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Les Murray: Aus einem See von Strophen

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lyrisch gespiegelt zum Rand.
[…] Mimen ist mein ganzes Ich



An diesem ungewöhnlich sommerlichen Donnerstagabend, der auch zu seinen Abendstunden nicht abkühlen wollte, fand sich am 21. Mai trotzdem eine beachtliche Menge von Interessierten im Lyrik Kabinett ein, um den Versen Les Murrays zu lauschen.

Anlässlich seiner deutschlandweiten Lesereise, die er einen Tag zuvor im DAI Heidelberg angetreten hatte und die kreuz und quer durch Deutschland führt, las der australische Dichter Les Murray in Begleitung seiner Übersetzerin und Verlegerin Margitt Lehbert des Rugerup Verlags aus seiner aktuellen Publikation.
Seinen Band »Aus einem See von Strophen«, der hundert seiner Gedichte versammelt und einen Querschnitt durch sein Oeuvre bildet, hat er selbst zusammengestellt.
Der in die deutsche Sprache übersetzte Band enthält zudem Neu- und Erstübersetzungen, aber keine Originale.

In seinem Grußwort beschrieb der Leiter des Lyrik Kabinetts Holger Pils die Gedichte Murrays als Würdigungen an die kleinsten Dinge. Die Gabe des Dichters bestehe darin, das Religiöse und Göttliche in jeden Kontext einzuweben und anzuzeigen, ohne an Boden zu verlieren oder in einen priesterlichen Ton zu verfallen. Die Gedichte, die mit dem australischen Boden verbunden scheinen, thematisieren alltägliche Dinge und besonders Tiere, die jedoch für europäische Leser exotisch anmuten müssen.
Murray selbst vergleiche in einem Interview Dichter mit Farmern; beide seien sie primary producers (Erstproduzenten). Die Lyrik wie die Pflanzen keimen, wenn man dieses Bild weiterführt, von selbst, nur muss man sie zuerst sähen und dann pflegen. So erhalten die Gedichte sowohl Bodenständigkeit als auch, und das scheint beinahe ebenso wichtig, Widerständigkeit gegen Witterungen. In dieser Beziehung, der engen Verwurzelung mit seinem Heimatland, wird Les Murray häufig mit dem im Frühjahr 2013 verstorbenen Lyriker und Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney verglichen, dessen Gedichte direkt aus dem irischen Boden zu entstammen scheinen.



Die Reihenfolge der gelesenen Gedichte ergab sich spontan, was unter anderem auch der ausgeglichenen Art, mit der die Präsenz von Les Murray grob skizziert werden kann, geschuldet war. Die authentische Spontanität und die Gelassenheit des Autors wirkten auf das Publikum und ließen die vielgestaltige Bildwelt stark hervortreten.
Hin und wieder entstanden dadurch kleine Pausen, wenn die beiden Lesenden in den Ausgaben Texte abstimmten. Murray las an diesem Abend aus der englischsprachigen Ausgabe, die kleine Abweichungen enthält. Das führte jedoch keinesfalls zu einer Unterbrechung der besonderen Atmosphäre, die seine Gedichte erzeugten. Im Gegenteil trug dies dazu bei, dass das abendliche Wetter nach dem Gedicht »Dusche« verlangte, wo es heißt:


Dusche (shower)

Aus der metallenen Mohnblüte
kommt dieser gute Trancenstrahl
wie ein Schock, wild strömender, privater Wolkenbruch,
am schlimmsten in einer fettigen Pensionswanne, oder einer Wettkampfbaracke,
am besten in einer Kabine, diese allumfassende Leidenschaft der Australier:
Tropen, die für dich schwitzen, Sturzflut, die dich mit ihrer Hitze stärkt,

[…]
dieser ekstatische Partner, der verträumt in langsamer Umarmung mit dir tanzt
nach Fabrikhallen-Rock, oder selbst nur treffen als Lots abstrahierte
barmherzige Frau auf einem rostigen Schiff in den Hundebreiten,  

[...]

Man hörte alternierend die Gedichte auf Englisch und Deutsch. Die deutschen Passagen wurden von Margitt Lehbert gelesen, die den Abend auch moderierte. Der direkte Vergleich beim Hören zwischen den Gedichten und ihren Übersetzungen machte dabei die besondere Herausforderung, Gedichte zu übersetzen, klar; insbesondere in diesem Fall aufgrund der beinahe onomatopoetischen Gestaltung der Texte.

Besonders einprägsam und poetisch schien der Vortrag des Gedichts »Leierschwanz«, indem Murray die besondere Fähigkeit des genannten Tieres thematisiert, jedwedes Geräusch, das es einmal gehört hat, sogar Schreibmaschinengeräusche, zu imitieren. Mit diesem »Wundervogel« vergleicht sich das lyrische Ich im Text direkt, das die Dinge mimt und in Sprache übersetzt:


[…]
Geschwänzter Mime, äonengesandt, den nächsten Archivar zu betören,
maunze ich Catbird, säge ich Querschnitt, heul ich Dingoweibchen, knicke
Waldstille geprägt vom Bellbird, zwitscher Flötenvogeltreiben, verkette
Viehglocken mit Wasserkochen; ich ordne das skurrile Präsidium der Enten
oder simuliere einen Triller wie ein Rinnsal lyrisch gespiegelt zum Rand.
[…]
Mimen ist mein ganzes Ich.

(Leierschwanz)


Humorvoll fügte Murray hinzu, dass man komischerweise die Sprache nicht imitieren könne, und sagte auch, er könne die Texte des Leierschwanzes, der Schreibmaschinengeräusche imitiert, leider nicht verstehen.  

Margitt Lehbert ordnete zumeist die Reihenfolge der Lesung. Ein Gedicht des Abends wählte der Lyriker jedoch selbst aus. Beinahe wie eine Ballade erzählt es von der beißenden Realität des Mobbings und den schweren Teenagerjahren, der ersten Liebe, die man erst im Nachhinein, im Rückblick erkennt, und man für immer damit allein bleibt. Dieses Schicksal, das Sterben des Mädchens, wird von Murray fast still beschrieben, leicht melancholisch, und die Welt des Hineinwachsens schließt mit den Versen:


Ob andere Hände sich nach Marion ausstreckten oder nicht,
mit neunzehn hatte sie auf der Ausbildungsstation einen tödlichen Unfall
alleine, nachts, erzählten die Leute, mit einer Todesspritze,
und es blieb ihr erspart zu sehen, was meine Schule der Welt antat.


(Brennendes Verlangen)

Der facettenreiche Abend, der sowohl poetologisch als auch thematisch zum Nachdenken anregte, hinterließ einen unaufdringlich starken Eindruck und lässt hoffen, dass Les Murray, der schon das fünfte Mal das Lyrik Kabinett beehrte, alsbald wieder von Tieren, Landschaften und Menschen erzählt, die er auf seine besondere mimetische Art behutsam in den Abend trägt, zum Beispiel:

Qualle (Jellyfish)

Glob- Glob- Glob Globus
umgestülpte weiche Glasschalen
über ulkigen Euter- und Zitzenbatzen
unter der Oberfläche der Sonne.

Katharina Kohm


Les Murray: Aus einem See von Strophen. 100 ausgewählte Gedichte. Übers. Margitt Lehbert. Hörby (Edition Rugerup) 2014. 192 S., 22,90 Euro.

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