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Maria Seisenbacher: Zwei verschraubte Plastikstühle

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Gerrit Wustmann

Ein schmaler Streifen Welt
Maria Seisenbachers zweiter Gedichtband


„Zwei verschraubte Plastikstühle“ - nein, das ist kein Kabarettprogramm, das sich mit Ikea und Co. beschäftigt. Sondern der Titel von Maria Seisenbachers zweitem Lyrikband, unlängst in der Wiener Edition Atelier erschienen. Ein Titel, über den man auf angenehme Weise stolpert, wie schon über den ihres ersten Bandes „Ruhig sitzen mit festen Schuhen“ (2015). Sind das Gebrauchsgedichte? fragt man sich vielleicht? Mitnichten! Seht selbst:

[Zweiter Akt]

im September kam der Sommer
in Form von alten
Frauen, die
Restwärme sammelten,
bis es zu spät wurde
für die Jahreszeit lagen Dinge
zu klar in ihrem Wesen,
offenbarten Risse
und abgeschlagene Kanten
widerstandslos zeigte der Himmel
seine Wunden

Der erste Akt sei hier nicht zitiert, aber wer das Buch liest wird sehen: Da fügt sich etwas, greift ineinander. Es ist nicht das einzige Gedicht in dem schmalen, elegant gestalteten Bändchen, das auf ein anderes verweist. Aber es ist, deswegen wohl auch auf dem Buchrücken zu finden, typisch für die Richtung, die die Autorin ihren Versen gibt. In fast allen Gedichten flimmert eine spätsommerliche Atmosphäre, Dämmerung, Wärme und ein nostalgisch-liebevoller Blick auf die Kindheit, mehr noch: Das Wahrnehmen, das in sehr jungen Jahren so anders ist als später, wenn Abgeklärtheit die Verwunderung, Neugier und den offen schauenden Blick ablöst. Dass ein Schuss Melancholie einbricht, macht die meist recht kurzen Texte mit ihren verwinkelten aber eingängigen Formen umso lesenswerter. Auch im Winter.

Maria Seisenbacher, Jahrgang 1978, ist dabei, sich auch über die Wiener Szene hinaus einen Namen als Lyrikerin zu machen, hat Stipendien erhalten (zuletzt das Projektstipendium des Bundeskanzleramts Österreich, mit dem auch die Arbeit am vorliegenden Buch gefördert wurde). Sie hat in renommierten Anthologien publiziert, an internationalen Lyrikfestivals teilgenommen, ist Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift „keine! delikatessen“. Der leise, sanfte Ton ihrer Gedichte dürfte fortan noch stärker wahrgenommen werden. Zumindest ist das zu hoffen.

Viele ihrer Gedichte erscheinen auf den ersten flüchtigen Blick simpel. Doch das täuscht. Es sind gerade die sprachlichen Kniffe, die ihnen einen doppelten und dreifachen Boden verleihen. Man muss sie mehrmals lesen, damit sie sich ganz erschließen, und ziemlich sicher lesen sie sich anders je nach Jahreszeit. Das ist auch in der unglaublich dichten, fast prosaischen Atmosphäre begründet, die der Autorin – oft mit nur ganz wenigen Worten – gelingt, mit denen sie Bilder, Gerüche, Gefühle evoziert. Und es sind die oft so überraschenden wie treffsicheren Bilder:

wie angestrichen fällt
Stille von der Wand

Der Hintersinn steckt mitunter erst in den in stets in Klammern gesetzten Titeln, die ein Gedicht abrunden, zu denen der Blick wieder wandert, wenn man eines gelesen hat, um es dann nochmal zu lesen:

[von der Vorahnung]

es brannte ein zu
Viel als wär die Möglichkeit
in abgesteckten Breiten
und zu bereitwillig lud Landschaft
Ebene auf ihren Rücken
vertiefte Routen
entlegen in der Witterung

Dass der Band derweil auch eine Handvoll schwächere Texte enthält („der Schnee gibt zu erkennen / wo gelebt wird, bleibt / alles in der Spur“) ist da insgesamt nicht weiter schlimm. Welcher Lyrikband existiert schon, in dem sich nur Volltreffer finden? Einer wie dieses kleine Gedicht, das aus dem scheinbar Banalen seine Kraft zieht, das Alltägliche zu etwas Universellem macht:

[von der Welt]

hinter zugezogenen Vorhängen
lauert Unbekanntes
ein schmaler Streifen Welt liegt vor
der Tür
beim Öffnen huscht er
beinahe unverwundet ins Haus

Das Öffnen einer Tür und was sich dahinter findet, das sei abschließend angemerkt, ist ein Motiv, das sich in unterschiedlichen Variationen in diesen Gedichten findet, die ihrerseits eine Tür zu einer sehr feinen Wahrnehmung eben jener Welt sind, die den Blick schärfen für das, was trotz seiner oft unbändigen Schönheit allzu gern übersehen wird ...


Maria Seisenbacher: Zwei verschraubte Plastikstühle. Wien (Edition Atelier) 2018. 64 S. 15,00 Euro.
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