Direkt zum Seiteninhalt

Henrik Ibsen: Brand, 3

Gedichte > Zeitzünder

Henrik Ibsen:


Brand


Ein dramatisches Gedicht (von 1865),
übersetzt von Christian Morgenstern (1907)



Personen

Brand
Seine Mutter
Ejnar (sprich: Einar), ein Maler
Agnes
Der Vogt
Der Doktor
Der Propst
Der Küster
Der Schulmeister
Gerd
Ein Bauer
Sein halbwüchsiger Sohn
Ein zweiter Bauer
Ein Weib
Ein zweites Weib
Ein Schreiber
Geistlichkeit und Amtspersonen,
Volk, Männer, Weiber und Kinder
Der Versucher in der Wüste
Chor der Unsichtbaren
Eine Stimme

Das Stück spielt in unserer Zeit, teils in, teils bei einem Fjordkirchspiel an der Westküste Norwegens.



Dritter Akt


(Drei Jahre später. Ein kleiner, mit Steinen eingezäunter Garten am Pfarrhof, am Fuß einer hohen Bergwand. Der Fjord liegt eng und eingeschlossen im Hintergrund. Die Haustür geht in den Garten. Nachmittag.)


(Brand steht auf der Treppe vor dem Hause. Agnes sitzt auf der Stufe darunter.)

Agnes

Geliebter Mann, – die Stirne kraus,
So spähst Du Tag um Tag nun aus –!


Brand

Ich wart' auf Botschaft.


Agnes                                           Du bist bang!

Brand

Ich wart' auf Botschaft von zuhaus.
Ich warte nun drei Jahre lang
Auf diesen Tag, der niemals tagt.
Und morgen, ward mir angesagt,
Ist es vielleicht um sie geschehen.


Agnes (sanft und zärtlich)

Du solltest ohne Botschaft gehen.


Brand (schüttelt den Kopf)

Bereut sie selbst nicht ihr Gebrest,
So bleib' auch ich im Schweigen fest.


Agnes

's ist Deine Mutter.


Brand                                   Hab' ich Recht

Zu Götzendienst, weil's mein Geschlecht?


Agnes

Brand, Du bist hart!


Brand                                     Zu Dir?

Agnes                                                 O, nein!

Brand

Ich warnte Dich, mein Freund zu sein.


Agnes (lächelt)

Du sahst zu schwarz; Du hieltst nicht Wort!


Brand

O doch; dies ist für Dich kein Ort.
Dein Aussehn ist nicht guter Art;
Für so viel Frost bist Du zu zart.
Um unser Haus hat nichts Bestand
Als Firn und Fels und Schutt und Sand.


Agnes

Doch um so sichrer lugt's empor.
So weit schob sich der Gletscher vor,
Daß, wenn der Lenz ihn talwärts führt,
So überschreitet uns der Schwall,
Und unser Haus steht unberührt
Wie unter einem Wasserfall.


Brand

Und keine Sonne weit und breit.


Agnes

Sie bringt doch so voll Zärtlichkeit
Dem Berg da drüben ihren Gruß.


Brand

Drei Wochen, ja, – zur Sommerszeit, –
Doch nie erreicht sie seinen Fuß.


Agnes (blickt ihn aufmerksam an, steht auf und sagt:)

's ist etwas, das Dich bangen macht!


Brand

Nein, Dich!


Agnes                        Nein, Dich!

Brand                                         Du schnürst Dich zu,

Du hehlst mir etwas!


Agnes                                       Brand, auch Du!

Brand

Dir schwindelt wie vor Abgrundsnacht!
Was ist's?


Agnes                     Was eben Sorgen sind – –

Brand

Du sorgst! Um wen?


Agnes                                    Um unser Kind.

Brand

Um Alf?


Agnes                  Du auch!

Brand                                 Ja, dann und wann!

Doch nein, das tut uns Gott nicht an.
Gott ist ja gut! Mein Jungchen macht
Sich noch heraus – und wie! gib acht!
Wo ist er jetzt?


Agnes                            Er schläft.

Brand (sieht durch die Tür hinein.)
                                                        Sieh her!

Er träumt von keiner Erdbeschwer.
Die kleine Hand ist drall und rund –


Agnes

Doch bleich.


Brand                        Das wird sich wieder fügen.

Agnes

Wie süß er schläft, mit tiefen Zügen!


Brand

Gott segne Dich; schlaf Dich gesund!

(Schließt die Tür.)

Mit Dir und ihm sank Fried' und Licht
Auf meines Tagwerks strenge Pflicht;
Der Taten Last, der Sorgen Ring
Ward zwischen Euch ein leichtes Ding;
Dir dank' ich's, wenn mein Fuß nie fiel,
Und Trost ward mir sein kindlich Spiel.
Erst sah ich mich als Märtyrer; –
Doch sieh, wie milde hat der Herr
Mein ganzes Los in Glück verkehrt –


Agnes

Ja, doch Du bist des Glücks auch wert.
O Brand, hast Du gekämpft, entsagt, –
Gedarbt, geduldet, Dich zerplagt; –
Ich weiß, still hast Du Blut geweint –


Brand

Ich trug es leicht, mit Euch vereint.
Mit Dir zog hier die Liebe ein
Wie lichter Frühlingssonnenschein.
Ich hatt' ja nie um sie gewußt;
Kalt war's an Vaters, Mutters Brust;
Und wenn einmal ein Funke glomm,
So fand er frostigen Willkomm.
Es ist, als hätt' die ganze Glut
Nur darum all die Zeit geruht,
Zwiefache Glorie nun um ihn
Und Dich, mein süßes Weib, zu ziehn!


Agnes

Nicht nur um uns! Wer immer jetzt
Den Fuß auf Deine Schwelle setzt,
Wer ratlos, wer kopfhängerisch,
Wer leidvoll, streitvoll, schwank und krank,
Sie finden alle Speis' und Trank
An Deines Herzens reichem Tisch.


Brand

Allein durch Euch. Durch Euch erst fand
Mein Herz der Güte himmlisch Land.
Kein Mensch kann alle Menschen lieben,
Eh' er nicht einen liebte. Ich
Ward früh in Einsamkeit getrieben, –
So härtete mein Herze sich –


Agnes

Und doch, – Dein Lieben ist nicht weich;
Und wenn Du streichelst, wird's ein Streich.


Brand

Bei Dir auch?


Agnes                           Nein! Wie könnt' ich klagen!

Mir gabst Du, Lieber, leicht zu tragen; –
Doch mancher läßt Dich angesichts
Der Fordrung: Alles oder nichts!


Brand

Was rings die Welt als Lieb' anspricht,
Das will ich nicht und kenn' ich nicht.
Mir strahlt der Gottesliebe Bild,
Und die ist weder sanft noch mild;
Die macht kein Todesgrausen weich,
Und wenn sie streichelt, wird's ein Streich.
Was tat Gott in der Ölbergstunde,
Da ihn der Sohn, verzweifelnd schier,
Anflehte: Nimm den Kelch von mir!
Nahm er dem Sohn den Kelch vom Munde?
Nein, leeren mußt' er 'n bis zum Grunde.


Agnes

O, üb' solch strenges Richteramt,
So ist die ganze Welt verdammt.


Brand

Wer weiß, wen einst Verdammnis trifft?!
Doch steht in ewiger Flammenschrift:
Nur dem, der treu, wird Licht zum Lohne,
Kein Feilschen schafft des Lebens Krone!
Du darfst der Prüfung Feu'r nicht fliehen,
Denk nicht, daß Du's mit Angstschweiß stillst.
Daß Du nicht kannst, wird Dir verziehen,
Doch nimmermehr, daß Du nicht willst.


Agnes

Ja, ja, laß alles andre schweigen!
O, hilf mir, hilf mir mit Dir steigen;
Lehr' mich Dein hehres Aufwärtswallen;
Mein zager Mut will oft nicht mit;
Oft schlägt mich Angst, mich bangt zu fallen,
Und müd' und erdschwer schleppt mein Schritt.


Brand

Den Wahlspruch, Agnes, nie vergiß:
Nur keinen feigen Kompromiß!
Verurteilt ist all Handeln Dein,
Wenn Du es halb übst und zum Schein.
Das soll man zum Gesetz erheben,
Durch Worte nicht, doch durch sein Leben.


Agnes (wirft sich an seine Brust.)

Wo Du gehst, folg' auch mein Fuß schwach!


Brand

Für zwei ist kein Geschröff zu jach.


(Der Doktor ist den Weg herabgekommen und bleibt vor dem Zaun außen stehen.)

Der Doktor

Ei, schnäbeln sich verliebte Tauben
In diesen grauen Felsenlauben!


Agnes

Mein altes Doktorchen! Du hier!
O, komm doch zu uns!

(Läuft hinab und öffnet die Gartentüre.)

Der Doktor                               Nicht zu Dir!

Du weißt recht gut, was in mir gärt.
An solcher Stätt' zu hausen, Kind,
Wo Firnenhauch und Winterwind
Eiskalt durch Leib und Seele fährt!


Brand

Nicht durch die Seele.


Der Doktor                               Nicht? Nein, nein!

Es wirft ja wirklich fast den Schein,
Als ständ' der jähgeschlossne Bund
Trotzdem auf festem, sicherm Grund,
Wiewohl 's nach alter Rede heißt,
Daß, was gebaut in hastiger Stund',
Auch von Bestand sich kurz erweist.


Agnes

Ein Sonnenkuß, ein Glockenschlag
Weckt oft zu einem Sommertag.


Der Doktor

Lebt wohl für heut! Mich ruft die Pflicht.


Brand

Zu meiner Mutter?


Der Doktor                         Gehn Sie mit?

Brand

Nicht jetzt.


Der Doktor
                               Sie waren schon?

Brand
                                               Noch nicht.

Der Doktor

Pfarr, Sie sind hart. Ich schund und stritt
Mich hier durch Wind und Wetter lang,
Wiewohl ich weiß, es ist ein Gang
Um Armesündergroschenklang.


Brand

Gott segn' Ihr Wirken immerdar!
Und machen Sie's ihr leicht, nicht wahr!


Der Doktor

Den Willen segn' er nur; ich kam,
So oft mich Not in Anspruch nahm.


Brand

Nach Ihnen sandte sie. Und ich, –
Ich warte, warte bitterlich.


Der Doktor

Was warten Sie?


Brand                               Eh' sie nicht sendet,

Ist jedes Wort an ihr verschwendet.


Der Doktor (zu Agnes:)

Du armes Weibchen, Tag und Nacht
In solcher harten Hände Macht!


Brand

Ich bin nicht hart.


Agnes                                Er gäb' sein Blut,

Macht's ihrer Seel' Verfehlung gut.


Brand

Freiwillig nahm ich, als ihr Erbe,
Ihr Schuldnerbuch auf meine Kerbe.


Der Doktor

Genug an Ihrem!


Brand                               Vieler Schuld

Sühnt Eines Arbeit und Geduld.


Der Doktor

Nicht eines, der selbst, arm und nackt,
Mit Schuld und aber Schuld bepackt.


Brand

Gleichviel; ich will, aus ganzem Sinn, –
Und dieses eine will reicht hin.


Der Doktor (sieht ihn starr an.)

Ja, Deines Willens quantum satis
Steht, reichgebucht, an seiner Statt;
Doch, Pfarr, Dein conto caritatis,
Das ist ein weiß, jungfräulich Blatt.

(Ab.)

Brand (folgt ihm eine Weile mit den Augen.)

Kein Wort ward so voll Lug und List,
Wie's heut das Wörtlein Liebe ist.
Damit verhüllt man satansklug
Sein's Willens Schwachheit und Betrug;
Damit wird Schweigen drum gespult,
Daß man sein Lebtag spielt und buhlt.
Der Berg wird steil, der Atem knapp, –
Die Liebe kürzt den Weg Dir ab!
Du folgst der Sünder breiten Reihn, –
Die Liebe wird Dir einst verzeihn;
Du schaust Dein Ziel, doch tatenlos, –
Die Liebe wirft Dir's in den Schoß;
Du wählst bewußt statt grade krumm, –
Die Liebe macht den Richter stumm!


Agnes

Ja, das ist falsch, und doch, oft fass'
Ich's kaum und frag' mich: ist es das?


Brand

Eins fehlt! Erst Wille, ernst und echt,
Löscht des Gesetzes Durst nach Recht.
Erst mußt Du wollen, und nicht nur
Des Möglichen gemeine Spur,
Nicht nur die Summe von Beschwerd'
Und Müh', die eine Tat begehrt;
Nein, wollen muß Dein fröhlicher Mut
Durch aller Schrecken Flut und Glut.
Das ist kein Märtyrtum, in Wehn
Am Pfahl des Kreuzes zu vergehn; –
Zu wollen diesen Kreuzestod,
Zu wollen diese Fleischesnot,
Zu wollen diese Seelenqual, –
Erst das stellt Dich zur Königswahl.


Agnes (schmiegt sich dicht an ihn an.)

Fällt uns einst unsre Prüfung zu,
Mein Herr und Hort, dann rede Du!


Brand

Gewann der Wille solchen Streit,
Dann kommt der Liebe lichte Zeit
Wie eine Taube und verleiht
Des Lebens Ölblatt Dir als Paß;
Doch diesem Volk hier, schlaff und laß,
Gebührt als beste Liebe Haß!

(Erschrocken:)

Haß! – Weltenkrieg im Schoß zu tragen
Dies Wörtlein, wie ein Hauch zu sagen!

(Eilig ab ins Haus.)

Agnes (blickt durch die offne Tür.)

Er ist bei Alfchen hingekniet
Und wiegt das Haupt, als weinet' er,
Und preßt es auf sein Bett, wie wer,
Der nicht mehr Hilf' noch Ausweg sieht.
O, welch ein Born von Liebe bricht
Aus dieser Mannesbrust von Erz!
Alf darf er lieben; dessen Herz
Verdarb der Sünde Biß noch nicht.

(Entsetzt ausbrechend.)

Aufspringt er, – ringt die Hände, – weh
Was sieht er? Er ist bleich wie Schnee!


Brand (außen auf der Treppe)

Kein Bote noch?


Agnes                              Nein, keiner noch.

Brand (blickt ins Haus zurück)

Das ist ein Fiebern und Gepoch'
Im Herzchen unsres kleinen Kranken –!
Nur ruhig, Kind!


Agnes                              Was für Gedanken –!

Brand

Nein, sei nur ruhig –

(Ruft nach dem Weg hinaus.)
                                                 Da! Der Bote!

Ein Mann (durch die Gartenpforte:)

Jetzt sollst Du kommen, Herr!


Brand                                                    Sofort!

Was sagte sie?


Der Mann                     Ein dunkel Wort;

Im Bett auf saß die halb schon Tote
Und sagte: Hol' ihn, 's geht zu End';
Mein halbes Gut fürs Sakrament.


Brand (weicht zurück.)

Das halbe! Nein! Sag' nein!


Der Mann (schüttelt den Kopf.)
                                                          Da wär'

Mein Wahrheitreden nicht weit her.


Brand

Das halbe?! Alles war gemeint!


Der Mann

Kann sein; gesagt war halb, nicht mehr.
Mein Kopf ist gut, das weiß mein Feind.


Brand (ergreift ihn am Arm.)

Du zeugst mir einst vor Gottes Thron,
Daß dies Wort ihrem Mund entflohn?


Der Mann

Ja.


Brand (fest:)
                   Sag', daß ich die Antwort send':

Kein Priester kommt, kein Sakrament.


Der Mann (sieht ihn unsicher an.)

Da hast Du wohl nicht recht gehört,
Wer Dich in seiner Not beschwört –


Brand

Ich kenne kein gezweiteilt Recht
Für fremd Geschlecht und mein Geschlecht.


Der Mann

Hart Wort!


Brand                     Es gilt hier, angesichts

Des Todes, alles oder nichts.


Der Mann

Pfarrer!


Brand                Das kleinste Stäubchen Gold

Ist noch ein Klumpen Götzensold.


Der Mann

Ich werd' der Antwort Geißelschlag
So lind führ'n, als ich's nur vermag.
Ihr bringt wohl eins noch Trost und Ruh':
Gott ist nicht ganz so hart wie Du!

(Ab.)

Brand

Ja, dieses Trosts verjauchter Krug
Vergab's der Menschheit oft genug.
Gegrein' und Schrein zur rechten Stund'
Verschmiert dem Richter leicht den Mund.
Ei, freilich! Das gehört sich so!
Man glaubt ja viel zu felsenfest,
Daß irgendwie und irgendwo
Der Alte mit sich handeln läßt.


(Der Mann hat außen auf dem Wege einen anderen getroffen; sie kommen beide zusammen zurück.)


Brand

Von neuem Botschaft?


Erster Mann                             Ja.

Brand                                              Ihr Sinn?

Der Zweite

Neun Zehntel gibt sie willig hin.


Brand

Nicht alles?


Der Zweite               Nein.

Brand                                Mein Wort Ihr kennt:

Kein Priester kommt, kein Sakrament.


Zweiter Mann

Sie hat zuletzt viel durchgemacht –


Erster

Sie hat Dich doch zur Welt gebracht!


Brand (ringt die Hände.)

Mir ziemt nicht zweierlei Art Recht
Für Fremde und für mein Geschlecht.


Zweiter Mann

Der Kranken Qual wächst fort und fort, –
Send' wenigstens ein sühnend Wort!


Brand (zum ersten Mann:)

Geht; bringt der Kranken mein Gebot:
Tisch rein für Gnadenwein und –brot!


(Die Männer ab.)

Agnes (schmiegt sich an ihn.)

Oft fürcht' ich, Brand, für Deinen Stern:
Du flammest wie ein Schwert des Herrn!


Brand (mit Tränen in der Stimme:)

Stellt nicht die Welt ohn' Ende sich
Entblößten Eisens wider mich?
Quält nicht die Welt mich bis aufs Blut
Mit ihrer Trägheit dumpfer Wut?


Agnes

Steil ist der Weg, den Du ihr sannst.


Brand

Zeig' einen bessern, wenn Du kannst.


Agnes

Leg' solch ein Maß, an wen's auch ist,
Und sieh, ob's auch nur einer mißt.


Brand

Nein, da hast Du zum Grausen recht.
So quer, so leer, so flach, so schlecht
Ist diese ganze Zeit geworden.
Schenkt einer heut durch Testament,
Ohn' daß er seinen Namen nennt,
Gleich rückt er in der Heiligen Orden.
Nimm einem Helden seinen Ruf,
Und laß ihm das nur, was er schuf;
Tu Kaisern, Königen Gleiches an, –
Und sieh, was noch getan wird dann!
Laß einen Dichter es bewenden,
Die Nestbrut heimlich auszusenden,
Daß keiner ahnt, daß sein Genie
Ihr Stimm' und Goldgefieder lieh!
Fass' grünen oder dürren Ast:
Hingebung ist kein Menschengast.
Breit herrscht der Weltsucht Knechtsgedanke;
Wild klammert sich an Abgrunds Rand
Der Mensch an seines Staubseins Ranke, –
Und reißt die, – krallt er gier die Hand
Noch krampfhaft in Geröll und Sand.


Agnes

Und hört Dein: Alles oder nichts!
Wie eine Windsbraut des Gerichts.


Brand

Kein Sieg wird ohne Kampf Dein eigen;
Wer tief gefallen, muß hoch steigen. –

(Er schweigt eine Weile; seine Stimme verändert sich.)

Und doch, an manchem Totenbett,
Wenn sie für ihre Sünden büßten,
War mir, ich trieb' in Meereswüsten
Auf eines Wracks sturmirrem Brett.
Stumm schluchzend biß ich oft genug
Die Zunge, die sich nie erbarmt, –
Und manchen, den ich grausam schlug, –
Wie lieber hätt' ich ihn umarmt! –
Sieh, Agnes, nach dem kleinen Bleichen;
Sing' ihn in lichte Träume ein;
Ein Kinderherz ist klar und rein,
Als wie ein See in Sonnenschein;
Ein Mutterwunsch kann drüberstreichen,
Dem Vogel gleich, der sein Gebiet,
Lautlos gespiegelt, überzieht.


Agnes (bleich)

Was ist's, daß, wie der Pfeil auch fliegt,
Er stets zu Alf zurücke biegt?


Brand

O, nichts. Wart' es nur treu, das Kind.


Agnes

Gib mir ein Wort mit.


Brand                                      Stark?

Agnes                                                Und lind.

Brand (umarmt sie)

Wer schuldlos ist, leb' ohne Bangen!


Agnes (blickt ihn hell an und sagt:)

Eins gibt's, – das darf Gott nicht verlangen!

(Ins Haus ab.)

Brand (sieht still vor sich hin)

Daß er es dennoch dürfte, lehrt,
Was er von Abraham begehrt.

(Schüttelt die Gedanken ab.)

Nein, nein; mein Opfer ist gebracht.
Wie Gottes Donner hinzurollen,
Der Erde Schläfer aufzugrollen, –
Der Lebenstraum versank in Nacht.
Wie! Eines Opfers rühm' ich mich?
Ach, jenes Opfers Ruhm erblich,
Als Agnes mich erwachen machte –
Und sich mit mir zum Opfer brachte.

(Sieht den Weg entlang.)

Was ist die Kranke doch zu Haus
In ihrem Geize trotzig zäh;
Was rauft sie dies Geschwür nicht jäh
Mit Schoß und Stamm und Wurzel aus! –
Sieh da –! Nein, nur der Vogt ist's – und
Wie immer rührig, rund, gesund,
Die Händ' gesteckt in beide Taschen,
Wie Klammern um 'ne Parenthes' –


Der Vogt (durch die Gartenpforte:)

Schön guten Tag! Wir überraschen
Vielleicht nicht ganz dem Wunsch gemäß –


Brand (weist nach dem Hause.)

Ich bitte –


Der Vogt                 Danke; 's tut's auch hier.

Erhält mein Wort nur Einlaß, bin
Ich sicher, Ihnen bringt, wie mir,
Die Unterredung nur Gewinn.


Brand

Was führt Sie her?


Der Vogt                             Vernahm ich recht,

So steht's mit Ihrer Mutter schlecht; –
Das tut mir leid.


Brand                               Ich zweifle nicht.

Der Vogt

Das tut mir sehr leid.


Brand                                    Nun, und da –?

Der Vogt

Jedoch, sie ist wohl alt; – Gott, ja,
Das Sterben ist nun einmal Pflicht.
Und da ich just vorüberstrich,
So dacht' ich: jetzt ermannst Du Dich
Und sprichst mal vor; auch um zu fragen,
Ob's wahr ist, was die Leute sagen,
Daß zwischen Ihnen seit der Zeit,
Daß Sie hier sind, Familienstreit –


Brand

Familienstreit?


Der Vogt                        Es heißt, sie hält

Mit aller Macht an ihrem Geld.
Da gab's wahrscheinlich denn Verdruß.
Man sieht doch selbst auch auf Erwerb.
Sie hat von Ihres Vaters Erb'
Den ungeteilten Vollgenuß –


Brand

Den ungeteilten –; nur zu wahr!


Der Vogt

Da fährt man sich gar leicht ins Haar.
Und da ich mir nun denn gedacht,
Daß Sie dem weiteren Geschehn
Mit kühlem Blut entgegensehn,
So sind Sie wohl nicht aufgebracht, –
Ist auch der Zeitpunkt schlecht gewählt, –
Und hören mich.


Brand                              Ob jetzt ob dann,

Drauf kommt's für mich wohl wenig an.


Der Vogt

Ja, denn zur Sache, kurz und gut.
Sowie die Frau sich ausgequält
Und selig unterm Rasen ruht, –
Was bald geschehn wird, – sind Sie reich –


Brand

Sie glauben –?


Der Vogt                       Da ist nichts zu glauben.

Sie übersehn Ihr Land nicht gleich,
So scharf Sie auch den Kieker schrauben.
Sie werden reich!


Brand                   Trotz des Gerichts?

Der Vogt (lächelt)

Was soll das hier? Das sorgt Sie nichts,
Da niemand Streit und Einwürf' macht.
Hier kommt kein Dritter in Betracht.


Brand

Und wollte doch nun irgendein
Miterb' ihr Gut sich zuerkennen –
Und sich den rechten Erben nennen?


Der Vogt

Das müßt' der Teufel selber sein!
Ja, sehn Sie mich nur an; – nicht einer
Spricht außer mir ein Wort hier drein;
Vertraun Sie mir; ich weiß Bescheid.
Nun also: Gutgestellt, wie keiner
Am Ort hier, reich sogar, so können
Sie sich nun bessre Tage gönnen;
Frei lacht die Welt nun weit und breit.


Brand

Wie? Heißt das nicht mit einem Wort:
Wir brauchen Dich nicht mehr; zieh fort!?


Der Vogt

Ich glaub', 's wär' allen nur zum Segen.
Stehn Sie, – wenn Sie die insgesamt
Betrachten, denen hier Ihr Amt
Gebeut die Bibel auszulegen, –
Nicht wie ein Wolf da, – derb verglichen, –
Vor Gänsen und vor Gänserichen?
Ihr Geist bleibt diesem engbemessnen
Bezirk ein unverstanden Buch;
Sie werden diesen eingesessnen
Bergbauern, diesen weltvergessnen
Fjordfischern oft ein wahrer Fluch.


Brand

Sein Heimatsort ist einem Mann,
Was einem Baum sein Wurzelgrund; –
Wenn man ihn da nicht brauchen kann,
Verstummt sein Mund, verfällt sein Pfund.


Der Vogt

Das ist das fürnehmste Gebot:
Sich dem, was not tut, anzupassen.


Brand

Doch wird vom Tal sich das, was not,
Nicht wie vom Berg aus schätzen lassen.


Der Vogt

So reden die im Lande draußen,
Nicht die in armen Tälern hausen.


Brand

O, Ihr mit Eurem Unterschied
Von Tiefland und Gebirg'! Ihr zieht
Die Rechte vor, die jenem gelten,
Doch seine Pflichten übt Ihr selten.
Euch dünkt's genug, wenn Ihr nur schreit,
Daß Ihr geringe Leute seid.


Der Vogt

Jedwede Generation,
Jedwede Zeit geht ihre Gasse.
Wir brachten unser Scherflein schon
Der Weltgeschichte großer Kasse;
Versteht sich, anno dazumalen;
Doch war es drum kein schlechter Zahlen.
Jetzt kommt der Ort nicht mehr in Frage,
Doch seinen Ruf bewahrt die Sage;
Es zählen seine großen Tage
In König Beles Kriegsannalen.
Da dringt noch Etzliches zu Ohr
Vom Brüderpaare Wulf und Thor
Nebst manchem wackren Häuflein, das
Nach Brettlands Küste fuhr und baß
Brandschatzend Land und Leute schor.
Im Süden schrie man schreckensbleich:
Gott schütz' uns vor der Eber Streich!
Und diese Eber, des sind wir
Gewiß, die waren Volk von hier.
Und konnten sich die Kerle rächen!
Da schwamm's von Blut- und Feuerbächen!
Ja, einer, Türkenmacht zu schwächen,
Nahm selbst das Kreuz, dem Herrn zulieb; –
Wenn auch der Zug selbst unterblieb –


Brand

Es stammt gewiß ein breit Geschlecht
Von diesem Helden ab?


Der Vogt                                    Ganz recht:

Doch woher wissen Sie –?


Brand                                             O, weil

So viele, dünkt mich, heut ihr Heil
In einem Kreuzzug solcher Wahl
Versuchen, wie der dazumal.


Der Vogt

Jawohl, es blüht noch weit und breit.
Doch waren wir in Beles Zeit!
Erst also kam das Ausland dran;
Dann fingen wir daheim den Tanz
Mit Nachbarn und Gevattern an,
Einheizten mit der Felder Stroh
So Kirch' wie Haus, uns flechtend so
Aus großen Taten Kranz auf Kranz.
Des Bluts, das wir dabei vergossen,
Ward später leicht zu viel gedacht;
Doch obbemeld'ter Sagenhort
Erlaubt denn doch auf unsre Macht
In jenem Zeitraum, längst verflossen,
Ein ganz bescheiden rühmend Wort,
Sowie den Schluß, daß unser Ort
Zum Fortentwicklungskampf der Welt
Mit Feu'r und Schwert sein Teil gestellt.


Brand

Doch scheint dir nicht an Dich gerichtet,
Mein Volk, daß Adel auch verpflichtet,
Da du mit Egge, Pflug und Karst
Held Beles Erbe stumm verscharrst.


Der Vogt

Durchaus nicht. Gehn Sie nur mal hier
Auf eins von den Gemeinde-Essen,
Wo Richter, Küster, Schulz und mir
Die Ehrenplätze zubemessen,
Und sehn Sie, kommen Punsch und Bier,
Ob König Bele wohl vergessen!
Mit Tusch und Sang und Becherklang,
In Reden kurz und Reden lang
Wird sein gedacht, läßt man ihn leben.
lch hab' oft selber tiefen Drang
Verspürt, ihm aus Gedankenzwirn
Ein blumig Ehrenkleid zu weben,
Und baß erbaut manch Herz und Hirn.
lch mag gern etwas Poesie.
Das tun im Grund wir alle, die
Wir hier daheim; – wiewohl verhalten; –
Im Leben darf sie niemals walten, –
Nur von Glock' sieben bis Glock' zehn
Des Abends, wenn wir müßig gehn,
Und man, vom Tagwerk müd und matt,
Ein Aufschwungsbad von nöten hat.
Was uns an Ihrem Treiben irrt,
Das ist: Sie woll'n – stirb oder gib! –
So sä'n wie mäh'n auf einen Hieb.
Sie trachten, wie die Dinge scheinen,
Idee und Leben zu vereinen, –
Sie woll'n den Täter mit dem Beter
So innig in ein Joch geschirrt,
Daß eins draus wird, wie aus Salpeter,
Karbon und Schwefel Pulver wird.


Brand

Erraten.


Der Vogt          Doch in dieser Weise

Bewirtschaftet man größre Kreise.
Die werden Ihrem Wunsch genügen,
Uns ziemt nur, Moor und Meer zu pflügen.


Brand

Pflügt mir zuvörderst Euer leer
Geprahl von Ruhm hinab ins Meer!
Ein Zwerg wächst darum um kein Haar,
Weil Goliath sein Urahn war.


Der Vogt

Große Erinnerungen stärken.


Brand

Ja, – treiben sie zu neuen Werken.
Doch Ihr schuft jenes Säculum
Zu Eures Stumpfsinns Faulbett um.


Der Vogt

Mein erstes bleibt mein letztes Wort; –
Am besten wär's, Sie zögen fort.
Hier wird Ihr Wirken nur versanden,
Ihr Weltanschauen nicht verstanden.
Das Trösten auf ein besser Morgen,
Den Aufschwung, der von Frist zu Frist
Geplagtem Volk vonnöten ist,
Werd' unverdrossen ich besorgen.
In meiner ganzen Laufbahn spricht
Gar viel von wohlerfüllter Pflicht;
Ich hab' des Volkes Zahl verdoppelt,
Verdreifacht schier, zudem zugleich
Bald den, bald jenen Nahrungszweig
An diesen Fjordstrich hier gekoppelt.
Mit trotzender Natur im Kampf
Sind fortgerückt wir wie mit Dampf,
Und Wege ziehn sich, Brücken streben –


Brand

Doch nicht vom Glauben hin zum Leben.


Der Vogt

Vom Fjord bis hoch zum Gletscherschnee.


Brand

Nicht zwischen Handlung und Idee.


Der Vogt

Erst Urbarmachung, Spann' um Spann',
Erst Fortkunft zwischen Mann und Mann, –
Darüber war ein Urteil nur,
Eh' Ihr Geist in die Leute fuhr.
Des Grubenlichts gewohnten Schein
Verquickten Sie mit Nordlichtsflammen;
Wen läßt solch Zwielicht da noch scheiden,
Was recht, was falsch, was groß, was klein,
Was Büßen, was unschuldig Leiden?
Jedwed Verhältnis rann zusammen; –
Und die vereinigt siegen sollten,
Stehn in zwei Haufen nun zerscholten.


Brand

Sie setzen mich noch lang nicht matt.
Man wählt nicht seines Wirkens Statt.
Wem klar sein Ziel in Herz und Sinn,
Ihm strahlt das Wort von Anbeginn:
Gott will es: Hier gehörst Du hin!


Der Vogt

So bleibe man, doch in dem Seinigen;
Ich seh' Sie gern die Leute reinigen
Von Sünden, Lastern, als im Schwang;
Des braucht's oft alle Klafter lang.
Bloß nicht gemacht den Werkeltag
Zum Sonntag, – und nicht stets die Flagg'
Gezeigt, als ob jedwedes Brett
Im Fjord an Bord den Herrgott hätt'!


Brand

Sollt' ich nach Ihrem Ratschlag handeln,
Ich müßt' mein innerst Wesen wandeln.
Doch das just gilt's: Sich selbst zu leben,
An sein Werk ganz sich hinzugeben;
Und dies, mein Werk, ich führ's hinaus,
Daß es soll leuchten um mein Haus!
Das Volk, das Euer Führertrott
Einschläferte, wach' auf zu Gott!
In Eures Engsinns Zwinger schwur
Es ab bald letzte Bergnatur;
Aus Eurer Kleinheit Hungerkur
Hervorgeht jeder stier und stur;
Ihr sogt ihm aus sein bestes Blut,
Ihr grubt ihm 's Mark aus seinem Mut;
Ihr pochtet mürbe jedes Herz,
Und sollte stehn wie gossen Erz; –
Doch noch, – wie lang sein Groll auch schwieg, –
Kann's Euren Ohren donnern: Krieg!


Der Vogt

Krieg?


Brand             Krieg!

Der Vogt                  Gut; fangen Sie nur an!

Sie fallen als der erste Mann.


Brand

Einst wird gewaltig offenbar,
Daß Unterliegen Siegen war!


Der Vogt

Brand, Brand! Sie stehn an einer Wende;
Wenn Sie der Einsatz nur nicht reut!


Brand

Ich wag' ihn.


Der Vogt                Nimmt's ein schlimmes Ende,

So ward Ihr Lebenstag vergeud't.
Sie haben, was das Herz begehrt;
Erbgut wird Ihnen aufgedrängt;
Ein Kind macht Ihnen 's Leben wert,
Ein lieb Gemahl; – das Glück, es hängt
Vor Ihnen wie die reife Beere!


Brand

Und wenn ich dennoch diesem Glück,
Wie Sie's verstehn, den Rücken kehre?
Falls ich es muß?


Der Vogt                          Vergeben Stück,

Entroll'n Sie der Fernabwelt hier
Ihr volkskriegweckendes Panier!
Ziehn Sie zum Süden, zu Gestaden,
Wo kühne Köpfe mehr in Gnaden;
Dort sammeln Sie die Starkgemuten
Und lassen die Gemeinde bluten;
Hier opfern wir nicht Blut, – nur Schweiß,
Im Kampf um Brot mit Stein und Eis.


Brand

Hier bleib' ich doch. Hier ist mein Herd.
Und wo mein Herd ist, liegt mein Schwert.


Der Vogt

Sie wissen, was Sie als Nicht-Sieger
Verlieren – und nie mehr erreichen!


Brand

Mich selbst verlör' ich, wollt' ich weichen.


Der Vogt

Brand, fruchtlos kämpft ein einsamer Krieger.


Brand

Die Besten soll'n mir Folgschaft leisten.


Der Vogt (lächelt)

Mag sein, mag sein, – doch mir die meisten.

(Ab.)

Brand (sieht ihm nach)

Ein Vollblut-Volksmann! Reger Hand,
Rechtschaffen denkend, warm und billig,
In seiner Weise fortschrittswillig,
Und eine Geißel doch fürs Land.
Nicht Bergrutsch, Dammbruch, Winters Ost,
Nicht Hungersnot, nicht Pest, nicht Frost
Verschulden halb die Niederlag',
Wie solch ein Mann in Jahr und Tag.
Die Landplag' raubt Dir nur Dein Leben; –
Doch er –! Wie manches frische Streben,
Wie manchen stolzen Traum zertrümmert,
Wie manchen starken Ton verkümmert
Solch ein engbrüstig-heis'rer Geist!
Wie manch von Lächeln hell durchsonnten,
Wie manch von Blitzen schwangren Blick,
Wie manchen Hochflug's Zwiegeschick,
Draus Taten, Werke wachsen konnten, –
Hat er zerbrochen und vereist.

(Plötzlich in Angst.)

Kommt keine, keine Botschaft mehr?
Doch – dort –!

(Eilt dem des Weges kommenden Doktor entgegen.)
                                      Sie hat Sie hergesandt –?

Der Doktor

Sie steht vor ihrem Richter, Brand.


Brand

Tot! Doch in Buße?


Der Doktor                          Glaub' ich kaum:

Ihr zäher Geiz gab ihr nicht Raum,
Bis sie der Tod im Arme hielt.


Brand (blickt still erschüttert vor sich hin.)

Ist eine Seele hier verspielt?


Der Doktor

Vielleicht, daß den gerechten Lohn
Der Richter ihr erlassen will!


Brand (leise)

Was sagte sie?


Der Doktor                  Sie raunte still:

Gott ist so hart nicht wie mein Sohn.


Brand (sinkt von Schmerz übermannt auf die Bank.)

In Todesnot, in Sündenfall
Die gleiche Lüg' allüberall!

(Verbirgt das Gesicht in den Händen.)

Der Doktor (tritt näher, betrachtet ihn und schüttelt den Kopf.)

Sie wollen abgelebten Zeiten
Ein Auferstehungsfest bereiten.
Sie glauben, scheint es, noch zur Stund'
An Gottes und des Menschen Bund.
Doch jede Zeit hat ihre Art;
Die unsre schreckt nicht Höllenfahrt,
Altweiberfurcht, Verdammniswahn –
Ihr erst Gebot ist: Sei human!


Brand (blickt auf)

Human! Jawohl, dies schlaffe Wort
Kennt heut der Erde letzter Ort!
Mit dem macht jeder Tropf Dich still,
Wenn er nichts schaffen kann und will;
Mit dem schmückt jeder Wicht sich jetzt,
Wenn er nur Halbes wagt und setzt:
Von dem beobdacht bricht man heut
Jedwed Gelübd', gleich feig bereut; –
Geht's nach Euch Zwergenseelen, ist
Bald jeder Mensch ein Humanist!
War Gott human zu Jesu Christ?
Hätt's damals Euer Gott gelenkt,
Er hätt' ihm wohl sein Kreuz geschenkt –
Und aus dem ganzen Heilswerk sacht
Ein Diplomatenstück gemacht!

(Verbirgt seinen Kopf und sitzt in stummer Trauer.)

Der Doktor (leise)

Ras' aus, ras' aus, du Herz im Sturm; –
Am besten wär's, du könntest weinen.


Agnes (ist auf die Treppe herausgekommen und flüstert bleich und erschrocken dem Doktor zu:)

Komm schnell! O Gott!


Der Doktor                               So aufgeregt!

Was ist Dir, Kind?


Agnes                                   Ein Sorgenwurm

Hat kalt sich mir ums Herz gelegt –!


Der Doktor

Was ist denn?


Agnes (zieht ihn mit sich.)
                                    Komm zu unserm Kleinen!

(Sie treten ins Haus, ohne daß es Brand bemerkt.)

Brand (still vor sich hin.)

Tod ohne Buße. Tod wie Leben.
Ist da nicht Gottes Fingerzeig?
Von mir will er den Zins erheben,
Den sie zu zahlen sich begeben, –
Nun zehnmal weh' mir, wich' ich feig!

(Erhebt sich.)

Ihr Sohn, will ich, auf Heimatsgrund,
Unwandelbar von dieser Stund'
An kriegen, Gottes Kreuzvasall,
Für Geistes Sieg in Fleisches Fall.
Gott gab mir seiner Zunge Erz,
Glomm seine Zornglut mir ins Herz; –
Nun steht mein Wille hoch in Halmen,
Nun darf, nun kann ich Fels zermalmen!


Der Doktor (begleitet von Agnes, tritt eilig auf die Treppe hinaus und ruft Brand zu:)

Ihr Haus beschickt und fort von hier!


Brand

Und bebte die Erd', ich trotzet' ihr!


Der Doktor

So ist Dein Kind des Todes, Mann!


Brand

Mein Kind! Mein Alf! Was ficht Sie an!
Sie reden irr!

(Will ins Haus.)

Der Doktor (hält ihn zurück.)
                                    Nein, bleiben Sie! –

In dieser finstern Felsenkluft
Mit ihrer eisigen Nordpolluft,
Mit ihrem Nebel, naß und schwer,
Nur einen Winter noch, – und nie
Erblickt Ihr Kind die Sonne mehr.
Nur Flucht, Brand, rettet Ihren Sohn, –
Doch bald, am liebsten morgen schon.


Brand

Heut abend, gleich, noch diese Stund'!
Stark werd' er wieder und gesund!
Kein Gletscherhauch, kein Küstenwind
Mach' seine kleine Brust mehr wund.
Wieg' sanft in Schlaf ihn, – und geschwind
Dann fort aus diesem Grabesgrund!
O Agnes, Todesnähe spinnt
Ihr graues Garn um unser Kind!


Agnes

Wohl ahnt' ich zitternd die Gefahr,
Doch nicht, daß sie so nahe war.


Brand (zum Doktor:)

Sie schwören mir, daß Flucht ihn rettet?


Der Doktor

Wen Vaterliebe sorgsam bettet,
So Tag wie Nacht, – er ist gefeit.
Sei'n Sie ihm alles, und die Zeit –
Getrost! – der Heilung ist nicht weit!


Brand

Dank! Dank!

(Zu Agnes:)
                                    Einhüll' ihn dicht in Daun;

Den Fjord lang weht schon nächtlich Graun.

(Agnes ins Haus ab.)

Der Doktor (betrachtet schweigend Brand, der unbeweglich durch die Tür hineinblickt, geht darauf zu ihm hin, legt ihm die Hand auf die Schulter und sagt:)

Wo's andre gilt, so amtsgewichtig, –
Und mit sich selber so nachsichtig!
Viel oder wenig zählt bei jenen
Gar nicht, nur alles oder nichts;
Doch selber weint man Weibertränen,
Gefällt's der Fordrung des Verzichts –
Sich auf uns selber auszudehnen.


Brand

Was meinen Sie?


Der Doktor                       Der Mutter dort

Scholl des Gesetzes steinhart Wort:
Verdammt! Legst du nicht alles ab
Und schreitest nackend in dein Grab!
Und dieser Ruf scholl oft genug,
Wo bang ein Herz und angstvoll schlug.
Jetzt treibt man selbst in Schiffbruchsnot
Auf schicksalssturm-verschlagnem Boot,
Jetzt ist auf umgekehrtem Kiel
Ein Schuldbrief plötzlich Last zuviel; –
Und jenes Buch, das zentnerschwer
Die Brüder schlug, rutscht flugs ins Meer; –
Sonst wär's am End' im bösen Wehn
Ums eigne liebe Kind geschehn.
Geflohn aus dieser Sturmregion!
Der Mutter Leiche selbst geflohn!
Geflohn Bestimmung, Seelsorg', Haus!
Jetzt setzt der Pfarr die Predigt aus!


Brand (greift sich verzweifelt an den Kopf, wie um seine Gedanken zu sammeln.)

Bin jetzt ich blind? War ich's zuvor?


Der Doktor

Sie lieh'n dem Vater in sich Ohr.
Ich schelt' mit nichten, was Sie tun; –
Für mich rückt der Gebrochne nun
Weit über den Titan empor. –
Ade! Nun bot ich Ihrer Seele
Den Spiegel. Sehn Sie seufzend draus:
So sieht ein Himmelsstürmer aus!

(Ab.)

Brand (starrt eine Weile vor sich hin; plötzlich mit Leidenschaft:)

Jetzt oder einst, – wann griff ich fehle?


(Agnes tritt aus der Türe, den Mantel über den Schultern und das Kind auf dem Arm; Brand sieht sie nicht. Sie will reden, aber das Wort bleibt ihr erschrocken in der Kehle stecken, da sie den Ausdruck seiner Züge bemerkt. In demselben Augenblick kommt ein Mann eilig durch die Gartentür herein. Die Sonne geht unter.)

Der Mann

Hör', Pfarr, Du hast hier einen Feind!


Brand (preßt die Hand gegen die Brust.)

Ja, hier.


Der Mann         Nimm Dich vorm Vogt in acht!

Du hattest viel' um Dich vereint,
Bis sein Gered' uns irr gemacht.
Verleumd'risch trug er hin und her,
Der Pfarrhof ständ' in kurzem leer,
Und Du, Du kehrtest uns den Rücken,
Nun Deine reiche Mutter tot.


Brand

Und wär's nun so –?


Der Mann                 Nein, seiner Tücken

Ursach' errät sich ohne Not.
Stehst wider ihn und seinen Bund,
Hast ihm den Nacken nie gebogen –:
Das ist der Nachred' wahrer Grund.


Brand (unsicher)

Er tat Euch wohl – die Wahrheit kund.


Der Mann

So hättst Du allzumal belogen!


Brand

Hätt' ich –?


Der Mann                Wie oft hast Du erzählt,

Daß Gott selbst Dich zum Streit erwählt;
Daß unter uns die Heimat Dein,
Daß hier Dein heil'ger Krieg soll sein,
Daß jeder, der Berufung treu,
Der Flucht Schand' mehr als alles scheu'!
Und Du, Du bist berufen! Tiefst
Nährt mancher, was Du mahnend riefst.


Brand

Das Ohr der Menge hier ist taub;
An dürrem Holze grünt kein Laub.


Der Mann

Das weißt Du besser; – manch ein Herz
Blüht nun voll Hoffnung himmelwärts.


Brand

In zehnmal mehren herrscht doch Nacht.


Der Mann

Du bist wie Licht, das helle macht.
Doch wie's auch mit der Menge steh', –
Aufs Zählen kommt hier wenig an;
Denn hier steh' ich, der eine Mann,
Und sage: Wenn Du kannst, so geh!
Zwar Bücherwissen hab' ich keines,
Doch ist mein Herz so voll wie eines;
Du gabst mir Deine Hand zu fassen, –
Du darfst mich jetzt nicht fallen lassen!
Du kannst es nicht; ich halte fest;
Versagtest Du, so wär's mein Rest! –
Leb' wohl! Du wirst mir nicht zu Spott.
Mein Pfarr verläßt nicht mich noch Gott.

(Ab.)

Agnes (schüchtern)

Weiß ist Dein Antlitz, bleich Dein Mund,
Als schrie' Dein Herz im tiefsten Grund.


Brand

Jed' klangvoll Wort, das ich hier sprach,-
Die Bergwand hallt's anklagend nach.


Agnes (macht einen Schritt vorwärts.)

Ich bin bereit!


Brand                          Bereit? Wozu?

Agnes (kraftvoll)

Zu tun, was eine Mutter tu'!


(Gerd läuft draußen auf dem Wege vorüber und macht an der Gartentür halt.)

Gerd (klatscht in die Hände und ruft mit irrer Freude:)

Hörtet Ihr's? Fort flog der Pfarrer! –
Tief vom Hügel, hoch vom Berg
Wimmeln Troll und Draug und Zwerg,
Schwarz und wüst und groß und klein, –
Hu, wie hieb die Bande drein! –
Haben mir mit wilden Bissen
Aug' und Herz halb ausgerissen!
Pah, Ihr plumpen Menschennarrer, –
Gerd kann gern die Hälfte missen!


Brand

Kind, was reimst und träumst Du da!
Steh' ich denn nicht vor Dir?


Gerd                                                     Ja –

Du! Du wohl, doch nicht der Pfarrer!
Jäh herab vom Schwarzen Horn
Schoß mein Habicht. Wild von Sporn,
Zaum und Sattelzeug durchschnitt
Er den Dust, der Nachtdurchstarrer,
Und der Mann, der auf ihm ritt, –
Sieh, das war, das war der Pfarrer!
Leer steht jetzt der Dorfkirch' Raum,
Vorgelegt ist Schloß und Baum;
Ihre Zeit wird nimmer kehren;
Jetzt kommt meine Kirch' zu Ehren,
Wo mein Pfarrer Predigt hält,
Hoch im weißen Meßgewand,
Wie's ihm webte Winters Hand; –
Willst Du 'n hör'n, komm hinterher;
Eure Dorfkirch' steht ja leer;
Wenn er seinen Text bestellt,
Schallt es über die ganze Welt!


Brand

Wer hieß, Arme, Dich, mit irren
Götzenfabeln mich verwirren?


Gerd (kommt durch die Gartentür herein.)

Was sind das für Narreteiden:
Götzen? Ei, was wird das sein?
Einmal groß und einmal klein,
Immer gülden, bunt und seiden.
Götzen!? Hörst Du, siehst Du sie?
Regt sich's nicht im Tuche hie
Wie von Kinderhänd' und –beinen?
Diese Windel, fein und seiden, –
Sag', was mag sie wunders kleiden?
Wohl ein Kind in Schlummerruh'?
Da erschrickt sie, – deckt es zu!
Götzen? Mann, da siehst Du einen!


Agnes (zu Brand:)

Hast Du Bitten, hast Du Tränen?
Mich hat Grausen ausgebrannt.


Brand

Weh! Dies Wesen, möcht' ich wähnen,
Hat ein Höherer gesandt!


Gerd

Horch! jetzt läuten all die Glocken
Droben auf dem wilden Grat!
Sieh, wen sie zum Kirchgang locken,
Welche Spukgemeinde naht!
Tausend Zwerg- und Trollgestalten,
Die der Pfarr ins Meer geknechtet,
Brachen ihrer Grüfte Riegel:
Nimmer lassen sie, geächtet
Unter seines Fluches Siegel,
Sich von See und Sarg mehr halten;
Wimmelnd nahn die nassen, kalten; –
Kinder, scheintot, sieh, mit Greinen
Berglawinenschutt entstreben.
Vater! Mutter! schreit's im Chor;
Männer, Weiber stürzen vor;
Dörfler wandert mit den Seinen,
Wie ein Vater, söhn'-umgeben,
Dörflerin hat ihrem toten
Kind die Mutterbrust geboten;
War sie je so strack zu sehn,
Wann sie mußt' zur Kindstauf' gehn?
Da der Pfarr geflohn, ward Leben!


Brand

Weich von mir! Fast zeugt die Nacht
Schlimmern Spuk noch –


Gerd                                               Horch! Er lacht,

Er, der längs des Weges sitzt,
Wo er auf zur Höhe flitzt;
Treulich bucht er Seel' um Seele
Aus des Tals verlaßner Kehle; –
Hei, er zählt nicht viele Lücken;
Leer ist ja der Dorfkirch' Raum,
Zugesperrt mit Schloß und Baum, –
Fort der Pfarr auf Habichts Rücken!

(Springt über den Gartenzaun und verliert sich in den Felsen. Stille.)

Agnes (nähert sich Brand und sagt mit gedämpfter Stimme:)

Es ist Zeit; wir wollen gehn.


Brand (starrt sie an:)

Welchen Weg?

(Zeigt zuerst auf die Gartenpforte, dann auf die Haustür.)
                                       Den? – Oder den?

Agnes (weicht schaudernd zurück:)

Brand, – Dein Kind!


Brand (folgt ihr)                    Was war ich erst?

Priester oder Vater?


Agnes (weicht noch weiter zurück.)
                                               Wärst

Gott Du selbst, der also fragt', –
Liess' ich dies doch ungesagt!


Brand (folgt ihr wieder)

Sprich als Mutter! Soll ich fort?
Du hast hier das letzte Wort!


Agnes

Dein Gemahl bin ich; – entscheide!
Dein Gebot gilt für uns beide.


Brand (will sie am Arm ergreifen)

Nimm den Kelch der Wahl von mir!


Agnes (weicht hinter den Baum zurück.)

Hieß' ich dann noch Mutter Dir?


Brand

Daraus blitzt ein Urteilsstrahl!


Agnes (stark)

Bleibt Dir überhaupt noch Wahl?


Brand

Daraus blitzt es abermal!


Agnes

Fühlst Du Dich als Auserwählten?


Brand

Ja!

(Greift sie fest um die Hand.)
                   Und nun schenk' mir gestählten

Mutes Leben oder Tod.


Agnes

Folge Deines Gotts Gebot!

(Pause.)

Brand

Es ist Zeit; wir wollen gehn.


Agnes (tonlos)

Welchen Weg, Brand?


(Brand schweigt.)

Agnes (zeigt auf die Gartenpforte und fragt:)
                                                    Den?

Brand (zeigt auf die Haustür.)
                                                             Nein, – den!

Agnes
(hebt das Kind auf ihren Armen hoch empor.)

Gott! Was ich Dir hier gegeben,
Darf ich stolz zum Himmel heben!
Schweige nun auch Du mir nicht!

(Ab ins Haus.)

Brand (starrt eine Weile vor sich hin, bricht in Tränen aus, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wirft sich nieder auf die Treppe und ruft:)

Jesus, Jesus, gib mir Licht!


Zum 4. Akt

Zurück zum Seiteninhalt