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Henrik Ibsen: Brand, 5 (1)

Gedichte > Zeitzünder

Henrik Ibsen:


Brand


Ein dramatisches Gedicht (von 1865),
übersetzt von Christian Morgenstern (1907)



Personen

Brand
Seine Mutter
Ejnar (sprich: Einar), ein Maler
Agnes
Der Vogt
Der Doktor
Der Propst
Der Küster
Der Schulmeister
Gerd
Ein Bauer
Sein halbwüchsiger Sohn
Ein zweiter Bauer
Ein Weib
Ein zweites Weib
Ein Schreiber
Geistlichkeit und Amtspersonen,
Volk, Männer, Weiber und Kinder
Der Versucher in der Wüste
Chor der Unsichtbaren
Eine Stimme

Das Stück spielt in unserer Zeit, teils in, teils bei einem Fjordkirchspiel an der Westküste Norwegens.



Fünfter Akt


(Anderthalb Jahre später. Die neue Kirche steht vollständig fertig und zur Einweihung geschmückt. Der Bach rinnt dicht vorbei. Es ist früher nebliger Morgen.)


(Der Küster ist dabei, vor der Kirche Kränze aufzuhängen; bald darauf kommt der Schulmeister hinzu.)


Der Schulmeister

Schau', schau', schon auf?


Der Küster                                   Tut not genug!

Helft mit! Hier zwischen diese Stangen
Soll Laub als Gasse für den Zug.


Der Schulmeister

Beim Pfarrhaus wird was aufgehangen, –
Das schließt mit einem runden Rahmen –


Der Küster

Ei wohl, ei wohl!


Der Schulmeister
                                           Zu welchem End'?
Der Küster

Ein Ehrenschild, wie man es nennt,
Soll da hinein, mit seinem Namen.


Der Schulmeister

Ja, heut wird's bunt in der Gemeine!
Sie kommen aus dem ganzen Kreis;
Von Segeln ist der Fjord schier weiß.


Der Küster

Ja, jetzt sprang alles auf die Beine;
Zu seines sel'gen Vorfahrs Zeit
War Fried' und Eintracht weit und breit;
Da schlief man selbst, da schlief der Nachbar; –
Ich weiß nicht, was da mehr mitmachbar.


Der Schulmeister

Das Leben, Freund, das Leben!


Der Küster                                              Gut!

Doch uns versehrt es nicht das Blut;
Wie kommt das wohl?


Der Schulmeister                    Weil ich und Ihr

Uns plagten, bis der Nachbar schlief; –
Nun, da er wach ward, schlafen wir; –
Denn niemand wünscht uns mehr aktiv.


Der Küster

Doch leben hätte mehr Verstand?


Der Schulmeister

So sagt Herr Propst und Pfarrer Brand;
Ich selber sage ganz das gleiche, –
Doch, wohl zu merken, damit reiche
Ich nur der großen Zahl die Hand.
Uns aber gilt ein Hirtenbrief,
Der nicht wie Sonn' und Mond zu sehen; –
Die wir hier als Beamte schalten,
Wir müssen stramm dawider halten,
Ein Hort der Kirchenzucht und Wissenschaft sein,
Zur Leidenschaft stets zu gewissenhaft sein,
Kurz, über den Parteien stehen.


Der Küster

Jedoch der Pfarrer steht nicht drüber.


Der Schulmeister

Das ist just eben, was er sollte.
Wißt, seine Vorgesetzten sind
Zu seinem Tun durchaus nicht blind;
Und wenn ihn nicht das Volk so wollte, –
Längst hätt' er seinen Abschiedsstüber.
Doch er ist fein, er riecht den Pfeffer,
Er kennt die Welt und seine Treffer.
Er baut die Kirche. Jeder Zahn wird
Hier stumpf, sobald nur was getan wird.
Was da getan wird, wenig wiegt es;
Daß was getan wird, – seht, da liegt es!
Wir heißen sicher einmal Spätern
Ein einziges Geschlecht von Tätern.


Der Küster

Ja, Ihr, die Ihr im Reichstag wart,
Ihr kennt das Volk und seine Art.
Doch einer, der durchs Kirchspiel reiste,
Just als es wach ward, kurzum, preiste,
Wir wär'n aus Schläfern, hier im Norden,
Ein Volk nun von – Gelobern worden.


Der Schulmeister

Ja, das Geloben liebt's und übt's,
Dies Volk, ein Volk, gelobend baß,
Ein Volk, so rasch entwickelt, daß
Bald Jeder Dolmetsch des Gelübd's.


Der Küster

Um Euch studierten Mann zu fragen, –
Was ist – mein Grübeln zu belehren –
Ein Volksgelübde, sozusagen?


Der Schulmeister

Ein Volksgelübd'? Schwer zu erklären,
Wie leicht, als seiend zu bescheinigen.
Das ist was, drin sich alle einigen
Kraft einer einigen Idee;
Das Volk will, daß ein Werk gescheh' –
In seiner Zukunft notabene.


Der Küster

So; schön; das leuchtet mir nun ein;
Hingegen ist mir noch nicht klar –
Ich meine, – ja, – um welches Jahr –


Der Schulmeister

Sprecht ruhig aus!


Der Küster                       Wann bricht nun jene

Zeit, die man Zukunft nennt, herein?


Der Schulmeister

Die Zeit kommt niemals!


Der Küster                                   Niemals?

Der Schulmeister                                      Nein!

Und das ist ganz in seiner Art;
Denn kommt sie, ist sie Gegenwart
Geworden, – ist nicht Zukunft mehr.


Der Küster

Hm, das begreift sich nicht zu schwer;
Nur darin fehlt mir noch die Klarheit: –
Wann wird dann solch ein Volksschwur Wahrheit?


Der Schulmeister

Ich hab' Euch doch gesagt: solch Schwur
Bezieht sich auf die Zukunft nur;
Nun also: in der Zukunft!


Der Küster                                     Ja, –

Doch sagt, wann ist die Zukunft da?

Der Schulmeister (leise:)

Das ist ein Küster!
(Laut:)

                                             Liebster Mann,

Soll ich's aufackern wiederum, –
Daß Zukunft niemals da sein kann;
Denn wenn sie da ist, ist sie um!


Der Küster

Hm!


Der Schulmeister
                      Hinter jedes Dings Begriff

Verbirgt sich eine Art von Kniff.
Jedoch es ist kein Kniff dabei,
Das heißt, für männiglich, – so sei
Bemerkt, – so weiter zählt als drei.
Gelübde heißt im Grund Gelüge,
Sei gleich, wer's ablegt, völlig ehrlich;
Bislang galt Halten für beschwerlich, –
Doch mag's dreist gelten für undenkbar, –
Sofern man ist von Logik lenkbar.
Doch lassen wir die hohen Flüge.
Hört, sagt mir –?


Der Küster                        Pst!

Der Schulmeister                     Was ist das?

Der Küster                                                   Still!

Der Schulmeister

Es spielt, wie mich bedünken will,
Wer auf der Orgel.


Der Küster                          Das ist er.

Der Schulmeister

Der Pfarrer?


Der Küster               Freilich.

Der Schulmeister                   Hol' mich der –!

Was den so früh schon hergeführt hat!


Der Küster

Ich glaube kaum, daß er die Nacht
Sein geistlich Bett auch nur berührt hat.


Der Schulmeister

So!


Der Küster

     Ja, das geht noch schlimm, gebt acht!
Man merkt, wie's heimlich an ihm frißt,
Seitdem er nun verwitwet ist.
Wohl wahr; er sagt Euch nie ein Wort!
Doch bricht's hervor, bald hier, bald dort.
Da spielt er. Hört nur, hört! Man meint,
Daß er um Frau und Söhnchen weint.


Der Schulmeister

Schier daß man Stimmen unterscheidet –


Der Küster

Und eine tröstet, eine leidet –


Der Schulmeister

Ging's an, ich würde gleich gerührt!


Der Küster

Ja, wenn man nicht Beamter wär'!


Der Schulmeister

Und eingezwängt und eingeschnürt
Von Rücksicht auf die Standesehr'!


Der Küster

Ja, bliese gleich des Satans Nüster
Auf all den Bücherlug und –trug!


Der Schulmeister

Und wär' man nicht so suppenklug;
Und dürft' man einmal fühlen, Küster!


Der Küster

Freund, niemand sieht uns, – laßt uns fühlen!


Der Schulmeister

Das schickte sich, so in der Sphäre
Des Volkes sich herumzusühlen!
Ein Mann such', nach des Pfarrers Lehre,
Niemals in Zweiem seine Ehre;
Selbst wer da will, kann nicht auf ein
Mal Mensch und Staatsbeamter sein;
Man mag sich nur in allen Stücken
Das Bild des Vogts vor Augen rücken.


Der Küster

Just seins?


Der Schulmeister
                               Nun, nehmt zum Gegenstand

In der Vogtei die Unglücksnacht, – und
Wie das Archiv herausgebracht und
Gerettet ward!


Der Küster                     Das war ein Brand!

Der Schulmeister

Wie da der Mann zu helfen strebte!
Es war, als ob er zehnfach lebte!
Der Teufel aber stand im Zimmer;
Sein Weib – ihn sehn! und ein Gewimmer –:
"Dein Seelenheil! Dein ewig Teil!
Der Schwarze will Dir an den Kragen!"
Da ruft der Vogt, beherzt wie immer:
Mein Heil? Zur Höll' mit meinem Heil!
Helft mir bloß das Archiv wegtragen!
Der Mann ist Vogt, seht, ganz und gar,
Mit Leib und Leben, Haut und Haar,
Und wird auch einst dahin gelangen,
Wo Lob und Lohn ihn laut empfangen.


Der Küster

Und das ist wo?


Der Schulmeister
                                       Gegebnerweis':

In guter Vögte Paradeis.


Der Küster

Mein kluger Freund!


Der Schulmeister
               Was gibt's?

Der Küster                                             Es tagt

Da hinter allem, was Ihr sagt,
Von Zeichen, daß die Zeit in Gärung;
Denn Gärung ist hier, ganz gewiß;
Das kündet schon der große Riß,
Den's zwischen Alt- und Neuem gab.


Der Schulmeister

Was schimmelt, muß hinab ins Grab,
Was fault, dient Frischem zur Ernährung; –
Die Brust der Zeit höhlt Schwindsuchtsfieber;
Und hustet sich der Hals nicht Luft, –
Dann nur gleich alles in die Gruft!
Ja, Gärung, Gärung ist hier, Lieber;
Das schmeckt der schlechtste Karrenschieber.
Als unser altes Kirchlein sank,
Da war's, als würd' nun alles schwank,
Drin unser Leben bis zur Stund'
Sein Heim gehabt und seinen Grund.


Der Küster

Da fiel ein Schweigen auf die Menge.
Erst hatte sie: Reißt ein! geschrien,
Doch hielt das Schrei'n nicht auf die Länge,
Und manchem wurd' doch schwül und schien
Doch der Verlust schier unersetzlich.
Man sah: nun war's mit all dem aus;
Und plötzlich klang's, das alte Haus
Wär' eigentlich doch unverletzlich.


Der Schulmeister

Doch fühlte sie so lang' sich noch
In des vergangnen Geistes Joch,
Als nicht das Schloß der neuen Zeit
Nach Fug und Recht war eingeweiht,
Und merkte drum mit Angst und Harren
Auf jeden frischgefügten Sparren
Und sah gespannt dem Tag entgegen,
Der alter Fahnen Niederlegen
Und neuer Fahnen Hissen fände.
Allein schon wie der Turm anstieg,
Wurd' bang und bänger man – und schwieg;
Und jetzt – ja, jetzt stehn wir am Ende.


Der Küster (zeigt nach der Seite hinaus.)

Seht nur die Masse! Weit und breit ist
Herbeigeströmt.


Der Schulmeister
                                        Zu Tausenden!

Wie still es ist!


Der Küster                   Und doch: wie wenn

Das Meer vor einem Sturm dumpf dröhnt!


Der Schulmeister

Das ist des Volkes Herz, das stöhnt, –
Ein Herz, das nun wohl bald so weit ist,
Zu würdigen, wie groß die Zeit ist.
Ist's nicht, als ob zum Thing sie führen,
Sich einen neuen Gott zu küren!
Wo blieb der Pfarrer? Mir ist kraus;
Ich wollt', ich säß' versteckt zu Haus!


Der Küster

Ich auch, ich auch!


Der Schulmeister
                                             In solcher Stund'

Erpeilt man nicht den eignen Grund;
Tief geht's und immer tiefer nieder;
Man sinkt, man sträubt sich, sinket wieder –


Der Küster

Freund!


Der Schulmeister
                           Bruder!

Der Küster                      Hm.

Der Schulmeister                   Nun –?

Der Küster                                      's ist vergeblich –!

Ich glaub', jetzt fühlen wir buchstäblich!


Der Schulmeister

Was? Ich nicht!


Der Küster                     Mit Verlaub, auch ich nicht!

Ein Zeugnis fällt uns sicherlich nicht!


Der Schulmeister

He, sind wir Weiber, so zu kohlen?!
Die Schule wartet. Gott befohlen!

(Ab.)

Der Küster

Jetzt bin ich wieder kühl im Kopf
Und zugeschraubt wie'n Eisentopf.
Was träumt' ich da, ich Narr, ich blöder!
Fort an die Arbeit, dummer Tropf!
Müßiggang ist des Teufels Köder.

(Nach der andern Seite ab.)


(Die Orgel, welche während des Vorhergehenden gedämpft geklungen hat, erbraust mit einem Male mächtig und endet mit einem schneidenden Mißlaut. Bald darauf tritt Brand aus der Kirche.)


Brand

Nein! die Orgel will nicht klingen,
Läßt sich nicht zum Sprechen zwingen,
Jeder Laut wird Qual und Pein;
Bogen, Wölbung, Wände legen,
Stemmen starr sich mir entgegen,
Hammern hölzern alles nieder,
Klemmen, klammern meine Lieder,
Wie ein Sarg sein Opfer, ein.
Welche Stimmen ich auch lockte,
Sich das Werk nur mehr verstockte.
Laut auf sang ich mein Gebet,
Doch zerbrach's am Deckenpfosten,
Wie von Glocken, alt und rosten,
Dumpf, hohlbrüstig Stöhnen geht.
Und mir war's, Gott selber stand
Auf dem hohen Chor anklagend,
Mit ergrimmter Richterhand
Mein Gebet zu Boden schlagend.
Groß gebaut werd' Gottes Haus,
Schwor ist einst, erregten Blutes;
Fällte, rodete, riß aus,
Allzu selbstgewissen Mutes.
Heute reut mich fast des Baus.
Alle ziehn die Häupter bloß,
Jeder schreit: Wie groß! Wie groß!
Ob man's besser dort verstehn kann,
Als ich hier, der ich's nicht sehn kann?
Ist sie groß? Sind diese Wände,
Was ich war zu baun gewillt?
Hat dies Holz der Sehnsucht Brände,
Die nach ihm gelechzt, gestillt?
Gleicht dies Haus dem Tempelbild,
Das mein Geist sich hehr erhöhte, –
Jenem Weltdom aller Nöte? –
Hm, wär' Agnes noch am Leben,
Wär's nicht so. Im kleinsten Kleinen
Sah sie noch des Großen Flamme,
Mochte meine Zweifel heben,
Erd' und Himmelszelt vereinen
Wie ein Laubdach überm Stamme.

(Bemerkt die Anstalten zum Fest.)

Kränze, Fahnen überall;
Aus der Schule Liederschall;
Alle sind auf mich erpicht;
Vor dem Pfarrhaus staut sich's brausend, –
Prahlt mein Nam' in Gold dort nicht?
Gott, gib Kraft, – sonst stürz' mich tausend
Klafter unters Tageslicht!
Bald nun schlägt des Festes Stunde;
Ich bin jetzt in aller Munde,
Und in aller Herzen ich nur!
Was sie denken, o, ich weiß es;
Ah, wie ihr begeistrungsheißes
Loblied, das auf mich nur lauert,
Mir das Herz wie Frost durchschauert!
Könnt' man sich, o könnt' man sich nur
In des tiefsten Dickichts Hecken
Wie ein wildes Tier verstecken!


Der Vogt (kommt in voller Uniform und grüßt, vor Freude strahlend.)

Da brach der große Tag herein,
Der Sabbath nach dem Wochenlauf,
Jetzt holen wir die Segel ein
Und ziehn den Sonntagswimpel auf
Und gehn vorm Strome, sanft und sacht,
Und sehn, wie alles gut gemacht.
Viel Glück, Sie edler, großer Mann,
An dem das Land sich freuen kann!
Viel Glück! Ich fühl' mich ganz gerührt
Und doch auch wieder schrecklich froh!


Brand

Mir ist der Hals wie zugeschnürt.


Der Vogt

Ei, Bester, das ist bald gewichen!
Nur immer tüchtig losposaunet,
Und 's Maß dem Volk recht voll gestrichen!
Die Resonanz ist hier ja so,
Daß jeder, den ich fragte, staunet,
Baß staunet –


Brand                           So?

Der Vogt                           Der Propst sogar

Erfand sie jedes Tadels bar.
Und welch ein Stil voll Harmonie!
Und in den Formen ausnahmslos
Welch großer Zug –


Brand                                    Das merkten Sie?

Der Vogt

Was merkt' ich?


Brand                             Daß ihr Anschein groß?

Der Vogt

Nicht bloß ihr Anschein, – das sie's ist,
Von welchem Punkt man sie auch mißt.


Brand

Sie ist es? Schmeicheln Sie nicht bloß –?


Der Vogt

Zum Donnerwetter ist sie groß, –
Zu groß für unsern Nordlandsort!
In andern Ländern, wo man's kann,
Da legt man höhern Maßstab an,
Doch hier, wo – zwischen Wellen dort
Und Bergen da – des Spatens Stoß
Auf Fels nur klirret, kläglich Los,
Hier ist sie groß, mein heilig Wort!


Brand

Ja, ja, so ward die alte Lüge
Durch eine neue nur ersetzt.


Der Vogt

Was nun?


Brand                     So fühlt das Volk sich jetzt,

Statt durch der Vorzeit morsch Gefüge,
Durch ein modern Getürm ergetzt.
Einst scholl's im Chorus: Wie ehrwürdig!
Jetzt brüllt der Chorus: Schaut, wie groß, –
Welch Prunkstück fiel uns in den Schoß!


Der Vogt

Mein lieber Freund, ich sag' nur dies:
Wer sie noch größer wollt', wär' würdig,
Daß man's als Hochmut ihm verwies'.


Brand

Doch jedem werde reiner Wein:
Die Kirch', wie sie hier steht, ist klein; –
Das einem hehlen, hieße lügen.


Der Vogt

So seines Lohns sich zu betrügen!
Potz Grillen! Tut man das in Acht,
Was man mühselig selbst gemacht?
Der schlichte Mann ist so zufrieden;
Mit offnem Munde steht er da,
Weil er noch nie dergleichen sah; –
So bleib' ihm doch sein Glück beschieden!
Warum den armen Teufel wecken
Und ihm durchaus ein Licht aufstecken,
An dessen Schein ihm gar nichts liegt?
Nein, was sein Glaube sagt, das wiegt.
Das kommt im Grund auf eins hinaus,
Ob Gotteshaus, ob Hundehaus, –
Genug, wenn Seel' für Seele bloß
Des Glaubens lebt: Das Haus ist groß.


Brand

Allüberall die gleiche Lehre!


Der Vogt

Zudem sind an dem heutigen Feste
All diese Seelen unsre Gäste,
Wobei's höchst ungebührlich wäre,
Bespeisten wir sie nicht aufs beste.
Ja, Ihrethalben selbst, des weitern
Wär's widersinnig, ließe man
Die Beule jener Wahrheit eitern.


Brand

Was heißt das?


Der Vogt                       Hören Sie mich an.

Erst wird von unserm Vorstand Ihnen
Ein silberner Pokal verehrt;
Zerstör'n Sie nun der Kirche Wert,
So wird die Inschrift harlekinen;
Sodann das Festlied, das gedichtet,
Die Rede, die ich halten wollte,
Sie wären beide gleich gerichtet,
Wenn dieser Bau nicht groß sein sollte.
Sie sehn, Sie müssen sich wohl fügen.
Die Ohren steif, es wird schon gehen!


Brand

Ich seh' nur, was ich oft gesehen, –
Ein Lügnerfest zum Preis von Lügen.


Der Vogt

Davor bewahr' der Himmel jeden; –
Was führen Sie denn da für Reden!
Doch die Geschmacksfrag' hab' ein End';
Ich habe noch ein Argument; –
War jenes Silber, dies ist Gold;
Denn, wie Sie nun einmal ein Schnitter
Im Weingeländ' des Glücks sind, rollt
Auch diesmal – – kurz: – Sie werden Ritter!
Sie soll'n noch heut als Ordensmann
Das Kreuz auf Ihre Rockbrust steppen.


Brand

Ich hab' ein schwerer Kreuz zu schleppen;
Nehm' das von mir, wer mag und kann.


Der Vogt

Was nun? Sie freun sich wohl im stillen?
Rührt Sie denn nicht dies Gnadenzeichen?
Sie sind ein Rätsel ohnegleichen!
Bedenken Sie, um Gottes willen –


Brand (stampft auf.)

All dies Geschwätz ist eitler Kram;
Ich geh' davon, so klug ich kam.
Sie haben nichts von dem entdeckt,
Was hinter meinen Worten steckt.
Die Größe schafft mir wenig Gram,
Die Euch nach Fuß und Zoll bezahlt wird, –
Was unsichtbar zurückgestrahlt wird,
Uns kalt durchschaudert, heiß durchzittert,
Mit jedem hohen Traum umwittert,
Wie nächt'ger Sternenglanz durchglüht, –
Das, das –! Ah, gehn Sie! Ich bin müd':
Und lehr'n und tun Sie, was Sie wollen –

(Geht nach der Kirche hinauf.)

Der Vogt (vor sich hin:)

Wer rettet sich aus diesem tollen
Gewirr? Was sagst du, lieb Gemüt,
Zu Größe, die zurückgestrahlt wird,
Die nicht nach Fuß und Zoll bezahlt wird?
Und nächtiger Sternglanz? – Faule Fische!
Er kam doch nicht vom Früchstückstische?

(Ab.)

Brand (kommt den Platz herab.)

So einsam hab' ich nie gestanden
Im wildesten Gebirg wie hier; –
So läßt man jede Frage mir
Im seichtesten Gewäsch versanden.

(Blickt nach der Richtung, in der der Vogt verschwunden ist.)

Zudrosseln möcht' ich ihm die Kehle!
So oft ich seinen dumpfen Sinn
Emporziehn will, Narr, der ich bin,
Speit er mir seine stinkende Seele
Frech mitten vor die Augen hin.
O Agnes, warum bliebst Du nicht!
Wie mir dies Spiel die Kraft zerbricht,
Wo Flüchtling keiner, keiner Sieger –.
Ja, fruchtlos kämpft ein einsamer Krieger.


Der Probst (tritt auf.)

O meine Kinder, mein Lämm –!
Ich wollte sagen – Amtskollege!
Verzeihung! Doch das Fest – hem, hem –
Die Predigt – ist in einem rege.
Ich bracht' sie gestern schon zu Kopf,
Doch steckt sie mir noch frisch im Kropf.
Doch nun vor allem meinen Dank!
Sie brachen hier mit männlichem
Vertraun sich Bahn durch Rank und Zank,
Sie wagten Altes zu zerschellen,
Um Würdigeres hinzustellen.


Brand

Da fehlt noch viel.


Der Probst                         Das sollte doch –!

Ich dächte – nur die Weihe noch?


Brand

Was frommt ein Neubau, fehlt darin
Der neue Geist, der reine Sinn!


Der Probst

Das kommt, mein Freund, ganz nebenbei.
Der Decke saubre Schnitzerei,
Der helle Raum, – ei, das erzieht,
Daß auch das Volk mehr auf sich sieht.
Und gar die schöne Resonanz,
Die jedes Wort zu zweien macht,
Was meinen Sie! verhundertfacht
In jeder Brust des Glaubens Glanz.
Wir stehn hier, traun, vor Resultaten,
Wie sie sogar in großen Staaten
Nicht besser zu erzielen wären.
Und all das spricht zu Ihren Ehren.
Umschwebe Sie denn auch mein steter
Amtsbrüderlicher Dank, dem später,
Am Mittagstisch, von jüngern Kräften
Des Stifts (aufstell' ich die Bilanz)
In Ihrem Ruhm- und Ehrenkranz
Manch Lorbeerblatt noch anzuheften.
Doch, lieber Brand, Sie taumeln schier –?


Brand

Schon längst wich Kraft und Mut von mir.


Der Probst

Begreiflich! So viel Mühn und Plagen!
Und alle ganz allein getragen!
Doch sind sie jetzt ja überwunden;
Getrost! schon winken bessre Stunden;
Bald wird der Himmel wieder klar.
Von mehren Tausend eine Schar
Ist aus den Sprengeln rings erschienen;
Nun frag' ich Sie, wer nimmt's mit Ihnen
An Geist und Rednergaben auf?
Sehn Sie, der Amtsgenossen Hauf'
Empfängt Sie nun mit offnen Armen,
Und die Gemeind' läßt ihrem warmen
Gefühl für Sie ergriffen Lauf!
Und dann das Werk selbst, – wie's geglückt ist!
Und dann, – wie alles schön geschmückt ist!
Und dann des Tages Text, – wie groß!
Und dann der Festschmaus, – beispiellos!
Just als ich durch die Pfarre flitzte,
Sah ich, wie man das Kalb aufschlitzte.
Beim Himmel, Brand, ein köstlich Tier!
Das mocht' nicht leicht sein, sagt' ich mir,
Solch leckern Braten aufzutreiben,
In diesen Läuften, ernst und schwer,
Da wir das Pfund vier Kronen schreiben.
Doch lassen wir nun diese Bilder.
Mich führen and're Dinge her.


Brand

Nur los geschlitzt, gehackt, zerfetzt!


Der Probst

Mein Vorgangsmodus, Freund, ist milder.
Doch bündig; – denn wir sind gehetzt;
Es ist ein kleiner Punkt, worin
Sie sich von heut ab ändern müssen, –
Ein Leichtes, wie ich sicher bin.
Ja, ich vermute fast, Sie wissen
Schon, wo wir nicht zusammenpassen:
Darin, wie Sie Ihr Amt auffassen.
Sie kümmern sich nicht einen Hauch
Um das, mein Freund, was Schick und Brauch;
Und Schick und Brauch, das ist, ich meine,
Denn doch im Grund das Allundeine.
Du lieber Gott, ich will nicht schelten,
Da man noch nicht Erfahrung hat, –
Auch kommt man aus der großen Stadt
Und findet hier ganz andre Welten.
Doch jetzt, mein Freund, jetzt wird es wichtig,
Sie stell'n die Segel endlich richtig.
Man fand bisher mit Recht, Sie lägen
Zu sehr der Einzelseele ob.
Der Fehler – unter uns! – ist grob.
Man muß sie massenweise wägen.
Man scher' sie all' mit einem Kamm,
So fährt am besten Hirt wie Lamm.


Brand

Erklären Sie sich näher!


Der Probst                                   Nun,

Sie schenkten uns, in frommem Tun,
Die Kirche hier, als wie ein Kleid
Der Friedlich- und Gerechtigkeit.
Der Staat sieht in der Religion
Den besten Weg zum guten Ton, –
Den Hort, dem er sein Heil empfahl, –
Kurzum, die Richtschnur der Moral.
Sehn Sie, der Staat ist knapp gestellt;
Er will Valuta für sein Geld.
Ein Christ, – so heißt's, – ein Patriot.
Der Fiskus wirft sein Geld doch nicht
Gott und den Leuten ins Gesicht;
Umsonst, mein Freund, ist nur der Tod.
Nein, nein, der Staat ist nicht so toll.
Und bald wär's Land von Elend voll,
Wenn er nicht, von erhabner Stätte,
Sein Aug' auf alles Leben hätte.
Doch dies gelingt dem Staat nur kraft
Pflichtwilliger Beamtenschaft,
Hier also: seiner Seelenhirten.


Brand

Jedwedes Wort ist Weisheit!


Der Probst                                           Nur

Ganz kurz noch. Also, Sie bewirten
Ihn mit der Kirche, sozusagen,
Und wünschen folglich beizutragen
Zu seiner Stärkung und Kultur.
In diesem Sinn möcht' ich das Fest,
Das wir heut feiern wollen, deuten,
In dem, wie man die Glocken läuten,
Den Schenkungsbrief verlesen läßt.
Mit diesem Brief zugleich geloben
Sie, auf mein Fordern einzugehn –


Brand

Ich wär' nicht ich, wenn ich dies tät'!


Der Probst

Ja, jetzt, mein Freund, ist es zu spät –


Brand

Zu spät? Zu spät! Das möcht' ich sehn!


Der Probst

Ich bitte Sie, wozu dies Toben?
Kalt Blut! Ich lache schier! Je nun,
Sie soll'n doch gar nichts Schlimmes tun!
Kein einziger fährt minder gut,
Weil auch dem Staat dabei genug wird;
Sie dienen, wenn Ihr Sinn nur klug wird,
Zwei Herren unter einem Hut.
Den Jakob oder den Johann
Zu retten, ist nicht Ihres Amtes;
Ihr Ziel muß sein, daß Ihr gesamtes
Kirchspiel am Heilsquell trinken kann.
Und trinkt der ganze Kreis sich Heil,
Wird auch dem einzelnen sein Teil.
Der Staat ist, dünkt Sie das auch spanisch,
Aufs Härchen halb republikanisch.
Die Freiheit haßt er bis aufs Blut;
Die Gleichheit aber schmeckt ihm gut;
Doch Gleichheit kann nicht sein, bevor
Nicht, was uneben, glattgebohnt wird.
Und hierin hau'n Sie 'n übers Ohr, –
Indem von Ihnen das Unebne
Und nie bislang Bekanntgegebne
Im Gegenteil gerad' betont wird.
Einst war der Mensch der Kirche Glied,
Heut pfeift er sein persönlich Lied;
Dabei dem Staat ein schlechter Knappe;
Weshalb es denn auch heut so schwer ist,
Den Gleichheitsbeitrag abzuführen,
Nebst all den sonstigen Gebühren,
Indem die Kirche heut die Kappe
Für alle Köpfe längst nicht mehr ist.


Brand

O, welche Fernsicht öffnet sich!


Der Probst

Nur nicht verzagt, nur nicht erkaltet;
Obwohl unleugbar ist, hier waltet
Ein Wirrwarr, der ganz lästerlich.
Doch Hoffnung ist, wo Leben ist;
Und nach dem Schenkungsakt bemißt
Sich Ihre Pflicht, in Zukunft enger
Zum Staat zu stehn, nur um so strenger.
Nur Maß und Regel führt zum Ziel,
Soll nicht versprengter Kräfte Spiel,
Als wie ein Rudel rüder Fohlen,
Der Überliefrung Grenzmarkzeichen
Zerstörend nahen und entweichen.
Aus jeder Ordnung Fundament
Ist ein Gesetz emporzuholen:
Das, was die Kunst als Schule kennt,
Und unser Kriegerstand, so viel
Mir noch bewußt, Tritt halten nennt.
Ja, dies, mein Freund, dies ist das Wort!
Dort liegt des Staates Ziel, nur dort.
Den Springmarsch wär' er gerne quitt;
Marsch auf der Stelle g'nügt ihm nit; –
Für jeden Fuß den gleichen Schritt,
Den gleichen Takt für jedes Knie, –
So will's des Staats Philosophie.


Brand

Dem Aar die Gosse – und dem Volke
Der Gänse Berg und Wetterwolke!


Der Probst

Der Mensch ist, Gott sei Dank, kein Tier; –
Doch braucht es Poesie und Fabel,
Versieht uns wohl die Bibel. Ihr
Belegstoff reicht. Sie wimmelt schier
Von Genesis bis Offenbarung
Von Bild und Gleichnis und Parabel.
Zum Beispiel, ich erinn're bloß
An den geplanten Turm zu Babel!
Was ward der guten Leute Los?
Welch höchst trübselige Erfahrung!
Und das warum? Nun, sie entzweiten
Sich, schwammen nicht in einem Strom,
Verfochten jeder sein Idiom,
Kurz, wurden zu Persönlichkeiten.
Das ist der eine von den Kernen,
Die dieser Fabel Schale birgt:
Wer sich von andern will entfernen,
Der hat sein Heil schon halb verwirkt.
Wem Gott mißgönnt vom Freudenquell,
Den schafft er individuell.
In Rom hieß es sothanen Falles:
Die Gottheit nahm ihm den Verstand; –
Doch toll und einsam, eins ist alles;
Und drum kein Mann auf eigne Hand,
Dem nicht die gleichen Lose drohten,
Die der, den David einst als Boten
Absandte, – die Uria fand.


Brand

Wohl möglich; aber, was auch droht,
Ich schau' nicht Untergang im Tod.
Und halten Sie für festgesetzt,
Daß jenen Bauenden zuletzt
Mit gleicher Sprache, gleichem Sinne
Geglückt wär', ihres Turmes Zinne
Bis in den Himmel aufzurichten?


Der Probst

Bis in den Himmel? Nein, mit nichten;
Denn der wird keinem Menschen inne.
Das ist der andre von den Kernen,
Die dieser Fabel Schale birgt:
Ein Bau hat schon sein Recht verwirkt,
Will er hinauf bis zu den Sternen.


Brand

Doch Jakobs Leiter übertürmt sie;
Und jeder Seele Sehnsucht stürmt sie.


Der Probst

Auf die Art! Soll mich Gott bewahren!
Da läßt sich alles weitre sparen.
Gewiß, der Preis der Himmels steht
Auf rechtem Wandel und Gebet.
Doch Glaub' und Leben zu verquicken,
Das hieß' nur beide schlecht beschicken; –
Sechs Tage der Geschäfte Führung,
Den siebenten des Herzens Rührung!
Was gäb' die Kirche, werktags offen,
Der Sonntagspredigt noch zu hoffen?
Es schwächt des Wortes Läutrungskraft,
Verschänkt man's nicht als seltnen Saft.
Religion sowohl wie Kunst
Verfliege nie zu breitem Dunst.
Sie sehn Ihr Ideal genau
Von Ihrer Kanzel Vogelschau, –
Doch tun Sie's ab, samt Ihrer Tracht,
Sobald die Kirchtür zugemacht.
Für alles gilt nun mal der Satz,
Der Hauptsatz: Lerne Dich beschränken.
Und daß Sie dies recht in sich tränken,
Erschien ich heut hier auf dem Platz.


Brand

Nun denn, in diese Seelenbütten
Des Staats weiß ich kein Korn zu schütten.


Der Probst

Ich kam zu umgekehrten Schlüssen.
Nur ist Ihr Feld hier nicht. Sie müssen
Empor –


Brand                  Wozu, als Vorstuf', not,

Daß man hinabstößt mich in Kot?


Der Probst

Erhöht wird oft, wer sich erniedert;
Kein Star spricht, der nicht erst entfiedert.


Brand

Ihr müßt, wen Ihr gebraucht, erst töten!


Der Probst

Da sei Gott vor; – Sie meinen, Brand,
Ich wollte Sie –?


Brand                              Ja! Immer röten

Sie erst an meinem Blut die Hand!
Man paßt nur noch als fahl Skelett
Auf Euer Faul- und Fäulnisbett!


Der Probst

Ich lass', weiß Gott, nicht einer Katze
Zur Ader – und nun Ihnen gar!
Ich dachte nur, es wär' am Platze,
Stellt' ich den Lauf des Weges dar,
Der einst mein Weg zum Glücke war.


Brand

Und wissen Sie, was Sie da sagen?
Ich soll, beim ersten Hahnenschrei
Des Staats, verleugnen das, wobei
Mein Herz bis heute hoch geschlagen!


Der Probst

Verleugnen, Freund? Wer davon spricht!
Ich wies Sie nur auf Ihre Pflicht.
Sie soll'n die Weltverbessrungs-Mucken,
Die niemand frommen, in sich schlucken.
Bewahr'n Sie sie zum Selbstgenuß, –
Doch unter luftdichtem Verschluß!
Meinthalben schwärmen Sie inwendig,
Doch niemals offen vor der Menge.
Mein Freund, es straft sich auf die Länge,
Beträgt man starr sich und unbändig.


Brand

Ja, Furcht vor Strafe, Gier nach Lohn
Kainszeichnen Deine Stirn und klagen
Dich an, daß Du, in Eintagsfron,
Den Abel in Dir längst erschlagen.


Der Probst (für sich)

Jetzt sagt er, meiner Seel', gar "Du";
Das geht zu weit!
(Laut:)

                                          Nun denn, wozu

Noch länger streiten! Sie verstehn,
Daß ich Sie bitte, einzusehn, –
Gesetzt, Sie wollen vorwärtskommen, –
In welchem Land, in welcher Zeit
Sie leben; denn es kam nie weit,
Wer störrisch widern Strom geschwommen.
Sehn Sie die Künstler, die Poeten
Dem Geist der Zeit entgegentreten?
Ziehn unsre Krieger aus den Scheiden
Je Säbel, die da wirklich schneiden?
Niemals! Denn ein Gebot dich heißt:
Schick' dich in deines Landes Geist.
Sein Ich soll keiner frei entfalten,
Noch sich erhöhn, noch ab sich spalten,
Vielmehr sich schlicht im Haufen halten.
Human sind, sagt der Vogt, die Zeiten:
Was hätten Sie für Möglichkeiten,
Verständen Sie sie bloß human!
Drum erst die Kanten abgeschroten,
Und abgehobelt Knorr' und Knoten!
Erst wenn Sie glatt sind, wie die andern,
Und nie mehr Sonderwege wandern,
Wird, was Sie tun, zu Nutz getan.


Brand

Fort, fort von hier!


Der Probst                          Ja, das ist wahr;

Ein Mann wie Sie ruft offenbar
Nach einem bessern Wirkungskreis;
Doch müssen Sie, verständiger Weis',
Ob groß nun Ihr Gebiet ob klein,
Erst in die Zeitmontur hinein.
Vom Korporalstock muß den Herden
Der Marschtakt eingeprügelt werden;
Denn unser Führerideal
Ist heutzutag der Korporal.
Wie dieser rottenweis' die Seinen
Zur Kirche führt, so machen Sie's
Als Hirt, und führen die Gemeinen
Gemeineweis' zum Paradies.
Der Glauben ist's, worauf zu baun ist, –
Sie haben doch Autorität,
Die wiederum auf Studium steht,
Weshalb ihr blindlings zu vertraun ist.
Und wie der Glaube darzustellen,
Erhellt doch aus dem Rituellen.
Mein Bruder, – all dies ist so leicht;
Ich seh', noch eh' viel Zeit verstreicht, –
Nur Mut! – Sie alles glatt erledigen. –
Ich will nur in der Kirche drüben
Mich noch im lauten Sprechen üben;
Die Resonanz ist fast gênant, –
Sie ist so selten hierzuland'.
Auf Wiedersehn! Ich werde predigen
Vom Zwiespalt in der Menschenbrust
Und von des Gottesbilds Verwischung.
Jetzt spür' ich aber wahrlich Lust
Auf eine kleine Herzerfrischung.

(Ab.)

Brand
(steht eine Weile wie versteinert in seinen Gedanken.)

Verschlang dies Werk nicht all mein Los
Wie eine reißende Lawine?
Da gellt Eintagsdrommetenstoß
Und zeigt mir, welchem Gott ich diene
Ha! Noch seid Ihr um mich betrogen!
Die Kirche dort hat Blut gesogen;
Mein Glück, mein Leben ward ihr Kitt;
Doch mich bekommt Ihr selbst nicht mit!
O, fürchterlich, zu stehn alleine, –
Wohin ich blicke, winkt mir Tod;
O, fürchterlich: man reicht mir Steine,
Und ich, ich hungere nach Brot.
Wie sprach er grauenvolle Wahrheit, –
Und doch, was ward da aufgedeckt!
Weh, Gottes Taube sitzt versteckt;
Weh, nie noch brachte sie mir Klarheit.
O, ein Herz nur, im Glauben gleich,
Wie würd' ich ruhig, stark und reich!


(Ejnar, bleich, abgezehrt, schwarzgekleidet, kommt des Wegs vorüber und bleibt bei Brands Anblick stehen.)

Brand (schreit auf:)

Du, Ejnar!


Ejnar        ´           Ja, so ist mein Nam'.

Brand

Du weißt nicht, wie ich dürstet' just
Nach einem Menschen in meinem Gram!
O, komm, komm, komm an meine Brust!


Ejnar

Bedarf es nicht; ich bin im Hafen.


Brand

Du nährst noch Groll um das Geschehne,
Da wir zuletzt uns trafen –


Ejnar                                              Nein;

Du hast nicht Schuld. Du griffst allein
Als das vom Herren ausersehne
Werkzeug in meine Weltlust ein.


Brand (zurückweichend)

Welch eine Sprache?


Ejnar                           Die der Ruhe, –

Die einer lernt, wenn er die Schuhe
Der Sünde auszog und bereute.


Brand

Verwunderlich! Was mir die Leute
Erzählten, war ganz unverblümt
Das Gegenteil –


Ejnar                                Lang' war ich Beute

Von Hochmut, Trotz auf eigne Stärke.
Die Welt und ihre eitlen Werke,
Die Kunst, die man an mir gerühmt,
Mein Singsang waren lauter Schlingen,
In Satans Frondienst mich zu bringen.
Doch Gott behielt mich im Gesicht;
Sein schwaches Schaf verließ er nicht;
Er half mir fort zum rechten Ziel.


Brand

Auf welche Weise?


Ejnar                                     Ich verfiel.

Brand

Verfielst? In was?


Ejnar                                In Trunk und Spiel.

Er schob mir Wein und Würfel hin.


Brand

Das, meinst Du, war des Herren Sinn?


Ejnar

Es war der erste Schritt zum Heile.
Dann ward ich leidend nach 'ner Weile;
Verlor zum Zeichnen Lust und Hand; –
Mein Hang zur Munterkeit verschwand; –
Ich wurd' ins Hospital gesandt, –
Lag krank, – die Fiebergrade stiegen, –
Sah mich in allen Stuben liegen,
Sah Tausende von großen Fliegen; –
Kam wieder auf und ward bekannt
Mit Schwestern, drei an Zahl, wie deren
Im Sold des Himmels gehn und lehren:
Welch Kleeblatt und ein Theolog
Mich ganz dem Joch der Welt entzog,
Aus Sünd' und Schuld den Weg mir wies
Und Gottes Kind mich werden hieß.


Brand

So also.


Ejnar                Ja. So läuft ein Pfad

Im Tal, ein Pfad auf schmalen Grat.


Brand

Und dann?


Ejnar                     Dann? Zog ich weit und breit

Und predigte Enthaltsamkeit;
Doch läuft man da zu oft Gefahr,
Versuchungen ins Netz zu gehen;
So ließ ich den Beruf denn stehen
Und reise jetzt als Missionar –


Brand

Wohin denn?


Ejnar                          Nach den Nilquellseen.

Doch lassen wir das Reden sein.
Ich will –


Brand                  Bei unserm Feste fehlen?

Wir feiern heut –


Ejnar                                 Nein, danke, nein;

Mein Platz ist bei den schwarzen Seelen.
Leb' wohl!

(Wendet sich zum Gehen.)

Brand                     Und kein Erinnrungsschimmer

Durchzuckt Dich hier und läßt Dich fragen –?


Ejnar

Wonach?


Brand                    Nach ihr, der dieser Riß,

Der Einst und Heute scheidet, Klagen
Entlocken würd' –


Ejnar                                 Du denkst gewiß

An jenes junge Frauenzimmer,
In dessen Sündennetz ich hing,
Eh' ich des Glaubens Bad empfing.
Nun, fand sie noch den Weg zum Lichte?


Brand

Sie war mein Weib in all den Jahren.


Ejnar

Das ist unwesentlich; ich richte
Mein Augenmerk nicht auf derlei,
Will nur das Wichtige erfahren.


Brand

Freud' kam und Leid; wir wurden drei –
Und sahn das Dritte wieder gehen –


Ejnar

Das ist unwesentlich.


Brand                                     Ach ja;

Es war ja Lehen mehr als Gabe, –
Und tagt doch einst ein Wiedersehen.
Doch ihr ging der Verlust zu nah, –
Da drüben grünt nun Grab an Grabe.


Ejnar

Das ist nicht wesentlich.


Brand                                           Auch nicht?

Ejnar

Von all dem heisch' ich nicht Bericht.
Sag' mir, wie ging sie in den Tod.


Brand

Mit Hoffnung auf ein Morgenrot,
Mit all des Herzens reichem Glanz,
Mit Willen, bis zum Letzten ganz,
Mit Dank für, was das Leben gab
Und nahm, – so ging sie in ihr Grab.


Ejnar

Wortflitterkram, das insgesamt.
Wie war ihr Glaub' in seinem Kern?


Brand

Wie Gold.


Ejnar                      An wen?

Brand                                  An Gott, den Herrn.

Ejnar

Nur den; ja, dann ist sie verdammt.


Brand

Verdammt –?


Ejnar                          Verdammt, ja, tut mir leid.

Brand (ruhig:)

Geh, Wicht!


Ejnar                         Und Dich wird, seiner Zeit,

Der Höllenfürst wie sie verderben;
Du wirst wie sie auf ewig sterben.


Brand

Du Elender verdammst zum Tod!
Und lagst jüngst selber noch im Kot.


Ejnar

Es klebt kein Fleck auf meinem Kleid;
Im Glaubenswaschtrog ward ich blank;
Ab rieb sich jeder Kotgestank
Am Waschbrett echter Heiligkeit;
Das Klopfholz der Erwecktheit schlug
Mein Adamslinnen rein genug;
Weiß wie ein Chorhemd hält mich stets
Die Seifenlauge des Gebets.


Brand

Pfui!


Ejnar             Gleichfalls. Schweflig riecht die Welt
Hier schon; auftaucht schon Urians Horn.
Ich bin ein himmlisch Weizenkorn,
Du bist im Sieb des Richters – Spelt.
(Ab.)

Brand (blickt ihm eine Weile nach, mit einem Male leuchten seine Augen auf, und er bricht in die Worte aus:)

Der mußt' kommen, mich zu retten!
Jetzt fiel'n ab die letzten Ketten;
Eigne Farben will ich führen,
Und ob alle Tod mir schwüren.


Der Vogt (tritt eilig auf:)

Teurer Pfarrer, sputen, sputen!
Mehr Geduld noch ist dem guten
Volk unmöglich zuzumuten –


Brand

Mag es kommen.


Der Vogt                          Ohne Sie!

Sputen Sie sich heimwärts. Die
Prozession drängt anzufangen;
All die guten Leute wollen
Wie ein Bach, vom Schnee geschwollen,
Nach dem Pfarrhof, flehn, verlangen,
Schrein: Wir woll'n den Pfarrer sehn!
Hör'n Sie nur, da ruft man Ihnen!
Schnell! Sonst macht das Volk noch Mienen,
Inhuman zu Werk zu gehn!


Brand

Meine freie Stirne soll
Nimmer unter diese Menge;
Hier verbleib ich.


Der Vogt                          Sind Sie toll?

Brand

Euer Weg ist mir zu enge.


Der Vogt

Aber wird er denn, je weiter
Die Gemeinde vordringt, breiter?
Potz! Da stürmen sie! Da haben
Wir's! Der Propst, der Amtsmann steht
Halben Leibs im Straßengraben.
Los, drauf los! Autorität!
Mit der Peitsche, wenn's vonnöten!
Ha, zu spät! Die Schranken weichen, –
Und die Prozession geht flöten.


(Die Menge strömt herein und bricht sich in wilder Unordnung durch den Festzug hindurch nach der Kirche hinauf Bahn.)


Einzelne Stimmen

Brand!


Andere
(zeigen empor nach der Kirchentreppe, wo Brand steht, und rufen:)
                          Seht, dort!

Wieder Andere                   Gib's Anfangszeichen!

Der Probst
(eingeklemmt im Gedränge:)

Vogt, so stau'n Sie doch die Leute!


Der Vogt

Wie denn! Ich bin machtlos heute.
Der Schulmeister (zu Brand)
Ein erlösend Wort nur, Brand!
Sieh, der Sturm nimmt überhand.
Sag' uns, was bereitet sich:
Gutes oder Schlimmes, – sprich!


Brand

O, so geht denn durch die trägen
Wolken doch ein dumpfes Rollen!
Hört's! Ihr steht an Scheidewegen!
Ganz müßt Ihr das Neue wollen, –
Allen Schutt erst aus Euch fegen, –
Eh' Ihr bau'n dürft, Zoll um Zoll,
Was Euch neu umwölben soll!


Stimmen von Beamten

Rast der Pfarrer?


Stimmen von Geistlichen
                                          Ist er toll?
Brand

Ja, ich war's, im Wahn, daß meist und
Gernst hier jeder doch im Geist und
In der Wahrheit wandelte!
Und ich war's, indem ich dachte,
Daß ich Gott Euch gnädig machte,
Wenn ich mit ihm handelte!
Seht, so wollt' ich ihn betrügen:
Unsre Kirche ist zu klein; –
Doppelt denn! Das schlägt wohl ein!
Fünffach denn! Das muß genügen!
So wich ich vom Weg des Lichts,
Floh sein "Alles oder Nichts!"
Auf dem Weg der Kompromisse.
Doch er hat mich wach gerüttelt,
Die Posaune des Gerichts
Scholl in meine Finsternisse,
Daß ich lauschte, angstgeschüttelt,
Klein, wie David stand vor Nathan,
Zitternd, auf sein Donnerwort; –
Jetzt sind alle Zweifel fort.
Kompromiß heißt unser Satan!


Die Menge (in wachsender Gärung:)

Jagt sie fort, die uns geblendet,
Steinigt sie, die uns entnervt!


Brand

Für Euch selbst den Blick geschärft!
Auf Euch selbst den Zorn gewendet!
Eure Kraft habt Ihr vermarktet,
Euer Selbst habt Ihr zerklaubt,
Und anstatt daß Ihr erstarktet,
Füllt nun Flachheit Euer Haupt.
Kommt Ihr etwa, weil Ihr glaubt?
Nein, Euch lockt nur all der Klingklang,
Orgellärm und Küstersingsang
Und der Kitzel einer Predigt,
Die da recht nach aller Kunst
Lispelt, säuselt, Wolken schürzet,
Blitzt, kracht, Schlossenschauer stürzet
Und zuletzt verweht in Dunst!


Der Probst (für sich:)

Damit ward der Vogt erledigt.


Der Vogt (ebenso)

Den Hieb muß der Propst verschmerzen.


Brand

Nur den Schein der neuen Kerzen
Wollt Ihr, keine tiefre Brunst.
Und dann wieder heim in Dumpfheit,
Heim zu Sorg' und Plag' in Stumpfheit,
Leib' und Seel' in Werktagsschuhen,
Und im tiefsten Grund der Truhen
Wohlversargt das Buch des Lebens
Bis zum nächsten Fest! Vergebens
All die Träume, die ich nährte,
Als den Opferkelch ich leerte!
Groß die Kirch' ich türmen wollte,
Ihre Wölbung schirmen sollte,
Nicht bloß Glauben, nicht bloß Lehre, –
Schirmen alles, dem im Leben
Gott Gedeihensrecht gegeben, –:
Arbeitstages Eintagsdust,
Abendmuße, nachtbang Träumen,
Jugendblutes frische Lust,
Alles, was nur Menschenbrust
Mocht' an Freud' und Leid umsäumen. –
Baches niedersiedend Schäumen,
Wasserfalles Schluchtdurchbäumen,
Stimmgewirr aus Sturmeslungen,
Meeresbrandens Donnerungen
Sollten, geistgebannt, verschmelzen
Mit der Orgelwogen Wälzen
Und dem Lied der Menschenzungen.
Des Werks hier sag' ich mich los!
Nur in Lüge ist es groß;
Schon im Geist reif zu fallen,
Würdig Eurer Willenskleine.
Das ist jedes Wachstums End',
Daß Ihr Gott und Erde trennt;
Sechs der Tage holt Ihr sein
Himmelsbanner ängstlich ein,
Und am siebenten alleine
Sieht man es gen Himmel wallen.


Stimmen aus der Menge

Führ' uns! Laß das Banner fliegen!
Führ' uns, und wir werden siegen!


Der Probst

Hört ihn nicht, er ist kein Christ,
Lebt nicht in dem rechten Glauben!


Brand

Brav! Da lehrst Du selbst den Tauben
Unsern unheilbaren Zwist,
Und woran's am meisten fehle.
Denn kein Glauben ohne Seele.
Und nun sag', wer eine ist,
Wer die Blume, die ihn würzte,
Nicht seit jenem Tag vermißt,
Da er taumelnd vorwärts stürzte.
Lustbetört, auf wüstem Pfade,
Jedes Rattenfängers Raub,
Macht Ihr Euch dem Leben taub;
Ausgebrannt erst, dürres Laub,
Tanzt Ihr vor die Bundeslade.
Haben Krüppel dann und Tröpfe
Ausgeschmeckt die letzten Töpfe, –
Hei, dann ist es Zeit, zu beten,
Zeit, den Heilsweg anzutreten.
In nichts mehr vom Tier verschieden,
Da sich jed Gepräg' verlor,
Pocht Ihr an der Gnade Tor,
Sucht Ihr Gott, – als Invaliden!
Darum muß sein Reich vereisen.
Kann er wohl mit Seelengreisen
Seines Zepters Macht erweisen?
Heißt es nicht: Als Kind allein,
Wenn des Blutes Wellen rein
Noch und kräftig in dir kreisen,
Taugst du ihm zum Himmelserben,
Wirst du einst das Reich erwerben?
Alles Markten ist vergebens.
Kommt mit frischen Kinderwangen,
Männer, Weiber, denn gegangen
In den großen Dom des Lebens!


Der Vogt

Aufgeschlossen denn!


Die Menge (schreit wie in Angst auf.)
                                                  Nicht diese!
Brand

Unsre Kirche hat kein Ende.
Estrich ist die grüne Wiese.
Matte, Aue, Meer und Fjord,
Und allein des Himmels Wände
Wölben sich darüber fort.
Dort soll all Dein Werk geschehen,
Allgehört und allgesehen;
Sorg' nicht, was Du auch bereitest,
Daß Du sie damit entweihtest.
Sie soll alles decken, grade
Wie den ganzen Stamm die Rinde;
Glaub- und Lebenszwist verschwinde.
Sie soll mit des Tags Befleißen
Lehre und Gesetz verschweißen.
Da soll Tagwerk eins Dir heißen
Mit des Herzens Sternpfadtraume,
Kindes Spiel am Weihnachtsbaume,
Festtanz vor der Bundeslade!


(Es geht wie ein Sturm durch die Menge, einige weichen zurück; die meisten scharen sich dicht um Brand.)


Tausend Stimmen

Wie ein Stern ist uns erschienen:
Eins ist: Leben – und Gott dienen!


Der Probst

Alles folgt ihm! Männer – Weiber –!
Helft, Vogt, Amtmann, Küster, Schreiber!


Der Vogt (leise:)

He, bin ich ein Ochsentreiber,
Mich mit ihm herumzustoßen?
Mag er sich nur erst verboßen!


Brand (zu der Menge:)

Ist hier Gott? Kann er hier sein?
Nein! Drum auf nach seinem großen
Reich voll Freiheitssonnenschein!

(Sperrt die Kirchentür zu und nimmt den Ring mit den Schlüsseln in die Hand.)

Hier bin ich nicht Pfarrer mehr,
Widerrufe meine Gabe,
Und aus meinen Händen habe
Niemand diesen Ring als – der!

(Wirft ihn in den Bach.)

Lockt's Dich, Sklav' des Staubs, nun noch,
Steig hinein durchs Kellerloch,
Krümm' und bück' den mürben Rücken,
Laß im Dunkel Deinen siechen
Seufzer längs dem Boden kriechen,
Schlaff wie einen Schwindsuchtshauch!


Der Vogt (leise, erleichtert:)

Hui, da ward sein Orden Rauch!


Der Probst (ebenso:)

Und der Bischof läg' in Stücken!


Brand

Kommt, Ihr Jungen, kommt, Ihr Frischen,
Laßt des Lebens Hand den Tal-
Staub Euch von der Stirne wischen!
Gebt die Stunde nicht verloren!
Ihr erwacht ja doch einmal;
Müßt doch einmal, neu geboren,
Mit dem Kompromißgeist brechen.
Auf aus Euren niedren Schwächen,
Auf aus all dem halben Streben; –
Jagt den Feind aus Euren Toren,
Dräut ihm Krieg auf Tod und Leben!


Der Vogt

Ich verles' die Aufruhrsakte!


Brand

Lies! Ich brech' mit jedem Pakte.


Die Menge

Weis den Weg! Führ' uns von hinnen!


Brand

Übers Meer der Gletscherzinnen!
Wandern woll'n wir durch die Lande,
Lösend alle Seelenbande,
Die das Volk gefesselt halten,
Läutern woll'n wir, neugestalten,
Von der Trägheit Schlaf befreiend,
Männer seiend, Priester seiend,
Prägend neu den matten Stempel,
Wölbend unser Reich zum Tempel!


(Die Menge, worunter der Küster und der Schulmeister, schart sich um ihn zusammen. Brand wird auf die Schultern der Männer emporgehoben.)


Viele Stimmen

Groß sind diese Zeiten! Große
Dinge ruhn in ihrem Schoße!


(Die Menschenmasse strömt durch das Tal empor; wenige bleiben zurück.)

Der Probst (zu den Fortziehenden:)

Weh, Verblendete, was wollt Ihr?
In des Satans Fangnetz rollt Ihr,
Wenn Ihr seinen Reden traut!


Der Vogt

He! Kehrt um! Umkehren sollt Ihr!
Juckt Euch gar so sehr die Haut?
Leutchen, bleibt, – Ihr geht zugrunde!
Hm, sie hören nicht, die Hunde!


Der Probst

Wollt von Haus und Hof Ihr gehn?


Stimmen aus der Menge

Größer wird all das erstehn!


Der Vogt

Aber wie der Not begegnen –
Ohne Felder, ohne Vieh?


Stimmen

Gott der Herr ließ Manna regnen,
Da sein Volk um Hilfe schrie!


Der Probst

Hört, wie Eure Weiber klagen!


Die Stimmen (von fern:)

Wir verleugnen, die versagen.


Der Probst

Eure Kinder schrein: Bleibt wegen uns!


Die ganze Schar

Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!


Der Probst (sieht ihnen eine Weile mit gefalteten Händen nach und sagt dann verzagt:)

Ohne Herd', voll Angst: Was wird nun?
Steht der alte Seelenhirt nun,
Bis aufs Hemde ausgezogen!


Der Vogt (droht Brand nach:)

Schütz, paß auf, jetzt bricht Dein Bogen!
Geh, und mach' Dein Testament!


Der Probst (dem Weinen nahe:)

Testament? – Die sind verloren –!


Der Vogt

Mut, Herr Propst, nur nichts verschworen,
Wenn man seine Schafe kennt!

(Folgt den Leuten.)

Der Probst

Sollt' er wirklich? Traun! Er rennt
Hinterher, der Wackre, Gute!
Ha, mir wird ganz neu zu Mute.
Ich will auch hinauf. Am End'
Halten wir ihn noch, den Troß.
Legt den Sattel auf mein Roß; –
Schafft' ne berggewohnte Stute!

(Alle ab.)


Zu Akt 5 (weiter und Schluss)

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