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Maria Barnas: Problemwolf

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Timo Brandt

Die komplizierte Beziehung zur Welt, zur Sprache


„Jaja der Urknall höre ich mich sagen.
Wie passt das nur in meinen Mund.
Alles Entstehen ein Kloß auf der Zunge.“

Eigentlich ist es ja fast schon größenwahnsinnig, Worte wie „alles“, „Nichts“, „Universum“, „Dinge“, „Welt“, „Wirklichkeit“ etc. zu verwenden. Nicht nur in der Lyrik, sondern überhaupt. Wie kann ein einzelnes Wort aus dem Mund eines einzelnen Menschen so etwas Großes, Ungenaues, Umfassendes bedeuten? Darf man denn etwas, das man vermutlich nicht mal mit seinem Geist klar fassen kann, einfach so in ein Wort stecken? Was ist noch Abstraktion, Figur und was schon Reduzierung, eine leere Hülle, bei der ein Inhalt vorgetäuscht wird? Und ist Täuschung in der Sprache notwendig, damit sie zu einem Instrument der Erkenntnis werden kann?

Die Dreiecksbeziehung von Mensch-Sprache-Welt ist in jeder Hinsicht kompliziert; und beruht auf mehr Konventionen, als unserem Selbstverständnis, unserem Wunsch nach Freiheit und Kontrolle lieb ist.
    Sprache kommt immer zu spät, hat Heinrich Böll einmal gesagt. Sprache reduziert die Umstände auf ein vereinfachtes Stadium ihrer Existenz, schrieb Graham Greene. Und die Aussage aus dem Film „Der Club der toten Dichter“ über die Wahrheit, dass sie wie ein Decke sei, bei der man immer kalte Füße bekommt, die immer zu kurz ist, egal, was man tut, lässt sich wohl auch auf die Sprache anwenden. Sprache reicht bis zu einem bestimmten Punkt, steckt ihr Feld ab. Und die Zeit und die Wirklichkeit gehen weiter.
„Aber wer sagt denn dass man eine Brücke vollenden muss
und wo sind die Wörter die ich las.“

Man könnte von einer großen Ironie sprechen, aber eigentlich ist es eine logische Schluss-folgerung: Dichter*innen und Autor*innen haben meist eine gestörtere Beziehung zur Sprache als viele andere Menschen. Wer sich mit einem Ding auseinandersetzt, der lernt, dass es ein Ding von vielen Seiten ist, zumindest von zweien. Und wo es mehr als eine Seite gibt, beginnt die stete Aufgabe der Positionierung, werden Fragen nach Balance, Bewertung, etc. aufgeworfen.

Dieses gestörte Verhältnis mag manchmal eine Hemmung sein, ist in der Regel aber produktiv. Eine interessante Frage ist: versucht jemand, der schreibt, sein Verhältnis zur Sprache durch das Schreiben zu verbessern, oder versucht er, dem Aspekt des Gestörten in dieser Beziehung Ausdruck zu verleihen?
    Maria Barnas ist eine Dichterin, die im Ringen mit der Sprache, mit dem Ausdruck, beides abzudecken versucht: ihren Zweifel an der Sprache und ihren Glauben daran.

Poesie

Ja sagen während des Kopfschüttelns
und es auch so meinen.“
        
Barnas hat bereits drei Gedichtbände auf Niederländisch veröffentlicht, dieser Band fasst nun eine erste Auswahl ihrer Gedichte auf Deutsch (übersetzt von Stefan Wieczorek), zu der Jan Wagner ein (leider etwas uninspiriertes) Nachwort verfasst hat.
 
Sehr früh habe ich mich in dem Band an die Gedichte der polnischen Dichterin Wisława Szymborska erinnert gefühlt. Ähnlich wie bei Szymborska ist auch bei Barnas eine tiefe Skepsis an der Form spürbar, die aber nicht dazu führt, dass das Gedicht auseinanderfällt oder die Form bewusst zerschlagen wird. Vielmehr scheint es so, als würde die Skepsis das Gedicht und seine Sprache modifizieren, Möglichkeiten abchecken, mit denen es der Skepsis begegnen kann. Statt die Form auf offener Bühne infrage zu stellen, fließt die Frage nach der Form in die Gesten, das Arrangement mit ein.

Eine zweite Ähnlichkeit zwischen Barnas und Szymborska ist die Verhandlung von Konkretem, Anschaulichem, in das mit leichter Hand Konfrontatives eingebracht wird.

„Er schreibt kleine Wörter in ein Heft.
Ich darf sie nicht lesen. Und wenn das doch
passiert darf ich nichts darüber sagen.
Auch nicht wenn ich eine Verbesserung habe.
Ich habe mindestens zwei.“

Nicht selten haben diese Konflikte bei Barnas etwas mit den Geschlechtern zu tun, aber auch mit dem Selbst, das sich in seiner Warte vor der Welt glaubt und regelmäßig daran erinnert wird, dass es sich in der Welt befindet, durch sie bewegt, ein Teil von ihr ist. Barnas ist sparsam mit illustrierenden Metaphern, wenn sie aber doch welche verwendet, treten sie manchmal fast übergroß auf.

„Ein Kopf aus Lehm wird in einen Ofen geschoben
und mit Scham so heiß befeuert bis der Kopf hart ist
und die Größe einer geballten Faust hat.

Aber eine Skulptur ist zerbrechlich
und die Welt glaube ich nicht.“
   
Mir gefällt, wie sich ihre Gedichte meist in der letzten Sekunde, bevor sie in einen Trab verfallen und absehbar werden würden, bevor sie zu einer Piste gerinnen, die die Sprache einfach nur hinabrauscht, noch einmal wandeln, indem sie eine kleine Biegung einbauen, einen Irritationsmoment, eine neu aufgeworfene Facette. Dieser Zug verleiht ihnen eine Unruhe und Lebendigkeit. Sie halten eine Seite offen für das Unabgeschlossene.     

„Sie hält das Tablett fest als Rand einer schwindenden
Welt und tritt langsam ins Licht
in dem ihre dunkelfließende Silhouette stehen bleibt

und Tee aufgießt.“

Rätsel aufzugeben ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben von Gedichten. Aber es ist wichtig, dass diese Rätsel nicht wie etwas rüberkommen, das lediglich kryptisch ist. Es muss auch etwas Aromatisches an sich haben. Es darf nicht nur das Rätsel des Anderen, es muss auch das Rätsel des Eigenen in kleinen Ansätzen enthalten. Maria Barnas setzt sich in ihren Texten wiederholt mit kleineren Rätseln des Daseins auseinander und ihr gelingt eben jene Verknüpfung vom Anderen und Eigenen. Ihre Gedichte sind anschauliche Geschichten, Innerlichkeiten, aber sie werfen mit ihren Ansätzen geschickt Erschütterungen auf, die sich weiter erstrecken, bis hinein in die Druckkammern der eigenen Gefühlswelten.

„Er nannte mich Blume. Auch Frühling Sexy Liebste
Liebe Lieb und in letzter Zeit immer häufiger
Liebernicht Achspäter Könntestdubitte.“
     
Die Beziehung zwischen Ich und Sprache und Welt ist, wie am Anfang ausgeführt, eine komplizierte. Die Darstellung dieser Komplexität kann auf sehr verschiedene Art und Weise geschehen (und vielleicht ist die Frage berechtigt, ob ein geschriebener Text in erster Instanz, abseits seines Inhalts, etwas anderes verhandelt als diese Komplexität). Barnas‘ Gedichte erweisen sich immer wieder als Texte, die diese Komplexität auf unwillkürlichen und anschaulichen Wegen erforschen.

„Die Zeit sich sternförmig ausdehnt
zu all den Malen wo die Dinge sich nur mühsam wieder flicken ließen
oder auch nicht. Der Momentverlauf reißt auseinander.
[…]
Die Decke spricht: Ich lache nicht.

Die Wirklichkeit ist eine Rolle Klebeband
hörst du.

Ich kann den Anfang nicht finden.“            


Maria Barnas: Problemwolf. Gedichte. Übersetzt und ausgewählt von Stefan Wieczorek. Düsseldorf (Edition Virgines – Lyrikedition Niederlande 3) 2018. 90 Seiten. 12,00 Euro.
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