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Nico Bleutge: nachts leuchten die schiffe

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Timo Brandt

Der seidene Faden, gesponnen, gesponnen


„schmiegen, sich falten, die wechsel laden in der nacht
durch eine öffnung gehen, nah am umsäumen

von karten, längst fälligen pflanzen. gib mir ein ei mit
über die alpen, frisch geschmuggeltes grün. schleich-

waren, schleppgeräusche. wie das schmeckt
im sperren der wege, dicht am rande stehen. kriech

weiter. mond. johannistau. was das für fäden sind“
                     
Ich bin immer sehr froh, wenn Nico Bleutge einen neuen Gedichtband herausbringt. Und dann brauche ich mindestens ein halbes Jahr (diesmal noch länger), um ihn zu lesen. Ich glaube, kaum ein Buch liegt sonst so lange auf meinem Nachttisch, regelmäßig zur Hand genommen, ohne ausgelesen zu sein.

Da ist aber auch jedes Mal die Versuchung, sich nochmal in das Gedicht zu begeben, das man zuletzt gelesen hat, und noch gar nicht mit einem neuen zu beginnen. So viel blieb in der Schwebe von den Eindrücken der letzten Lektüre – dem noch mal nachzuspüren, ist zu verlockend. Ich ziehe also Kreise in dem Buch, umschwirre ein Gedicht in immer größeren Bahnen, bis ich mich aus seiner Anziehung befreit habe – wobei ich manche Gedichte noch Seiten später spüre und doch noch mal zurückkehre: Hatte ich diese eine Zeile richtig in Erinnerung? Und was, wenn …
    Zuhören, lauschen und kein Ende.   

„geruch haben. habe
fähigkeit, etwas zu spüren

sande, das wasser. nachts

die leere luft schlagen

sich auf den weg machen. müssen. im traum
einen schneehasen sehen. als kind“

Zuhören, tatsächlich. Bei Nico Bleutges Gedichten habe ich immer das Gefühl, ich würde ihnen zuhören. Was erst einfach ein schönes Gefühl ist. Ein nachhaltiges zudem. Und außerdem macht dieser Eindruck die Wörter zu wunderbaren Nuancen. Sie weisen einem kein vorgestanztes Blickfeld zu, keinen Rahmen, sondern klingen heran, einzeln, aus dem freien Raum einer Vorstellung, die sich mit ihnen ergibt, aber die durch sie auch wieder vage wird, in der Schwebe bleibt. Als wäre ihr Gewicht genauso schwer wie der Schlag ihrer Flügel.

Dieser nuancierte Stil bringt mich erstaunlicherweise dazu, nicht nur die einzelne Silbe in ihrer Deutlichkeit aufzunehmen, er vermittelt mir auch das Gefühl, dass die Gedichte etwas Ganzes sind, voll, wie ein Gemälde, zu dem man natürlich Sachen noch hätte hinzufügen – oder manche Motive weglassen können, das in seiner Komposition jedoch letztlich rund und stimmig ist, im Ganzen und in jedem bemerkenswerten Detail.

„wie der geist einbläst, das gefunkel
scharrig wechseln kann, und brei kochen, aus dem nebel
etwas wie goldtinte machen. centner-schwere kristalle
die stundenlang pickern und flackern […]
kletterig, dass man die gegenstände
doppelt sieht. verschoben. gegen wände, aus schnee und
metall. als solle nicht ein stäubchen bleiben.“

Die Motive in den Gedichten haben sich meiner Meinung nach seit dem letzten Band nicht wirklich verändert – vielleicht haben heftigere Kontraste auf der klanglichen Ebene etwas zugenommen.
    Landschaften breiten sich aus – des Geistes, der Natur, ineinandergreifend: Augapfel, Gehirn und Körper reiben sich an den winzigen und größeren Erscheinungen des Daseins, sind gewahr, dann wieder Gebärde, treiben dann und wann auf der Sprache wie Blätter, die vom Baum gefallen sind.

Immer ist Bewegung drin, aber keine zügige, oft nicht mal eine beabsichtige Bewegung. Eher die Bewegung, die entsteht, wenn man „mond“ sagt. Wenn man sagt „nachts leuchten die schiffe“. Eine Bewegung, die da ist, weil immer etwas passiert, weil das Universum in seinem kleinsten oder größten Teil immer noch etwas mit dir macht, sanft und unsanft zugleich, ohne Rücksicht, aber nicht selten mit einer Feinheit, die Bleutge unnachahmlich herausarbeitet.

Alles wirkt wie von einem seidenen Faden gesponnen, dünn und doch nachdrücklich und mit jedem Millimeter Faden wird die ganze Struktur fester, genauer.

„eine zeitung nehmen, eine schere, gleich nur noch landstraßen,
landschaft. rotes moos. schon als kind so gegangen. erdzunge, dünnes knistern
was erst nach dem lichtanzünden beginnt. die bewohner des vorwerks
die schon tief in den mauern gewühlt haben“

Und so könnte man noch weiter schreiben. Über die Funken, die manche Wörter schlagen, und wie die endlose Zündschnur, welche am Ende in dir endet, noch weiter geht in dir.

Man kann es eigentlich sehr einfach zusammenfassen: der neue Band von Nico Bleutge ist mal wieder ein überwältigendes Erlebnis. Ein Ort, an dem man lange verweilen kann und will. Es gibt viel schöne Lyrik, die aber letztlich ganz oder zum größten Teil Oberfläche ist. Nico Bleutges Lyrik ist wie ein See in der Nacht: sie spiegelt schon mit ihrer Oberfläche einiges, ist aber auch in jeder Hinsicht tief.

„wenn du dir nur
die federn nicht verbrennst.
der matsch, der ofenklang.
du wartest hier und
rührst dich nicht vom fleck.

morellenfeld, das
könnte sein. nur für den fall
dass du dich wundern
solltest“


Nico Bleutge: nachts leuchten die schiffe. Gedichte. München (C.H. Beck) 2017. 87 S. 16,95 Euro.
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