Direkt zum Seiteninhalt

Horaz Übersetzung

Poeterey


Horaz


Von der Dichtkunst.

Fürwahr, ein artig Bild!1 Es steht ein Menschenkopf
Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogelkropf
Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder:
Hernach erblicket man verschiedner Thiere Glieder.
Von oben zeigt ein Weib ihr schönes Angesicht,
Von unten wirds ein Fisch. Ihr Freunde, lacht doch nicht!
Wir wollen mit Geduld des Malers2 Thorheit schonen.
Indessen glaubet mir, ihr trefflichen Pisonen,
Dafern mein Wort was gilt: daß eine tolle Schrift,3
Wo weder Haupt noch Schwanz geschickt zusammen trifft,
Und nicht mehr Ordnung herrscht, als wenn ein Kranker träumet,
Sich unvergleichlich wohl zu solchem Bilde reimet.
Ich weis wohl, was man glaubt. Man spricht4 und bleibt dabey:
Ein Maler und Poet folgt seiner Phantasey;
Er kann sich seiner Kunst nach eigner Lust bedienen,
Und sich durch Geist und Witz, was ihm beliebt, erkühnen.
Ganz recht, ich geb es zu,5 und mach es selber so.
Allein man mische nie das Feuer in das Stroh;
Kein Tyger zeug ein Lamm, kein Adler hecke Schlangen.
Doch manches Dichters Schrift wird prächtig angefangen,
Man schmückt sie hin und her mit Edelsteinen6 aus,
Beschreibt Dianens Häyn, Altar und Götterhaus,
Entwirft mit großer Kunst des Rheinstroms Wasserwogen,
Und malt der Farben Glanz im bunten Regenbogen.
Das alles ist schon gut:7 nur hier gehörts nicht her.
Dort stürzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer:
Gesetzt, du könntest nun Cypressenwälder schildern,
Was hilft dir diese Kunst? da sich in deinen Bildern
Der Schiffbruch zeigen soll, den jener für sein Geld,
Nach überstandner Noth, mit Fleiß bey dir bestellt.
Dein stolzer Anfang pralt von seltnen Wundersachen,8
Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?
Kurz, alles was du schreibst muß schlecht und einfach seyn.9
Doch, Piso, trügt uns oft des Guten falscher Schein.
Streb ich der Kürze nach; mein Vers wird dunkel klingen:
Wer leichte Sachen liebt, wird niederträchtig singen.
Wer hoch hinaus will, schwillt. Wenn jener furchtsam schreibt,
Geschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt.
Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzustellen,10
Malt leicht den Stöhr ins Holz, den Eber in die Wellen.
So leicht ist es geschehn, auch wenn man sich bemüht
Von Fehlern frey zu seyn, daß sich der Kiel versieht.
Man läßt ein Fechterspiel aus dichtem Erzte gießen:
Da hat der Stümper nun die Nägel an den Füßen
Und jedes Haar des Haupts sehr künstlich ausgedrückt:11
Die ganze Bildung nur ist plump und ungeschickt,
Weil Ordnung und Gestalt und Stellung gar nichts taugen.
Viel lieber wünsch ich mir, bey schwarzem Haar und Augen,
Ein scheußlich Angesicht und krummes Nasenbein,
Als daß ein Vers von mir, wie dieses Bild soll seyn.
Ihr Dichter, wagt doch nichts, als was ihr wohl versteht,12
Versuchts, wie weit die Kraft von euren Schultern geht,
Und überlegt es wohl: so wird nach klugem Wählen,
Den Schriften weder Kunst, noch Licht, noch Ordnung fehlen.
Mich dünkt, daß sich allda der Ordnung Schönheit zeigt,
Wenn man das Wichtigste von vorne zwar verschweigt,
Doch räthselhaft entdeckt;13 und klug im Unterscheiden14
Die schönsten Sachen wählt, die schlechten weis zu meiden.
In neuer Wörter Bau, sey kein Poet zu kühn;15
Das ältste läßt sich oft auf neue Sachen ziehn,16
Nur muß die Redensart des Schreibers Sinn erklären.
Doch, sollten Kunst und Fleiß ein neues Ding gewähren:
So stellt mans ungescheut durch einen Ausdruck dar,
Der unsern Vätern noch was unerhörtes war.
Wer dieß bescheiden thut, dem kann mans nicht verwehren,17
Zuweilen kann man auch der Wörter nicht entbehren.
Die Griechenland uns leiht.18 Was Plautus und Cäcil
Vorzeiten Macht gehabt, das kann ja auch Virgil.
Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?
Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,
Und manche Redensart zu Rom in Schwang gebracht?
Wie kömmts denn, daß man itzt ein solches Wesen macht,
Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu schelten?
Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.
So wie es alle Jahr belaubten Wäldern geht;
Das welke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet,
Indem sich unvermerkt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan,
Sein Arm greift alles das, was menschlich heißet, an.
Hier läßt ein Julius19 den neuen Hafen bauen,
Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen,
Ein königliches Werk! Was kann Augustus20 thun?
Er trocknet Seen aus, und kann nicht eher ruhn,
Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,
Ein fruchtbar Ackerland und fette Wiesen sehen.
Noch mehr, er ändert gar der Tyber alten Lauf,
Und schränkt die Fluthen ein. Das allzumal hört auf!
Der größten Werke Pracht, muß endlich untergehen:
Wie könnten denn der Zeit die Sprachen widerstehen?
So manch verlegnes Wort, das längst vergessen war,
Kömmt wieder an das Licht, und stellt sich schöner dar:
Und was man itzo braucht, das wird man einst vergessen;
Kurz, Sprachen müssen sich nach der Gewohnheit messen.21
In was für Versen man der Fürsten Heldenmuth,
Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth
Geschickt besingen kann, das hat Homer gewiesen,
Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen.22
Die Elegie23 war sonst ein Werk der Traurigkeit,
Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweiht.
Wer sie zuerst erdacht, das ist nicht leicht zu sagen,
Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen.
Archilochus erfand das jambische Gedicht,24
Darinnen trat das Lust- und Trauerspiel ans Licht:
Es ist auch sehr geschickt Gespräche drinn zu setzen,25
Bezwingt des Volks Geräusch26 und kann das Ohr ergetzen.
Der Götter hohes Lob, der Völker Alterthum,
Berühmter Helden Preis, der Kämpfer Kranz und Ruhm,
Und was ein Jüngling thut, den Wein und liebe zwingen,
Befahl der Musen Mund27 in Oden28 abzusingen.
Wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh,
Und mich in jeder Art der Poesie vergeh,29
Bin ich denn ein Poet? Ich bins nicht; das sey ferne!
Was stört mich denn die Scham, daß ich die Kunst nicht lerne?
Wo Lust und Anmuth herrscht, da schreibt man nicht betrübt:30
Hingegen wo Thyest31 ein blutig Gastmahl giebt,
Da wird dein Trauerspiel sehr wiedersinnisch klingen,
Dafern dein matter Reim es niedrig wird besingen.
Nicht jede Schreibart kann auf jeder Stelle stehn,32
Zuweilen darf sich auch des Lustspiels Ton33 erhöhn:
Wenn Chremes zürnt und dräut, im Herzen Galle kochet,
Und bey geschwollner Brust mit frechen Worten pochet.
Im Klagen senkt sich auch das Trauerspiel mit recht,34
Darum spricht Telephus und Peleus platt und schlecht
Ohn allen Wörterpracht;35 denn soll man mit ihm weinen,
So muß uns erst sein Schmerz ganz ungekünstelt scheinen.
Laß dein Gedichte nicht nur schön und zierlich seyn,
Ein wohlgemachter Vers nimmt Herz und Geister ein,
Und kann des Lesers Brust bezaubern36 und gewinnen.
Man lacht mit Lachenden, und läßt auch Thränen rinnen,
Wenn andre traurig sind. Drum, wenn ich weinen soll;
So zeige du mir erst dein Auge thränenvoll:37
Alsdann o Telephus! wird mich dein Unglück rühren.
Allein ist an dir selbst kein wahrer Schmerz zu spüren,
So schläft man drüber ein, und du wirst ausgelacht.38
Ein weinend Angesicht das kläglich Worte macht,
Ist der Natur gemäß. Ein Eifriger muß zürnen,
Der Scherz spricht frech und geil, der Ernst mit krauser Stirnen.
Der Seelen Innerstes sey erst in uns bewegt,39
Von Zorn und Eifersucht und Rachgier angeregt,
Von Schrecken überhäuft, von Gram und Furcht zerschlagen:
Alsdann wird auch der Mund schon Centnerworte sagen.
Spricht irgend die Person, wie sichs für sie nicht schickt,40
So lacht das ganze Rom,41 so bald es sie erblickt.
Drum unterscheide man Stand, Alter und Geschlechte:
Ganz anders spricht ein Herr, ganz anders reden Knechte.42
Es ist nicht einerley, was ein verlebter Mann
Und muntrer Jüngling spricht. Dieß Wort steht Ammen an;
Matronen aber nicht. Kein Kaufmann spricht wie Bauren,43
Kein Kolcher redet so, als ob er Babels Mauren,
Von Jugend auf gekannt. Wen Argos Bürger heißt,
Spricht nie Thebanern gleich. Drum lenke deinen Geist
Entweder auf ein Werk aus wirklichen Geschichten:
Wo nicht, so mußt du doch nichts ungereimtes dichten.44
Führst du, wie dort Homer, den Held Achilles ein:
So muß er zornig, hart, und unerbittlich seyn;
Er trete Billigkeit, Gesetz und Recht mit Füssen,
Und wolle sonst von nichts, als Macht und Waffen wissen.
Medeen schildre frech,45 Ixion46 komme mir
Ganz treulos und verstockt, und Ino47 kläglich für.
Wenn Jo48 flüchtig irrt; so muß Orestes49 klagen.
Hingegen willst du dich an neue Fabeln50 wagen,
So richte die Person nicht widersinnisch ein
Und laß sie mit sich selbst in allem einig seyn.
Es ist in Wahrheit schwer, was eignes anzufangen:
Du wirst noch eins so leicht im Schreiben Ruhm erlangen,
Wenn du Atridens Zorn in neue Verse schränkst,51
Als wenn du selbst zuerst ein Trauerspiel erdenkst.
Es steht ja Dichtern frey, sich aus bekannten Sachen,52
Durch Witz und Kunst und Fleiß ein Eigenthum zu machen.
Dafern die Feder nur nicht allzu sklavisch schreibt,
Und Uebersetzern gleich, an Worten kleben bleibt.
Ein Thor ahmt ängstlich nach,53 mit kläglichem Bemühen,
Wo er sich endlich schämt den Fuß zurück zu ziehen.
Man fange kein Gedicht54 so stolz und schwülstig an,
Als jenes Stümpers Kiel aus Unverstand gethan:
Ich will von Priams Glück und edlen Kriegen singen!
Was wird der Praler doch für Wunderwerke bringen!
Er kreist, wie jener Berg, der eine Maus gebahr.
Wer sieht nicht, daß Homer hier viel bescheidner55 war?
Ihr Musen! zeigt mir den, der Trojens Burg bestritten,
Und nach der Teukrer Fall so vieler Völker Sitten;
So manche Stadt gesehn. Hier folgt das Finstre nicht
Auf heller Blitze Glanz; der Schatten zeugt das Licht.56
Er fängt ganz niedrig an, um destomehr zu steigen,
Und wird allmählich schon die größten Wunder zeigen:
Den Riesen Polyphem, Charybdens Strudelmund,
Der Menschenfresser Grimm und Scyllens wüsten Schlund.
Den Vortrab wird er nie von weit gesuchten Sachen,
Zur Rückkunft Diomeds57 vom Trojer Kriege machen,
Wo Meleager fiel. Wo fängt der große Mann
Der Teukrer Untergang von Ledens Eyern an?58
Er eilt dem Zwecke zu59 und wird von vielen Dingen,
Die er berühren muß, als längstbekannten, singen.
Was gar nicht fähig ist, wohl ausgeputzt zu seyn,
Das übergeht er gar: Und mischt er Fabeln ein,
Die er ersonnen hat,60 so wird in allen Stücken,
Der Anfang sich genau zu seinem Ende schicken.
Vernimm dann61 was nebst mir das Römervolk begehrt:
Denn willst du, daß man nicht, indem dein Schauspiel währt,
Nach Hause laufen soll; und daß man bis zum Ende,
Dabey der Sänger62 ruft: Nun klopfet in die Hände!
Geduldig, ja noch mehr, durch Klatschen und Geschrey,
Ein Zeuge deiner Kunst und dein Verehrer sey:
So zeige, daß du dich mit ganzem Ernst beflissen,
Der Menschen Unterscheid,63 Natur und Art zu wissen.
Ein Kind, das reden lernt, und dessen sichrer Schritt,
Den Boden allbereit ohn alle Furcht betritt,
Vertreibt die Zeit im Spiel und scherzt mit seines gleichen,
Ist bald zum Zorn gereizt, auch leichtlich zu erweichen,
Und stets voll Unbestand. Wird nun der Knabe groß,
Der Aeltern strenger Zucht, der Lehrer Aufsicht los:
So lacht ihm stets das Herz bey Hunden, Wild und Pferden;
Kann leicht aus Unverstand der Laster Sklave werden;
Haßt jeden, der ihn straft; bedenkt nicht, was ihm nützt;
Verzehrt mehr als er hat; ist stolz, vor Lust erhitzt,
Und kann doch was er liebt, in kurzem wieder hassen.
Ganz anders ist ein Mann, der alles das verlassen.
Gesetzt und standhaft seyn, das ist sein Eigenthum.
Er strebt nach Geld und Gut, nach Freundschaft, Gunst und Ruhm,
Und nimmt sich wohl in acht, damit er nichts begehe,
Daraus ihm Schimpf und Spott und späte Reu entstehe.
Ein abgelebter Greis wird mit den Jahren matt,
Verlangt was ihm gebricht, geneußt nicht was er hat,
Ist furchtsam was zu thun, und gar zu karg im geben,
Schiebt alles länger auf, und hofft ein langes Leben,
Ist träge, wünscht zu viel, hat stets ein schlechtes Jahr,
Und lobt die alte Zeit, da er ein Jüngling war,
Ist immer voll Verdruß, bedroht und straft die Jugend,
Und setzt sein eigen Werk zur Regel aller Tugend.
Der Jahre Wachsthum bringt uns Stärke, Muth und Kraft,
Und wenn das Alter kömmt, wird alles hingerafft.
Drum laß den Jüngling nie des Greises Rolle64 machen;
Kein Greis sey Knaben gleich. Man muß in allen Sachen,
Auf das, was sich geziemt, und auf den Wohlstand sehn.
Was sich nicht spielen läßt, so wie es ist geschehn,
Davon erzählt man bloß65 die Nachricht auf den Bühnen.
Doch, was das Ohr nur hört, so kräftig es geschienen,
Dringt lange nicht so tief in die Gemüther ein,
Als was man selber sieht. Doch solltens Dinge seyn,
Die man nicht zeigen mag, die darf das Volk nicht sehen:
Man trägt sie mündlich vor, als wären sie geschehen.
Medea66 darf den Mord an ihrer Leibesfrucht
Nicht öffentlich begehn. Des Atreus Eifersucht,
Giebt dem Thyestes zwar das Fleisch gekochter Knaben;
Doch darf man Topf und Heerd nicht selbst gesehen haben,
Wo sie gesotten sind. Verwandelt Progne sich,67
Wird Cadmus eine Schlang; alsdann bediene dich
Der Freyheit nimmermehr, dergleichen sehn zulassen:
Ich glaub es wahrlich nicht, und werd es ewig hassen.
Ein Schauspiel, das beliebt und angenehm soll seyn,
Das theile man genau nur in fünf Aufzüg' ein.68
Man mische keinen Gott69 in seiner Helden Thaten,
Bis es nicht möglich ist, der Wunder zu entrathen.
Es sprechen auf einmal nicht mehr als ihrer Drey;70
Man sorge, daß der Chor zwar mit im Spiele sey:71
Doch daß sein Singen nicht die Handlung unterbreche,
Und er nichts thörichtes, nichts ungeschicktes spreche.72
Er sey der Tugend hold, er gebe guten Rath73
Und bändige den Zorn. Wer eine Frevelthat
Sich scheuet zu begehn, den muß er willig preisen.
Er lobt die Mäßigkeit der aufgetragnen Speisen,
Liebt Recht und Billigkeit, und der Gesetze Flor,
Erhebt ein ruhig Volk bey unbewachtem Thor,
Verhehlt des andern Fehl, und ruft mit heißem Flehen
Zu Gott, den Armen reich, den Stolzen arm zu sehen.
Vorzeiten durfte nur die Pfeife schlecht und klein,74
Nicht mit Metall75 umfaßt, Trompeten ähnlich seyn.
Und dennoch ließ sie sich, bey den beliebten Chören,
Auch mit vier Löchern76 schon ganz hell und lieblich hören:
Indem der Schauplatz noch durch jene kleine Schaar
Des tugendhaften Volks, so sehr besetzt nicht war.
Allein nachdem das Schwerdt der Römer durchgedrungen,
Bald dieß bald jenes Land bestritten und bezwungen;
Seit dem der Mauren Kreis, sich weiter ausgedehnt,
Die reichen Bürger sich das Schmausen angewöhnt,
Weil sie kein Richter schilt, wenn sie bey Tage prassen:77
So hat auch Reim und Ton den alten Klang verlassen.
Denn was verstund davon ein Bauer,78 dessen Fleiß
Von schwerer Arbeit kam; der meistens voller Schweiß
In unsern Schauplatz trat; wohin sich alles drängte,
Wenn Pöbel, Herr und Knecht sich durcheinander mengte.
Drum hat Musik und Tanz die alte Kunst erhöht,
Der Pfeifer,79 der so stolz stets hin und wieder geht,
Schleppt itzt den langen Rock ganz prächtig auf den Bühnen;
So mußt in Griechenland die Cither80 gleichfalls dienen.
Die Uebung samt der Kunst hat sehr beredt gemacht,
Und öfters ist der Reim so voll Geschwulst81 und Pracht,
Als wenn Apollo spricht, der dort aus finstern Klüften
In seine Priesterinn Orakel pflegt zu düften.82
Der Dichter,83 der zuerst sich durch ein tragisch Lied,
Um einen schlechten Bock, als den Gewinnst, bemüht,
Entblößte84 bald darauf die bäurischen Satyren,
Und ließ bey seinem Ernst auch Scherz und Stacheln spüren.
Kein Wunder, denn das Volk verlangte zu der Zeit,
Durch neue Reizungen und lauter Lustigkeit,
Hinein gelockt zu seyn; wenn es an Feyertagen85
Den Gottesdienst vollbracht, und denn bey Saufgelagen,
Sich toll und voll gezecht. So fieng das Lustspiel an.
Doch wagt sich unter uns ein neuer Dichter dran:86
So muß er seinen Scherz und sein satyrisch Lachen
Nicht frech und regellos, vielmehr so klüglich machen;
Daß, wenn ein Gott, ein Held87 sich auf der Bühne zeigt,
Der Gold und Purpur trägt, und kaum vom Throne steigt,
Sein Mund sich weder ganz zum tiefsten Pöbel neige,
Noch gar zu voller Schwulst die Wolken übersteige.88
So ehrbar eine Frau,89 wenn sie ein hohes Fest,
Nach unsrer Stadt Gebrauch, zum Tanze rufen läßt,
In ihrem Reihen geht: So pflegt sich bey Satyren
Das hohe Trauerspiel ganz schamhaft aufzuführen.
Wenn ihr denn selbst einmal ein solch Gedichte schreibt:90
So denkt nicht, daß ihr nur bey schlechten Worten bleibt,
Bey Namen stolzer Art von Königen und Kronen,
Die sonst kein Putz erhöht; ihr trefflichen Pisonen!
Auch unterscheidet sich mein Reim vom Trauerspiel,
Im Ausdruck nicht so sehr; als wär es mir gleichviel,91
Ob Davus etwas sagt? ob Pythias gelogen,
Die Simons schnöden Geiz um ein Talent betrogen?
Ob gar der bäurische verlebte Greis Silen,
Der sich geschickt erwies dem Bachus vorzustehn,
Sich redend hören laßt. Ich werde zwar was dichten;
Doch meine Fabel stets nach etwas wahrem richten,92
Das jeder kennt und weis. Ein jeder, der es sieht,
Wird glauben: es sey leicht. Doch wenn er sich bemüht,
Mir wirklich nachzugehn, wird er vergeblich schwitzen,
Und bey dem grösten Fleiß umsonst darüber sitzen.
So viel kömmt auf die Art und die Verbindung an;93
Indem die Fügung auch was schlechtes adeln kann.
Nehmt94 euch auch wohl in acht, ihr Künstler in Satyren!
Sie nicht nach Römerart ganz artig aufzuführen,
Wie sonst die Zärtlichkeit der edlen Jugend spricht.
Doch überhäuft den Vers mit schnöden Fratzen nicht;
Schreibt niemals ärgerlich und lernt das Lästern meiden:
Den Unflath kann kein Mensch von gutem Stande leiden;
Kein züchtiges Gemüth, das Ehr und Tugend liebt.
Denn ob der Pöbel euch gleich seinen Beyfall giebt,95
Wird doch ein edler Geist euch allezeit verhöhnen,
Und eure Scheiteln nie mit Lorberzweigen krönen.
Ein Jambus heißt vorlängst in unsrer Kunst ein Fuß,
Da eine Sylbe kurz, die andre lang seyn muß.
Er fließet schnell und leicht: daher man solchen Zeilen,
Darinn er sechsmal klappt, den Namen läßt ertheilen,
Daß man sie dreyfach nennt.96 Von Anfang hat er sich
Mit andern nicht vermischt: nur neulich aber wich
Derselbe hier und dar den langsamen Spondeen,
Um desto männlicher damit einherzugehen.97
Doch so gefällig er in diesem Falle war;
So wich er doch nicht ganz. Das zweyt und vierte Paar
Der Sylben hat er sich beständig vorbehalten.
Man spürt ihn auch bereits in mancher Schrift der Alten.98
Es hat ihn Accius und Ennius gebraucht:
Hingegen wem es itzt was ungemeines daucht,
Den Jamben gar zu viel Spondeen einzumengen,
Als wenn sie prächtiger auf unsern Bühnen klängen:
Da dächt ich, daß man sie gewiß in Eil gemacht,
Wo nicht, doch an die Kunst der Musen nie gedacht,
Die Regeln nie gelernt. Von Liedern und Gedichten,
Weis nicht ein jedes Ohr wie sichs gebührt zu richten.99
Wie mancher Stümper hat, ohne alle Kunst und Fleiß,
Bey unserm Römervolk der Dichtkunst hohen Preis
Bisher gar oft erlangt! Soll ich deswegen hoffen,
Es stehe mir der Weg zu jeder Freyheit offen?
Soll ich verwegen seyn, weil irgend niemand sieht,
Wie oft mein Kiel gefehlt? und wenn das gleich geschieht,
Dieweil man mir auch dann die Fehler leicht vergiebet?
Fürwahr, so denkt kein Geist, der Ruhm und Ehre liebet;
Und ich verlange mehr, als tadelfrey zu seyn.100
Ihr Freunde, blättert doch bey Sonn- und Mondenschein,
Bey Tage wie bey Nacht der Griechen alte Schriften:101
Denn diese werden euch den schönsten Vortheil stiften.
Zwar unsrer Väter102 Mund hat Plautus Scherz und Kunst
Im Lustspiel sehr gelobt; allein aus blinder Gunst.103
Man hat ihn wahrlich nur aus Einfalt hochgeschätzet;
Dafern ich anders weis, was euch und mich ergetzet;
Was ein erlaubter Scherz,104 was grob und garstig ist,
Und wenn ein reiner Vers ganz ungezwungen fließt:
Wenn wir das Sylbenmaaß an unsern Fingern zählen,
Und was den Klang betrifft, das Ohr zum Richter wählen.
Das edle Trauerspiel hat Thespis aufgebracht,105
Indem vor seiner Zeit kein andrer dran gedacht.
Er fuhr von Dorf zu Dorf mit seinen Sängerchören,
Und ließ Gesang und Spiel106 auf schlechten Wagen hören.
Mit Hefen salbte man den Sängern das Gesicht,
Bis Aeschylus hernach die Larven zugericht,107
Die Kleidung ausgedacht und auf erhöhten Bühnen,
Mit stolzer Wörterpracht und hohem Schuh erschienen.108
Das Lustspiel folgte bald dem Trauerspiele nach,109
Davon man auch sogleich mit vielem Lobe sprach:
Allein die Freyheit wuchs in dem verwegnen Singen
Und ließ sich endlich kaum durch die Gesetze zwingen.
Die Frechheit gieng zu weit, man schrieb ihr Regeln vor:110
Drauf ließ die Schmähsucht nach; so ward zuletzt der Chor
Mit seiner Bosheit stumm111 und schonte zarter Ohren,
So bald er Fug und Recht zur Lästerung verlohren.
Wir Römer haben auch nicht wenig Lob erjagt,
Seit unsre Dichter sich an alles das gewagt,
Und sich zugleich erkühnt von jenen abzuweichen,
Und unsrer Helden Ruhm in Fabeln zu erreichen.
Ist nicht bey uns sowohl der stille Bürgerstand
Als edler Fürsten Muth auf Bühnen schon bekannt?112
Und wirklich würde Rom durch Tugend und durch Waffen,
Sich keinen größern Preis als durch die Sprache schaffen:
Wenn unsern Dichtern nur der Ausputz nicht so schwer,
Geduld und langer Fleiß so unerträglich wär.113
O ihr Pompilier,114 so edel von Geblüthe,
Als aufgeweckt am Geist und redlich im Gemüthe:
Verwerft doch jeden Vers,115 den nicht so mancher Nacht,
Und manches Tages Fleiß recht ins Geschick gebracht;
Und den sein Meister nicht, an Worten und an Sprüchen,
Wohl zehnmal übersehn, wohl zehnmal ausgestrichen.
Verwirft Demokritus die Regeln der Vernunft,
Und lobt er nur den Geist an der Poetenzunft;116
Ja meynt er gar der Sitz, den Phöbus sich erkohren,
Der hohe Pindusberg, gehöre nur für Thoren:
So putzt sich mancher itzt kaum Nägel oder Bart,117
Entflieht aus Eigensinn der Menschen Gegenwart,
Lebt schmutzig, und verhofft, ein solch verkehrtes Leben
Werd ihm in aller Welt den Dichternamen geben.
Drum trägt sein wüster Kopf, dem Niesewurz so gar
Das Mark nicht saubern kann, ein unverschnittnes Haar.
Bin ich denn nicht ein Thor, daß ich zu Frühlingszeiten,
Durch manche Cur gesucht die Galle weg zu leiten?
O ließ ich doch, wie sie, dieß albre Wesen stehn!
So würde mich kein Mensch im Dichten übergehn.118
Doch Grillen! weg damit! Ich trachte, den Poeten119
Hinfort ein Sporn zu seyn, ein Antrieb ihrer Flöten.
Denn wie ein Wetzstein schärft, und selbst nicht schneiden kann:
So schreib ich selbst zwar nichts, doch zeig ich lehrend an,
Woher der Reichthum kömmt, der sich in Versen findet;
Was einen Dichter zeugt, ernähret, stärket, gründet;
Was wohl und übel steht, wie Geist und Tugend führt,
Und wie der Unverstand im Irrthum sich verliert.
Vernunft und Klugheit sind die Qvellen schöner Lieder!120
Durchblättert nur mit Fleiß die Bücher hin und wieder,
Darinn des Sokrates berühmte Weisheit steht:121
So findet ihr den Stoff, der ein Gedicht erhöht.
Wo nun der Zeug nicht fehlt, den wir in Verse binden,
Da wird der Ausdruck sich schon von sich selber finden.122
Wer wohl gelernet hat,123 was Freund und Vaterland
Für Pflichten von ihm heischt; die Schuldigkeit erkannt,
Die Kindern zugehört; die Art, wie Brüder leben;
Was Rath und Richteramt für Lebensregeln geben;
Wie Feldherr und Soldat im Kriege sich beträgt:
Der hat den rechten Grund zur Poesie gelegt;
Der wird nichts thörichtes, nichts ungereimtes dichten,
Und den Character stets nach den Personen richten.
Wer klüglich bilden will,124 der schaue die Natur,
Und Art der Menschen an, und folge dieser Spur:
So wird er fähig seyn, sie lebhaft abzuschildern.
Oft rühret ein Gedicht125 mit wohlgetroffnen Bildern,
Darinnen hier und dar ein schöner Lehrspruch liegt,
So schlecht der Ausputz auch ein zartes Ohr vergnügt,
Viel kräftiger das Volk; als Verse, die wie Schalen,
Darinn kein Kern mehr ist, mit leeren Tönen pralen.
Den Griechen ist das Chor der Castalinnen hold:126
Das macht, sie geizen nicht nach Silber oder Gold;127
Sie streben nur berühmt und stets beliebt zu bleiben,
Drum sind sie reich an Geist, im Reden und im Schreiben,
In Rom hergegen fängt ein Kind, das reden kann,
Die güldne Rechenkunst128 mit vielem Eifer an,
Und lernt des Groschens Werth durch hundert Brüche theilen.
Geht, fragt den Sohn Albins,129 das kleine Kind, zuweilen:
Fünf hab ich, zwey davon, was bleibt, mein Söhnchen? Drey.
Vortrefflich schön! mein Kind. Ganz recht! es bleibt dabey;
Du wirst dein Glück einmal zum höchsten Gipfel bringen:
Wer diese Kunst versteht, dem muß es einst gelingen.
Noch mehr: Ich habe fünf, und setze drey darzu,
Was machts, mein Söhnchen? acht. Ach Kind, wie klug bist du?
Bey solcher feinen Zucht erwachsen unsre Knaben:
Und doch hofft Rom dereinst Gedichte gnug zu haben,
Darinn der Zeit zu Trotz, das prächtige Latein
Bis auf die späte Welt soll unvergänglich seyn.130
Entweder ein Poet sucht Nutzen oder Lust;131
Auch beydes liebt er wohl zugleich mit reger Brust.
Im lehren sey man kurz, die nutzerfüllten Sachen,
Gemüthern guter Art nicht gar verhaßt zu machen.
Was überflüßig ist132 vergißt man gar zu leicht.
Die Fabel laute so, daß sie der Wahrheit gleicht,133
Und fordre nicht von uns, daß man ihr alles glaube.
Man reiße nicht das Kind den Hexen134 aus dem Leibe,
Die es bereits verzehrt. Die Aeltesten der Stadt,135
Verachten ein Gedicht, das nichts gesetztes hat.
Der hohe Ritterstand136 mag lauter Ernst nicht hören.
Der wird vollkommen seyn, der theils geschickte Lehren,
Und theils was liebliches durch seinen Vers besingt;
Zum theil dem Leser nützt, zum Theil Ergetzung bringt.
Ein solch Gedicht geht ab, wird weit und breit verführet;
Bis es dem Dichter gar Unsterblichkeit gebiehret.
Zwar Dichter fehlen auch;137 und man verzeiht es leicht,
Indem die Seyte doch nicht stets den Ton erreicht,
Den Hand und Ohr verlangt. Es soll oft niedrig klingen.
Doch läßt die Laute kaum den Mittelton erzwingen.
Ein Bogen trifft nicht stets, wornach er abgezielt.
Allein wenn ein Poet dem Phöbus nachgespielt,
Und seine Lieder uns fast durch und durch gefallen,
Denn mag nur hier und da was hartes drunter schallen.138
Es geht ganz menschlich zu. Wie leicht ist es geschehn,
Daß wir zu sorglos sind, und irgend was versehn!
Was folgt indessen draus? Wie wir der Schreiber lachen,
Die, wenn man sie gleich straft, doch stets die Fehler machen,
Davor man sie gewarnt; und wie ein Leyermann,
Der nur sein altes Lied auf einer Seyte kann,
Ein Spott der Kinder wird: so setz ich den Poeten,
Der keinen Ton versteht, und auf den heischen Flöten
Stets falsche Griffe macht,139 zu jenem Chörilus,140
Bey dessen Versen ich verwundernd lachen muß,
Wenn er zuweilen noch was leidliches getroffen.
Hingegen schmerzt es mich, wann wider Wunsch und Hoffen
Homer einmal entschläft.141 Obwohl es leicht geschieht,
Daß ein so langes Werk den Schlummer nach sich zieht.
Ein Vers ist Bildern gleich,142 wo manches uns gefällt,
Wenn mans genau besieht und nah vor Augen stellt;
Indem sich andre nur von ferne trefflich zeigen.
Dem einen ist die Nacht und Dunkelheit fast eigen.143
Das andre liebt den Tag und volles Sonnenlicht,
Und scheuet dergestalt die schärfste Prüfung nicht.
Dieß mag man einmal kaum; und jenes zehnmal leiden,
Denn man erblickt es stets mit neuer Lust und Freuden.
Drum merk, o Piso, dir die güldne Regel an,
Wiewohl des Vaters Wort dich sattsam leiten kann,
Und du schon selber weist die Sachen zu entscheiden:
Man kann in mancher Kunst die Mittelstraße leiden;
Ein Rechtsgelehrter darf nur mittelmäßig seyn,
Ein Redner ebenfalls darf nicht so ungemein,
Als ein Cascellius und ein Messalla sprechen;144
Doch hält man beyde werth und wird sich nicht entbrechen,
Sie lobend zu erhöhn. Allein daß ein Poet
Nur mittelmäßig ist und nicht aufs höchste geht:145
Das hat kein Musenchor, kein Phöbus zugegeben:146
Das wird kein kluger Mensch, kein Bücherkram147 erheben.
Musiken sonder Kunst und voller Uebelklang,
Ein halbverfaultes Oel und Salben voll Gestank,
Ein herber Honigseim,148 das Werk der Sarderbienen;
Was werden die zur Lust bey fetten Tafeln dienen?
Wie man nun ohne sie sich leicht behelfen kann;
So sieht man kein Gedicht mit holden Augen an,
Das kein Vergnügen giebt,149 wozu mans doch erfunden,
Als man zum erstenmal das Sylbenmaaß gebunden.
So bald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht,
Bemerkt man, daß er sinkt, und in der Tiefe kreucht.
Wer kein Turnier versteht,150 enthält sich doch der Waffen:
Wer nie den Ball gespielt, hat nichts damit zu schaffen;
Denn wer sich so vergeht, wird häßlich ausgelacht.
Hingegen nimmt man wahr, daß jeder Verse macht,151
Der doch die Kunst nicht kann. Warum nicht? Geld und Titel152
Sind ihrer Meynung nach der wahren Dichtkunst Mittel.
Du zwingst dich zwar zu nichts, was Pallas dir versagt;153
Das zeigt, wie klug du bist: Doch wenn dein Witz es wagt,
Hinführo auch einmal ein Probestück zu dichten:
So laß erst Tarpens Ohr154 und deinen Vater richten,
Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit geglückt;
Dann werd es noch neun Jahr bedächtig unterdrückt.155
So lang es bey dir liegt, ist leicht was ausgestrichen,
Kein Wort kehrt wieder um, so bald es dir entwichen.
Von schnöder Lebensart, von Mord und Unverstand
Hat Orpheus, der Poet, die Menschen abgewandt,156
Die wilden Thieren gleich in wüsten Wäldern tobten,
Und nachmals seine Kunst als übermenschlich lobten.
Drum sagt man sonst, daß er der Tyger Wuth gezähmt,
Der Löwen Raserey zur Lindigkeit bequemt.
Amphion ebenfalls157 soll durch die Dichtergaben,
Und seiner Cither Klang ein Schloß erbauet haben:
Weil auf der Seyten Ton sich Stein und Holz bewegt,
Bis Thebens Mauer sich freywillig angelegt.
Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten158
Zu zeigen, was für gut und strafbar sey zu halten,
Was recht und schändlich war, der Unzucht feind zu seyn,
Den Beyschlaf abzuthun, den Ehstand einzuweihn,
Die Städte zu erbaun, Gesetze vorzuschreiben:
So mußte Ruhm und Preis den Dichtern eigen bleiben.
Tyrtäus159 und Homer hat nachmals dargethan,
Wie muthig ein Gedicht zum Streite machen kann.
Man hat, was künftig war, in Versen angezeiget,160
Des Lebens Pflicht gelehrt, der Fürsten Herz geneiget,
Das Lust- und Trauerspiel erdacht und ausgeschmückt,
Daran sich das Gemüth nach langer Müh erqvickt.
Drum schäme dich nur nicht der Musen lauten Chören,
Und was Apollo singt, o Piso, zuzuhören.
Man fragt, ob Kunst und Fleiß den Dichternamen bringt,161
Und ob es nicht vielmehr durch die Natur gelingt?
Doch ich kann weder sehn, was Fleiß ohn alle Gaben,
Noch Gaben ohne Fleiß für Nutz und Vortheil haben.
Eins hilft dem andern auf, Natur und Kunst stimmt ein;
Und beydes wird also dem Dichter nöthig seyn.
Wer das erwünschte Ziel im Laufen will ereilen,
Der thut und duldet viel, und schwitzt und friert zuweilen,
Vermeidet Lieb und Wein. Ja wenn an Phöbus Fest
Ein Pfeifer seinen Ton vor andern hören läßt:
So hat er längst zuvor die schwere Kunst gefasset,
Und ist in strenger Zucht gar oft vor Furcht erblasset.
Doch itzo ists genug, wenn jemand selber spricht:
Ich dichte trefflich schön!162 zum mindsten darf ich nicht
Der allerletzte seyn;163 vielweniger gestehen,
Ich hätt es nicht gelernt, den Regeln nachzugehen.
So wie der Mäkler sonst das Volk, das ihn umringt,
Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt:
So lockt ein Dichter oft die Schmeichler seiner Künste,
Weil er begütert ist, zum schändlichsten Gewinnste.164
Wer nun ein Gastmahl giebt und wohl bewirthen kann,
Für Schuldner Bürge wird, und manchen armen Mann,
Der in Processen steckt, vermögend ist zu retten;
Von dem erkühn ich mich ohn alle Scheu zu wetten:
Für Liebe zu sich selbst erkennt er selber nicht,
Des wahren Freundes Wort, und was ein Heuchler spricht.
Wenn du einmal tractirst; so zeige nur dein Blatt
Dem Gaste nicht alsdann, wenn er getrunken hat,
Voll Wein und Freuden ist. Sonst wird er sich nicht scheuen:
Vortrefflich, ungemein! auf jedes Wort zu schreyen.
Er wird entzücket stehn; ein heißer Thränenguß
Wird aus den Augen thaun; und sein gestampfter Fuß
Wird tanzend lustig seyn. Denn so wie bey den Leichen
Die nächsten Erben fast den Klageweibern weichen,
Die man für Geld gedingt, zu heulen und zu schreyn:
So wird ein Spötter auch weit mehr gerühret seyn165
Als Freunde guter Art, die deiner Dichtkunst Proben
Vernünftig eingesehn, und mit Verstande loben.
Man sagt, daß Könige zum Trunke zwingen sollen,
Wenn sie der Diener Herz und Art erforschen wollen;
Bevor sie sich vertraun. Machst du nun ein Gedicht,
So traue doch durchaus den schlauen Schmeichlern nicht.
Ihr glatter Fuchspelz deckt ein hinterlistig Wesen.166
So oft man dem Quintil167 was pflegte vorzulesen,
So sprach er: Aendre dieß, und jenes beßre noch.
Ich kann nicht, sagte man; und gleichwohl hab ichs doch
Mehr als einmal versucht. So muß die Zeile weichen!168
War sein gewohnter Rath; sie ist leicht auszustreichen:
Dann mustre deinen Vers und setz an seiner statt
Was bessers an den Ort, wo er gestanden hat.
Vertheidigte man sich und blieb bey seinen Grillen:169
So sprach er weiter nichts, um solches Dünkels willen;
Und ließ den Affen gehn, der seine Jungen liebt,
Wenn ihm gleich sonst kein Mensch den mindsten Beyfall giebt.
So machts ein kluger Mann,170 er tadelt matte Zeilen,
Verwirft ein hartes Wort, bemerkt auch wohl zuweilen,
Am Rande, wo der Vers was ungeschicktes zeigt.
Er meistert allen Schmuck der gar zu prächtig steigt.
Was unverständlich ist, daß heißt er klärer machen,
Bestraft den Doppelsinn und wird in allen Sachen
Ein andrer Aristarch.171 Er fragt nicht kummervoll,
Warum er einen Freund um nichts verscherzen soll?
So schlecht dieß alles scheint, so wirkt es doch zu Zeiten,
In Wahrheit, etwas mehr, als schlechte Kleinigkeiten;172
Dein schmeicheln macht ihn stolz, dein höflicher Betrug
Bläst einen Dichter auf: so wird er nimmer klug.
Und wie man Leute fleucht, die sich die Krätze schaben,
Die Gelbsucht, Raserey, und Mondenkrankheit haben;
So wird ein kluger Mensch, vor tollen Dichtern fliehn,
Die Knaben werden ihn, zum Hohngelächter ziehn:
Nur von der dummen Schaar, der Witz und Vorsicht fehlet,
Wird er der kleinen Zahl der Dichter beygezählet.
Wie sonst ein Vogler oft, wenn er nach Amseln stellt,
Aus Unvorsichtigkeit in Brunn und Grube fällt:
So stürzt sich ein Poet, der hohe Verse speyet,
Oft selber in Gefahr. Gesetzt nun, daß man schreyet:
Ihr Leute! rettet, helft! Ist doch kein Mensch zu sehn.
Wer weis auch in der That, obs nicht mit Fleiß geschehn?
Und ob er auch einmal, wenn man ihm helfen wollte,
Das zugeworfne Seil, mit Dank ergreifen sollte?
Er kömmt mit Willen um. Ich spreche nicht zu scharf.
Wie sich Empedokles173 in Aetnens Klüfte warf,
Als ihm das kalte Blut so melancholisch worden,
Daß er dadurch verhofft zum hohen Götterorden,
Sich selber zu erhöhn: So geht es hier wohl an.
Man laß es ihm denn zu, daß er verderben kann.
Wer wider Willen hilft, wird schlechten Dank erwerben,
Drum lasse man getrost den tollen Dichter sterben.
Es ist sein erstes nicht, daß er nach Unglück ringt;174
Und wenn man ihn gleich itzt mit Fleiß zurechte bringt,
So wird er darum doch die Thorheit nicht verlassen,
Vielweniger den Weg zum Untergange hassen.
Man sieht auch endlich nicht, warum ein böser Geist,
Poeten solcher Art zum Versemachen reißt.
Ob sie des Vaters Grab175 durch ihren Koth entweihet?
Ob sie kein Heiligthum in ihrer Wuth gescheuet?176
Ob ihre Frevelthat der Götter Haus befleckt?
Das weis ich, sie sind toll; und wie ein Bär uns schreckt,
Wenn er des Kerkers Schloß und Riegel durchgebrochen;
So flüchtet alles weg, wenn sie ein Wort gesprochen.
Denn wer ergriffen wird, daß er sie hören muß,
Der kömmt so bald nicht los, und stirbt fast vor Verdruß:
Weil sie, den Egeln gleich, nicht eh die Haut verlassen,
Bis sie nicht fähig sind, mehr Blut in sich zu fassen.






Fußnoten Gottsched:

1 Fürwahr ein artig Bild! Diese Worte hat der Grundtext nicht. Horaz fängt gleich an, sein Gleichniß von einem seltsamen Gemälde vorzutragen. Allein da sichs im Deutschen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und also zertrennet werden mußte; so macht dieser Anfang den Leser aufmerksam, und sagt ihm kurz, was er zu gewarten habe.
2 Des Malers. Die alten Maler pflegten ihre neuverfertigte Stücke zur öffentlichen Schau auszustellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden darüber zu vernehmen. Die Historie vom Apelles und dem Schuster, ist bekannt. Wer nun so was ungereimtes gemalt hätte, der würde gewiß aller Welt um Gelächter geworden seyn.
3 Schrift. Eigentlich ein Buch; aber nach alter Art, da auch ein kleines Gedichte, auf eine eigene Rolle geschrieben, ein Buch heißen konnte. Dieses Gleichniß kann zwar auch von ungebundenen Schriften gelten; darinn oftmals eben so wenig Zusammenhang, Ordnung und Geschicke, als in einem solchen Bilde zu finden ist. Allein Horaz redet hier hauptsächlich von Poesien, sonderlich vom Heldengedichte und den Schauspielen, die mit einer besondern Kunst angeordnet werden müssen.
4 Man spricht. Dieß ist die Meynung derer, die ihren Einfällen gern alles erlauben, und sich einbilden, die poetischen Sachen wären ganz willkührlich. Daher pflegen sich dieselben vergebens auf diese Stelle zu berufen, wenn sie was ungereimtes entschuldigen wollen: PICTORIBUS ATQUE &C. Dieß sind nicht Horazens, sondern eines Stümpers Worte.
5 Ich geb es zu etc. Dacier will in seinen Anmerkungen über diese Stelle, dieses wären nicht Horatii Worte, sondern er habe sie im Namen seines Gegners vorgebracht. Allein ich sehe nicht, warum? Horaz konnte wohl sagen: Ein Poet habe Macht, nach Belieben zu dichten; da er so gleich die Bedingung hinzusetzt, daß es nur nicht wider die Wahrscheinlichkeit laufen müsse.
6 Mit Edelsteinen. Ich hätte auch Purpurstreifen setzen können, welches dem Grundtexte näher kömmt: Aber wegen der alten Art der römischen Kleidung, die bey uns nicht mehr bekannt ist, habe ichs lieber so gemacht. Denn es ist nur auf einen übelangebrachten Zierrath angesehen. Dazu müssen nun unsern Poeten sonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire, Carniolen und Amethisten dienen.
7 Das alles ist schon gut. Dieses gehört für die unendlichen poetischen Maler, die ihren Leser mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode malen, wo er nicht aus Ekel und Ueberdruß das Buch weglegt. Eine lebhafte Beschreibung ist gut; aber lauter Bilder und Beschreibungen sind verdrüßlich zu lesen. Warum giebt man uns nun noch ganze Bücher von solchen poetischen Malereyen heraus? als ob das Hauptwerk der ganzen Dichtkunst darauf ankäme.
8 Dein stolzer Anfang etc. Es heißt eigentlich gleichnißweise nach Herrn Eckardts Uebersetzung:
Du willst ein groß Gefäß aus deinem Thone treiben,
Und dennoch kömmt zuletzt ein Töpflein von der Scheiben.

Allein ich dachte, daß es nützlicher wäre, die darunter versteckte Wahrheit ungekünstelt herauszusagen.
9 Schlecht und einfach. SIMPLEX & UNUM. Das heißt, nicht gar zu bunt und kauderwälsch durch einander gemischt, als wenn man alle Theile seiner Kleidung aus einer andern Farbe machen wollte. Diese natürliche Einfalt dünkt manchem ein Fehler zu seyn; sie ist aber die größte Kunst. Ein Heldengedichte beschreibt eine einzige Fabel: Das ist nun schlecht und einfach, aber weit künstlicher, als Ovidii Verwandlungen; worinn wol etliche hundert Fabeln stehen. Eine Comödie vom Moliere hat nur eine einzige Fabel zum Inhalte. Ein gut Stück aus dem Corneille und Racine ist gleichfalls einfach. Im THEATRE ITALIEN aber ist alles vielfach und buntscheckigt. Jenes ist regelmäßig, dieses unförmlich und häßlich. N.B. Ein gutes Gedicht muß aus dem vollen geschnitten werden, wie ein gut Kleid; nicht aus mancherley bunten Lappen zusammen geflickt seyn, wie ein Harlekinsrock. Hierinn hat Miltons Paradies gefehlt, darinn geistlich und weltlich, christlich und heydnisch, alt und neu, sehr seltsam durch einander laufen.
10 Sehr vielfach vorzustellen. Das ist der Fehler unsrer poetischen Maler. Sie mischen Himmel und Erde durch einander und kein Ding behält seine Stelle. Die Sterne sind Blumen des Himmels, und die Blumen Sterne der Erden. Die Sonne das Auge der Welt, und das Auge die Sonne des Angesichts u.s.w. Milton malt eine Erde mit Bergen und Thälern, mit Tag und Nacht, Süd, Nord Osten, in den Himmel und baut Palläste in die Hölle etc. Das heißt Fische in den Wald, und das Wild in die See malen.
11 Und jedes Haar etc. Das heißt, die Stümper verfallen auf Kleinigkeiten in ihren Beschreibungen. Sie malen uns alle Sonnenstäubchen, die sie in der Luft haben fliegen sehen: aber im Ganzen ist weder Art noch Geschicke. Einen Helden in der Tragödie läßt man seine Schöne in den künstlichsten Ausdrückungen, bis auf die Fäserchen, so an ihren Spitzen sind, beschreiben; aber die ganze Fabel taugt nichts.
12 Ihr Dichter wagt etc. Mancher will ein Heldengedichte schreiben, ehe er noch weis, daß es Regeln in der Welt giebt, darnach es eingerichtet werden muß. Aristoteles und andre, die davon geschrieben, sind ihm unbekannt: Doch wagt er sich. Mancher will Comödien machen oder Tragödien schreiben, und weis nichts von der innerlichen Einrichtung, von den Schönheiten und Fehlern dieser Poesien. Daher dichtet er die unmöglichsten Sachen zusammen, z.E. nach Athen, zu Demokrits Zeiten, Könige, Glockenthürme, Fischbeinröcke u.d.g. wie Regnard in seinem Demokritus gethan hat.
13 Räthselhaft entdeckt. Dieß geht wieder auf die großen Arten der Gedichte. Ein Heldengedichte und ein theatralisches Stück melden gleich von vorne, wovon es handeln wird, aber nur dunkel; damit nicht der Zuhörer Aufmerksamkeit ein Ende nehme, ehe alles aus ist. Die völlige Auflösung der ganzen Verwirrung muß ganz aufs letzte bleiben. Unsre Romanschreiber pflegen diese Regel ziemlich gut in Acht zu nehmen; wenn sie ihre Fabeln in der Mitten anfangen, und allmählig das vorhergegangene nachholen.
14 Klug im Unterscheiden. Eine kluge Wahl macht einen guten Poeten. Die ersten Einfälle sind nicht immer die besten. In einer Hauptfabel können viele Nebenfabeln vorkommen, aber sie sind nicht alle gleich gut. Der Poet muß einen Unterschied zu machen wissen.
15 Zu kühn. Wider diese Regel haben nicht nur die Zesianer und andre Gesellschafter, aus mancherley Orden in Deutschland auf eine lächerliche Art gesündiget; sondern es treten auch heutiges Tages noch viele in ihre Fußtapfen. Sie machen täglich ein paar Dutzend neue Wörter, und es kömmt kein Gedichte von ihnen zum Vorschein, darinn sie nicht ihrer Meynung nach, die Sprache bereichert hätten. Sie verhunzen auch die Wortfügungen, und meynen nicht eher sinnreich zu schreiben, als wenn sie Sprachschnitzer machen.
16 Das ältste etc. Die Fügung der Wörter giebt oft alten Wörtern einen neuen Verstand: Wenn nun der Scribent sie so verbindet, daß man ohne Mühe sieht, was er haben will, so ists gut. Der Grundtext kann auch von der Zusammenziehung zweyer einfachen Wörter verstanden werden. Z.E. Bank und Sänger ist beydes bekannt: wenn ich aber einen schlechten Poeten einen Bänkelsänger nenne, so ist es neu. Die Lateiner pflegten dergleichen zu thun, aber die Griechen weit häufiger. Wir Deutschen haben die Freyheit auch, aber man muß das Ohr zu Rathe ziehen, und die Aehnlichkeit der Sprachlehre beobachten.
17 Bescheiden thut. Z.E. wenn man UNE COURTISANE eine Buhldirne, ein Original ein Vorbild, eine Idee ein Denkbild nennet; so wird wohl die Bescheidenheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Nase einen Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, der würde gewißlich verstoßen.
18 Griechenland. Was Horaz von Griechenland sagt, das gilt bey uns von Frankreich. Es giebt einige Wörter, die wir von ihnen nehmen müssen; weil wir sie nicht ohne große Umschweife deutsch geben können. Z.E. Perücke, Compliment, Dragoner u.d.gl. Allein viele thuns ohne Noth, wo wir gar gute Redensarten haben.
19 Julius Cäsar hatte angefangen, die lucrinische See mit dem Meer zu vereinigen: August brachte es vollends zu Stande, nennete aber diese Anfurt PORTUM IULIUM.
20 Augustus. Der römische Burgermeister Cethegus hatte den pomptinischen Morast schon einmal ausgetrocknet: er war aber wieder sumpfigt geworden. August ließ ihn also zum andernmal in brauchbar Land verwandeln: Es hat aber auch nicht lange gedauret.
21 Gewohnheit. Freylich muß man nichts schreiben, als was üblich ist; aber nicht alles, was üblich ist, das darf man schreiben. Die Gewohnheit ist zweyerley: die eine geht bey den geschicktesten Hofleuten, den guten Scribenten und dem vernünftigsten Theile vom Adel und Bürgerstande im Schwange. Die andre herrscht bey dem Pöbel, den einfältigen Scribenten, dem ungelehrten Adel, und den affectirten Hofleuten. Jene ist die Richtschnur der Poeten, nicht aber diese. Nach dieser Regel sollten sich die pöbelhaften Versmacher richten, denen auch die niederträchtigsten Redensarten edel genug sind.
22 Gedicht. Horaz meynt das Heldengedichte Ilias, welches in langen sechsfüßigten Versen geschrieben ist. Nun könnte zwar auch in kurzen oder vermischten Versen ein Heldengedicht gemacht werden: weil das Wesen desselben in der innern Einrichtung, nicht aber in der Länge der Zeilen besteht. Allein Aristoteles hat schon erinnert, daß eine solche Art von Versen lange nicht so majestätisch klingen würde, als ein Heldengedicht klingen soll. Im Deutschen müssen wir lange jambische Verse, mit ungetrennten Reimen; oder gar lange trochäische ohn alle Reime dazu nehmen: wo es nicht noch rathsamer ist, das griechische und lateinische heroische Sylbenmaaß bey uns einzuführen.
23 Elegie. Diejenige Art von Versen, da man die Alexandrinischen mit kürzern fünffüßigen immer abwechselt. Zuerst hat man nichts, als Klagen über die Verstorbenen darinn abgefasset: Hernach aber hat man auch verliebte Briefe, Hochzeitverse und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theokles oder Terpander soll sie erfunden haben. Im Deutschen brauchen wir abermal die langen jambischen, doch mit wechselnden Reimen dazu.
24 Archilochus erfand. Nicht als wenn vor ihm keine Jamben wären gemacht worden: Denn nach Aristotelis Berichte hat schon Homer auf einen gewissen Margites eine Satire gemacht, die fast aus lauter jambischen Versen bestanden; sondern weil er sich sonderbar damit hervorgethan.
25 Sehr geschickt. Weil es nämlich im Griechischen und Lateinischen, so wohl als itzo im Deutschen, überaus leicht fiel, jambische Verse zu machen; und weil dieses Sylbenmaaß von der natürlichen prosaischen Rede nicht sehr unterschieden ist.
26 Geräusch. Ohne Zweifel dasjenige, welches in den Schauplätzen entstund, wenn viele Zuschauer vorhanden waren. Weil nun die ungereimten jambischen Verse fast wie die ungebundene Rede klungen, und doch eine gewisse Anmuth hatten: So hörte das Volk desto aufmerksamer zu. Bey uns, und bey den Franzosen machens die Reime, daß unsre poetische Schauspiele von der Prosa gar zu sehr unterschieden sind: Denn Italiener und Engländer machen alle ihre Lustspiele und Trauerspiele in ungereimten Versen, wie die Alten. Von den Opern ist hier die Rede nicht.
27 Der Musen. Im Grundtexte steht nur eine Muse, und es soll vielleicht Calliope seyn; die ihren Sohn Orpheus nach der XII. Ode des I Buchs Horatii, zuerst singen gelehret: Wiewohl es gewiß ist, daß lange vor dem Orpheus schon Lieder gesungen worden.
28 Oden. Dieß ist der allgemeine Name aller Lieder, und begreift vielerley Gattungen unter sich. H YMNOS, ENCOMIA, THRENOS und BACCHICA. Die ersten waren geistlich, und den Göttern zu Ehren gemacht; die andern weltlich, und hielten das Lob der Könige, Helden und Sieger bey den griechischen Spielen, in sich; die dritten verliebt, und beklagten die unglücklichen Schicksale der Poeten in der Liebe; die vierten lustig, und wurden beym Trunke gebraucht. Die HYMNI hießen auch PAEANES, die ENCOMIA wurden auch SCOLIA genennet: die THRENOS nannte man auch MELOS, und die BACCHICA hießen auch wohl DITHYRAMBI, darinnen oft was satirisches vorkam: Wiewohl man diese Namen nicht immer so genau unterschieden hat. Man sehe Scaligers Poetik nach.
29 In jeder Art. Wer die verschiedenen Charactere, der Heldengedichte, Elegien, Satiren, Trauerspiele, Lustspiele und Oden nicht zu beobachten weis, der darf sich nicht rühmen, daß er ein Poet ist. Horaz ist selbst so bescheiden, daß er sich solches nicht zuschreibet. Man kann leicht sehen, wie wenige deutsche Poeten diese Charactere beobachtet. Opitz hat nicht viel Nachfolger gefunden, die, so wie er, in die Fußtapfen der Alten getreten. Man macht Heldengedichte in elegischen, und verliebte Klagen in heroischen Versen. Man macht Lobgedichte in der gemeinen satirischen Schreibart, und die Satire wird bald so hoch als ein Heldenlied, bald gar in der Sprache des Pöbels abgefasset.
30 Betrübt. In tragischen Versen soll man nicht von comischen Sachen reden, heißt es eigentlich. Dawider verstößt z.E. Schackespear, der auch in seinem Julius Cäsar, gleich im Anfange einen Schuhflicker mit den niedrigsten plautinischen Possen einführt. Die Comödie aber hat die lächerlichen Thorheiten des Mittelstandes vor sich, und fodert also eine ungekünstelte, natürliche Art des Ausdruckes. Die Tragödie hergegen stellt die unglücklichen Schicksale hoher Personen vor, und muß also in erhabener und prächtiger Schreibart gemacht werden. Wer dieses vermischt, der verräth seine Unwissenheit.
31 Thyest. Ennius hatte davon ein Trauerspiel gemacht. Es hatte ihm Atreus seine eigene Kinder gesotten, und zu essen vorgesetzt, die er auch unwissend verzehret hatte. Diese grausame Begebenheit vertritt hier die Stelle aller andern tragischen Fabeln, und zeigt, wie ungereimt es seyn würde, von dergleichen schrecklichen Dingen eine niederträchtige Schreibart zu gebrauchen.
32 Nicht jede Schreibart etc. Diese Regel des Horaz ist von großer Wichtigkeit, und erfordert viel Verstand und Beurtheilungskraft bey einem Scribenten: Daher denn vielfältig dawider verstoßen wird, z.E. Günther in seiner Heldenode auf den Prinzen Eugen, der bald sehr erhaben; bald wieder höchst niederträchtig schreibt; oder wie in dem vorgedachten Trauerspiele Schackespears die Schreibart zu niedrig ist.
33 Des Lustspiels Ton erhöhn. Die Natur gewisser Affecten bringt hochtrabende Redensarten, und einen verwägenen Ausdruck nach dem andern hervor. Z.E. der Zorn, davon Chremes in Terentii Comödien ein Beyspiel giebt. Soll nun ein Zorniger auch in der Comödie natürlich sprechen, so muß man ihn tragisch, das ist stolz und trotzig reden lassen. Dieß ist eine Ausnahme von der obigen Regel.
34 Im Klagen senkt sich etc. Die Natur der Traurigkeit erfordert eine niedrige und gemeine Art der Ausdrückungen. Telephus und Peleus, sind ein paar Helden in einer Tragödie gewesen, die Euripides gemacht hat, und worinn er diese beyde vertriebene Prinzen in einem Bettlerhabite ganz kläglich redend eingeführet hat. Sie sind beyde nicht mehr vorhanden.
35 Wörterpracht. AMPULLAS & SESQUIPEDALIA VERBA. Das erste geht auf die hohen Gedanken, das andre auf die langen zusammen gesetzten Wörter, dadurch sonderlich im Griechischen die Schreibart erhoben wurde. Beydes würde in dem Munde eines Traurigen sehr seltsam klingen.
36 Bezaubern. Schöne Worte machens noch nicht, daß ein Gedicht schön ist: Es muß auch durch den Innhalt einnehmen, bewegen, entzücken, ja fast gar bezaubern. Alle poetische Blümchen, aller Zibeth, Mosch und Ambra, Nectar und Ambrosia sind vergeblich; alle Rosen und Nelken, Lilien und Jesminen sind umsonst; aller Purpur und Marmor, alles Gold und Helfenbein, machen nichts: Wenn die innerliche Beschaffenheit der Gedanken nicht das Herz rühret, die Affecten rege machet, und das Gemüth des Lesers oder Zuschauers in Schauspielen oder im lesen nach Gefallen hin und her treibet.
37 So zeige du mir erst. Diese Regel geht auch die prosaischen an. Cicero hat in seinem andern Buche vom Redner weitläuftig genug davon gehandelt. Es ist unmöglich, die Affecten andrer Leute zu rühren, wenn man nicht selbst dergleichen an sich zeiget. Polus, ein römischer Comödiant, sollte die Elektra vorstellen, die ihren Bruder beweinet. Weil ihm nun eben sein einziger Sohn gestorben war, so holte er dessen wahrhaften Aschenkrug auf die Schaubühne, und sprach die dazu gehörigen Verse mit einer so kräftigen Zueignung auf sich selbst aus, daß ihm sein eigner Verlust wahrhafte Thränen auspreßte. Und da war kein Mensch auf dem Platze, der sich der Thränen hätte enthalten können. Man sehe das 18. Capitel der Poetik Aristotelis nach.
38 Ausgelacht. So geht es gemeiniglich denen, die kein Geschicke haben, eine Sache dem gehörigen Affecte nach auszusprechen, und alles in einem Tone herbethen. Man kann es nicht glauben, daß es ihnen ein Ernst sey; und also rühret es auch nicht. Zum Demosthenes kam einer, und verlangte von ihm, jemanden anzuklagen, der ihn geschlagen hätte. Er erzählte aber solches sehr kaltsinnig; so, daß Demosthenes es nicht glauben konnte. Er machte ihm daher viel Einwurfe: Es könnte unmöglich seyn, daß er geschlagen worden; denn beleidigte Leute pflegten mit größerer Bewegung zu reden, als er: Bis jener sich endlich er zürnete, und mit großer Heftigkeit und kläglichen Worten seine Klage zu wiederholen anfing. Nunmehro glaube ich dir, gab der Redner zur Antwort: Denn so pflegt ein Beleidigter zu sprechen.
39 Der Seelen Innerstes, etc. Hier giebt Horaz den philosophischen Grund seiner Regeln an: Und daher sieht man, wie nöthig es auch Dichtern sey, die Weltweisheit gelernt zu haben, sonderlich den Menschen wohl zu kennen; welches ohne die Geist- und Sittenlehre nicht geschehen kann.
40 Spricht irgend etc. Die Rede ist noch immer von den Schauspielen, wo der Poet jede Person so muß reden lassen, wie es ihr Character erfordert. Die Comödianten finden hier gleichfalls ihre Regel, was die Aussprache betrifft. Ja auch die Aufseher der Bühnen haben hier ein Gesetz, ihre Rollen so auszutheilen, daß nicht ein alt Weib die Person eines jungen Mädchens, oder ein weibischer Kerl die Person eines Helden zu spielen bekomme. Denn dieses kann sich niemals recht schicken. Doch muß man nicht denken, die andern Poeten wären hier ausgenommen. Ein jeder, der andere Personen redend einführt, muß sie nach ihrem Character reden lassen. Hierinn sind Homer und Virgil große Meister gewesen.
41 Das ganze Rom. etc. Eigentlich die Edlen, und das gemeine Volk. Die Römer hatten schon einen ziemlichen Geschmack, und konnten es leicht merken, wenn jemand auf der Schaubühne dergleichen Fehler machte. Unsere Zuschauer sind so geübt noch nicht, daß sie dergleichen Urtheil fällen könnten; weil sie wenig Schauspiele gesehenhaben: Es wäre denn, wenn die Fehler ganz handgreiflich sind. Z.E. wenn man einen dummen Herrn, so, wie einen dummen Jungen reden läßt.
42 Herr etc. Knechte. DAVUSNE LOQUATUR AN HERUS. Andere setzen für HERUS, HEROS, und für DAVUS, DIVUS, wie z.E. Dacier will, weil er meynt, die Götter, so in alten Tragödien vorkommen, sollten anders reden, als die Helden. Dieß ist zwar nicht zu leugnen; doch da beyde in erhabner Schreibart sprechen müssen: so giebt es keinen großen Unterscheid. Mir kömmt es also wahrscheinlicher vor, DAVUS und HERUS, ein Knecht und Herr, sey von dem Poeten einander entgegen gesetzt worden; und da ist die Verschiedenheit der Charactere groß genug. Kömmt Davus mehr in Comödien als Tragödien vor, so ist nichts daran gelegen. Diese Regel ist allgemein für uns, und trifft alle Schauspiele.
43 Bauren. Hier ist es augenscheinlich, daß Horaz auch auf die Comödie seine Absichten gerichtet, denn Kaufleute und Bauren kommen in Tragödien fast gar nicht vor. Dacier sucht sich hier vergeblich auszuwickeln. Aristophanes hat diese Regel nach Plutarchs Urtheile schlecht beobachtet: Denn so viel verschiedene Personen er aufführet, so viel Gattungen des Ausdrucks giebt er ihnen. Auch Des Tousches ist ein großer Meister darinnen, wie denn auch Herr Professor Hollberg dieses Lob verdient.
44 Nichts ungereimtes. Nun kömmt der Poet von der Sprache auf die Charactere der Personen, die in dramatischen und epischen Gedichten vorkommen. Diese müssen nun dergestalt gemacht werden, daß die Handlungen derselben wahrscheinlich herauskommen, und es niemanden Wunder nehme, daß dieser oder jener so oder anders verfahren habe. Denn so wie man geartet ist, so handelt man auch. Das Exempel Achills macht die Sache klar.
45 Medeen. Euripides hat sie in einer Tragödie so abgeschildert. Sie ermordet mit eigner Hand ihre zwey Kinder, schicket ihrer Nebenbuhlerinn ein Kleid, welches sich entzündet, und sie verzehret u.s.w.S. den Seneca.
46 Ixion. Er soll der erste Mörder in Griechenland gewesen sein. Er bath seinen Schwiegervater Dejonejus zu Gaste, und brachte ihn ums Leben. Als ihn Jupiter aus den Händen der Richter befreyete, und zu sich in den Himmel nahm, wollte er die Juno nothzüchtigen. Darum stürzte ihn der Gott in die Hölle, wo er auf einem Rade liegend immer in die Runde läuft. Aeschylus hatte davon eine Tragödie gemacht.
47 Ino. Eine Tochter des Cadmus, stürzte sich mit einem ihrer Kinder ins Meer, als ihr Mann Athamas rasend geworden war, ihren ältesten Sohn umgebracht hatte, und den andern auch tödten wollte. Euripides hatte sie deswegen in einem Trauerspiele sehr kläglich redend aufgeführet.
48 Jo, des Inachus Tochter, ward vom Jupiter geliebt, in eine Kuh verwandelt, und von der eifersüchtigen Juno rasend gemacht: da sie denn viele Länder durchstrichen und endlich in Aegypten wieder ihre vorige Gestalt bekommen, und unter dem Namen Isis verehret worden. Aeschylus hat sie in seinem Prometheus bis ins innerste Scythien kommen lassen.
49 Orestes, war der Sohn Agamemnons und der Clytemnestra, der den Tod seines Vaters an seiner Mutter rächete, und deswegen rasend wurde. Man lese die Elektra des Sophokles nach. Euripides hat ein eigen Trauerspiel von ihm gemacht, und seinen Zustand so jämmerlich abgebildet, daß er mehr einem Gespenste und Schatten, als einem lebendigen Menschen ähnlich sah. So groß war sein Unglück, seine Wuth und Raserey geworden.
50 An neue Fabeln. Vorher wies Horatz, wie man Personen, die in den Fabeln schon bekannt sind, characterisiren solle; nämlich so, wie sie von den Alten beschrieben worden: Itzo zeigt er, wie man die Charactere der Personen in neuen Fabeln bilden solle; nämlich nicht widersinnisch, sondern gleichförmig mit sich selbst. Ein Stolzer muß sich stolz, ein Furchtsamer furchtsam, ein Geiziger geizig bezeigen; und bis ans Ende der Fabel so bleiben. Dieses ist nichts leichtes. Indessen haben Homer den Ulysses und Achilles, Virgil den Aeneas, Plautus seinen Großsprecher, Terentius seinen Schmaruzer; Gryphius seinen Schulfuchs und Sempronius, und Hollberg seinen IEAN DE FRANCE so entworfen.
51 In neue Verse. Die Ilias Homers hat zu vielen Tragödien Anlaß gegeben; ob wohl Aristoteles sagt, daß nicht mehr, als eine, oder höchstens zwo daraus gemacht werden können. Man hatte aber nur Gelegenheit davon genommen, und viel dazu gedichtet, welches denn einem Poeten allezeit erlaubt gewesen. Dieses räth uns der Poet, als etwas leichtes. Des Tasso befreytes Jerusalem hat gleichfalls viele Tragödien veranlasset.
52 Bekannten Sachen. Die alten Gedichte der Griechen, die in jedermanns Händen waren. Von einem Helden, ja von derselben Handlung eines Helden, können viele Tragödien gemacht werden. Z.E. Oedipus ist vom Sophokles, Corneille und Voltaire, Sophonisbe von Corneille, Lee, Mairet und Lohenstein, Julius Cäsar vom Schackespear, von der Jungfer Barbier, und von Voltairen, Cato von Addison, des Champs und von mir beschrieben worden; aber alle haben die Fabel anders gemacht.
53 Ahmt ängstlich. Die Nachahmung alter Fabeln muß mit Verstande geschehen. Nicht alles, was man von gewissen Personen findet, läßt sich auf der Schaubühne vorstellen: Denn die Regeln der Schauspiele, sind ganz anders, als die Regeln des Heldengedichts. Wer nun über der Nachahmung seine Absicht vergässe, der würde mitten im Gedichte stecken bleiben; weil er bald sehen würde, daß es sich nicht ausführen liesse.
54 Kein Gedicht etc. Nun scheint Horaz aufs Heldengedichte zu kommen. Et tadelt die pralerischen Anfänge desselben; und führt das Exempel des Mävius an, der den ganzen Lebenslauf Priams in ein Gedichte gebracht hatte; weswegen er ihn SCRIPTOREM CYCLICUM nennet. Statius ist auch ein solcher c YCLICUS SCRIPTOR, weil er den ganzen Lebenslauf Achills beschrieben; und dieser hat es, ungeachtet dieser Regel des Horaz, die ihm nicht unbekannt seyn konnte, doch noch viel ärger gemacht. Er hebt an:
MAGNANIMUM AEACIDAM FORMIDATAMQUE TONANTI
PROGENIEM, & VETITAM PATRIO SUCCEDERE COELO,
DIUA REFER! – – –
Im Deutschen hat ein Freyherr von Lichnovsky des Prinzen Eugens Lebenslauf als ein SCRIPTOR CYCLICUS, in Versen entworfen.
55 Bescheidner. Die Klugheit lehrte diesen Poeten ganz gelassen anfangen, und kein groß Geschrey machen, als er seine Odyssee schrieb. Virgil hat es eben so gemacht. Lucan, Statius und Claudian sind von der rechten Bahn wieder abgewichen. Z.E. Dieser letzte fängt seinen RAPTUM PROSERPINAE so an:
INFERNI RAPTORIS EQUOS, AFFLATAQUE CURRU
SIDERA TENARIO, CALIGANTESQUE PROFUNDAE
IUNONIS THALAMOS, AUDACI PROMERE CANTU
MENS CONGESTA JUBET.
56 Der Schatten zeugt das Licht. Eigentlich, der Dampf geht vor dem Glanze her. Wie der Rauch vor der vollen Flamme entsteht: So muß der Anfang eines Gedichts seyn; nicht aber wie Stoppeln, die gleich lichterlohe brennen, aber auch gleich wieder verlöschen und lauter Rauch machen. Wer den Anfang eines Gedichts gar zu hoch und künstlich macht, der sinkt hernach allmählich. Wer also schwach anfängt, und sich hernach erhebt, der versteht die Kunst besser.
57 Diomeds. Antimachus, ein griechischer Poet, hatte von der Rückreise Diomeds ein Gedichte geschrieben, und den Anfang dazu vom Tode Meleagers vor Troja, gemacht, der doch gar nicht dazu gehörte.
58 Von Ledens Eyern an. Der Urheber der kleinen Ilias hatte sich vorgenommen, den ganzen trojanischen Krieg zu besingen: davon Homer nur einen kleinen Theil in seinem Gedichte beschrieben hat. Er fieng aber die ganze Fabel von vorne an, wie nämlich Helena, nebst dem Castor und Pollux gebohren wäre: bloß weil der Raub dieser Prinzeßinn die Ursache des ganzen Krieges gewesen war. Das war nun viel zu weit hergeholt.
59 Dem Zwecke zu. Ein jedes Heldengedicht hat einen Hauptzweck oder seine Absicht. In der Ilias ist es die Rache Achills an dem Hector: In der Odyssee die Wiedererlangung des Regiments auf der Insel Ithaka. Dahin eilt Homer gleichsam, und mischt keine fremde Zwischenfabeln ein, die nicht ganz unentbehrlich wären. Das ist sein großes Kunststück. Er setzte zum voraus, daß seine Leser den Ursprung des trojanischen Krieges, und andre damit verknüpfte Sachen schon wissen würden.
60 Die er ersonnen hat. Der Poet sagt, Homer habe so gelogen, und das Wahre mit dem Falschen so geschickt vermischt, daß etc. Die Seele des Heldengedichts und einer Tragödie ist die Fabel, die der Poet erdichtet; nicht aber eine wahrhafte Historie, wie sich viele fälschlich einbilden. Wenn die Fabel erdacht ist, alsdann sucht der Poet in der Historie erst eine ähnliche Begebenheit, und giebt seinen Personen die bekannten Namen aus derselben, damit sie desto wahrscheinlicher werde. Das heißt, das Wahre mit dem Falschen vermischen; wie Aristoteles solches in seiner Poetik, und Bossu in seinem Tractat von Heldengedichten weitläuftig zeigen.
61 Vernimm, etc. Hier kömmt Horaz wieder auf die Schauspiele, und will zeigen, worinn ihre Schönheit bestehe. Dieses müssen sich alle diejenigen wohl merken, die ihr Glück auf der Schaubühne versuchen wollen, damit sie nicht ungereimt Zeug machen.
62 Der Sänger. Vermuthlich meynt der Poet das ganze Chor, welches zwischen den verschiedenen Handlungen der Schauspiele ganze Oden abzusingen pflegte, und am Ende mit dem Worte PLAUDITE den Schluß machte. Doch war es hauptsächlich der Choragus, oder der Anführer des Chores, der im Namen des ganzen Chores zu reden pflegte.
63 Der Menschen etc. Dieß ist die nothwendigste Eigenschaft eines Poeten, der theatralische Stücke verfertigen will. Er muß die Moral verstehen, oder den Menschen mit allen seinen verschiedenen Neigungen und Begierden kennen. Ohne diese Wissenschaft wird er lauter Fehler machen. Die größten Meister habens zuweilen hierinn versehen: Was wird denn von Stümpern zu hoffen seyn, die von der Philosophie, so zu reden, nicht einmal gehöret haben? Gleichwohl haben wir in Deutschland eine Menge verwegener Comödienmacher gehabt, an welchen nichts mehr zu loben ist, als daß sie das wenigste haben drucken lassen: So, daß es uns gleichwohl von Ausländern nicht zur Schande kann vorgerücket werden. Auch itzo, nachdem unsre Bühne ein besseres Ansehen gewonnen, finden sich Leute, die keine Person zu characterisiren wissen, und z.E. dem Apollo, anstatt der Leyer das Bild der Klugheit in die Hand geben, u.d.gl. und sich doch für Meister der Schaubühne ausgeben.
64 Des Greises Rolle. Das heißt nicht: Keinem jungen Comödianten die Partie eines alten Mannes zu spielen geben; sondern einem Jünglinge, der im Schauspiele selbst einen jungen Menschen vorstellen soll, nicht die Gemüthsart eines Alten andichten. Denn da jenes sehr wohl angeht, so läuft dieses wider alle Wahrscheinlichkeit. Hieher gehört, daß man die Rolle einer tugendhaften Person, die des Zuschauers Hochachtung erwerben soll, nicht einem verhaßten oder verächtlichen Comödianten; und hingegen die Person eines Lasterhaften keinem beliebten und angenehmen Schauspieler auftrage. Siehe davon des Zuschauers VI. Band 446. Stück.
65 Erzählt man bloß. Man kann nicht alles sichtbarlich auf der Schaubühne vorstellen, was in einer Tragödie oder Comödie vorkömmt. Bisweilen ist die Zeit, bisweilen auch der Ort Schuld daran; bisweilen aber auch die Natur der Sache selbst. Die Franzosen lassen sowohl, als die alten Griechen, auf ihren Bühnen kein Blut vergießen, weil sie so weichlich und wollüstig von Natur sind, als jene waren. Wenn also ein Todtschlag vorgeht, so wird er nur erzählt, als wenn er hinter den Scenen vorgegangen wäre. Die Engeländer und wir Deutschen haben dergleichen blutige Dinge gern; wenige Personen ausgenommen, die kein Blut sehen können. Doch ist es der Wahrscheinlichkeit wegen besser, sich dieser Vorstellungen zu enthalten.
66 Medea. Wir haben oben gehört, daß sie ihre beyde Kinder ermordet habe. Wenn nun ein Poet ein Trauerspiel davon machte, so darf er sie diese schändliche Mordthat nicht vor den Augen der Zuschauer begehen lassen. Seneca hat es indessen in seiner Tragödie doch gethan, und also des Horaz Regel überschritten: Der aber, wie leicht erhellet, nicht alle, sondern nur die grausamsten Mordthaten auf der Schaubühne für unanständig erkläret; wie denn alle drey griechische Tragödienschreiber sich nicht gänzlich der blutigen Handlungen enthalten haben.
67 Progne soll sich in eine Schwalbe, Philomele in eine Nachtigall, Cadmus aber in eine Schlange verwandelt haben. In der Fabel ist dieß angenehm zu lesen, aber es wird lächerlich, ja unglaublich, wenn man es sichtbar vorstellen wollte. Daher kann man urtheilen, was von der Verwandlung eines Mannes in einen Hund zu halten sey, die uns gleichwohl in einer gewissen neuen Comödie auf der Schaubühne hätte gezeiget werden sollen, wenn sie jemals gespielet worden wäre.
68 Fünf Aufzüge. Die Neuern haben zwar zuweilen nur drey gemacht, aber alsdann bekömmt jeder Aufzug gar zu viel Scenen oder Auftritte, so, daß dem Zuschauer Zeit und Weile darüber lang wird. Es ist also besser, man bleibe bey dieser Regel des Horaz, und folge lieber dem Exempel der alten Griechen nach, als den heutigen Italiänern: Die ohne Zweifel die Urheber der Stücke mit dreyen Aufzügen sind.
69 Keinen Gott. Die alten Tragödienschreiber pflegten zuweilen ohne Noth, die Götter in ihre Fabeln zu mischen: Sonderlich wenn sie ihren Helden in solche Umstände hatten gerathen lassen, daß er ohne ein solches Wunder nicht aus oder ein gewußt hätte. Dieses verbiethet Horaz, ohne die höchste Noth nicht zu thun. Es ist auch in der That eine schlechte Kunst, die Verwirrung, darinn man seinen Held gestecket, durch eine göttliche Hülfe zurecht zu bringen. Das heißt, den Knoten zerschneiden, nicht auflösen. Daher erhellet denn, daß die größte Schönheit der Opern, die den Pöbel so blendet, ich meyne die Maschinen, nichts als theatralische Fehler sind, zumal die meisten recht bey den Haaren herzugezogen werden.
70 Ihrer drey. Dieses ist eine Regel, dawider fast in allen neuern theatralischen Poesien gehandelt wird. Die Alten hatten gemeiniglich nur zwey, selten drey, und fast niemals viere auf einmal mit einander sprechen lassen. Der lateinische Ausdruck läßt sich auch so erklären, daß die vierte Person, sich nicht ohne Noth zum Reden dringen solle. Die Franzosen indessen haben zuweilen wohl fünf Personen auf der Schaubühne in einem Auftritte reden lassen. Es ist auch zuweilen fast unentbehrlich, nur es muß keine Verwirrung dadurch verursachet werden.
71 Der Chor. Das war bey den Alten eine Menge von Leuten, die auf der Schaubühne, als Zuschauer der Handlung, die daselbst gespielet ward, vorgestellet wurden. Die Wahrscheinlichkeit erforderte es damals so. Die Thaten der Könige und Helden giengen fast immer auf öffentlichem Markte, oder doch auf solchen Plätzen vor, wo eine Menge Volks ihnen zusah. So mußten denn diese auch auf der Schaubühne vorkommen. Die Bürger der Stadt hatten auch mehrentheils an den Handlungen ihrer Könige Theil: Daher sagt hier Horaz, der ganze Chor solle auf der Bühne die Stelle einer mitspielenden Person vertreten; das heißt, zuweilen etwas darzwischen reden. Es sprachen aber nicht alle Personen des Chors auf einmal, sondern der Führer (Choragus oder Coryphäus) redete im Namen der übrigen.
72 Nichts ungeschicktes. Einige Poeten hatten den Chor nur dazu gebrauchet, daß er zwischen den Handlungen was singen mußte, und die Lieder schickten sich gar nicht zu der Tragödie. Das kam nun eben so heraus, als wenn itzo die Musikanten allerley lustige Stücke darzwischen spielen. Aber Horaz will, daß alles, was der Chor redet und singet, sich zur Sache schicken, und mit dem ganzen Spiele zusammen hängen soll: Wie es Sophokles in seinen Tragödien gemacht hat.
73 Er sey etc. Hier erklärt der Poet die ganze Pflicht des Chores. Er soll den Tugendhaften geneigt seyn, den Hülfbedürftigen mit Rath an die Hand gehen, die Zornigen besänftigen, die Unschuldigen vertheidigen, die Sparsamkeit loben, Recht und Billigkeit lieben u.s.w. Dadurch ward nun eben die Tragödie der Alten eine Schule des Volkes, und die Poeten, die dem Chore solche nützliche Sachen in den Mund legten, wurden öffentliche Lehrer der Tugend. Man lernte im Schauplatze mehr Morale und rechtschaffenes Wesen, als in den Tempeln der Heyden von so vielen müßigen Götzenpfaffen, die nichts, als ihre Ceremonien zu beobachten wußten. So sollten von rechtswegen alle Schauspiele eingerichtet werden, nicht aber so, daß sie zu Lastern reizen.
74 Die Pfeife, etc. Womit man bey dem Gesange des Chores in Tragödien zu spielen pflegte. Wie nun diese, sowohl in Griechenland, als nachmals in Rom, anfänglich schlecht waren; nachmals aber allmählich immer künstlicher und kostbarer gemacht wurden; nachdem die Republik selbst in Flor kam, und die Musik vollkommener wurde: so gieng es auch mit der Poesie, oder den Liedern des Chores, davon der Poet hier noch fortfährt zu reden. Erst waren sie einfältig, hernach wurden sie immer besser, und endlich gar so künstlich und tiefsinnig, daß sie den Orakeln nicht viel nachgaben.
75 Metall, etc. ORICHALCUM war eine Art köstliches Metalls, das wir itzo nicht mehr kennen. Plinius schreibt, man habe es gar eine Zeit lang dem Golde vorgezogen. Einige meynen, es müsse AURICHALCUM, d.i. Golderzt heißen; aber es ist griechischer Abkunft, ὀριχαλκος, und heißet Bergerzt.
76 Vier Löchern, etc. Nach dem Berichte Varrons sind die ältesten Pfeifen nicht mit mehr, als vier Löchern versehen gewesen: Ich habe also dieses mit eingerückt, ungeachtet Horaz nur von wenigen Löchern gedenket.
77 Bey Tage prassen. Die alten Römer schmauseten nicht sehr; und wenn sie es ja thaten, so geschah es des Abends. Aber als der Ueberfluß die Bürger wollüstig gemacht hatte, pflegten sie es auch bey hellem Tage zu thun; und das ward ihnen von keinem Sittenrichter oder sonst von jemanden verbothen.
78 Ein Bauer. Die alten Römer trieben fast alle den Ackerbau, und man hat wohl eher einen Bürgermeister oder Dictator hinter dem Pfluge suchen müssen. Solche Landleute nun waren keine sonderlichen Kenner von Poesie und Musik: Es war schon gut genug für sie, so schlecht es auch immer seyn mochte.
79 Der Pfeifer. Die Musikanten gehörten mit zum Chore der Alten, und stunden also mit auf der Bühne, so, daß man sie sah. Da nun ihre Musik sehr künstlich, zärtlich und wollüstig geworden war: so trugen sie auch prächtige lange Kleider mit großen Schweifen, dergleichen die andern tragischen Personen hatten.
80 Die Cyther. Die Leyer, Harfe, oder wie man das Wort FIDES geben will. Sie ward vorzeiten in Griechenland, eben sowohl als die Pfeifen in Rom, beym Chore der Tragödien gebraucht. Siehe den Vossius DE POËMATUM CANTU, SIUE DE VIRIBUS RHYTHMI, APUD VETERES. Horaz will hier sagen, daß sie auch anfänglich nur schlecht weg, und ohn alle Kunst gespielet worden; allmählich aber ganz zärtlich, wollüstig und frech geworden, das heißt: FIDIBUS SEUERIS VOCES CREUERE. Was von der Musik gesagt worden, das gilt auch von der Poesie der Griechen; wie die folgenden Verse zeugen.
81 Geschwulst. Horaz sagt ELOQUIUM INSOLITUM, und FACUNDIA PRAECEPS, beydes zeigt die hochtrabende Art des Ausdruckes, und die schwülstige Dunkelheit der griechischen Oden an, die der Chor singen mußte. Die Ode muß freylich wohl eine edle Schreibart haben: Aber die Poeten triebens zu hoch, und machtens endlich so arg, daß man sie nicht besser verstehen konnte, als die Antworten der Orakel, die doch ganz zweydeutig zu seyn pflegten. Hiemit tadelt er alle die Poeten, die ihre Schreibart, zumal in den Schauspielen, gar zu tiefsinnig machen, und ihre Gedanken so verstecken, daß man sehr listig seyn muß, um ihre Meynung zu errathen.
82 Düften. Es ist bekannt, daß zu Delphis aus einer unterirdischen Höle ein gewisser Dampf aufgestiegen, der nach dem gemeinen Aberglauben, der auf einem Dreyfusse darüber sitzenden Priesterinn, die prophetische Wissenschaft künftiger Dinge von unten zu eingehauchet. Diese prophezeihende Schreibart nahmen die Poeten in den Oden ihrer Chöre an; und überschritten die Schranken der Wahrscheinlichkeit dadurch sehr.
83 Der Dichter. Er redet hier von dem Pratinas, dem Erfinder der Comödien. Es hatte derselbe vorher auch Tragödien gemacht, die dazumal noch nichts, als bloße Lieder waren, die von einer großen Anzahl Sänger auf Dörfern und Marktflecken den Leuten vorgesungen wurden. Es hat zu seiner Zeit schon mehrere gegeben, die mit einander um den Vorzug gestritten, und der Preis, der zum Gewinne aufgesetzt war, ist ein Bock gewesen. Dieser Pratinas lebte nach Plutarchs Berichte, gleich nach dem Thespis, der die Tragödie erfunden hat.
84 Entblößte etc. Dieser Poet Pratinas hat den ganzen Chor aus nackten Satyren, unter der Anführung Silens, ihres Obersten, bestehen lassen; und also eine Art von satyrischen Tragödien aufgebracht. Es waren aber die Stachelreden dieser sogenannten Satyren nicht so lustig und scherzhaft, als die Comödien. Dieses hätte sich mit der tragischen Ernsthaftigkeit nicht zusammen gereimet; darum sagt Horaz, INCOLUMI GRAUITATE, JOCUM TENTAUIT ASPER. Sie sind mehr beißigt und scharf, als lächerlich gewesen. Wir haben nur eine Probe von dieser Art, nämlich des Euripides Cyclops, übrig behalten, darinn die List des Ulysses vorgestellet wird, womit er sich aus den Händen des Polyphemus befreyet hat.
85 An Feyertagen. Die heidnische Religion war sehr lustig. Der vornehmste Gottesdienst bestund im Opfern, dabey man wacker schmausete, und dem Gott Bacchus zu Ehren, sich einen Rausch trunk. Die ersten Tragödien waren nichts anders, als Lieder, die demselben zu Ehren gesungen wurden, und die Stelle der Nachmittagsandachten vertraten. Da man nun zwischen die Lieder des Chores die redenden Personen eingeschaltet hatte, die eine besondere Fabel spieleten, dazu sich denn auch der Chor hernach schicken mußte: so hatte durch diese neue Erfindung der Poeten, der Gott Bacchus gleichsam seine ganze Verehrung eingebüßet. Das trunkne Volk hergegen war dieser beliebten Gottheit noch sehr gewogen: daher beqvemte sich dieser Poet einestheils dieser Neigung, und mischte unter die ernsthaften tragischen Vorstellungen Chöre von Satyren, die auch etwas Lustiges mit darunter machten.
86 Wagt sich unter uns. In Rom sind dieser Art Schauspiele niemals eingeführet worden: obgleich einige die FABULAS ATELLANAS dahin haben rechnen wollen. Gleichwohl giebt Horaz auf allen Fall Regeln, die allen Satyrenschreibern dienen können. Unsere Nachspiele, wenn sie ehrbar sind, vertreten ihre Stelle.
87 Ein Gott, ein Held. Diese Personen gehören eigentlich nicht in die Comödien, sondern in die Tragödien: doch in den atellanischen Fabeln, pflegten die Römer auch diese aufzuführen, und was Lustiges mit unterzumischen. Eine solche Atellana war gleichsam das Nachspiel einer Tragödie in Rom, wie Dacier will, und ward von eben denselben Personen gespielt, die im Vorspiele in Kron und Purpur erschienen waren. Wollen wir uns diese Anmerkung zu Nutze machen, so verdammt Horaz hier auch diejenigen Comödianten, die in der Hauptvorstellung einen König oder Helden vorgestellet, und gleich im Nachspiele eine lächerliche Person spielen. Dieses ist vernünftigen Zuschauern höchst zuwider. Siehe des Zuschauers 446. Blatt.
88 Sich weder etc. noch etc. Die Schreibart in dieser Art von Schauspielen soll das Mittel halten, weder pöbelhaft und niederträchtig, noch gar zu hochtrabend und aufgeblasen seyn. Die Römer hatten noch FABULAS TABERNARIAS, da auf der Bühne die Hütten schlechter Leute vorgestellt wurden, und worinn lauter schlechte Leute auftraten, die ganz gemein redeten. Zwischen diesen und den tragischen Ausdrückungen sollen die atellanischen Fabeln das Mittel halten.
89 So ehrbar eine Frau. Dieß Gleichniß ist überaus geschickt, das obige zu erläutern. Eine Matrone mußte zwar an Festtagen tanzen; aber ganz ehrbar: nicht so lustig, als junge Mägdchen, die sich recht ergetzen wollten. So sollte auch diese Art von Tragödien seyn. Es waren aber nur gewisse Feste, da die Frauen in Rom den Göttern zu Ehren tanzen durften, und sie wurden von den Priestern dazu gewählet. Das heißt MOUERI IUSSA.
90 Ein solch Gedichte. Im Grundtexte SATYRORUM SCRIPTOR, ein Schreiber solcher satyrischen Gedichte, oder solcher atellanischen Tragicomödien. Dieß giebt allen Nachspielmachern eine treffliche Regel. Sie sollen nicht grob, bäurisch und gemein reden; sondern auch das Nachspiel hat seinen Adel im Ausdrucke. Z.E. Euripides in dem Cyclops, einem satyrischen Stücke, läßt den Ulysses durch den Silenus fragen: Weil ihr nun die schöne Helena aus Troja wiedergeholt, habt ihr sie nicht alle ein wenig lieb gehabt; weil sie doch ohnedem ihre Männer gern wechseln mag? Was für Zoten hätte da nicht ein heutiger Possenreißer einem solchen Satyr in den Mund geleget?
91 Als wär es mir gleich viel. Der Character der Personen muß doch in Acht genommen werden: Und wenn gleich in der Tragödie alles erhaben und edel klingen soll; so muß doch der Knecht Davus nicht so reden, wie Pythias, die in Lucils Comödie einen alten Simon ums Geld gebracht; vielweniger, wie Silenus selbst, des Gottes Bacchus Hofmeister, der im Trunke auch wohl eine Zote mit unterlaufen ließ.
92 Nach etwas wahrem. Die damaligen Poeten mochten sich in den atellanischen Tragödien eben die Freyheit nehmen, die in Comödien gilt, und ihre Fabeln nicht aus der Historie ziehen. Aber Horaz will, man soll es eben so, wie mit andern tragischen Fabeln machen, die am besten sind, wenn sie aus den Geschichten gezogen worden. Davon gehen unsre Nachspiele sehr ab.
93 So viel kömmt etc. Dieses handelt nicht von der Schreibart, sondern von der Einrichtung eines Schauspieles, woselbst die artige Verknüpfung der Begebenheiten auch gemeine und bekannte Sachen beliebt macht, und ihnen ein neues Ansehen giebt.
94 Nehmt. Horaz kömmt noch einmal auf die Mittelstraße, die in satyrischen Schauspielen wegen des Ausdruckes beobachtet werden soll. Die gar zu große Zierde und Zärtlichkeit der damaligen Römer schickte sich nicht für die Satyren, die vom Lande hergeholet waren; aber auch keine Unflätereyen, die gewiß in üppigen Städten eher, als auf dem Lande bey der Einfalt gefunden werden. Virgil ist in seinen Schäfergedichten so keusch, daß er nicht einmal seinen Silenus etwas anstößiges sagen läßt. Er verspricht seinen Zuhörern, die gern Verse hören wollten, was vorzusingen; seiner Nymphe Aegle aber, etwas anders zur Belohnung: CARMINA QUAE VULTIS, COGNOSCITE; CARMINA VOBIS; (SCIL. DABO) HUIC (SCIL. AEGLAE) ALIUD MERCEDIS ERIT. Wie hätte er sich hier züchtiger ausdrücken sollen? Unsre neuern Dichter würden hier grobe Zweydeutigkeiten gemacht haben.
95 Der Pöbel. FRICTI CICERIS AUT NUCIS EMTOR. Man verkaufte in Rom gekochte Erbsen und gebratne Nüsse, oder vielleicht Castanien: und diese kaufte wohl auf der Gasse nur das gemeinste Volk. Solche Leute liebten damals auch die unflätigsten Possen; aber die Vornehmern hatten einen bessern Geschmack.
96 Dreyfach. Der Jambus ist geschwinde in der Aussprache; denn die erste Sylbe ist kurz, und man fällt alsofort mit dem Accente auf die andere lange. Sechsfüßige Jamben, hießen also dreyfache; weil man gleichsam zwey Jamben zusammen nahm, und als einen gedoppelten Fuß zählete. Im Deutschen gehen unsre sechsfache Jamben so geschwinde nicht von der Zunge; weil unsre Sprache zu viel Mitlauter hat, die bey den kurzen Sylben sowohl, als bey den langen häufig vorkommen.
97 Desto männlicher. Die Spondeen klingen freylich männlicher, weil sie aus zwo langen Sylben bestehen: und daher haben die lateinischen Poeten gemeiniglich etliche derselben unter ihre Jamben gemischt. Im Deutschen ist es uns auch so ungewöhnlich nicht, daß wir manche lange Sylbe da dulden, wo eigentlich eine kurze stehen sollte; daraus an statt des Jambi ein Spondeus entsteht. Rechnen dieses einige unter die poetischen Freyheiten; so könnte man es zuweilen gar für eine Schönheit halten: wenn sie nur auf die von dem Horaz angewiesene Stelle kommen, als wo sie am erträglichsten sind. Dieß ist wohl zu merken.
98 Man spürt ihn. Nämlich den Spondeus; aber nicht so regelmäßig und auf den gehörigen Stellen. Ja diese alte Poeten haben wohl zuweilen ganze spondeische Zeilen, darinn nur der letzte Fuß jambisch ist, unter ihre Jamben fließen laßen: Nicht anders, als es unsere alte Meistersänger gemacht, auch wohl einige neuere noch thun, welches aber ihre Verse rauh und hart machet; gesetzt, die Gedanken wären noch so schön. Gewisse Grillenfänger wollen wohl gar eine Schönheit in solchen Knittelversen finden.
99 Zu richten. Dieses müssen sich die Kunstrichter gewisser Landschaften gesagt seyn lassen, deren Sprache so rauh ist, daß sie von dem Wohlklange gar keinen Begriff haben. Sie loben oft, was einem zarten Ohre unerträglich klingt, Schnitzer wider die Sprachkunst.
100 Mehr als tadelfrey. Horaz will nicht nur untadelhafte Verse schreiben; sondern er will auch Lob verdienen. Keine Schnitzer wider die Regeln machen, das ist gut, und nothwendig: aber es macht noch keinen Poeten. Es gehört weit mehr dazu. Was würde Horaz von der Menge unsrer Versmacher sagen, die es zum höchsten so weit bringen, daß man nichts sonderliches an ihren Versen tadeln kann? Wir werden hernach noch was von mittelmäßigen Poeten finden.
101 Der Griechen. Was bey den Römern die Griechen waren, das sind für uns itzo die Franzosen. Diese haben uns in allen großen Gattungen der Poesie sehr gute Muster gegeben, und sehr viel Discurse, Censuren, Critiken und andere Anleitungen mehr geschrieben, daraus wir uns manche Regel nehmen können. Ich schäme mich nicht, unsern Nachbarn in diesen Stucken den Vorzug zu geben; ob ich gleich meine Landesleute in andern Stücken ihnen vorziehe. Aber die alten Griechen und Römer sind uns deswegen nicht verbothen: denn ohne sie hätte uns Opitz nimmermehr eine so gute Bahn zu brechen vermocht. Aus Lesung der Alten ist er ein Poet geworden; und wer ihm nicht folget, der wird es nimmermehr werden.
102 Zwar unsrer Väter. Eigentlich unserer Altväter etc. Dacier meynt, dieses sey ein Einwurf, den die Pisonen, oder sonst jemand, dem Poeten gemacht; weil Horaz, als eines Freygelassenen Sohn, dieses von sich nicht sagen können. Allein was brauchts dieser Schärfe im Reden? Horaz war ein Römer, also konnte er ja alle alte Einwohner seiner Stadt, seine Vorfahren nennen: zumal da er nicht sagt, meine Vorväter, sondern unsre.
103 Aus blinder Gunst. Horaz erkühnt sich seiner ganzen Vaterstadt ein unrichtiges Urtheil vorzuwerfen. Plautus ist im Sylbenmaaße sehr unrichtig; und in seinen Scherzreden sehr schmutzig und garstig. Das erste hat er in seiner eigenen Grabschrift selbst gestanden; indem er seine Verse NUMEROS INNUMEROS nennt. Von dem andern aber könnte man, ihm nachzuahmen, sagen, daß er SALES INSULSOS, oder FACETIAS INFICETAS gemacht habe. Die plautinischen Zoten gefielen Horazen nicht: Und ob er wohl selbst in seinen andern Gedichten von diesem Fehler nicht ganz frey ist; so haben wir uns doch mehr an seine Regeln, als an sein Exempel, zu kehren. Dieses müssen sich die Comödianten merken, die auch in solche Stücke Zoten mengen, wo weder der Verfasser, noch Uebersetzer dergleichen gemacht, wie es in dem Gespenste mit der Trummel gegangen.
104 Ein erlaubter Scherz. Horaz unterscheidet hier ausdrücklich die erlaubten Scherzreden von den häßlichen Zoten, die in Plauti Comödien vorkommen. An dieser Einsicht fehlt es vielen, die sich doch für scharfe Richter ausgeben. Man könnte leicht durch ein paar Regeln den Unterscheid bestimmen, oder zum wenigsten ein Kennzeichen der Zoten angeben. Der berühmte D. Swift sagt irgendwo, daß die Wits- oder sinnreichen Köpfe seiner Zeit, allen ihren Geist in der allegorischen Beschreibung der Erzeugung eines Menschen, und was dem anhängig ist, zeigeten; und daß sie bey Verstopfung dieser Qvelle, mit ihrer Scharfsinnigkeit auf einmal verstummen würden. Daß es bey uns nicht besser gehe, lehrt die Erfahrung.
105 Aufgebracht. Nicht, als wenn Thespis der allererste Erfinder der Schauspiele wäre. Plato in seinem Minos berichtet ausdrücklich, daß man lange vor ihm Tragödien gemacht, welcher Name damals auch die Comödien noch unter sich begriffen hat. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingeführt, und die alten Lieder merklich ausgebessert.
106 Gesang und Spiel, QUAE CANERENT AGERENTQUE. Die Veränderung, die Thespis eingeführt, hat vornehmlich darinn bestanden, daß er zwischen die Oden des singenden Chores, eine Person auf seinen mit Brettern belegten Wagen treten lassen, welche etwa eine merkwürdige Begebenheit eines großen Helden in Versen erzählen müssen. Dieses legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten der Tragödie, und war freylich etwas wichtigers, als daß er seinen Leuten das Gesichte mit Hefen überstrichen, oder sie auf Wagen herum geführet.
107 Aeschylus. Dieser hat die Larven und langen Kleidungen seiner Comödianten erfunden. Allein das Beste hat Horaz vergessen, welches uns aber Aristoteles meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeschränket, und zu der einen Person, die Thespis darzwischen eingeschaltet hatte, noch eine andre auf die Bühne gestellt, die sich mit der ersten unterreden konnte. Das machte nun die Tragödie schon sehr ansehnlich; zumal da er auch zuerst die Idee einer Hauptperson in seinen Fabeln erdacht hat. s. Baylen in dies. Art.
108 Hohem Schuh. COTHURNUS, war eine Art von Schuhen, die bey den Alten nur von fürstlichen oder andern vornehmen Personen getragen wurde. Die tragischen Fabeln des Aeschylus bestunden nun aus Begebenheiten der Könige und Helden, drum hat er sie auch standesmäßig kleiden müssen. Es war also der Wahrscheinlichkeit gemäß, sie auch in der Tragödie so vorzustellen; und nur die Dummheit ist vermögend, Stelzen daraus zu machen. Hernach ist dieß Wort auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragödie vorkam, und gleichfalls vom Aeschylus zuerst gebraucht worden; weil sie sich für Könige und Fürsten wohl schickte.
109 Das Lustspiel, die Comödie ist neuer, als die Tragödie, beyde aber sind aus den singenden Chören der Bacchusbrüder entstanden. Einige Sänger und Poeten machtens hübsch ehrbar; und daraus entstund die Tragödie. Andre waren frech, und machten allerley grobe Possen; daraus kam die Comödie: aber nur die alte Comödie, wie Horaz sagt; denn es hat sich dieselbe hernach geändert, so, daß eine mittlere und neue entstanden ist. Jene war noch sehr unfläthig, bäurisch und grob, wie auch ihr Name zeiget, der eigentlich so viel, als ein Dorflied bedeutet. Sie ward auch anfangs nur auf Dörfern gespielet, bis sie sich besserte; und darauf kam sie auch in der Stadt empor.
110 Die Frechheit. Zu der Zeit, da Cratinus, Epicharmus, Crates, Eupolis und Aristophanes lebten, welche alle Comödien schrieben, nahm man sich in Athen die Freyheit, die vornehmsten Leute auf den Schaubühnen namentlich aufzuführen und lächerlich zu machen. Sie spielten keine Fabeln, sondern lauter wahre Historien. Sie malten gar die Larven so künstlich, daß sie denen ähnlich sahen, die sie vorstellen wollten. Aber als Lysander sich der Republik bemächtigte, so hatte diese Lust des Volks ein Ende. Denn so lange das Volk in Athen regierte, sah es der Pöbel gern, daß die Großen wacker von den Poeten herumgenommen wurden. Das war nun die mittlere Comödie, die bis zu Alexanders Zeiten gedauert.
111 Der Chor etc. stumm. Der Chor ward in der mittlern Comödie noch eben so wohl, als in der Tragödie beybehalten, und absonderlich an gewandt, die Großen der Stadt Athen und ihr übles Regiment durchzuziehen. So bald dieses den Poeten untersaget ward, hörten sie ganz und gar auf, in den Comödien Lieder singen zu lassen, und huben an, an statt wahrer Historien, Fabeln aufzuführen. Da entstund nun die neue Comödie, die seit der Zeit noch immer beybehalten worden. Nur zwischen den Handlungen wurde von den Pfeifern was Lustiges geblasen.
112 So wohl der etc. als etc. Die römischen Poeten, Pacuvius, Accius, Afranius, Titinius und Q. Atta hatten allerley Schauspiele gemacht. Sie bestunden theils aus vornehmen obrigkeitlichen Personen, und hießen FABULAE PRAETEXTATAE, von denen mit Purpur eingefaßten Kleidern, die sie trugen. Theils Fabeln aber waren nur TOGATAE schlecht weg; weil nur gemeine Bürger darinn aufgeführet wurden. Noch andre hießen TABERNARIAE. Jene kamen den Tragödien bey, diese aber waren Comödien. Der Poet braucht dabey das Wort DOCUERE: Denn so redeten die Alten, eine Tragödie lehren, eine Comödie lehren. Dieses zeigt, wie nutzbar die Poesien damals gewesen, und daß man sie mehr zum Unterrichte, als zur Lust bestimmet habe. Daher wurden die Poeten, die Schauspiele machten, Διδάσκαλα, Lehrmeister genennet: Weil sie die einzigen öffentlichen Lehrer des Volks waren, indem ihre poetische Stücke bey den Heyden die Stelle unsrer Predigten vertraten.
113 Wenn unsern Dichtern. Horaz klagt übet die Faulheit der lateinischen Poeten. Sie wollten sich nicht die Mühe nehmen, was rechtes zu machen: Daher sagt auch Qvintilian, IN COMOEDIA MAXIME CLAUDICAMUS. Bey uns Deutschen gehts eben so, denn unter so viel hundert Stücken, die von deutschen Comödianten gespielt werden, taugt fast kein einziges was: wo es nicht aus dem Französischen übersetzt ist. Mit andern Gedichten geht es nicht viel besser.
114 Pompilier. Die Pisonen, an welche Horaz diesen Tractat schrieb, sollten vom Numa Pompilius herstammen: Drum nennet et sie Pompilier.
115 Verwerft doch etc. Das ist eine scharfe Regel. Wo werden da die geschwinden Poeten bleiben, die sich rühmen, ganze Bogen in ein paar Stunden hingeschrieben zu haben, ohne daß sie das geringste Wort darinn ausstreichen dürfen? Sie müssen wohl ganz außerordentliche Geister haben, daß sie alles auf einmal recht machen können! Zu Horazens Zeiten gab es dergleichen große Dichter auch: Aber es waren nur Bavii und Mävii, oder Crispini, die auf einem Beine stehend 200. Verse hersagen konnten. Virgil hat seine Verse, wie der Bär seine Jungen, gemacht.
116 Den Geist. INGENIUM. Cicero im 1. Buche vom Wahrsagen schreibt, Demokritus habe dafür gehalten, daß ohne die Raserey oder Begeisterung niemand ein großer Poet seyn könne. Gewisser maßen hat er recht gehabt. Aber wenn er von seinem Geiste die Regeln der Kunst und die Vernunft ausschloß: so hat er lauter unsinnige Poeten auf dem Parnaß haben wollen, wie Horaz spricht: EXCLUDIT SANOS HELICONE POËTAS: und Plato wird recht gehabt haben, wenn er in seiner Republik keine Dichter leiden wollen. Indessen halten doch bis auf den heutigen Tag die meisten dafür, die Poeten würden gebohren, und wüchsen gleichsam, wie die Pilze, fix und fertig aus der Erden. Höchstens meynen sie, man müsse sich die Regeln der Versmacherkunst, vom Scandiren und Reimen ein wenig bekannt machen; das übrige gäbe sich von selbst. Wenn Pritschmeister Poeten wären, so hätten sie ganz recht.
117 So putzt sich etc. Die Poeten in Rom waten auf die Grille gerathen, ein geistreicher Poet könnte bey seinen hohen Gedanken nicht so sorgfältig auf den Wohlstand seyn, als andre Leute. Datum fiengen alle Sylbenhenker an, schmutzig einherzugehen, damit man sie nur für Poeten ansehen sollte. Hat nicht das Beyspiel gewisser unordentlich lebender Poeten, bey manchen jungen Leuten eben die Wirkung gehabt; daß sie große Dichter zu werden geglaubt, wenn sie nur wilde lebten?
118 So würde mich etc. Wenn er sich nämlich die Galle nicht abführen möchte, so könnte er endlich auch so rasend davon werden, als die andern Poeten waren; und folglich einen hohen Rang auf dem Parnaße bekommen. Es ist eine bloße Ironie.
119 Ich trachte etc. Isokrates hat dieses zuerst gesagt, als man ihn fragte, wie er doch andre so beredt machen könnte, da er selbst keine Reden hielte? Horaz sagt aber, er schreibe nichts: Nämlich keine großen Heldengedichte, Tragödien und Comödien, denn das sind eigentlich Gedichte; und daher gab er sich für keinen Poeten aus. Bey uns denkt man, durch ein paar Bogen Hochzeitverse voller Possen, ein Poet zu werden. Es gehört mehr dazu.
120 Vernunft und Klugheit. Dieses setzt er denen entgegen, die da meynten, die Raserey machte Poeten. Er behauptete gerade das Gegentheil. Eine gesunde Vernunft und gute Einsicht in philosophische Wissenschaften legen den Grund zur wahren Poesie.
121 Des Sokrates etc. Die sokratischen, das ist, philosophischen und sonderlich moralischen Bücher soll ein künftiger Poet fleißig lesen. Sokrates selbst hat zwar nichts geschrieben; aber seine Schüler, Plato, Xenophon, Cebes und andre, desto mehr. Ein Poet soll also die Weltweisheit und sonderlich die Sittenlehre wohl inne haben: denn ohne sie kann er keinen einzigen Character recht machen.
122 Der Ausdruck. Es ist thöricht, auf Worte zu sinnen, wenn man die Sachen nicht versteht. Wer die Materien, davon er schreiben will, wohl inne hat, und voller guter Gedanken ist, der wird leicht Worte finden, sie an den Tag zu legen. Was taugen also die poetischen Lexica von schönen Redensarten, Beywörtern, Beschreibungen, und andern solchen Raritäten?
123 Gelernet hat etc. So viel fordert Horaz von einem Poeten. Das ist eine schwere Lection für diejenigen, welche die Poesie für ein Werk der ersten Jugend halten: da doch sehr wenige in ihren männlichen Jahren alle die Wissenschaft besitzen, die zu einem wahren Dichter unentbehrlich ist.
124 Bilden will. Im Lateinischen heißt es, nachahmen. Ein Poet ist ein Nachahmer der Natur, wenn ich so sagen darf: und zwar soll er ein gelehrter Nachahmer seyn, wie Horaz schreibt; das ist ein geschickter, geübter Maler.
125 Ein Gedicht. Der Poet versteht ein Schauspiel, denn er nennt es FABULA. Hierinn müssen die guten Charactere das Beste thun: Denn wenn nur die Gemüthsart jeder Person wohl ausgedruckt wird: so übersieht das Volk viel andre Fehler in den Versen, und in der ganzen Einrichtung der Fabel; wie die Engländer bey ihren Schauspielen zu thun pflegen.
126 Den Griechen. Horaz kömmt immer wieder auf die Griechen, ohne Zweifel, weil die römischen Versmacher seiner Zeiten, entweder kein Griechisch lernen wollten; oder doch keine griechische Bücher lasen, sondern von sich selbst alle Weisheit haben wollten. Heutiges Tages gehts uns eben so. Wenige von unsern Poeten kennen die Alten, oder auch die neuern Kunstrichter: auf diese schmählen wohl gar einige, ohne sie zu verstehen, oder gelesen zu haben. Man bemerket auch, daß alle die Poeten, denen damals Horaz die Versäumung griechischer Schriften vorrückt, verlohren gegangen, und nicht bis auf die Nachwelt gekommen. So wird es unsern selbst gewachsenen Dichtern vermuthlich auch gehen.
127 Sie geizen nicht. Der Geiz ist gemeiniglich nicht ein poetischer Affect. Die Ehrbegierde ist den guten Poeten allezeit mehr eigen: daher kömmts auch, daß die, welche ums Geld singen, ihre Sachen so obenhin machen; die aber auf ihre Ehre sehen, und auf die Nachwelt denken, ihre Sachen weit fleißiger und sorgfältiger ausarbeiten. Von dem einzigen Pindarus hat le Clerk in seinen Parrhasianen erweisen wollen, daß er geizig gewesen; weil er auf die Ueberwinder in den olympischen Spielen Lieder für Geld gemacht. Aber eine Schwalbe macht keinen Frühling: Von allen übrigen Griechen kann Horaz sagen, daß sie nach nichts, als nach Ehre gegeizet.
128 Die güldne Rechenkunst. Die Römer führten einen großen Staat, und lebten wollüstig; ja der Reichthum war ihnen auch an sich unentbehrlich, weil jeder Orden der Bürger ein gewisses Vermögen besitzen mußte: so gar, daß einer, der dasselbe verminderte, auch seinen Adel etc. verlohr. Wer auch zu Aemtern in der Republik gelangen wollte, mußte das Volk durch kostbare Schauspiele gewinnen, welche oft Tonnen Goldes betrugen. Ja Antonius hatte endlich gar gesagt: niemand wäre reich, als der eine ganze Armee auf eigne Kosten ins Feld stellen könnte. Daher war es kein Wunder, daß man die Jugend gleich in den ersten Jahren zur Haushaltung, und folglich zum Rechnen anführete. Dieses war nun eine schlechte Vorbereitung zur Poesie.
129 Albinus war ein berühmter Wucherer damaliger Zeit, der seinen Sohn zu nichts anders, als zum Rechnen anführete. Horaz denkt auch in der VI. Sat. des I.B. daß die großen Hauptleute, CENTURIONES, es in Rom nicht anders gemacht. Boileau hat in seiner siebenten Satire diese Stelle nachgeahmet.
130 Unvergänglich. Im Grundtexte heißt es, Verse, die man mit Cedernsaft überstreichen, und in Cypressenholz aufbehalten wird. Der Cedersaft hat eine erhaltende Kraft, weil die Schaben und Motten dasjenige nicht fressen, was damit gerieben worden. Und die Schachteln von Cypressenholz haben eben die Tugend an sich. Horaz spottet der Römer, daß sie bey solcher Zucht, große Poeten zu erziehen hofften. Große Finanziers werden sehr magere Poeten.
131 Entweder etc. Nicht, als wenn es nach Horazens Meynung recht wäre, einige Gedichte zur Lust, und andere des Nutzens halber zu machen: sondern, weil einige Poeten dieses, die andern jenes zum Endzwecke haben. Ein theatralischer Poet soll sich beydes vorsetzen: wiewohl es scheint, daß er hier nur von Comödien allein reden wolle. Es soll also ein Comödienschreiber nicht nur durch lauter Harlekinspossen ein Gelächter zu erwecken suchen; sondern sich auch bemühen, seinen Zuschauern zu nutzen, das ist, sie klüger und tugendhafter zu machen.
132 Ueberflüßig. Horaz braucht das Gleichniß von einem Gefäße, in welches man mehr gießen will, als es fassen kann. Wie nun das übrige herunter fleußt, und also vergebens verschwendet ist; So sind auch die überflüßigen Lehren umsonst. Man giebt nicht mehr acht, wenn sie zu langweilig sind; und läßt sie zu einem Ohre hinein, zum andern aber heraus. Das lehrt uns: Die Sittenlehren in theatralischen Poesien müssen kurz gefasset seyn, und nicht über ein paar Zeilen austragen. Diese Lection gehört für die Poeten, die erbaulich schreiben wollen.
133 Die Fabel. Diese Regel geht diejenigen an, die nur durch ihre Fabeln belustigen wollen. Die Wahrscheinlichkeit ist dasjenige, was sie vor allen Dingen beobachten sollen. Dichten ist keine Kunst: Aber so dichten, daß es noch einigermaßen gläublich herauskomme, und der Natur ähnlich sey; das ist dem Poeten ein Lob.
134 Den Hexen, LAMIAE. Die Alten glaubten einen König der Lestrigonier, Lamius, der Menschenfleisch fressen sollte. Man sehe, was Homer in der Odyssee davon geschrieben. Daher dichtete man auch eine Königinn, Lamia, die Kinder fressen mußte. Die Römer machten nachmals eine grausame Zauberinn daraus, und schreckten ihre Kinder damit. Ohne Zweifel hatte etwa ein damaliger Poet eine solche Hexe auf die Bühne gebracht, und ihr das verzehrte Kind wieder aus dem Leibe reißen lassen. Das ist nun die unglaublichste Sache von der Welt; so groß auch die Macht einer Hexe immermehr angenommen wird.
135 Die Aeltesten. Die ansehnlichsten Männer von reifem Verstande und ernsthaftem Wesen, mögen kein Schauspiel sehen, darinn nichts kluges vorkömmt. Kinderpossen und lauter lustige Schwänke schicken sich für ihre Jahre nicht. Bey uns gehts eben so. So lange man lauter italienische Burlesken, oder deutsche Possenspiele von Haderlumpen, Dummen Jungen, Petern und Kuchenfressern, aufführen wird, so lange hat man keine ansehnliche Zuschauer zu hoffen. Man spiele aber ernsthafte Trauerspiele, und regelmäßige Lustspiele, so werden die vernünftigsten Männer sich in den Schauplatz dringen.
136 Der hohe Ritterstand. CELSI RHAMNES. Die Römer waren vom Romulus in drey Classen getheilet worden, davon waren die Rhamnenser die ersten. Das Wort CELSI machts also, daß man nicht den römischen Pöbel, sondern den Adel dadurch versteht, da man sonst das ganze Volk dadurch verstehen könnte. Die Ritter und Edlen nun, mochten in Rom kein gar zu ernsthaftes Wesen gern hören, sondern liebten was Lustiges; dergleichen die Comödien waren. Daher folgt, ein Poet müsse sich nach allen beyden richten.
137 Zwar Dichter fehlen auch. Poeten sind auch Menschen: Daher können sie leicht fehlen; und verdienen auch, daß man ihnen zuweilen etwas übersieht. Aber ihre Fehler müssen weder aus Unwissenheit, noch aus Nachläßigkeit herkommen, wenn sie Vergebung hoffen wollen. Die menschliche Schwachheit und unvermeidliche Nothwendigkeit allein entschuldiget sie, wie folgende Verse zeigen.
138 Hier und da. Die Fehler müssen sehr selten kommen, wenn man sie übersehen soll. Wo ein Gedichte von Schnitzern wimmelt, da fordert man vergebens ein gelindes Urtheil. Das Schöne muß das Schlechte weit übertreffen, wenn ich einem etwas zu gute halten soll. An Opitzen, Dachen und Flemmingen entschuldige ich viele Fehler wider die Reinigkeit, die ich einem heutigen Stümper hoch anrechne. Das macht, ihre Schriften sind so voller Geist und Feuer, als die heutigen voller Schnee und Wasser.
139 Stets falsche Griffe. Ein Fehler muß nicht vielmal wieder kommen, wenn man ihn übersehen soll: Denn wo er oft begangen wird, da zeigt er entweder von seines Meisters Unwissenheit oder Nachläßigkeit.
140 Chörilus. Nicht der, so in der LXXV Olympias gelebt, und auf den Sieg der Athenienser über den Xerxes ein so schönes Gedichte gemacht, daß man ihm für jede Zeile eine goldene Münze zur Vergeltung gegeben, und befohlen, sein Werk, nebst Homero, öffentlich zu lesen. Sondern dieß war derjenige Chörilus, der zu des großen Alexanders Zeiten gelebt, und bey diesem Prinzen mehr Glück als Verdienste gehabt. Er muß auch wohl zuweilen ein paar kluge Zeilen mit darunter gemacht haben. Horaz spricht ihm dieses nicht ab. Aber er sagt, daß er darüber lachen müsse, und sich verwundre, daß er gleichwohl zuweilen was gutes zuwege gebracht.
141 Homer entschläft. Man führt diese Worte Horatii gemeiniglich verstümmelt an, da sie denn eine ganz andre Bedeutung haben. Der Poet will nicht sagen, daß der gute Homer auch zuweilen fehle: Sondern er will sagen, daß es ihm leid sey, wenn der gute Mann einmal was versehen habe. Es schmerzt ihn, daß dieser große Dichter hier und da was schläfriges mit einfließen lassen. INDIGNOR, QUANDOQUE BONUS DORMITAT HOMERUS. QUANDOQUE heißt hier QUOTIES, nicht INTERDUM. Das ist ein großes Lob für den Homer. Das Gute ist bey ihm in großer Menge; die Fehler aber sind nur in geringer Anzahl zu finden. Und diese können noch durch die Größe seiner Gedichte entschuldiget werden.
142 Ein Vers ist Bildern gleich. Dacier erklärt dieses auch von lauter guten Gedichten, und meynt, daß mancher guter Vers bey genauer Prüfung Stich halte, ein andrer aber nur obenhin angesehen werden müsse: nicht anders, als wie Bilder von gewisser Art ihre gewisse Stellung oder Entfernung erfordern. Von Gemählden hat dieses seine Richtigkeit: aber von Versen ist es ganz anders. Ein Gedichte, das nicht die Prüfung eines Richters aushält, taugt so wenig, als das Gold, welches nicht Strich hält. Das Gleichniß Horatii muß von solchen Bildern verstanden werden, die im Dunkeln oder von weitem schön zu seyn scheinen, aber in der That schlecht sind: da hingegen andre desto mehr Schönheiten zeigen, je länger und genauer man sie betrachtet.
143 Dem einen ist die Nacht. Das sind die schönen Werke der Poeten, die bey dem Pöbel so viel Beyfall finden; Kennern aber nicht gefallen. Man muß sie gleichsam nur bey neblichtem Wetter lesen; sonst gefallen sie einem nicht. Ich will sagen, man muß einen finstern Verstand haben, wenn man sie bewundern will. Bey dem Lichte einer gesunden Critik verschwinden alle ihre Schönheiten. Daher fürchten auch ihre Urheber nichts mehr, als die Prüfung eines scharfsichtigen Kenners.
144 Cascellius und Messalla, zween große Redner damaliger Zeiten. Dieser hieß Messala Corvinus, dessen Horaz auch in der XXI. Ode des III. B. gedenkt, und an den auch Tibullus ein Gedicht geschrieben. Jener heißt Aulus Cascellius, und war zugleich ein gründlicher Rechtsgelehrter, von großem Ansehen: der das Herz gehabt, sich dem Triumvirate Antons, Octavs und des Lepidus zu widersetzen.
145 Nur mittelmäßig. Wenn die Verse nicht schön sind, so taugen sie schon nichts. Und wenn sie weiter nichts guts an sich haben, als daß sie rein und ungezwungen fließen: so sind sie schon schlecht. Daher sieht man, daß so viele Dichter, die eben nicht sehr fehlerhaft bey uns geschrieben, gleich unter die Bank gerathen, und nicht gelesen werden. Das macht, sie sind nur mittelmäßig.
146 Kein Musenchor. Phöbus und seine Schwestern gestehens nicht, daß sie dem Dichter so was schlechtes eingegeben: weil es ihnen zur Schande gereichen würde, nur mittelmäßige Gedichte hervorgebracht zu haben.
147 Bücherkram, COLUMNAE. Es gab Pfeiler in Rom, wo man die Titel von neuen Büchern anschlug. Einige meynen, die Poeten hätten solches gethan, um bekannt zu machen, wenn und wo sie ihre neue Gedichte den Liebhabern vorlesen wollten. Aber es ist wahrscheinlicher, daß die Buchhändler solches gethan; welche gewiß die Poeten nicht lobten, wenn ihre Sachen schlecht abgiengen.
148 Ein herber Honigseim. In Sardinien giebt es solche bittre Kräuter und Blumen, daß selbst das Honig davon bitter schmecken soll: Virgil schreibt in der VIII. Ecloge. IMMO EGO SARDOIS VIDEVR TIBI AMARIOR HERBIS.
149 Das kein Vergnügen giebt. Eine Sache, die nicht geschickt ist, ihre Absicht zu erreichen, die taugt gewiß nicht. Die Poesie aber soll zum Vergnügen der Menschen gereichen; also wird sie verwerflich seyn, wenn sie solches nicht erweckt.
150 Turnier. LUDERE hieß bey den Lateinern, alle diejenigen Uebungen mit machen, die auf dem martialischen Gefilde, von der römischen Jugend unternommen wurden. Dahin gehörte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballspielen, Tellerwerfen, der Kräusel u.d.gl. Das alles heißt hier der Poet CAMPESTRIA ARMA. Ich habe das Wort Turnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht mehr bekannt sind. Es läuft aber auf eins hinaus.
151 Jeder Verse macht. LIBER & INGENUUS, das sind die freyen Römer, und die von Knechten herstammen. Horaz spricht diesen Leuten nicht die Fähigkeit zur Poesie ab. Er war selbst der Sohn eines Freygelassenen, wie er in einem Schreiben an den Mecänas gesteht. Aber es mischte sich in Rom alles in die Poesie.
152 Geld und Titel. EQUESTREM SUMMAM NUMMORUM. Wer in Rom 400 000 Sestertien, oder 25 000 Kaisergulden besaß, der konnte in den Ritterstand kommen. Er mußte aber auch sonst von guter Aufführung seyn. Weil es nun unter Leuten von diesem Vermögen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab: so macht sich Horaz den Einwurf: Warum sollte einer, der vom Ritterstande ist, und nicht nur reich, sondern auch wohlgesittet ist, nicht ein Poet seyn können? Ein recht vortrefflicher Schluß!
153 Du zwingst. Der Poet redet den jungen Piso an, und lobt ihn, daß er von diesem Vorurtheile frey sey. Gemeiniglich führt man es als eine Regel an: welches außer dem Zusammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht.
154 Tarpens Ohr. Spurius Metius Tarpa, ein scharfer Criticus, der nebst andern vom August bestellet war, die Gedichte der damaligen Poeten zu censiren. Sie versammleten sich in dem Tempel Apollons, der zum Vorlesen poetischer Sachen im kaiserlichen Pallaste gewidmet war. Diese poetische Gesellschaft hat auch nach Augusts Absterben noch eine Weile gedauret. Onuphrius Panvinius erzählt, daß unter Domitians Regierung, ein junger Mensch, L. Valerius Pudens, besage einer Inscription, mit einhälligen Stimmen der Richtet gekrönet worden: CORONATUS EST INTER POËTAS LÁTINOS OMNIBUS SENTENTIIS IUDICUM. Horaz gedenkt dieses Tarpa auch in der X. Sat. des I.B.
155 Noch neun Jahr. Catullus gedenkt, daß sein guter Freund Cinna, sein Gedichte, Smyrna genannt, so lange fertig gehabt, ehe ers heraus gegeben. Isokrates hat über einem Panegyricus 10 Jahre zugebracht. Doch will Horaz nicht, daß aus der Behutsamkeit in der Ausbesserung, eine unendliche Arbeit werden soll: er will nur der Uebereilung steuren, und setzt eine bestimmte Zahl für eine unbestimmte.
156 Orpheus. Ein alter Poet, der zu Mosis Zeiten, anderthalb tausend Jahre vor Christi Geburt, gelebt. Die Oden, die man unter seinem Namen noch zeiget, sind nicht von ihm.
157 Amphion. Cadmus hatte Theben erbauet: Etwa dreyßig Jahre nach ihm kam Amphion, der durch seine Musik, Poesie und Beredsamkeit es so weit brachte, daß die Einwohner eine Mauer um die Stadt baueten, ja auch ein festes Schloß anlegten.
158 Die Weisheit etc. Die ersten Poeten waren eigentlich Weltweise und kluge Staatsleute, insoweit es ihre Zeiten zuließen. Sie bedienten sich nur der Poesie, zu ihrem Zwecke zu gelangen, und die widerspenstigen Gemüther dadurch zu bändigen. Ihre Absicht war, das wilde Volk die natürlichen Gesetze der Vernunft, oder das Recht der Natur zu lehren, und es zum gesellschaftlichen Leben anzuführen. Kurz, die Poeten waren die ersten Philosophen, Rechtsverständigen und Gottesgelehrten.
159 Tyrtäus war ein kleiner, lahmer und pucklichter Schulmeister zu Athen. Die Athenienser schickten ihn aus Spott den Lacedämoniern zum Feldherrn wider die Messenier; weil sie auf Befehl des Orakels einen General aus Athen holen sollten. Et verlohr anfänglich etliche Schlachten, zuletzt aber las er an der Spitze seiner Armee, derselben ein so bewegliches Gedichte von seiner Arbeit vor, daß sie von neuem ein Herz faßten, die Messenier angriffen und überwanden.
160 Was künftig war. Horaz zielt auf die Orakel, die man in diesem andern Alter der Poesie in Versen zu geben angefangen, da sie vorher nur prosaisch geantwortet hatten.
161 Man fragt. Nichts ist bey jungen Leuten gewöhnlicher, als diese Frage: zumal, wenn sie hören, daß die Poeten nicht gemacht, sondern gebohren werden. Haben sie nun etwa ein gutes Naturell zum Reimen: so bilden sie sich ein, sie brauchten nun keiner beschwerlichen Regeln mehr; als die doch ohnedieß keinen Poeten machten. Sie schreiben also in den Tag hinein, und dichten auf ein gerathe wohl. Alle ihre Einfälle müssen gut, und alle Fehler lauter Orakel seyn. Andre, die kein Fünkchen natürlichen Witz besitzen, wollen alles aus Regeln lernen. Aber beyde fehlen, und Horaz hilft ihnen zurechte.
162 Ich dichte trefflich schön. Die schlimmen Poeten krönen sich immer am ersten, und loben sich fleißig. Sie haben Ursache dazu, denn andre wollen es nicht thun. Der eine meynt, in Scherzgedichten sey er glücklich; der andre sagt, seine Stärke sey in Satiren; der dritte hält sich in Lobgedichten für einen Meister u.s.w. Daher halten sie es für überflüßig, die Regeln der Alten zu lesen, oder sonst Lehren anzunehmen.
163 Der allerletzte seyn. Wer sich lange mit Regeln aufhält, der bleibt hinten, und kann nicht so geschwinde ganze Bände, mit seinen Gedichten angefüllet, herausgeben. Andre kommen ihm zuvor, und werden eher Poeten: daher hat er keine Zeit, die Kunst recht zu fassen. Man wird es auch ohne dieß wohl glauben müssen, daß er sie verstanden habe: es mag sich sonst um die Regeln bekümmern, wer da will.
164 So lockt. Horaz kömmt hier auf ein andres nöthiges Stücke. Natur und Kunst ist noch nicht genug. Ein Poet muß auch gute Freunde haben, die seine Gedichte scharf beurtheilen. Daran fehlt es nun den reichen Poeten, und denen, die bey Hofe viel zu bedeuten scheinen. Jedermann scheuet sich, ihnen die Wahrheit zu sagen: Das macht, sie tractiren ihre Schmeichler gut, oder machen ihnen viel Verheißungen und Luftschlösser: Und aus Erkenntlichkeit lobet man sie dafür. Dahin gehört das Gleichniß von dem Mäkler.
165 Ein Spötter. Man kann die Heuchler fast an der Verwegenheit ihrer Lobsprüche kennen. Wenn der vernünftige Richter sagt, ein Gedichte sey hübsch und wohlgerathen: So nennt es der Schmeichler unvergleichlich, unverbesserlich. Das mäßige Lob eines scharfen Kenners, ja nur der bloße Beyfall eines Kunstrichters vergnüget mich weit mehr, als der entzückte Ausruff eines Unverständigen, und die verstellte Bewunderung eines eigennützigen und falschen Freundes.
166 Fuchspelz. ANIMI SUB VULPE LATENTES. Horaz zielt hier ohne Zweifel auf die Fabel vom Fuchse und Raben, der den Käse gestohlen hatte.
167 Quintil. Dieß ist Quintilius Varius, der dritte Hofpoet des Kaisers Augusti, ein guter Freund Virgils und Horazens. Er war schon gestorben, als dieser seine Dichtkunst schrieb, denn wir finden eine Ode auf seinen Tod L.I. OD. 24. Drum redet Horaz von ihm in der vergangenen Zeit. So pflegte sich ein römischer Poet des andern Beurtheilung zu unterwerfen. Varius censirte den Virgil und Horaz, und diese ihn wieder: daher wurden sie so vollkommen. Bavius und Mävius waren für sich allein klug, und ließen sich nicht censiren: darum blieben sie Stümper.
168 So muß die Zeile weichen. Das ist eine scharfe Censur. Viele meynen, wenn sie eine schlechte Stelle ihrer Gedichte nicht ausbessern können, wiewohl sie alle ihre Mühe daran gewandt: so sey es schon genug. Sie halten sich nunmehr schon für berechtiget, sie, so schlecht sie ist, stehen zu lassen. Allein vergebens! Es ist noch ein Mittel übrig. Man streiche sie gar aus! Ja, spricht man, es ist gleichwohl ein schöner Gedanke! Umsonst, wenn der Vers nicht auch schön ist. Man setze einen an die Stelle, der noch schöner ist, und doch wohl klappt. Ein Poet muß keine Affenliebe gegen seine Einfälle haben.
169 Vertheidigte man sich. Gewisse Leute bitten einen um seine Censur. Man entschuldigt sich anfangs, man lobt sie, man will nicht daran. Allein umsonst: sie lassen nicht nach. Endlich gehorcht man ihnen, und erinnert bald hie, bald da etwas. Aber was hilfts? Sie wissen alles besser. Man sage, was man will: sie ändern dennoch nichts. Was man tadelt, das bewundern sie destomehr, und es stecken allezeit verborgene Schönheiten in ihren Fehlern. Was ist da zu thun? Man mache es, wie Varius gethan, und lasse die Affen gehn.
170 So machts. Dieß ist eine schöne Stelle für poetische Gesellschaften und andere Kunstrichter. Sie haben dreyerley Pflichten zu beobachten. Sie müssen verbessern, ausmustern und hinzusetzen.
171 Aristarch. Das war ein großer Criticus, der zu den Zeiten Ptolomäi Philadelphi gelebt. Er hat vier und zwanzig Bücher, Erklärungen über den Homer, Aristophanes und andre griechische Poeten geschrieben. Es ist Schade, daß dieselben verlohren worden. Er hat eine so scharfe Beurtheilungskraft im Beurtheilen gewiesen, daß man ihn einen Propheten genennet; weil ihm das verborgenste klar und entdeckt geschienen.
172 Mehr als Kleinigkeiten. Dieß ist sehr vernünftig gesprochen. Kleine Dinge ziehen vielmal was Großes nach sich. Die Schmeicheley gegen einen Poeten macht ihn stolz. Der Stolz lehrt ihn hernach alles andre verachten, ja er selbst wird bey Kennern auslachens würdig. Das ärgste ist, daß solche Leute hernach gar aufhören, Lehre anzunehmen. Sie halten sich schon für vollkommen; darum wollen sie sich nicht mehr bessern, wenn sie gleich könnten.
173 Empedokles. Ein Weltweiser und Poet in Sicilien, der noch vorm Aristoteles gelebt, und ein poetisches Werk von der Naturlehre geschrieben hat; wie nachmals Lucretius im Lateinischen gethan. Man beschuldigt den Empedokles, daß er gern vergöttert worden wäre, weswegen er in den feuerspeyenden Berg Aetna gesprungen, damit man nicht wissen könnte, wo er hingekommen, und also schließen möchte, er wäre gen Himmel gefahren. Allein, seine Pantoffeln, die er entweder oben gelassen, oder die vom Feuer ausgeworfen worden, haben die Art seines Endes verrathen.
174 Nach Unglück ringt. Die römischen Poeten machten sich durch ihre, obwohl theatralische Stücke, überaus viel Feinde, und kamen zuweilen mit ihrer handgreiflichen Satire in Comödien sehr übel an.
175 Des Vaters Grab. Die Gräber der Alten waren heilig, und durften durch nichts unreines befleckt werden. Im Lateinischen heißt es zwar, ob er seinen Urin in die Asche seines Vaters gelassen; weil man nämlich die römischen Todten verbrannte. Allein es läuft auf eines hinaus.
176 Kein Heiligthum. TRISTE BIDENTAL. Dieses war ein vom Donner getroffener Ort, von welchem man viel Wesens in Rom machte. Man umzäunte ihn rings umher, und es mußte sich demselben niemand nähern, vielweniger die Grenzen desselben verrücken. Dergleichen große Uebelthaten nun vermuthet Horaz von solchen Poeten, die gleichsam zur Strafe, von den Göttern mit der Reimsucht heimgesuchet würden, weil man sonst nicht absehen könnte, warum sie Verse machten.



Zurück zum Seiteninhalt