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Lisa Elsässer: Da war doch was

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Jan Kuhlbrodt

Ein Missverständnis, das Gefühl betreffend


Wir nahmen den Laut nicht von seiner emotionalen, sondern von seiner technischen Seite.
Das Gemüse, aus dem diese Suppe gekocht wurde, war gemischt.

Viktor Slkovskij: Dritte Fabrik


Zu den Gedichten Lisa Elsässers


Vielleicht liegt es ja an der unhintergehbaren Konkretheit eines jeden Gefühls, dass es sich immer wieder der Beschreibung widersetzt und entzieht. Gefühl fordert, wenn man es darstellen will, enormen sprachlichen Aufwand, lässt tief in die Vergleichskiste greifen oder führt auf sehr abstrakte Höhen. Aber letztlich ist es gar nicht darstellbar. Es generiert Übertragungen und Erinnerungsleistung. Und hier versagt das Kollektiv, das sich sprachlich verständigt, kommt an seine Grenze. Erinnerung ans Gefühl als Memoirenliteratur ist genauso gut Übertragung, Erfindung und Korrektur, also fiktional. Daran mag es liegen, dass Texte, die auf das Gefühl zielen, ihr Heil in der Abstraktion suchen, als wären abstrakte Bestimmungen eine Gewähr für Realität auf einer höheren Ebene.


In den eindringlichsten Momenten von Elsässers Gedichten kommt dieser Mangel der Darstellbarkeit formal zum Ausdruck, als erkundeten die Texte ihre eigene Grenzen. Zum Beispiel im Text Blickfang:


blickfang

das frühe blau im see
wie dein auge im licht
wenn du es doch sehen
könntest mein dunkles
in deinem eine weile wir
ein paar


Vordergründig geht es in diesem Text um eine missglückte oder nicht glücken wollende Paarbeziehung, aber eigentlich ist es ein Text über die Darstellbarkeit oder vielmehr die Unmöglichkeit der unmittelbaren Darstellung eines Gefühls.


wenn du es doch sehen / könntest …  

Vielleicht ist die Dichtung auch gar nicht dafür vorgesehen, aber seit es sie gibt, müht sie sich, zumindest mühen sich Autoren damit ab. Und immer wieder erreichen sie die Grenze, die das sogenannte echte Gefühl von der Kunst trennt. Es ist ihnen hoch anzurechnen. Zumal sie sich durch die misslungenen oder besser vergeblichen Versuche ihrer Vorgänger nicht abhalten lassen. Und weiter mühen sie sich mit Abstraktionen immer auf der Suche nach Konkretem. Alles ist wie etwas.

seltsam

nebel ist es nicht
klare dunkelheit wie
klarheit werden kann
nachts

unter
grinsenden sternen
schlafenden vögeln
dichtet die sphäre

es kann heiter werden
nachtschwärze und klar
in ihr die ängste wohin du
auch langst.


In diesem Gedicht kommen aber auch die Mängel Elsässers Vorgehen deutlich zum Ausdruck. Wenn nämlich ein Gedicht aus Versen besteht, opfert sie diese Struktur hier zuweilen dem Gedanken. klare dunkelheit wie ist nach meinem Dafürhalten kein Vers. Vielleicht gelänge es ja, dem Vorhaben der Darstellung von Gefühl näher zu kommen, wenn Elsässer zu Gunsten der Technik ein wenig vom vorgeprägten Ausdruck preisgeben würde. Zuweilen würde es genügen, wenn sie der Kraft ihrer Verse, die vielerorts spürbar ist, vertraute. Denn es dichtet die sphäre. Dann holte sie die Gedanken der letzten Strophe des zitierten Gedichtes ein, die eine Verheißung sind:

es kann heiter werden … und klar.



Lisa Elsässer: Da war doch was. Gedichte. Zürich (Wolfbach Verlag) 2013. 88 S. 22,- Euro.

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