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Konstantin Ames: sTiL.e(dir) Sämtliche Landschaften, Welt

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Michael Braun

Dichterwetter is getting better

„sTiL.e(dir) Sämtliche Landschaften, Welt“: Zornige Rhapsodien von Konstantin Ames


In einem seiner schönsten Bonmots hat Theodor Adorno die Dialektik einmal mit der Echternacher Springprozession verglichen. Zwar seien „Einschränkung und Zurücknahme“ nicht das bevorzugte Darstellungsmittel des dialektischen Denkens. Und doch sei diese sprunghafte Bewegungsform, die in der Echternacher Prozession vorgeschrieben ist – ursprünglich drei Schritte vor und zwei zurück, später zwei Schritte seitwärts, abwechselnd nach links und nach rechts – eine Reminiszenz an das Dialektische. Dieser Reminiszenz folgend, darf man auch das formale Movens der wilden Elegien, die Konstantin Ames in seinem neuen Gedichtband sTiL.e (dir) Sämtliche Landschaften, Welt ausbreitet, in die Nähe der Echternacher Springprozession rücken. Ames legt hier – mit ausgeprägtem Sinn für den genius loci - „Echternacher Elegien“ vor, die von polemischer Sprungbereitschaft leben und mit grimmigem Witz den Konformismus des Lyrik-Betriebs aushebeln wollen. Seine sprachspielerisch motivierte Boshaftigkeit trifft die Biedermänner und „Hübschis“ des Betriebs, die fleißig „Baedekersonette“ und „Stiehlübungen“ verfassen und das für eine literarische Großtat halten.

Im Vergleich zum Vorgänger-Band sTiL.e(zwi)Schenspiele ist der Ton noch rauer geworden, die antibürgerlichen Inter-ventionen sind noch rabiater. Auf der nach oben offenen Skala der Verachtung trifft der größte Zorn des Dichters die „Bürgerkinddichter“, die ihr Leiden an mangelnder Subven-tionierung mit dem Ausbau des Schmollwinkels kompen-sieren. Der Autor bevorzugt die Haltung des wilden Sprach-Anarchisten, der mit dem ganzen Register an Wortwitz, antigrammatischem Furor und einfallsreicher Assoziations-kunst gegen eine ideologisch verbiesterte Sprachordnung anschreibt. Seine Elegien, die von ihrer antiken Herkunfts-geschichte her ja als Klagelieder angelegt sind, verwandelt Ames dabei in furiose Zornesgesänge. Sein neues Werk, so merkt der Autor denn auch an, sei „kein Gedichtband sondern eher ein Gedankenbuch, harte Rhapsodie“.

All diese Überraschungsangriffe auf die dominanten Dichter-Strategien sind über weite Strecken durchaus ergiebig. Da wird heftig gegen die traditionsergebenen Kollegen und gegen die „libertäre Halbwelt Freischaffender“ ausgeteilt: „Man quatscht sich seine / prekarisierte Situation von der Seele (was durchaus / pornographische Züge hat) oder ästhetisiert / Pauperisierungs-tendenzen.“ Oder es wird ein hübscher Kalauer herübergereicht: „National besonders wertvolle Lyrik wird im Zentrum für Pobacken aufgehängt.“  Mit der Welt privilegierter „Bürgerkind-dichter“ will dieser Autor jedenfalls nichts zu tun haben:

Kenn ich welche, die nach Osten schaun. Kenn ich welche
Sprechen in Mikrofone. Hübschis. Kenn ich welche,
machen 30 Liegestütz. Kenn ich welche, die Gott (diesen
Bock)
lästern; kenn ich welche, die Lyrik sagen, dann auch
politische Lyrik sagen müssen. Arme Teufel.
        
Freilich lässt sich eine wilde Rhapodie nicht nur auf Ohrfeigen gegen unliebsame Kollegen gründen. Zu den aristischen Beispielen des Bandes zählen daher die Elegien, in denen Ames seinerseits die Tradition der Gattung reflektiert und etwa in seine Invektive wider die „Baedekersonette“ Anspielungen auf Brechts Bukower Elegien integriert. Wenn er zudem den Sprachwitz der von ihm geliebten Galgenlieder Christian Morgensterns mobilisiert und ein furioses Feuerwerk an Assonanzen und Alliterationen aufflammen lässt, erzeugt er im „A vom Ob“ ein hohes Maß an Sprachvergnügen. Die Zauberformel „Bricklebrit“ aus dem „Tischlein deck dich“-Märchen der Brüder Grimm verbindet sich mit Sprachresten aus der DDR-Geschichte und Kinderreim-Fragmenten:

Bricklebrit schrieb ins Brigadetagebuch Britisches
Gemischtes
Ohne Komik oder Komma/ ohne Oberwassercola
Kooperieren
Sprachmanager anders gesagt Hausmeister auch
Hasenrammler
unter Umstände ufert unübersichtliches unscharfes Und
unter
integrierter Iris/ Iris´ Kinderreime (bös gedacht, gute Macht)
….
                  
Seinen ketzerischen Elegien hat Ames einige Collagen und Fotomontagen beigefügt, in die kleine poetologische Selbstporträts eingeklebt sind. Hier hat er auch eine kleine Werbestrecke für einen literarischen Wahlverwandten, den literarischen Anarchisten und Expressionisten Karl Otten (1889-1963) eingebaut. An einer Stelle wird schließlich das „Tüpfelchen auf dem ü des Sürrealism“ annonciert, freilich in der im Band bei Fußnoten oder Quellennachweisen verwendeten Frakturschrift, die im NS-Staat einst als „unerwünscht“ und als „Judenschrift“ aus der Schriftpraxis verbannt wurde. In einem seiner sprachartistischen Manöver kündigt Ames gleichsam contre coeur einen neuen Lyrik-Boom an: „Dichterwetter is getting better“. Umgehend wird dann aber in den freien Terzinen des Gedichts die ironische Verheißung konterkariert und den lyrischen Blättern des Jahres „stille Einfalt und elegische Blöde“ bescheinigt. An „stille Einfalt“ wird sich ein polemisches Temperament wie Konstantin Ames nie gewöhnen.


Konstantin Ames: sTiL.e(dir) Sämtliche Landschaften, Welt. Klever Verlag, Wien 2018. 80 S., 18 Euro
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