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Oswald Egger: Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse

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Jan Kuhlbrodt

Die Monade denken


Und folglich verspüren alle Körper alles, was sich im Universum ereignet.
Leibniz: Monadologie § 64

Das Entfalten. Das ist gewiss nicht das Gegenteil der Falte,
noch auch deren Auslöschung, sondern die Kontinuierung
oder Ausdehnung ihrer Tat, die Bedingung ihrer Manifestation.

Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock.



Vielleicht sollte ich mit folgender Anekdote beginnen: In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts studierte ich Politische Ökonomie an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Es war ein Ausweichstudium, denn wie Leibniz einige Jahrhunderte früher, wurde mir ein Studienplatz an der Philosophischen Fakultät verwehrt. Jedes Jahr wurden wir Studenten verpflichtet, an der Demonstration zum 1. Mai teilzunehmen. Der FDJ-Sekretär gab Zeit und Treffpunkt bekannt. 9 Uhr 30 am Lampenladen vor dem Goethedenkmal an der Universität. Der Lampenladen war uns wohl bekannt. Und davor stand auch ein Denkmal, aber die Figur, die auf dem Denkmal stand, stellte nicht Goethe, sondern Leibniz dar. Die Locken hatten den FDJ-Sekretär wohl verwirrt.


Worin das Denken ein Bilden von Bildern ist, werden nicht äußere Verkettungen in diesem Fadenschein aufzufassen sein, sondern die Beziehungen müssen komplementär wie Hohlformen und Vollformen etwas wie zu einem Bändertanz verschränktere Gedanken Kreisenderes sein.


Unter dem Titel Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse legt der Dichter Oswald Egger ein Buch vor, das auf Leibnizlektüren beruht, und Texte anderer, die auf Leibnizlektüren beruhen; man könnte es, um die Nähe des Dichters (und auch des Philosophen) zur Mathematik zu betonen, als Exponentiallektüre bezeichnen. Aber die Sichtachse wird nicht ins Unendliche gezogen, linear, sondern auf sich zurückgebogen.
In sich schlingend alles Spiegelungen und Kontakt. Die Leibnizsche Monade hat hier eine spiegelnde Hülle. Spiegelkontakt heißt aber, alles ist auf sich zurückgeworfen. Paradoxerweise will man das von Innen denken. Harter Tobak, denkt der Philosoph in mir und bewundert den Dichter, dessen Gedanken leichtfüßig um das Nichts kreisen.

Entweder ich luge durch und durch die Lücken in die Wirklichkeit und zähle keine Welt, oder die gegenständliche existiert nur in Ungegenwärtigkeiten – nicht für mich: “Monade“ ist ein Loch durchs Nichts, das ist, und die Gegenwart des Jetzt istert wie ein Loch durch ein Loch in einem Loch, das selbstverspiegelt ausgefüllt – fehlt, d.i. unentwegt auseinanderfalzend widersteht.


Wer Sätze wie diesen mag, ist in dieser Lektüre gut aufgehoben. Die Wahrheit dieser Sätze, wenn es eine solche gibt und Wahrheit überhaupt, liegt nicht in der Nüchternheit ihrer Aussage, nicht im Argument, sondern im Ornament, und vielleicht ist der Barockphilosoph Leibniz gerade deshalb der Gewährsmann einer Gegenwart, die wir die unsere zu nennen gewohnt sind. Auf anderer Ebene ist er es ohnehin, denn Leibniz hat das duale Zahlensystem entworfen, ohne das es keine Digitaltechnologie gäbe. Wenn auch nicht, um der Computerindustrie den Weg zu ebnen:

„Zu Beginn des ersten Tages war die 1, das heißt Gott. Zu Beginn des zweiten Tages die 2, denn Himmel und Erde wurden während des ersten geschaffen. Schließlich zu Beginn des siebenten Tages war schon alles da; deshalb ist der letzte Tag der vollkommenste und der Sabbat, denn an ihm ist alles geschaffen und erfüllt, und deshalb schreibt sich die 7 111, also ohne Null. Und nur wenn man die Zahlen bloß mit 0 und 1 schreibt, erkennt man die Vollkommenheit des siebenten Tages, der als heilig gilt, und von dem noch bemerkenswert ist, dass seine Charaktere einen Bezug zur Dreifaltigkeit haben.“


Aber bei Egger geht es weniger um das Zahlensystem, sondern vielmehr um die Gedankenbewegungen. Und die daraus sich entwickelnden Wortkaskaden. Die Erkenntnis, die in Eggers Sätzen blüht, ist selten direkt, benutzt zuweilen einen Binnenreim. Erkenntnisreim als Ereignis. Ein Reimnis?

Und in Eggers Zeichnungen, die sich im Band verteilen, ist es als erschiene die Monade als Bastelanleitung. Als Selbstmontagesatz. Aber der Bausatz ist hier ein Satz, der Orientierung verspricht in der Konstruktion.

Unabhängig – ungefesselt – vom Um und Auf gefasst im Wollen, Streben oder unbesonnen vorbewußten Drängen: Nicht im Ausmaß der Form, im Verlangen nach Ausdehnung verstreben sich  Werden und Vergehen der Domäne – selbanderm Schlag – verbunden ineinander – als Daemon quasi – die Monade.


Man muss sich darauf einlassen. Aber wenn man es tut, gerinnt dieser Text zum Ereignis.


Oswald Egger: Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse. Berlin (Matthes & Seitz - Reihe: Fröhliche Wissenschaft) 2017. 183 Seiten. 16,00 Euro.

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