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Kai Pohl: Wille & Grind

Gedichte > Zeitzünder



Die Menschen laufen ahnungslos umher.
Sie werden dafür bezahlen.

Iréne Hamoir


Wille & Grind


Ungeduld voran die erdbefleckten
Finger den Tasten überlassen
pfundweise Worten die Unwucht entreißen
am Wasserphallus unter der Lavendeltreppe
wo spacke Maden am Sirup nagen

Junkfood zum Frühstück
Tomaten mit Grappa & Zwiebeln
aus Nilschlamm geboren
& die Vogelweide in der Ahornsäule
im Disput mit dem Luftschub

Straßenlärm, der heranrollt wie leeres Rauschen

Stadtbahnschnurren am Schleichweg
zwölf Uhr mittags wehen Gardinen
Blütenschnee auf der Fensterbank
über der U-Bahn bebt der Asphalt

Die Hitze prall, ein Stau
aus Schweiß und Plänen
träumen, wo es am dunkelsten ist
Pumpstation innere See
für ein paar Gramm Gefühl
die du dir leihst von der Nachbarin

Ausharren im Herzverschlag
zufrieden sein mit dem, was du nicht hast
im Outdoor-Look verwartest du die Zeit
als Vogelscheuche verkleidet
außen das Kapital, innen das Stroh
als könntest du immer nur einatmen

Im mauergrauen Menschenpark
nebellos bis auf paar Krähen
treibt Salz in die Augen, halbverspiegelt
teilt sich der Leib mit dem Leid die Fetzen
Wolken, Stimmen, Kleider, nasses Laub

Im Kopf klingen Eingeweide
in der Silberweide Insekten

Nimm, tödlicher Saldo, die Rose & spring!

Heute am Ende der Driesener
Straße das PARADIES gesichtet
Kalk auf kackebrauner Wand
glühn rote Klinker im Abendlicht

Unterm Pflaster flüstern die Ahnen
bis sie vergessen sind/haben
wiederkehren, dasitzen, haushalten, einrichten
in der Behaglichkeit satten Besitzes

Dein schwimmender Blick
streift über abgehackt-versackten Grund
um drei vor zwölf, zur Heuschreckenstunde
hörst du das Gras schreien

Vom Schlehdorn am Heidberg
zum wieder hängenden Engel mit Käthes Zügen
von „Kollwitzpark“ nach „Lindeneck“
vom Armengrab zur schäumenden Brut
stramm ins Scharnier des Vorurteils schnappender
Hordengesinnung, in ihrem Greinen
rottet sich zusammen
, was dein Augusthaar
in den Ohren wehen macht

Die Rede von der Freundlichkeit
derer, die dich quälen
mit ihrer Rede, ihrer Folgsamkeit
mit ihrer verlogenen
Sorge um dich, dein Brot, dein Bett
dein Leben, das sie dir stehlen

Im Gras Wind und Grillen
am binsichten Ufer
Lüge und Schlachtrausch und Blutdurst
Blume und Baum und Tier und Wolke
und das Kreisen der Sterne
schüttres Gesindel, Abfall und Müll
gekrümmt vor barbarischem Wüten
verwirrt, fast taumelnd
zwischen Schutthalden hin


Da schwankst du, Mittagsmann
da kniest du nieder
hältst dich raus & richtest dich ein
wirbelst den Raum & knickst die Binsen
zählst die Tage runter
als gäbe es nichts mehr für dich zu tun

Raushalten aus der Mechanik
einrichten in Automatismen
Stichlinge machen den Weg frei

Du mußt dich beeilen
wenn du noch etwas sehen willst
das Land im flatternden Rauch

Blutjunge Kätzchen unter tropfender Wäsche
tollen in der Hundskamille auf dem Hof
neben Großmutters Plumpsklo
im Sommer eins nach Tschernobyl
als du den Klee mit der Sense mähtest
vierblättrig, für deine Dienstreise
zum allerjüngsten Tag

Mutationen als Talismane
Amulette aus strahlendem Geist

Unterm Sarkophag, der dir kein Glück bringt
wummern Kanonen, wimmern Phantome
wandern die Maden deiner Fruchtfliegenzucht
Fruchtfliegen, groß wie Saurier
im Sommer zwei nach Fukushima

Fuku! oder Fuck You!

Chaos peitscht den Wahn der Lage
Chaos peitscht den Wahn
so wirst du durch die Zeit getrieben
zur Ankunft am Abgrund, da stehst du
so gehst du durch die Zeit, so steigst du
so treibst du durch den Schaum, den Sand
la ola – unter dem Pflaster der Strand
und auf den Trümmern das Paradies

Die Gräber geflutet mit Geröll, Gebrüll
bewirfst du dein Haus mit glühendem Lehm
siehst Pot & Shit von Gestirnen rieseln
weit & üppig wie Asche von Samen
wirbelt die Mittagsbraut dir durchs Haar

Im Whirlpool der Herrschaft
die Axt zu schwingen
Schädelspalter der Liebe zur Macht
die Mode & Haut unfaßbar macht

Die Zukunft verschwindet
und nimmt die Vergangenheit mit
dir bleibt dieses Jetzt
in dem die Tage sich vereinzeln
wie die Seiten eines Buchs
das auseinanderfällt



Die kursiv gesetzten Passagen sind teils abgewandelte Zitate aus der Erzählung Barlach in Güstrow von Franz Fühmann, aus einem Werbeslogan, aus der Achtundsechziger-Spontibewegung und aus dem Song Hurra die Welt geht unter von K.I.Z.
     Fuku! ist der Titel eines Poems von Jewgeni Jewtuschenko aus dem Jahr 1985, auf Deutsch erschienen 1987 im Verlag Volk und Welt, Berlin. Aus dem Editorial des Verlages: „Fuku, ein afrikanisches Tabuwort, mit dem [man] in Kolumbien die Namen aller Unglücksträger belegt, wird von Jewtuschenko zum programmatischen Titel eines Poems gewählt, das in Form und Inhalt Tabus überwinden will.“
     Fuck You! ist der Titel einer Lyrikanthologie mit „Untergrundgedichten“ von US-amerikanischen Autoren, herausgegeben von Ralf-Rainer Rygulla im Joseph Melzer Verlag, Darmstadt, 1968.
     Der letzte Abschnitt ist ein leicht verändertes Zitat eines anonymen griechischen Dichters.



Kai Pohl: unveröffentlicht, 2016

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