Direkt zum Seiteninhalt

Kito Lorenc: Windei in der Wasserhose des Eisheiligen

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Dirk Uwe Hansen


Aus dem Verborgenen eine geschenkte Brut


Gewöhnlich lese ich Gedichtbände nicht in einem Rutsch von vorn nach hinten durch. Bei diesem Band habe ich es getan, beim ersten Lesen, um ihn danach dann ein zweites Mal in der üblichen Weise mit Verweilen bei einzelnen Texten, Hin- und Herblättern und den übrigen retardierenden Elementen durchzugehen.
Das mag zum einen an der leichtgängigen Sprache liegen, die Lorenc beherrscht und die den Leser stets weiterziehen kann, zum anderen sicher aber auch an der Mischung aus Gedichten und Schmungks, winzigen aphorismenartigen Prosatexten, die den Band locker und damit umso leichter zugänglich machen.

BEFUND. Undichte Schwimmblase, ins Knie geficktes Rheuma, fehlendes Gicht-Fersengeld, aber Zuckerspritzen in den Hintern.


Hauptsächlich aber liegt es an der Haltung des in den Texten Sprechenden, aus der ich, nachdem ich mich einmal darauf eingelassen habe, nicht leicht wieder herausfinden will und die alle Texte des Bandes, so verschieden sie sonst sein mögen, durchzieht. Es ist die Haltung eines am Rand stehenden, wachen Beobachters, der sich der beobachteten Wirklichkeit entzieht, ohne dabei – und das macht diese Gedichte so sympathisch – in larmoyantes Mäkeln zu verfallen. Diese Verweigerungshaltung zeigt sich auch formal, eben an den dazwischen gestreuten Schmungks oder an den immer wieder auftretenden sorbischen Wendungen, die sich dem Deutschen von außen entgegenstellen und nicht zuletzt an einzelnen Reimen, die auf der Lauer liegen und sich dann nicht immer (und manchmal eben doch) einem Reimschema fügen wollen.

AUS DER NARKOSE

Komm Gedichtpapier mein blaues,
dass ich die Borte gegen Worte tausch.
Es heißt: man weiß doch nichts Genaues –
verrätst du’s mir, wenn ich am Kissen lausch?

Leck Türe du mich mal und bleck du Fenster –
fünf Finger schon von neuen Versen fett.
Mensch Silke! ruft die Schwester, und Gespenster
bepflastern mich gleich unterm Bett.

Der Dok steht da mit langer Spritze
vor meinem Herz, ich werde es nicht reimen.
Und wer erinnert sich an dich, Marianne Britze?
Ich sagte schon: Ich werde es nicht reimen.

Trag noch das Wasserbild, es ist ihr leerstes,
die Treppe runter, lass den Rahmen leimen.
Sie, Britze, stirbt. Da ist es nun mein erstes.
Und sei so nett, jetzt lass es reimen.


Die Sprache, ihre eingeborenen Unzulänglichkeiten und die unerträgliche Dummheit des Gebrauchs, den etwa die Werbung von ihr macht, sind häufig Ausgangspunkt für die Beobachtungen dieses Außenstehenden.

... Vielleicht aber
auch nicht – dann raus
mit der Sprache: Es stinkt

mir, ist das letzte, wie
auch immer. Nimmer nicht, denn
die Liebe höret auf
wenn sie fremd geht

mit dem I LOVE IT.


Die Qualität dieser Gedichte liegt nicht im Aufdecken solcher Floskeln, das wäre sicher viel zu wenig. Denn was Lorenc gelingt, statt nur mit dem Finger auf Splitter und Balken in den Augen zu zeigen, ist viel mehr und er vermag ohne viel Aufhebens aus solchem vorgefundenen Material etwas Eigenes und Neues herzustellen:

DIE MEISE

Du hast eine Meise
sagte jemand zu mir
Das war vor vielen Jahren
Jetzt endlich sah ich

meine Meise – sie kam
ans Fenster diesen Winter
und pickte an die Scheibe
Da bist du ja Meise

Dachte ich bei mir
Spät kommst du Rumtreiberin
wo warst du so lange
dass du dich jetzt erst zeigst

Oder war ich selber
dauernd weg vom Fenster?
Dabei ist sie schön meine Meise
und so gut wie jede andere


Wie das Meisengedicht nehmen viele der Gedichte eine doppelt distanzierte Haltung ein, der Sprecher schaut ebenso scharfsichtig und distanziert auf die ihn umgebende Wirklichkeit wie auch auf die eigene Geschichte und das eigene Dichten. Es mag, wer will (Lorenc ist Jahrgang 1938), von Altersweisheit sprechen, doch haben die Gedichte ein solches Etikett gewiss nicht nötig.
Als letztes ein Beispiel (und eines meiner liebsten aus dem Band), in dem Lorenc in souveräner Schlichtheit sein Spiel mit Floskeln und wohlfeilen Bildern treibt, denen er eine neue Dimension verleiht und dabei zugleich Melancholie und Hoffnung zu einem starken poetologischen Bild verbindet:

HOROSKOP

Dreh ab jetzt und schwimme
zurück an den einsamen Strand
deiner Geburt, begrabe
alle Hoffnungen gründlich

wie die Schildkröte ihr Geleg
ehe du für immer abtauchst
zu den Fischen des Sternzeichens
das dir voranleuchtet

Mag sein, der Sand schenkt
auch dir eine Brut noch
aus dem Verborgenen einst
und sie findet zum Licht

und in das Meer nach dir


Erschienen ist der Band in der üblichen schönen Aufmachung in der Reihe Neue Lyrik im poetenladen-Verlag. Mögen noch viele folgen!


Kito Lorenc: Windei in der Wasserhose des Eisheiligen. Gedichte und Schmungks. Hrsg. von Ralph Lindner, Jan Kuhlbrodt, Jayne-Ann Igel. Leipzig (poetenladen Verlag) 2015. 104 Seiten. 16,80 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt