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Klaus Anders: Karnevalsgarde oder Die Herzogin von Kamtschatka

Montags=Text
Klaus Anders

KARNEVALSGARDE
oder
DIE HERZOGIN VON KAMTSCHATKA


allegro – wie der Bulle pisst


I

o stolzere trauer


II

Jetzt, da Gedächtnis stückweis
             wie ausgerissene Haarbüschel
mir um die Ohren fliegt
             Male der Zerrüttung
und Vulkane im langen Schlaf Explosionen von Träumen

Wie ein Nilpferd furzte sie los, den Schwanz
als Propeller drehend, das Brausen durchfuhr den Konzertsaal
und alles was lebte erbebte
                     die Loken ergriff es, gegenwärtig
Grashüpferleicht
sprang die Pianistin über die Reihen
Ihr seligen da herunten
ihr blender und verblendeten im parkett, atemlos
allesverschlingende wirbel durch die nacht
faltungen ohne ende

Dann aber Stille.
Berührt sie nicht, sie ist
das Alte, sie ist
das Verbotene. Es haben aber die Wogen
ausbleibende Winde geglättet, und über die Straß'
kam zwitschernd die Dichterin
Hebt euch, ihr Narren, hinweg
quält eure Smartphones
         aus Leerlaufen Leerlaufen muss doch was kommen
aber nicht den, der zwischen
Grabsteinen kriecht auf der Suche nach
          Was?

Geryon rieb seine schuppen am fels
der lindwurm und brüstete sich
Auf meinem rücken trug ich sie
in den tieferen kreis
die zwei gecken schatten der eine
blutschatten der andere Ich dachte an
publicity damals schon wichtig
und immer nach performance süchtig
selbst zu den zeiten des untergangs
da nachtäugig, leichen im gefieder,
als niedhöggr ich absank
in eine der längst vergessenen welten

Vergessen du süßester trank mir bist du
verwehrt Den anderen aber den löchert
es schon und weiter im text
falte um falte
schreien die huren vom siebten balkon
des siebten bordells im siebten rione
und schwenken die speckschweren memmen im takt
Es waren nämlich freier erschienen
und winkten mit scheinen (flatrate dienstags)

Eia popeia, leck mir die eia
du verfickte schlampe Doch sie
berufsname Virginia Bacon
ganz galle und überdruss nahm ihr schweizer messer
die kleinste klinge die schärfste
und schnitt dem idioten die kronjuwelen ab
Ritsch ein schrei und viel blut
und der ridgeback sprang dem hüpfenden
gelersch nach und verschlang es

Das war der kanzler
                nichts als verschandelter Mahler


III

Hier um peninsula
das eiskalte meer
und orcas junge spielen
mit einer robbe sie beißen und reißen
stoßen und schmeißen bis das tier
gestaucht und mit zahllos gebrochenen knochen
zerrissen von schmerz nach 30 minuten
endlich krepiert O natur
du barmherzige mutter aus kratern
geysieren und fumarolen
lässt erde die hitz aus ihrem balg
verbrennt in pyroklastischen strömen was
ihr entsprang Denn das vergangene
war nichts als des schrecklichen anfang
und wir vergaßen es gern, wir traten es in die tonne
weil es gelassen verschmähte
uns zu beachten


IV

Als sie in Petropawlowsk-Kamtschatki,
die Herzogin, die Treppe herabglitt, erfüllt noch die Augen
von Krascheninnikow Vúlkan,
in dem Gewand aus Katzenschlich und Fischgesang
Willkommen, o silberne Luna

Fabergé kannte sie gut,
begehrt, unbezahlbar (für 99%) die Eier
und stellt sie hin, forderte
die Versammelten auf, sie zu öffnen.
Da schwammen sie wie Kullerpfirsiche
in Champagner, gepfefferte Mönchsaugen,
frisch ausgestochen, den Damen
schwindelte, sie lächelten, sie fächelten,
sie schwächelten, sie hechelten, die Herren,
steif und verdruckst wie stets bei solchen
Gelegenheiten. Nehmet und trinkt,
das ist
besser als Wodka mit Pflaume.

Nur die Frau des schwedischen Botschafters,
ein Bullenbeißer aus den borealen Wäldern,
griff den Kelch, Skål, schrie sie und goss
alles in einem Zug runter –
Dann sang sie das Lied vom
plattgevögelten Birkenwäldchen
Steht auf, junge Birken, steht schnell auf,
sonst legt sich gleich ein anderer drauf  usw.

Was hat die dahinten? Was zappelt die so bös?
– Die hat den Veitstanz, ist bald erlöst.

Und der weiter links?
(er sieht so cool und reisefreudig aus,
er wohnt gewiss in einem Schreiberhaus)
– Dä hätt Blotzucker – un annere Zucker.


V

Ich aber komme jetzt
Von der rötenden Dämmerung Morgenhöhn
Und sinn' hinüber und ziele gefiederten Blick
Zu des Ufers Hoffnung!  
                              Dorthin und zu ferneren ufern
wo der wolkenschieber waltet
die kulissen verschränkt zu königreichen und
regenträchtigen formationen
und im morgenlicht grillengesumm
von den blättern ertönt einer gezuckerten welt

Dort sind wir beisammen ruckediku
in froher gemeinschaft und tanzen nach einer musik
die keiner hört außer uns
unsere heißen und wilden
die ehrgeizig pochenden herzen
die härene zung


VI

Dichten kann mancher Bauer,
ein Gelehrter kann's vielleicht genauer.
Egal: Wir wollen für die Bütt
einen, der gut ist und kostenlos kütt.

Immer neu sein ist kein Zwang,
sondern unser tiefster Drang;
wir haben es verinnerlicht,
es spricht aus Geste und Gesicht.

Wissenschaft und Zauberhauch,
was noch fehlt, kommt aus dem Bauch,
lass dich nicht entblöden:
Fortschritt ist ein Schnellkompost

mit dichtem Wurmgewimmel.
Willst du profitieren,
wirst du affirmieren,
auch wenn du glaubst es nicht zu tun.

Spiel weiter den Rebellen,
ein falsches Wort, und du bist raus.
Denn: Ist uns irgendwas nicht lieb,
Weg damit! ist das Prinzip.

Wer draußen steht, den knackt der Frost.
Als wär er nie gewesen. Aus.

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