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Jan Kuhlbrodt über Ingeborg Bachmann

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Zum vierzigsten Todestag von Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann
© Piper Verlag


Die Erinnerung entwickelt nichts als die Bilder,
Und ich bin mir selber
Selbst schon nichts mehr
Als das vernichtende Nichts des Gedankens.


(aus Se tu mio fratello von Ungaretti, dt. von Ingeborg Bachmann)


Heute jährt sich zum vierzigsten Mal der Todestag von Ingeborg Bachmann. Auf die tragischen Umstände ihres Todes einzugehen, wäre hier nicht der richtige Ort, das überlasse ich lieber den Lohnschreibern des gehobenen Boulevards. Auch ihre vielfältigen Liebesbeziehungen mit Kollegen der Schriftstellerzunft interessieren mich nur, insoweit sie sich im Werk gewissermaßen als Hintergrundrauschen niedergeschlagen haben. Eines scheint die Dichterin mit Büchner, der heute seinen 200. Geburtstag beginge, gemeinsam zu haben. Zu den Jahrestagen scheint der Skandalwert ihrer jeweiligen Biografien mehr zu gelten, als der literarische ihres Werkes.

Aber auch ihr Werk in entsprechendem Maße zu würdigen, fehlt mir an dieser Stelle das fundiertere Wissen und auch etwas die Zeit. Bachmann ist gewissermaßen eine Leerstelle in meiner analytischen Auseinandersetzung mit der Literaturgeschichte, und an Jahrestagen wie diesem wird mir diese Lücke schmerzhaft bewusst.

Dabei habe ich einiges von ihr gelesen, und gerade ihren Roman Malina mit einer gewissen Faszination und vor allem mit Genuss. In einer dumpfen Nachkriegszeit bäumt sich hier ein weibliches Subjekt auf gegen verknöcherte Konvention.

Ich muss es an dieser Stelle bei einigen Gedankensplittern belassen, aber es scheint so, als wäre die Autorin im kulturellen Humus der mich umgebenden Welt im Augenblick zwar nicht hervorstechend, aber doch nachhaltig präsent. Und zwar auf vielfältige Art und Weise. Und das liegt an Bachmanns publizistischer Breite und an Interessensgebieten, die ich mit ihr teile. So ist es kein Wunder, dass ich nicht gezielt nach ihr suchen muss, aber sie mir dennoch öfter als manche ihrer Kolleginnen und Kollegen begegnet.

Gerade leite ich zum Beispiel ein Seminar an der Leipziger Hochschule für Theater und Musik, das sich mit dem Thema Opernlibretto beschäftigt. Und da kommt man um Ingeborg Bachmann nicht herum, denn ihre Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hans-Werner Henze war einzigartig. Daraus sind die beiden Opern Der Prinz von Homburg und Der junge Lord hervorgegangen, und gerade letztere gehört zum Besten, was in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf diesem Gebiet entstanden ist. Es wäre ein Anlass, sich dieses Werk in den nächsten Tagen noch einmal anzuhören, meinen Studenten habe ich das ans Herz gelegt.

Aber auch Bachmanns Auseinandersetzung mit dem Werk Wittgensteins hat zu Formulierungen geführt, die ihre Geltung bewahren:

Nicht die klärenden, negativen Sätze, die die Philosophie auf eine logische Analyse der naturwissenschaftlichen Sprache beschränken, und die Erforschung der Wirklichkeit an die naturwissenschaftlichen Spezialgebiete preisgeben, sondern seine verzweifelte Bemühung um das Unaussprechliche, die den „Tractatus“ mit einer Spannung auflädt, in der er sich selbst aufhebt – sein Scheitern also an der positiven Bestimmung der Philosophie, die bei den anderen Neopositivisten zur fruchtbaren Ignoranz wird – , ist ein erneutes stets erneuerndes Mitdenken wert.

                   (Ingeborg Bachmann: Ludwig Wittgenstein - Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte. Werke Bd. 4, München 1978, S. 13)


Dieser Satz lässt sich sicher auch auf einige Facetten von Bachmanns eigenem Werk anwenden.

Jan Kuhlbrodt




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