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Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie

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Jan Kuhlbrodt

Begegnungen und Begebenheiten



Es gibt verschiedenste Formen der Begegnung und Begegnungsvermeidung. So habe ich zum Beispiel am Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in Frankfurt am Main Philosophie studiert. Dort spielte Hans Blumenberg zu jener Zeit keine Rolle, und wenn, dann habe ich es geflissentlich übersehen, was letztlich aber auch mit meiner selektiven Wahrnehmung zu tun hatte. Mir galten Theorien als wichtig, die sich unmittelbar der Zeit und Kapitalismuskritik stellten. Und Theorien in diesem Kontext bildeten ihre eigenen Metaphern aus. Verständigungskürzel gewissermaßen, da hätte ein Autor wie Blumenberg nur gestört.
Hätte ich in Münster studiert, hätte die Sache schon ganz anders ausgesehen. Die von mir geschätzte Kollegin Sabine Scho wies mich schon einige Male auf Blumenberg hin, was ich in meiner Frankfurter Arroganz geflissentlich überging.

Und dennoch kam es unterschwellig schon früher zu Begegnungen meinerseits mit Hans Blumenberg, nicht mit seiner Person, aber mit Strukturen und Gedanken, die seinem Werk korrespondieren, wenn auch von keiner Seite intendiert.
Es gibt zum Beispiel eine Folge der amerikanischen Serie Raumschiff Enterprise, die in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts produziert wurde, und seitdem regelmäßig von verschiedenen Sendern wiederholt wird, in welcher die Crew des Forschungsschiffes auf einem fernen Planeten auf eine Spezies trifft, deren Sprachgebrauch vollkommen von Metaphorik bestimmt ist.
Die Übersetzungsmaschinen der Vereinten Planeten können zwar den Text, die Grammatik, die Sätze in ihrer Form übertragen, denn Sinn aber zunächst nicht.

Erst als die Raumfahrer die Struktur der Übertragung im Gesprochenen erkennen, kommen sie langsam in die Lage, das formal verständliche auch sinnvoll zu interpretieren.
Wahrscheinlich ist unser, der westliche Sprachgebrauch nicht in dieser extraterrestrischen Materialität metaphorisch, aber er ist es. Blumenbergs Buch Paradigmen zu einer Metaphorologie geht dem nach, und entwickelt eine Theorie, die die Metapher aus ihrem Gebrauch heraus und auch in ihrer Geschichte erklärt.

Blumenberg breitet darin zum Beispiel eine Geschichte der Wahrheitsmetaphorik aus und zeigt ihre historischen Zusammenhänge und Problemlagen, die Korrespondenzen zu Gottesvorstellungen und Schöpfungsmythen. Immer wieder treffe ich bei der Lektüre auf sogenannte stehende Wendungen wie „die nackte Wahrheit“, die mir im Alltagsgebrauch unmittelbar einzuleuchten scheinen, die ich als Metapher gar nicht wahrnehme, weil ihre Voraussetzungen derart im Diskurs verankert sind, das die Wendungen selbst mir voraussetzungslos erscheinen.

Am meisten angetan hat mir das Kapitel: Organische und mechanische Hintergrundmetaphorik. Einerseits weil die Beispielebene aus einer Zeit kurz vor der ersten Mondlandung stammt, und gerade dieser Moment des Betretens eines anderen Himmelskörpers durch einen Menschen ein einschneidender Moment der Menschheitsgeschichte zu sein scheint, der in seinem Ausmaß und seiner Bedeutung in den letzten Jahren ein wenig hinter den Kampf gesellschaftlicher Fundamentalismen zurücktreten musste.

Aussagen, die sich auf sinnlich Anschauliches beziehen, setzen ja auch voraus, dass im Verstehen des Gemeinten derartiges auch im Spielraum einer Typik vorstellig gemacht werden kann: Die Reiseberichte, die die ersten Mondfahrer uns mitbringen oder funken werden, können uns in eine Verlegenheit versetzen, zuerst gründlicher russische oder amerikanische Geographie zu treiben, um der selektiven Typik der Darstellung entsprechend der (voraussichtlichen) Herkunft der Zeugen gewachsen zu sein.“ (1960)
In diesem Zitat scheint ein Motiv auf, das in etwa zur gleichen Zeit Arno Schmidt in seinem Kurzroman Kaff auch Mare Crisium verarbeitet. Es ist ein großes Vergnügen, zumindest für mich, beide Texte nebeneinander zu legen.

Blumenberg macht einen Begriff der Literaturwissenschaft für die Philosophie fruchtbar und operiert damit auf der Höhe der Zeit des letzten Jahrhunderts. Ein Effekt dabei ist es, dass genau so auch philosophische Momente für die Literatur fruchtbar werden können, und dass es Spaß macht, dieses Buch zu lesen. Die Grenzen dabei werden nicht aufgehoben oder verwischt, sondern sie werden produktiv und durchlässig. Auch das eine Metapher vielleicht, die in der gegenwärtigen politischen Situation eine besondere Bedeutung erhält.



Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. Kommentar von Anselm Haverkamp. Berlin (Suhrkamp) 2013 (Neuauflage von 1997. Erstveröffentlichung: 1960) 535 S., 16,00 Euro.

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