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Michael Krüger: Umstellung der Zeit

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Dirk Uwe Hansen

Man weiß nicht, ob man dazugehört



Wohl nur selten wird das Erscheinen eines Lyrikbandes von so großer medialer Aufmerksamkeit begleitet wie dieser, auch wenn die Aufmerksamkeit, die Michael Krügers neuem Gedichtband „Umstellung der Zeit“ zuteil wird, sicher eher ein Kollateralnutzen der Berichterstattung über sein Ausscheiden als Verleger des Hanser Verlages ist. Und wenn auch die Menge der Beiträge zu diesem Wechsel in der Verlagsspitze der Bedeutung der Verlegerpersönlichkeit M.K. angemessen ist, so scheint mir der bisweilen ins hymnische gesteigerte Ton einiger Artikel mehr unserer eigenen Nostalgie geschuldet zu sein. Ein Verleger, wie es ihn kaum noch gibt, ein Unabhängiger im Reich der Verlagsgruppen und Aktiengesellschaften, einer, dem die Bücher mehr am Herzen liegen als die Bilanzen, der lieber mit seinen Autoren Rotwein, als mit seinen Aktionären Champagner trinkt... Aber lassen wir das! Der Lebensleistung eines Menschen werden wir nicht dadurch gerecht, dass wir ihn zu einem Stereotyp verklären, und mit Nostalgie machen wir die (Verlags)welt nicht besser.¹
Überhaupt ist Nostalgie keine gute Begleiterin bei der Lektüre dieser Gedichte, gerade deswegen, weil sie es uns so leicht machen, in ihnen einen nostalgischen, bisweilen resignativen Ton zu hören.

Glück
Wie die Lupinen riechen,
die Schafgarbe nach dem Regen,
der Knöterich, den der Stein
nicht hergeben will.
Es dauert zu lange,
bis man zurückgeschickt wird
in die Kindheit,
als die Worte Zeit hatten,
ihren Reichtum zu zeigen.
Eine späte Erkenntnis,
durch Schwäche gewonnen.
Würdest du mir jetzt
eine Saubohne zeigen,
ich würde tot umfallen
vor Glück.

Viele der hier aufscheinenden Themen durchziehen den Band: die Unmöglichkeit, einen Natureindruck, einen Geruch zu schildern (sei es der von geschlagenem Holz, frisch gefallenem Schnee oder von Pflanzen nach dem Regen), die unwiederbringliche Kindheit („die Zeit vor der Erfindung der Scham…“), die Schwäche im Alter, und immer wieder das Unvermögen der Worte („...Die letzten Seiten / leer...“). Wir könnten den Sprecher der Gedichte leicht für einen resignativen Betrachter der Welt in der Natur halten („Mein Apfelbaum / trägt wieder Früchte, und alle / sind ungenießbar und schön.“); aber da ist immer wieder auch ein anderer Ton, irgendwo zwischen Neugier und Trotz, den wir dabei leicht überhören könnten: („Und gibt es wirklich / fünfzig Wörter für Licht?“; „Ich bin jetzt achtundsechzig Jahre alt / und kann mich nicht entscheiden. / Ende Oktober wissen wir mehr.“)
Form und Ton der Gedichte sind bewusst schlicht, nur selten finden sich Einteilungen in Strophen, scheint einmal ein Rhythmus auf, wird er alsbald wieder abgebrochen. Auch hier sind wir in Gefahr, uns auf diesen Ton als einen Plauderton einzulassen und wie in einem schweren Ledersessel im Arbeitszimmer des Autors sitzend mit ihm aus dem Fenster in den Garten hinaus zu sehen, wie im ersten Gedicht der Sammlung, oder hier:


Setzlinge
Heute wurden unsere zwei Agaven
zurückgebracht, die den Winter über
in einer Gärtnerei um die Ecke
in Pension waren, in einem Treibhaus
zusammen mit vornehmen Pflanzen,
wie sie in unserem Viertel geschätzt werden.
...


Streng hingegen ist die Einteilung der Gedichte in vier Kapitel zu jeweils fünfundzwanzig Gedichten; die Kapitel sind numeriert und statt mit Titeln mit Zitaten als Motto versehen, die auf Trauer, Tod, Vergeblichkeit und Auflösung verweisen – und wieder will man als Leser darin einen Hinweis erkennen auf eine resignative Altersbilanz, letzte Worte nachgerade, und übersähe dabei doch, dass „das Jahr eins nach dem Tod der Birke“ eben auch ein Aufbruch sein kann.
Auffällig ist, wie häufig sich Motive und Formulierungen über die Kapitelgrenzen hinweg wiederholen. „Gekrümmt wie ein Fragezeichen“ etwa, und immer wieder der Apfelbaum der seine ungenießbaren Früchte trägt, eine tote Amsel im Garten, Lupinen als Chiffre für Kindheitserinnerungen, Bücher (geschriebene und ungeschriebene), Hotels, Träume. Auch das Dichten selbst wird zum Thema und immer wieder gelingen Krüger schöne Formulierungen (auch mit dem Mut zur Sentimentalität), wie in „Schlaflos“:


Die Reisenden schlafen, keiner merkt
daß einer ausgestiegen ist.
Der steht jetzt an meinem Fenster,
um aus einer ungehorsamen Seele
ein kostbares Gefäß zu formen.


Vielleicht weil es der Gedichtband eines Verlegers ist, hatte ich nach der ersten Lektüre das Bedürfnis, vom Leser zum Lektor zu werden und mir aus dem Material der hundert Gedichte eigene, kleinere Sammlungen zur zweiten Lektüre zusammenzustellen mit Pflanzengedichten, Tiergedichten, Gedichten über das Dichten, in Hotels geschriebenen Gedichten..., oder doch am liebsten nur eine, die auf die Doppelungen verzichtet und aus diesen Gruppen jeweils eines oder zwei auswählt. Dieses wäre sicher dabei:


Strand-Café
Das Café hat noch geöffnet,
auf den schon angeketteten Stühlen
sitzen die Toten und trinken Wein
auf unsere Kosten. Ein paar Häuser,
aus dem Meer gefischt, schauen zu.
Ein Bettler sammelt Münzen ein
und wirft sie den Toten zu als Opfer.
Aus der Bar fällt ein schmaler Streifen
Licht bis zum Meer,
auf ihm gehen die Toten davon
übers Wasser. Wir bleiben sitzen,
bis sich der Tag die Augen reibt.



¹ Das allerdings, nämlich die Verlagswelt besser zu machen, ist gar nicht so schwer; denn es gibt ja noch Verleger_innen unabhängiger Verlage, die großartige Bücher herausbringen und gar noch selbst solche schreiben. Kaufen wir ihnen doch einfach Bücher ab, bis ihre Verlage so groß wie Hanser sind.


Michael Krüger: Umstellung der Zeit. Gedichte. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2013. 117 Seiten. 18,95 Euro.

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