und Liebeskräfte mobilisieren könnte. Doch Adele bleibt eine introvertierte Frau, die sich seinen Anwandlungen entzieht.

Zwar sind Geschäftsreisende keine Phantasten oder laufen gar Amok, schon gar nicht Malenski, immer auf Tour als Vertreter für Kurz- und Galanteriewaren, mit seinem schweren Musterkoffer, darin 2330 Artikel. Aber er wird zunehmend innerlich zerrissen.

„Man muss grinsen und freundlich tun – das gehört zum Beruf –: denn es geht weiter, ein ewiger Kampf, ein Kampf mit Wind und Wetter, ein Kampf mit den Kunden.“

Erlebnisse kommen hoch, lassen sich nicht verdrängen – Seelendarstellungen, anfangs auch erfreuliche, dann zunehmend schlechtere, er macht sich Gedanken, gute wie düstere, immer noch Façon und Hoffnung wahrend. Wie man sich zu verhalten hat – auch Adele gegenüber. Im Grunde ist der ganze Roman ein Psychogramm von Anhaftungen und Gedankengängen Heinrich Malenskis. Die Tour wird im Grunde nicht real gemacht, sondern im Innern, den Kodex, das eingeschriebene Verhaltensbuch mit Erinnerungen und Beobachtungen und Sorgen füllend, mit Beispielen, dabei sich zugleich den Grundsatz seines Lehrers vergegenwärtigend: „viel Bewegung, wenig Getränke, keine Gedanken – so bleibt man jung, so wird man alt.“

Auch wenn man müde ist und ausgepufft, wenn man trübsinnig in die Luft starrt, bloß nicht mit dem Schicksal hadern! Es wäre Sünde.

Sich einreden, beneidet zu werden! „Trotzdem: wenn es eine Seelenwanderung geben sollte, so möchte Heinrich nicht nochmals Geschäftsreisender werden wollen. Obwohl er doch besser daran ist, als die meisten seiner Kollegen. Aber es gibt Dinge, die alle betreffen, die für alle fürchterlich sind.“

Und daraus erwächst Verunsicherung, Zweifel. Immer wieder führen seine Gedankengänge zu Adele. Er sagt sich: „Alle Wünsche sind im Einst verwurzelt.“ Wie er sie kennenlernte und heiratete.

Doch gleichzeitig sind Erwartung, Neugier und Lebensgier erloschen. Nur der Kodex bleibt, das eingeschriebene Buch.

„Immer aber – jetzt und zu allen Zeiten – wallte eine Sehnsucht in ihm, ein zweites Ich wurde lebendig.“

Dieses bessere Ich gehört Adele. Doch einmal „packte es ihn und er riß sie an sich, brutal, wild, ihm selbst unerklärlich, unergründlich. Und sie ließ alles mit sich geschehen, ganz hingegeben, ganz ergeben, aufgelöst, abseits, ferne der Welt“ – doch sie reißt sich los, kriecht in sich zusammen und stöhnt: Nicht! Nicht! Ich kann nicht.

Es gibt auch andere schmerzliche Erfahrungen, etwa wie ein Mitarbeiter ihm gegenüber vorgezogen wurde – oder das enttäuschte Vertrauen gegenüber einem Neuen – kleine Nadelstiche, aber sie dringen tiefer als er es sich eingestehen würde.

„Ein Lied gefällt ihm besonders gut. Es macht traurig. Aber es erhebt. „Ich wandle wie im Traum einher.“

Plötzlich durchzieht ihn ein „seltsames Empfinden“. Er beginnt zu „hören“. Jedes Wort durch-dringt dann seinen Körper, „das Herz schlägt schneller. Blut steigt in den Kopf, das Unbegreifliche tritt nahe“ –

Seine unterdrückte, ermattete Lebenskraft macht sich plötzlich bemerkbar, da bändigt er sie noch, ballt die Fäuste in den Taschen und will weitermachen mit dem Vernünftigsein. Doch immer wieder muss er an Petronides denken – den stillen Verehrer Adeles. Hat Adele wirklich eine geheime Affäre? Petronides, der Hausfreund – ein Abenteurer?

„Wenn sie zu Dritt beisammen sind – allzu oft kommt es nicht vor – dann fühlt Malenski deutlich, daß es ihm nie gelingen wird, solche Menschen, wie es Petronides ist, zu begreifen. Denn Petronides ist nicht zu packen, nein, er ist fast erbarmungslos in seinem versteinerten Wesen. Adeles Laune wechselt in seiner Nähe.“

Nun wird er sich seiner Liebe bewusst. Er verzeiht, doch je mehr er dies tut, desto unglücklicher wird er. Und schwankt. Nein, er wünscht ihm nichts Böses. Es ist nur ein Einfall. Rache, Rache, dröhnt es in ihm.

Er überlegt – er würde läuten, nein, die Tür einrennen. Petronides bei ihr, ein Schuss, Blut.
„Nicht so.“

Er hat ihn bei der Kehle. Ein verzweifeltes Röcheln – es ist geschehen.
„Nicht so.“

Er sieht sich bereits vor Gericht.
„Nein. Vornehmer. Stärker. Wirkungsvoller.“

Er will von Petronides eine Erklärung als Gentleman. „Besser so.“ Oder mit Adele sprechen, nur mit ihr. Er sei ja schon ruhig. Er wolle nur Abschied nehmen.

Eigentlich läuft er auf die Wohnung zu, aber plötzlich sieht er sich außerhalb der Stadt. Die Wildheit erlischt. Kein Selbstmord, kein Schlussstrich!

Anfang und Ende: „Es ist nichts geschehen – man muß vernünftig bleiben.“ Und wieder auf der Tour sein!


Otto Roeld: Malenski auf der Tour. Mit einem Nachwort von Adéla Rossípalová. Aachen, Berlin ([SIC] Literaturverlag) 2018. 137 Seiten. 13,00 Euro.
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