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Gottsched: Das VII. Capitel

Poeterey




Erster allgemeiner Theil


Das VII. Capitel.


Von poetischen Worten.


1. §. Wir haben oben gewiesen, daß ein Dichter seine Nachahmung durch eine harmonische und wohlklingende Rede ins Werk richte. Die Rede nun ist ein Ausdruck unserer Gedanken, der durch die Worte geschieht, welche entweder einzeln, oder mit andern zusammengenommen ihre Bedeutungen haben. Diese letztern bekommen den Namen der Redensarten, und davon wird in dem folgenden Capitel gehandelt werden. Hier will ich nur von der ersten Gattung handeln, und theils ihren mannigfaltigen Unterscheid, theils ihren vernünftigen Gebrauch in der Poesie zeigen.
2. §. Fürs erste ist es bekannt, daß die Sprachverständigen, sowohl in der deutschen Sprache, als in der lateinischen, achterley Gattungen von Wörtern bemerket haben, die zur Ausdrückung und Verbindung unsrer Gedanken nöthig sind. Wir haben Nennwörter, womit wir theils die Sachen, theils ihre Eigenschaften anzeigen, z.E. Kopf, Hand, Buch; gelehrt, geschickt, gründlich, u.d.gl. Wir haben Fürwörter, die anstatt der vorigen gebraucht werden können, um gewisse Wiederholungen zu ersparen. Z.E. Ich, du, er; der, die, das; dieser, diese, dieses, u.s.w. Wir haben Zeitwörter, um das Thun oder Leiden gewisser Dinge zu bedeuten: als schreiben, lesen, hören, lernen, u.d.gl. und die werden wiederum in ihre Classen abgetheilet. Wir haben Mittelwörter, die von den vorigen etwas, und von den Nennwörtern auch etwas an sich haben, und also zwischen beyden das Mittel halten. Z.E. Das Wort verworfener deutet erstlich auf ein vergangenes Leiden, das einer Sache, die verworfen worden, wiederfahren; hernach aber auch die Eigenschaft, z.E. eines schlechten Reimes: Ein verworfener Reim. Wir haben ferner Nebenwörter, dadurch die Bedeutungen der Hauptwörter entweder eingeschränket oder vergrößert, oder sonst auf gewisse Weise bestimmet werden; als z.E. wohl schreiben, recht reimen, schön denken, stark rühren. Wir haben Vorwörter, welche man bey den Nenn- und Fürwörtern nöthig hat, ihre Verhältnisse unter einander anzuzeigen: Als von Rom, nach Paris; bey uns, zu ihm, über die Wolken, im Staube, unter dem Pöbel. Wir haben Verbindungswörter, die den Zusammenhang unsrer Begriffe anzeigen, als da sind: und, auch, aber, denn, weil, dafern, u.d.gl. Endlich auch Zwischenwörter, die gemeiniglich zum Ausdrucke gewisser Gemüthsbewegungen und anderer kleiner Umstände dienen, die zu den vorigen nicht gebracht werden können. Als: Ach! O! Hey! Sa, Sa! St! Wohlan! lustig! u.d.m.
3. §. Aller dieser Gattungen von Wörtern kann ein Poet eben so wenig, als die Geschichtschreiber und Redner entbehren. Ohne Zeichen kann er seine Gedanken nicht ausdrücken; und keine Art derselben ist bequemer, als die obigen Arten der Wörter. Allein er bedienet sich oftmals gewisser Freyheiten, die in andern Schriften nicht erlaubt seyn würden. Ich würde hier Regeln und Exempel davon geben müssen, wenn sich solches nicht bequemer bey den folgenden Abtheilungen der Wörter thun ließe. Man kann nämlich dieselben überhaupt, entweder als veraltete, oder als übliche, oder als neugemachte Wörter ansehen, und dabey fragen: welche von diesen eigentlich für einen Poeten gehören? Die andern Unterschiede der Wörter, z.E. einheimische und ausländische, niedrige und hohe, ehrbare und schändliche, matte und nachdrückliche, sollen auch an ihrem Orte beyläufig berühret werden.
4. §. Was die altfränkischen Wörter betrifft, so finden wir sie in den Schriften, die vor und um die Zeiten der Reformation Lutheri, ja bis auf Opitzens Zeiten, verfertiget worden. Man darf nur den Theuerdank, Hans Sachsens und anderer solcher alten Meistersänger Schriften nachsehen: so wird man die Proben ganz häufig finden. Z.E. im Theuerdank steht gleich von Anfang beschaffen für geschaffen, (nach welcher Form auch unsere Canzellisten noch beschehen für geschehen, zu setzen pflegen,) Gemahel für Gemahlinn, Künigein für Königinn, Befilh für Befehle, bestet für bestattet, von nahenden für nahen, einhelligklich für einhällig, endtschüttet für beschützet, abgan für abgehen, morgenich vor morgende, Faulkeit für Faulheit, Ruck für Rücken, oft und dick für vielmals, Gehueren für Geweihe oder Gehörne eines Hirschen; benuegich für vergnügt, öffen für eröffnen, kecklichen für beherzt etc. Doch genug, denn sonst müßte ich ein ganz Wörterbuch machen. Wer mehrere wissen will, kann sich in Herrn Wachters und Frischens deutschen Wörterbüchern, oder auch in Leibnitzens und Eckards COLLECTANEIS ETYMOLOGICIS nicht weniger in den critischen Beyträgen hin und wieder umsehen. Man sieht es wohl, daß in einigen diesen Wörtern die Rechtschreibung altfränkisch ist; von einigen auch ganz und gar ungewöhnlich geworden. Zuweilen ist auch wohl das Geschlecht verändert, als wenn z. Exempel im Theuerdank steht das Jeiaid, anstatt daß wir itzo die Jagd sagen. Wenn man aber in noch ältere Zeiten zurücke geht, so findet man gar unverständliche Wörter, die man auch im Zusammenhange nicht errathen kann. Was heißt z.E. in folgenden Zeilen das letzte Wort?

Vnnd mit ganzen trewen Warnen
Ihr müßt die Königinn erarnen.

Theuerd.


Unzählicher anderer, die im Ottfried, Willeram, Stricker, Winsbeck und dergleichen alten Schriften vorkommen, zu geschweigen, die man in Schilters Werke nachsehen kann.
5. §. Hier fragt sichs nun, ob ein Poet sich solcher alter Wörter bedienen könne? Von der letzten Art kann man wohl kein Bedenken tragen, mit Nein zu antworten. Denn was einen unverständlich machet, das muß man mit Fleiß vermeiden. Von den ersten aber ist es ebenfalls nicht anders. Durch die seltsame Figur, die solche Wörter itzo in unsern Augen machen, würde ein Gedichte nur lächerlich werden; oder, wenn sie oft vorkämen, so würde ein Vers nur rauh und grob davon aussehen. Diejenigen von unsern Dichtern, verdienen also eben sowohl getadelt zu werden, die sich solcher verlegener Wörter bedienen, als die lateinischen Poeten, die sich aus dem Plautus, Pacuvius, Lucretius u.a.d. die seltsamsten Wörter aussuchen, ihre Gedichte damit auszuputzen: worüber Accursius sie in einem eigenen Gespräche verspottet hat, darinn er einen Oscier und einen Volscier redend eingeführet hat. Ich habe einen Geistlichen gekannt, der sich aus D. Luthers Schriften die allerältesten Wörter und Redensarten anmerkte, und seine Predigten damit ausstaffirte. Seine Meynung war dabey, sich als ein eifriger Schüler Luthers zu bezeigen: aber, eine so seltsame Nachahmung, machte ihn nicht nur unverständlich, sondern auch lächerlich. Einem Poeten würde es nicht besser gehen, wenn er dergleichen thun wollte: es wäre denn, daß er mit Fleiß die Schreibart der Alten, in einem sogenannten Knittelreime, nachahmen wollte; da es denn nicht nur erlaubt, sondern auch eine Schönheit seyn würde, alles recht altfränkisch zu machen.
6. §. So viel ist indessen gewiß, daß man in gewissen alten Büchern zuweilen Wörter findet, die sich auch zu unsern Zeiten noch sehr wohl brauchen lassen: obwohl sie seit funfzig oder hundert Jahren aus der Mode gekommen. Z.E. Das Wort Geschwader, ESCADRON, ist heutiges Tages fast nicht mehr zu hören; gleichwohl haben wir kein bessers an dessen Stelle erfunden; man wollte denn Schwadronen sagen. Nun haben zwar gewisse neuere, dieses Wort von einer Schiffsflotte zu brauchen angefangen, aber mit schlechtem Beyfalle, weil es sich dazu nicht schickt. Das Wort Buhlschaft ist noch von Opitzen und Flemmingen gebraucht worden, dasjenige anzuzeigen, was die Franzosen MAITRESSE, und die Halbdeutschen eine COURTESIE nennen. Die Verliebungen, LES AMOURS, ist gleichfalls ein Wort, welches wir nicht besser auszudrücken im Stande sind: ich finde es aber in einem Buche von 1648. gebraucht. Wenn sich nun ein Poet dieser und dergleichen Wörter mit Verstande und mäßig bedienet, so kann man ihn nicht tadeln; sondern hat vielmehr Ursache, ihm verbunden zu seyn, daß er ein geschicktes Wort aus dem Staube der Vergessenheit wieder hervorgezogen hat, darein es ohn alle seine Schuld gerathen war.
7. §. Wegen der üblichen Wörter, scheint es bey einem Poeten keine Schwierigkeit zu haben: allein man kann doch verschiedene gute Anmerkungen darüber machen, indem nicht alles was üblich ist, von gleichem Schrote und Korne ist. Zum ersten sind dieselben entweder gemein, so, daß sie auch den einfältigsten Leuten geläufig sind: oder sie sind ungemein und seltsam; weil sie nur unter den Gelehrten zu Hause sind, oder in ihren Büchern vorkommen. Ein Poet hat nach Anleitung des ersten Capitels die Absicht, sich durch eine edle Art des Ausdruckes in Hochachtung zu setzen und gleichsam die Sprache der Götter zu reden. Daher muß er denn nicht die allergemeinsten; sondern die ungemeinsten Wörter brauchen: zumal wenn er in seinem eigenen Namen schreibet. Wenn z.E. gemeine Leute sagen: Der Kopf thut mir wehe: so spricht etwa der Poet: Ein Schmerz durchdringt mein Haupt. Jenes hört man täglich, darum klingt es nicht edel: dieses hört man selten; darum ist es edler und erhabener. Dieses sollten sich alle die niederträchtigen Versmacher gesagt seyn lassen, die sich mit ihren pöbelhaften Reimen bis in die Sprache der Diener und Mägde herunter lassen. Sie wollen deutlich und lustig schreiben; aber ihre Hippokrene führt ein schlammigtes Wasser bey sich, welches oft gar stinkend ist. Indessen muß man durch die edlen Worte und Ausdrücke, nicht ein hochtrabendes und auf Stelzen gehendes Wesen verstehen. Viele wissen hier keinen Unterscheid zu machen. Weil sie das niedrige fliehen, so versteigen sie sich über alle Wolken.

PROFESSUS GRANDIA, TURGET,


sagt Horaz von solchen schwülstigen Geistern. Sie ersinnen sich von den gemeinsten Sachen seltsame Redensarten, die alles mehr verdunkeln als erheben. Dadurch suchen sie die Einfältigen zu betrügen, daß sie hinter dem Nebel unverständlicher Worte wer weis was schönes zu sehen glauben; da es doch die schlechteste Sache von der Welt ist. Es ist ein anders, hochtrabend schreiben; ein anders aber, sich im Kothe wälzen. Das Mittel ist das beste.
8. §. Doch sind die gemeinen Wörter auch nicht ganz zu verwerfen. In gewissen Gattungen der Gedichte, wo das Natürliche mehr herrschen muß, würde es ein Uebelstand seyn, lauter gesuchte Ausdrückungen zu brauchen. Z.E. In einem Schäfergedichte, Briefe, zärtlichen oder lustigen Liebesliede, imgleichen in einer Satire oder Comödie, sind die gewöhnlichsten Wörter gemeiniglich die besten. Die Ursachen davon werden in den besondern Regeln von diesen Gattungen vorkommen. So gar die ganz niederträchtigen und pöbelhaften Worte können einem Poeten nicht ganz verbothen werden, wenn sie nur nicht wider die Ehrbarkeit laufen. Er muß ja zuweilen dergleichen Personen redend einführen, die gewiß auf keine andere Art ihre Gedanken von sich geben können. Der berühmte Spanier, Cervantes, hat dieses sehr wohl beobachtet, wenn er seinen Sanscho Pansa, als einen Bauerkerl, ganz abgeschmackt, und in lauter bäurischen Sprüchwörtern reden läßt. Alle Wörter aber, die Unflätereyen bedeuten, alles, was wider den Wohlstand läuft, alles was guten Sitten zuwider ist, das muß der Poet auch bey den allerniedrigsten Ausdrückungen zu vermeiden wissen, wie in den Anmerkungen zur Dichtkunst Horatii schon erwiesen worden. Ich weis also nicht, ob Rachel allemal zu entschuldigen seyn wird, wenn er sich in seinem satirischen Eifer so sehr herunter läßt, daß er sich auch schmutziger Redensarten bedienet. Z.E. in seiner Satire von Gut und Böse, heißt es bald anfangs:

Woher hast du o Held den Ursprung doch genommen,
Du bist der Mutter, traun! nicht aus der Nasen kommen,
Wie ein gemeiner Rotz.


Doch was man dem vorigen Jahrhunderte noch übersehen könnte, das würde in dem itzigen unerträglich seyn.
9. §. Unter die üblichen Wörter möchte mancher auch wohl die ausländischen, sonderlich lateinischen und französischen rechnen wollen: weil nämlich nichts gewöhnlicher ist, als dieselben mit in unsere Sprache zu mischen, wenn wir reden. Dieses Uebel ist auch so neu nicht, als man wohl denken sollte, sondern schon vor hundert und mehr Jahren, hat sich Opitz in seiner deutschen Poeterey darüber beschweret. »So steht es auch zum heftigsten unsauber«, schreibt er, »wenn allerley lateinische, französische, spanische und welsche Wörter in den Text unserer Rede geflickt werden; als wenn ich sagen wollte:

Nehmt an die COURTOISIE und die DEVOTION,
Die euch ein CHEVALIER MA DONNA thut erzeigen,
Ein handvoll von FAVOR petirt er nur zu Lohn,
Und bleibet euer Knecht und SERVITEUR ganz eigen.


Wie seltsam nun dieses klinget
«, fährt er fort, »so ist nichts destoweniger die Thorheit innerhalb kurzen Jahren so eingerissen, daß ein jeder, der nur drey oder vier ausländische Wörter, die er zum öftern nicht verstehet, erwischt hat, bey aller Gelegenheit sich bemühet, dieselben herauszuwerfen.« Er erweiset seinen Satz durch das Exempel der Lateiner, welche fast kein einzig griechisch Wort in ihre Verse gemischt: ausgenommen wo Juvenalis theils über das römische Frauenzimmer gespottet, die aus Galanterie ihren Buhlern auf griechisch liebkoseten; theils einmal ein gewisses Laster, welches er aus Schamhaftigkeit nicht lateinisch nennen wollen, griechisch ausgedrücket hat.
10. §. Seiner Regel sind alle gute Poeten unsers Vaterlandes gefolget, bis einige neuere, als Weise, Philander, und Amaranthes von der angeführten Reinigkeit abgewichen. Daß aber auch vor diesen noch andere in gleichen Fehler verfallen sind, erhellet daraus, daß verschiedene patriotische Geister ihren Eifer wider die Sprachenmengerey durch die schärfsten Stellen erwiesen haben. Andreas Gryphius hat in sei nem Horribilicribrifax sowohl diesen Großsprecher, als seinen Gegner Daradiridatumtarides, das Welsche, Spanische, Französische; den Schulfuchs Sempronius hergegen, das Griechische und Lateinische, auf eine lächerliche Art ins Deutsche mischen lassen, um andern einen Abscheu davor zu erwecken. Rachel hat sich gleichfalls bemühet, eine so üble Gewohnheit abzuschaffen, und in seiner ofterwähnten Satire, der Poet, folgender Gestalt geschrieben:


Es war ein neu Gespräch allmählich aufgekommen,
Und hatte mit der Zeit ganz überhand genommen,
Daß eine Zunge nur, ein deutscher Mann allein,
Aus nüchterm Munde sprach, Französisch, Welsch, Latein.
Und daß der späten Welt die Art nicht mag gebrechen,
So hört doch, wie ich selbst hab einen hören sprechen.
Ein braver Capitain, ein alter Freyersmann,
Hub seinen Mengelmuß mit diesen Worten an:
CA MAITRE! machet mir EN FAÇON der Franzosen,
Für gut CONTENTEMENT ein paar geraumer Hosen.
Ich selber bin mir gram, mir knorrt der ganze Leib,
Daß ich JUSQU'À PRESENT muß leben ohne Weib.
Was hab ich nicht gethan? Was hab ich nicht erlitten,
O Cloris! dein AMOUR und Schönheit zu erbitten?
Weil dein ECLAT so weit die andern übergeht,
Als wenn ein Diamant bey einem Kiesel steht.
SOLEIL DE NOTRE TEMS! O Auszug aller Tugend!
O himmlischer TRESOR! etc. etc.
Dieß war die güldne Kunst zu reden und zu schreiben;
Nun denk ihm einer nach, wenn dieses sollte bleiben,
So wie der Anfang war, bey jedermann gemein;
Welch eine Sprache sollt in Deutschland endlich seyn?
So hat die Barbarey sonst das Latein zerstücket,
Und Gothisch, Wendisch, Deutsch mit Macht hineingeflicket.
Dadurch kam allererst der Mischmasch auf die Welt,
Den Frankreich, Welschland selbst und Spanien behält.


Der Gentleman hat auch sein Theil davon bekommen,
Ein Wörtlein hier und dar, von allem was genommen;
Und eben dieses wär den Deutschen auch geschehn,
Wenn nicht mit allem Ernst da wäre zugesehn,
Der Lapperey gewehrt, das gute Deutsch erzwungen,
Das nichts erbetteln darf von fremder Völker Zungen. etc. etc.


Er fährt noch weiter fort, und stellet so gar einen Geistlichen vor, der das Evangelium vom Hauptmanne zu Capernaum in einer neumodischen Sprache auf der Kanzel vorgetragen, welches wohl werth ist, gelesen zu werden. Dieser Rachel selbst ist in diesem Stücke so gewissenhaft, daß er in der Vorrede zu seinen zehn Satiren (in 12. vom Jahr 1700.) ausdrücklich erinnert; daß er zwey oder drey lateinische, vielleicht auch so viel französische Wörter mit eingeschoben, nicht unwissend, daß solches im Deutschen kein geringer Solöcismus ist. Er habe es aber mit Fleiß gethan, derer zu spotten, die sich auf solche Weise hervorthun wollten: wie es auch die Lateiner mit denen gemacht, die halb lateinisch, halb griechisch hätten reden wollen. Was könnte ich nicht noch aus Laurenbergs plattdeutschen Scherzgedichten für Zeugnisse anführen; wenn es nöthig wäre, eine so ausgemachte Sache noch weitläuftiger zu erweisen.
11. §. Ein deutscher Poet bleibt also bey seiner reinen Muttersprache, und behänget seine Gedichte mit keinen gestohlnen Lumpen der Ausländer. Aber wie hält es mit den eigenen Namen der Personen, Städte, Flüsse, Länder und Berge? Diese kann man unmöglich vermeiden. Denn wer kann allen solchen Dingen deutsche Benennungen geben, die doch verständlich wären? Man läßt also diese Namen, nach Opitzens Regel, aus dem VI. Cap. seiner Poeterey, unveränderlich durch alle Abfälle; wenn es sich thun läßt. Z.E.

Ich will mein Glücke tragen,
So lang ich kann und mag, will setzen auf der Wagen
Der grauen Ewigkeit, durch meiner Leyer Kunst,
Die braune Flavia.

Opitz.


Nicht Flaviam, u.d.m. Zuweilen geht es an, daß man von langen Namen die letzten Sylben weg läßt, und also ein Wort von deutscher Endung draus macht. Als z.E. Homer, Herodot, Plutarch, August, Virgil, Lucian, Terenz, Ovid, Marin, u.s.w. Alsdann lassen sich bey den meisten auch die Veränderungen der Abfälle machen, z.E. Homers Gedichte, Herodots Historie, Plutarchs Schriften, Lucians Spöttereyen etc. Kann man aber durch die Endung nicht alle Abänderungen andeuten, wie es z.E. mit der Gebendung und Klagendung zu gehen pflegt; so setzt man den Artikel vor, dem Herodot, den Homer, u.s.w.
12. §. Bey etlichen aber will auch das erste nicht angehen. Als bey Terenz und Horaz kann ich unmöglich sagen, des Terenzes, des Horazes: sondern da bin ich genöthiget, entweder die lateinische Endigung, oder die deutsche Verkürzung unverändert zu behalten, und den Abfall durch den Artikel anzudeuten. Gewisse Namen haben an sich schon deutsche Endungen, als Solon, Alexander, Hannibal u.d.gl. Und diese können ohne alle Aenderung nach Art deutscher Wörter gebraucht werden. Die Endigungen us, as und es, imgleichen die Namen, die ein a, o, oder einen andern lauten Buchstaben zum Ausgange haben, sind am schlimmsten nach deutscher Art zu brauchen. Denn man kann nicht sagen, des Julius's, Epaminondas's, Praxiteles's Sylla's, Cicero's etc. berühmte Namen. Die Engelländer machens in ihrer Sprache so, und im Deutschen habens einige nachthun wollen; aber noch keine Nachfolger gefunden. Es ist also am rathsamsten, alle die Wörter entweder zu lassen, wie sie sind, und den deutschen Artikel vorzusetzen, oder den verkürzten Zeugefall der Lateiner, z.E. Cicerons, Catons, u.d.gl. zu gebrauchen; oder sie nach Gelegenheit gar auf lateinische Art zu verändern. Z.E. Simon Dach schreibt fast vor hundert Jahren so:

Hier muß sich mit schönen Flüssen,
Hippokrene selbst ergießen,
Mein Parnaß ragt hier hervor;
Hier kann Sokrates gebiethen,
Und die Kunst des Stagiriten,
Hebet hie das Haupt empor.

Plato, Tullius, Euklides,
Maro, Flaccus, Aristides,
Und der Aerzte Fürst, Galen,
Kriegen hier ein neues Leben,
Ja man sieht noch hier erheben,
Palestinen, Rom, Athen.


Worinnen man fast von allen obigen Regeln zulängliche Exempel antreffen wird. Nur muß man hier allemal das Lächerliche zu vermeiden wissen, und nicht etwa Mecänen mit Maronen, vergelten; in welcher Endung dieses Wort Castanien andeutet. Und so viel von üblichen oder gewöhnlichen Wörtern.
13. §. Was die neuen Wörter anlanget, so fraget sichs, ob man dergleichen machen könne oder dörfe? Man versteht hier durch neue Wörter entweder ganz neue Sylben und Töne, die man sonst in unserer Sprache nicht gehöret hat, oder nur eine neue Zusammensetzung alter Sylben und Wörter, die nur auf diese neue Art noch nicht verbunden worden. Die lateinischen Poeten haben dergleichen neue Wörter zuweilen mit gutem Glücke gewaget. Z.E. Horaz brauchet, TERGEMINIS, DECERTARE, DISSOCIABILIS, DEPRAELIANTES, DEREPTUS, IRUPTUS, u.d.gl. Doch da ich in seinen ersten XV. Oden nicht mehr, als diese sechs finden kann, so sieht man, wie bescheiden er damit umgegangen. In den folgenden Zeiten aber, als Geschmack und Witz in Rom aus der Art schlugen, ist man viel verwegener damit geworden, wie Seneca, Lucan und Claudian zeigen. Ob dieses auch im Deutschen möglich sey, daran ist wohl kein Zweifel: ja es ist bey uns viel möglicher und leichter, als im Italiänischen und Französischen; weil unsre Sprache mehr Aehnlichkeit mit der alten griechischen hat, als alle heutige europäische Sprachen. Diese aber war überaus geschickt, durch die Zusammensetzung, recht vielsylbige neue Wörter zu machen; wie uns die Kunstnamen in der Zergliederungskunst, und die Dithyramben der alten Poeten sattsam zeigen. Z.E. Hegesander hat dieß spöttische Epigramma auf die alten Sophisten gemacht; und darinn mit Fleiß ausgeschweifet.

Ὀφρυανασπασίδαι, ῥινεγκαταπηξιγένειοι,
σακκογενειοτρόφοι καὶ λοπαδαρπαγίδαι,
εἱματανωπερίβαλλοι, ἀνηλιποκαιβλεπέλαιοι,
νυτκιλαθραιοφάγοι, νυτκιπαταιπλάγιοι,
μειρατιεξαπάκαι ταὶ συλλαβοπευσιλαληταὶ,
δοξοματαιόσοφοι, ζηταρετησιάδαι.


14. §. Ob unsre Muttersprache es auch so weit bringen könne, das haben die Pegnitzschäfer und Zesianer nicht unversuchet lassen wollen. Die ersten hießen ihren nürnbergischen Strom, die holdrin nende und würbelfriedige Pegnitz; Ihre Geister, hochsteigend feuerbrünstige Geister; den Ton ihrer Flöten, der schleifenden Pfeifen lustschlirfendes Tönen; Ihre Wiesen: die von der kunstahmenden Natur hügelartig erhobenen schamarirten Wasen; Ihre Schafe, die wolligten wollenbehäreten Heerden; Die Ziegenböcke, die mit zottigten Bärten bebärteten Böcke u.d.gl. Fiengen sie aber gar an, die Natur gewisser Dinge mit ihren neuen Wörtern nachzuahmen; so waren sie ganz unvergleichlich. Z.E.


Es dirdilir, dirdilir, dirdirlirliret die Lerche,
Es klappern und bappern und blappern langbeinigte Störche,
Es krekken, krerekken und quekken grüngelblichte Frösche,
Sie lechzen und ächzen und krächzen mit hellem Gedrösche,
Es lispeln und wispeln und frischpeln krystalline Brünnen,
Und spritzen und schwitzen und nützen mit bräußlichtem Rinnen.


Desgleichen von andrer Art.

Es wallt das Fluthgelall, die schnellen Wellen schwellen,
Die helle Wellenzell hüllt den krystallnen Wall,
Der Wollenhüter billt, die Lämmerhälse schellen,
Doch schallt vor allen wohl der helle Gegenhall.


Noch was schöners, dergleichen nicht immer vorkommt.


Der kekke Lachengekk koaxet, krekkt und quakkt,
Des Krüppels Krükkenstock krokkt, grakkelt, humpt und pakkt,
Des Gukkuks Gukken trotzt den Frosch und auch die Krükke,
Was knikkt und knakkt noch mehr? Kurz, hier mein Reimgeflikke.


Alle diese Blümchen sind aus Claji Pegnitzschäferey entlehnet.
15. §. Ein andrer Landsmann von ihm, Floridan genannt, kann die Kunst eben so gut. In seiner selig entseelten Margaris Lieb- und Lobandenken, so er im Pegnitzgefilde bey frölicher Frühlingszeit traurig angestimmet, heißt gleich der Anfang des ersten Trauerhirtenspiels so:

Das schöne Himmelblau lacht von den Bogenschanzen,
Das Weltaug äugelt ab, die güldnen Flittern danzen
Und kreuzen durch die Luft etc.


Also sagte und klagte (wie es ferner heißt) der betrübte Schäfer Floridan, von seinem gewöhnlichen Lustwandelweg sich an der Pegnitz forttragen lassend. Seine Sinne schwarzeten in die Wette mit seinen Kleidern etc. Seine Wangen und Augen hatten die Farben gewechselt etc. Er öffnet ein paar Thränenbrunnen etc. Aus ihrem Schmerzensthau und Herzregen lässet er die ihm damals viel zu goldne Sonne, Wolken machen, und den schwarzen Himmel mit saphirnen Cartinen verhängen etc. Hernach redet er die Bächlein poetisch an, und will sich mit ihrer Lust belüsten.

Entweiche Nachtigall,
Du süsse Baumsiren! Sing dort in jenem Thal
Die Federbuhlen an. Mich sollen Wüsteneyen
Mit ihrem Eulgeheul hörn in die Wette schreyen.


Indem hernach eine Lerche über ihm tiriliret, bildet er sich ein, sie ruffe: Margaris, Margaris, Margaris etc. weis aber nicht, ob er von dieser geflügelten Luftharfe gehöhnet oder getröstet wird. Doch erinnert er sich dabey seiner unter den himmlischen Engellerchen schwebenden gottlobenden Margaris etc. etc.
16. §. Was könnte ich nicht aus Zesens Schriften für treffliche Proben anführen? Ich dörfte nur seinen hochdeutschen helikonischen Rosenthal, das ist, der höchstpreiswürdigen deutschgesinneten Genossenschaft erster oder neunstämmiger Rosenzunft Erzschrein, durchblättern, und alle die seltsamen Misgeburten von Wörtern und Redensarten, die er ausgehecket hat, anmerken, oder auch seine helikonische Hechel ein wenig nachschlagen, die in dem VII. Bande der critischen Beyträge im XXVII. Stücke beleuchtet worden. Allein das obige kann genug seyn, die Art dieser Sprachkünstler und Worthelden kennen zu lernen. Nichts mehr ist zu bewundern, als daß selbst Opitz, bey so vieler Einsicht in die Natur unsrer Sprache, sich durch das Exempel der Holländer zu einer gar zu großen Kühnheit verleiten lassen. Er übersetzt z.E. aus Heinsii Poesien folgende Zeilen von Wort zu Wort, die dem Weingotte zum Lobe gereichen:

Nachtläufer, Hüftesohn, Hochschreyer, Lüftenspringer,
Gutgeber, Liebesfreund, Hauptbrecher, Löwenzwinger,
Herzfanger, Herzendieb, Mundbinder, Sinnentoll,
Geistrührer, Wackelfuß, Stadtkreischer, Allzeitvoll.


Eben dergleichen neue Namen und Wörter findet man in seinem Lobe des Kriegsgottes Mars, und an andern Orten. Er hat z.E. die Nacht eine Kummerwenderinn u.d.m. genennet; welches endlich so übel nicht klinget, als die vorigen, und also schon zu dulden wäre. Seine Nachfolger, z.E. Lohenstein u.a.m. haben sich auch zuweilen großer Freyheiten bedienet, die ich keinem nachzuahmen rathen wollte: ob sich gleich vor kurzem einige Verderber des guten Deutsch gefunden, und jungen Leuten ein böses Exempel gegeben haben.
17. §. Sonderlich hat man sich bemühet, alle Wörter, die nur einigermaßen dem Lateine ähnlich waren, oder wirklich daraus herstammeten, auf eine wunderliche Art zu übersetzen: gerade, als wenn die Lateiner vormals alle griechische Namen oder dergleichen andre entlehnte und hergeleitete Wörter so heftig verabscheuet hätten. Daß man sich bemühet, alles, was sich deutsch geben läßt, deutsch auszudrücken, das ist allerdings löblich. Unsere Sprache ist weder so arm, als sich einige, die nicht viel Deutsches gelesen haben, einbilden; noch so ungeschickt, daß man nicht auch neue bequeme Wörter darinn bilden könnte, selbst die Kunstwörter der meisten Wissenschaften zugeben; wie man seit zehn oder zwanzig Jahren gesehen hat. Allein Dinge, die keinen andern Namen haben, als der aus einer fremden Sprache genommen ist, umzutaufen; und dadurch unverständlich zu werden: das ist gewiß tadelhaft. Man giebt es zu, daß Nase von NASUS, Ohr von AURIS, Arm von ARMUS, Fenster von FENESTRA, Tisch von DISCUS, Fisch von PISCIS, Wind von VENTUS, Spiegel von SPECULUM, Glas von GLACIES, Fuß von πούς, Thüre von θύρα, Thier von θηρίον, Maus von μῦς, Vater von πατήρ, Mutter von μήτηρ, Thron von θρόνος, Kirche von κυριακή, herstamme; so vieler andern Wörter zu geschweigen, die ganz fremde sind, als Körper, Kamin, Kammer, Kloster, Kanzel, Mönch, Kaiser, Prinz, Provinz, Natur, Tempel, Exempel, Register, Magister, Doctor, Titel, Capitel, Bibel, Prophet, Evangelist, Apostel, Epistel u.d.m. Allein diese und dergleichen Wörter haben eben dadurch, daß sie allgemein worden, und auch von dem Pöbel verstanden werden, das deutsche Bürgerrecht erhalten; so, daß man sich lächerlich machen würde, wenn man sie ganz verbannen wollte. Rachel hat sich abermal nicht enthalten können, diese Hirsenpfriemer, wie er sie nennet, lächerlich zu machen. In seiner oft angezogenen Satire heist es:

Auch sieh dich eben vor, daß deine Arbeit nicht,
Sey allzusehr genau und sorglich eingericht.
Nach Hirsenpfriemers Art, wenn er also darf setzen:
Der Erzgott Jupiter, der hatte, sich zu letzen,
Ein Gastmahl angestellt. Die Weidinn gab das Wild,
Der Glutfang den Toback. Der Saal ward angefüllt.
Die Obstinn trug zu Tisch in einer vollen Schüssel
Die Freye saß und spielt auf einem Herzensschlüssel,
Der kleine Liebreiz sang ein Dichtling auf den Schmaus,
Der trunkne Heldreich schlug die Tageleuchter aus,
Die Feurinn kam darzu aus ihrem Jungferzwinger
Mit Schnäbeln angethan. Apollo ließ die Finger
Frisch durch die Seyten gehn. Des Heldreichs Waldhauptmann
Fieng lustig einen Tanz mit den Holdinnen an.
Je! daß ich doch so schreib! Dieß Elend ist entsprungen,
Vom gutem Vorsatz her, weil man mit fremden Zungen
Die edle Muttersprach zu schänden aufgehört,
Und unsre Deutschen hat das reine Deutsch gelehrt!


18. §. Aus dem allen erhellet deutlich genug, daß man sich vor dergleichen neuen Wörtern, so viel möglich ist, zu hüten habe. Unsre Sprache ist an sich selbst reich genug. Wir könnten zur Noth andern Völkern eine Menge der besten Ausdrückungen abtreten, und würden doch keinen Mangel leiden dörfen. Man kann auch alle seine Gedanken gar leicht mit üblichen und gewöhnlichen Redensarten zu verstehen geben, wenn man nur will, und fleißig die besten deutschen Scribenten gelesen hat. Diese Begierde nun, unsre Mundart zu bereichern, macht einen oft unverständlich und rauhe; oftmals auch gar lächerlich. Hierinnen habens auch wohl große Männer versehen. Z.E. Bessern, der doch sonst so bescheiden in seinen Ausdrückungen ist, ist doch einmal der seltsame Vers entfahren, der eben von keinem guten Geschmacke zeiget:

Der sonnengierige Benister hoher Hügel.
Der Adler – – –


Wer sollte sichs wohl einbilden, daß dieses einen Adler bedeute, wenn ers nicht selbst dazu gesetzt hätte? Aber wer hätte es auch geglaubt, daß diese Zeile aus seiner Feder geflossen wäre? Gleichwohl steht sie auf der 19. S. der ersten Auflage seiner Gedichte. Dergleichen Exempel müssen uns behutsam machen. Allein Leute, die lieber viel schreiben, als zuvor die besten, ja auch viele nur mittelmäßige Scribenten unsers Vaterlandes lesen wollen; denken immer, sie müßten unsere Muttersprache noch erst bereichern. Daher hecken sie täglich neue Misgeburten aus, sie flicken zusammen, verlängern und verkürzen unsre Wörter ohne alle Noth, in Meynung: alsdann würden sie erst für große Dichter gehalten werden, wenn man in ihren Schriften viel neues finden würde. Diese Sucht fäng itzo, da die Liebe zu unsrer Muttersprache wieder ein wenig rege geworden, fast allenthalben an zu herrschen; und es könnte bey uns leicht ein so allgemeines Uebel daraus werden, als es in Frankreich itzo geworden. Denn auch daselbst ist schon eine so seltsame Sprache aufgekommen, daß ein sinnreicher Kopf, diesem Uebel zu steuren, das DICTIONAIRE NEOLOGIQUE zu schreiben veranlasset worden; darinn alle muthwülige Wörtermacher gestriegelt werden. Es wäre zu wünschen, daß sich auch in Deutschland jemand fände, der sich unsrer Muttersprache auf eine so nachdrückliche Art annähme, und sonderlich die schweizerischen Sprachverderber zu rechte wiese, die sich wohl gar für Verbesserer des guten Geschmacks ausgeben wollen: man sehe wie Herr D. Triller in seiner I. Fabel, diese Worthecker ausgelachet hat. Ich kann nicht umhin dieselbe ihrer Schönheit wegen, hieher zu setzen.

Auf einem höckrichten und hart besteinten Rücken,
Woran zehn stachlichte Gewächse zu erblicken,
Schlich eine Selbsthausträgerinn
Ohnfüßig, langsamschnell dahin.
Ein hart geschnäbeltes schwarzweißlichtes Gefieder,
Und Menschenstimm Nachahmerinn,
Lief doppelfüssig auch daselbsten hin und wieder.
Und regte gegentheils gar schnell
Die aufgezogne Uhr der schlanken Unterseulen,
Die ihrem fleischern Bau grundlosen Grund ertheilen.
Kurz, ihr scharfklauicht Fußgestell
Doch durch ihr blitzendes und pfeilgeschwindes Eilen
Brach diese Tänzerinn die eine
Von den hausstützenden mit Haut bezognen Seulen,
In einem engen Mund von einem offnen Steine.
Da sprach die Hörnerstreckerinn
Zu ihr mit wohlgehirntem Sinn:
Laß die augustische Lehrweisheit bey dir gelten:
Schnellspringigkeit geräth gar selten.


19. §. Doch kann man einem deutschen Poeten freylich nicht alle neue Wörter verbiethen. Das hieße seinem Pegasus die Flügel gar zu kurz verschneiden, wenn man allezeit bey der gewöhnlichen Art zu schreiben, bleiben müßte. Eine edle Kühnheit steht uns zuweilen sehr wohl an, und gewisse Verwegenheiten gerathen manchem so wohl, daß man eine besondere Schönheit darinnen findet. Doch ist nicht ein jeder so glücklich, daß er Beyfall damit verdienet; weil nicht ein jeder ein so zärtliches Gehör hat, das Leidliche von dem Unerträglichen zu unterscheiden. Es ist hier mit unsern Poeten so, wie mit den Lateinischen. Plautus und Lucretius haben sich in diesem Stücke sehr vergangen; Virgil und Horaz aber haben sich bey ihren neuen Wörtern sehr vernünftig erwiesen. Ein MARE VELIUOLUM, OCULI IRRETORTI, OCEANUS DISSOCIABILIS, EMIRARI, VENTI DEPRAELIANTES, und andere solche poetische Redensarten mehr, kommen bey ihnen vor; die in ungebundner Schreibart nicht gebräuchlich sind, und doch in den zärtlichen Ohren des güldnen Alters der lateinischen Sprache nicht widerwärtig geklungen haben. Unsre ersten guten Poeten geben mir eine Menge von Exempeln an die Hand, da sie es glücklich gewagt haben, neue Wörter zu machen.

So legt sich der Phönix nieder,
Stirbet und verjüngt sich wieder
Durch den Zimmetbrand verzehrt.

S. Dach.


Und man sollte furchtlos stehn?

Derselbe.

Deine Mark hat dich besiegt,
Die von Leid und Angst durchfahren,
Blutig und mit freyen Haaren
Dir zu sehr vor Augen liegt.

Derselbe.


Edle Mark, gebrauch dich sein,
Eile, daß sein Gnadenschein,
Bald und satt dich mag beglänzen.

Derselbe.

Die gelehrte Castalis
Hat mein Flügelroß gewiß
Selber wollen baden.

Derselbe.


Der, der hier so hoch tritt her,
Der ists, den die Ehrendünste
Und die leichten Hofegünste
Machen auf den Schein so schwer.

P. Flemming.

Etwa wie ein Tausendschönchen,
Das gemalte Lenzensöhnchen,
Mit dem frühen Tag entsteht.

Derselbe.

Hier stehn die verweinten Alten,
Beyder Herzen sind zerstückt.

Derselbe.


Die gestirnten Himmelsscheiben
Wollen gleichsam stehen bleiben
Ueber euch und eurer Zier.

Derselbe.

Recht, denn soll der Himmelgurt,
Der den Schnee hat zur Geburt,
So viel thun bey Liebessachen.

M. Opitz.

Du hättest mit gelehrter Hand
Das schnelle Ziel gezwungen,
Und sie durch künstlichen Verstand
Vom Grabe weggesungen.

Derselbe.


Hier wäre mein Pallast, hier wollt ich lesen können
Das süsse Himmelnaß etc.

Derselbe.


20. §. Ich bin müde, dergleichen neue Wörter zu suchen, sonst wollte ich sie auch in andern Büchern, in Pietschen und Günthern gar häufig finden: wiewohl der letzte bey weiten so kühn darinnen nicht gewesen, als der erste; der auch wohl zuweilen die Sprachähnlichkeit aus den Augen gesetzet hat, welches eben nicht zu billigen ist. Ich will nur noch dieses erwähnen, daß, wenn gute Poeten in ihren Gedichten den Schall gewisser natürlichen Dinge haben nachahmen wollen, sie gleichwohl lieber bekannte und verständliche Wörter, als seltsame und neuausgedachte Töne dazu gebraucht haben. Z.E. Wenn Nic. Peuker, seinem Namen zu Ehren, den Paukenschall liebt, und sein Buch gar die Paucke betitelt, so macht er folgenden Vers:

Mein Paukenschlag, das Bomdibidibom
Rufft: Friedrich Wilhelm komm!
Mach uns ein Freudenlied, das Bumdibidibum,
Und Tarantantara macht schon die Ohren stumm.


Hingegen finde ich, daß Opitz in seinem Gedichte von der Ruhe des Gemüths den Lerchengesang so ausgedrücket hat:

Die Lerche schreyet: dir, dir lieber Gott allein,
Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich dankbar seyn.


Und Flemming ahmt den Gesang einer Nachtigall auf eben so eine vernünftige Art nach, wenn er in der dritten Ode des III-ten Buchs schreibt:

Die gelehrten Nachtigallen
Schreyn euch zu mit lautem Schallen:
Glück, Glück, Glück! du trautes Paar,
Dir, dir, dir, gilt unser Singen etc.


Eben so machen sie es, wenn sie andere Gattungen der Töne auszudrücken suchen. Da sieht man keine unerhörte, neugebackene Menge nichtsheißender Sylben; sondern zwar ausgesuchte und der Natur gemäße, aber ungezwungene und sparsam angebrachte Wörter. Ein vollkommenes Exempel giebt mir wiederum Flemming in der angeführten Stelle.

Daß die Elster heller rauschet,
Daß mit Buhlerinnen tauschet
Manch verliebtes Wasservolk;
Daß die Büsche sänfter brausen,
Daß die Lüfte linder sausen,
Und uns trübet keine Wolk etc.


Hier sieht man, wie klüglich der Poet im ersten Verse das starke Rauschen eines Stroms, im vierten das sanfte Brausen der Gebüsche, und im fünften das lindeste Sausen der Lüfte nachgeahmet; aber so, daß es scheint, als ob es von ohngefähr gekommen wäre.
21. §. Aus einzelnen Wörtern werden Redensarten, wenn man sie zusammen setzet, und seine Gedanken dadurch ausdrücket. Zu den Nennwörtern rechnet man nun insgemein die Beywörter, die in gebundner und ungebundner Rede von großer Wichtigkeit sind, und also eine besondere Abhandlung erfordern. In der That besteht eine große Schönheit der poetischen Schreibart, in wohlausgesuchten und wohlangebrachten Beywörtern. Es kann auch ein Dichter viel Witz und Urtheil, aber auch eben so viel Einfalt und Thorheit blicken lassen, nachdem er dieselben wohl zu brauchen weis oder nicht. Ein gutes Beywort erhebt oft eine ganze Zeile, und macht einen sonst gemeinen Gedanken neu und scheinbar. Ein niedriges oder ungeschicktes hingegen, schlägt den besten Vers nieder, und verderbet auch den schönsten Einfall zuweilen. Es ist also wohl nöthig, in etwas davon zu handeln.
22. §. Die Beywörter an sich bedeuten theils die Eigenschaften der Dinge, die ihnen allezeit beywohnen; theils auch nur die zufälligen Beschaffenheiten. Z.E. Die heiße Glut, der gelinde West. Da ist die Glut immer heiß, sowohl als das Wasser immer naß ist: der Westwind aber ist nicht allezeit sanft, sondern auch zuweilen ungestüm. Nun fragt sichs, in welchen Fällen man Beywörter von jener oder dieser Art brauchen müsse? Von der ersten Gattung könnte man denken, daß sie ganz überflüssig seyn würden: weil es nichts gesagt zu seyn scheinet, wenn man spricht, der runde Zirkel, die weiße Kreide, der harte Stein etc. Allein man betrügt sich: ein Poet kann auch diese Art der Beywörter nicht entbehren. Er will oft seinem Leser oder Zuhörer die Sachen von einer gewissen Seite zu betrachten geben. Sagte er nun den bloßen Namen derselben nur allein: so würde man zwar an die ganze Sache überhaupt, aber nicht an die Eigenschaft insbesondere gedenken, die der Poet erwogen haben will; oder sich doch dieselbe nur dunkel vorstellen. Denn ein Ding hat viele Eigenschaften, die uns nur verwirrt in Gedanken schweben, wenn wir nichts als seinen Namen hören. Z.E. Der Stein ist dicht oder locker, hart oder weich, schwer oder leicht, dauerhaft oder mürbe und zerbrechlich, leblos, unbeweglich u.s.w. Weil aber in diesem oder jenem Falle der Leser seine Gedanken nur auf eine oder die andere Eigenschaft richten soll, um des Poeten Meynung zu verstehen: so muß ein Beywort dabey stehen, dadurch er dazu veranlasset werden kann. Z.E.

Da steht er wie der todte Stein,
In den sich Loths Gemahl verkehret.


Oder:

Wenn Sysyphus den schweren Stein
Mit hochbemühten Armen wälzet etc.


Oder:


Ein dichter Stein wird durch die Flammen
Zu Kalk und Aschen ausgebrannt, etc.


Oder:

Schreibt sein Lob in festen Stahl
Grabt es in die härtsten Steine etc.


Oder:

Die Rabenmutter war ein unbewegter Stein:
Es schien die harte Brust ein wilder Fels zu seyn,
Der keine Fühlung hat.


23. §. Aus dieser einzigen Anmerkung wird man schon zur Gnüge die Regel abnehmen können: daß kein Beywort in der Poesie vergebens oder müßig da stehen müsse. Ganze Zeilen mit Beywörtern anzufüllen, die nichts oder doch sehr wenig zur Absicht des Poeten beytragen, das zeigt keinen sonderlichen Verstand: aber wohl eher eine Armuth an Gedanken an. Ordentlich soll auch kein Wort mehr als ein Beywort haben, welches sich zur Sache schicket, und entweder zum Verstande unentbehrlich ist; oder doch einen besondern Zierrath abgiebt, indem es eine angenehme Vorstellung bey dem Leser erweckt, dadurch er lebhaft gerühret und desto mehr eingenommen wird. Das zeigt also mehrentheils einen Mangel an Einfällen, wenn man so lange allerley Beywörter zusammen raffet, bis ein ganzer, ja zuweilen wohl gar etliche Verse damit vollgestopfet worden. Wie wurde das klingen?


Der große, gütige, gerechte, liebe Gott,
Kann böse, sündige, verderbte Menschen leiden etc.


So elend dieses klingt, so breit machen sich wohl gewisse neuere, die in Beschreibungen ihre poetische Stärke suchen, mit ihren langgedehnten und aufgehäuften Beywörtern. Man nehme ihnen dieselben weg, so streicht man drey viertel von ihren Versen aus, und es bleibt ihnen kaum die Hälfte von ihren Gedanken übrig. Canitz, hat diesen Fehler an den hochtrabenden Beschreibungen des Gewitters bemerket, und verspottet:

Der Donnerschwangre Dampf beschwärzt das Luftrevier;
Der Stralbeschwänzte Blitz bricht überall herfür;
Der grause Donner brüllt, und spielt mit Schwefelkeilen.
Der Leser wird betrübt, beginnet fortzueilen, etc.


24. §. Hiernächst sind die Beywörter entweder gemein, so daß sie einem jeden einfallen; oder sie sind neu und unvermuthet. Z.E. Wenn einer ein Frauenzimmer schön nennet, so ist nichts gemeiner als dieß Beywort; obwohl die Sache so gemein nicht ist. Wenn aber Opitz ein paar von seinen Buhlschaften beschreiben will, so hat er ganz andere Beywörter, die er ihnen giebt.

Die sittsamen Geberden,
Die geile Höflichkeit, der abgeführte Sinn,
Und was mich sonsten hielt, ist alles mit ihr hin.
Dann hat mich endlich auch in Dacien gefangen
Die lange Vandala. Itzt, da ich ihr entgangen,
Und die Begierlichkeit mich wenig meistern kann;
Steckt Flavia mich noch durch neues Feuer an,
Die wilde Flavia mit ihren schwarzen Augen.


Mich dünkt, ein jeder wird hier leicht gewahr werden, was diese so besondere Beywörter dem ganzen Verse für einen ungemeinen Geist und Nachdruck geben, den sie von andern bekannten und oft gebrauchten nimmermehr hätten erwarten können. Simon Dach, in seiner Ode, auf die Geburt eines preußischen Prinzen 1648. schreibt:

Was? der brückenreiche Pregel
Hebt durch Flaggen, Mast, und Segel
Sein beschilftes Haupt empor etc.


Und bald hernach:

Wachs o Kind! die grünen Wälder
Und die Frucht der schwangern Felder
Wächst zum Wohlgefallen dir.


In einem andern Gedichte finde ich bey ihm, die fruchtbeschwerten Aeste, ein starkbeeistes Haar; dem Pregel giebt er im Winter, einen harten Rücken, dem Churfürsten Friedrich Wilhelm, ein ahnenreiches Haus.
25. §. Flemming ist in dergleichen Künsten noch fast erfahrner gewesen. Er beschreibt in einer Ode eine Frühlingsnacht folgender gestalt:


Alles braucht sich seiner Ruh.
Sehet, wie die Saat sich bücket,
Die verwachte Rose nicket,
Und thut itzt ihr Auge zu.
Und die taumelnden Cypressen
Haben ihrer selbst vergessen.

Die gekühlte Luft schleicht aus
Und haucht auf die trucknen Matten,
Thauende, gesunde Schatten:
Und das frohe Sternenhaus
Geußt den schlummernden Gewächsen,
Neue Kraft in ihre Flechsen.


Alle diese Beywörter sind so auserlesen und sinnreich, daß ich mich nirgends entsinne, was schöners in dieser Gattung gefunden zu haben. Weil sie aber fast alle gleichnißweise zu verstehen sind, so gehören sie eigentlich nicht in dieses Capitel. Imgleichen in seinen langen Versen, ist ein großer Vorrath davon. Auf der 60. S. stehen, der böse Krebs, der so grimme Eifer, die lose Welt, der böse Himmel, die freyen Sinne, eine linde Luft, darauf folgt:

Der Himmelreiche Plato,
Der frische Seneca, der Weisheitvolle Cato,
Die haben ihn zuvor durch sich beherzt gemacht,
Daß er in dickster Angst, als höchster Wollust lacht,
Wenn aller Pöbel weint.


Was könnte ich nicht noch aus Tscherningen, Risten, Siebern, Franken, Schochen, und Canitzen, als den besten Geistern des vorigen Jahrhunderts, für schöne Proben anführen, wenn es nöthig wäre? Doch es ist Zeit auf das itzige zu kommen.
26. §. Eben so glücklich in Beywörtern ist Amthor, Z.E. auf der 187. S.

Der Nordwind hat der Bäume Zweigen
Den grünen Vorhang abgestreift,
Die kahlen Gipfel stehn bereift,
Des Jahres Alter anzuzeigen.
Das Laub entfleucht der kalten Lufft
Und suchet die beliebte Grufft:
Vielleicht nur in den stillen Gründen,
Vor ihren Stürmen Schutz zu finden.


Das ist die erste Strophe von einer Hochzeitode: in den andern finde ich noch das leichtbedeckte Vogelheer, laue Sümpfe, warme Nester, viergefüßte rauche Schaaren, neu geputzte Waffen, ein reichbehaarter Balg, der erstarrte Körper, mit weicher Hand ein hartes Eisen (den Ofen) befühlen; todte Funken, eine lindgemachte Glut, ein holdbelebter Schooß, in seinen federweichen Grüften, ein froher Schlummer, die kalten Schatten, ein frostig Weh, der weiße Liebesschnee, keusche Lüste, die geschloßne Decke, ein starrer Leib, die geweihten Anmuthsflammen, immerfrisches Oel, ein helles Tugendlicht, u.s.w. Was könnte man nicht noch aus Bessern, Heräus, Neukirchen und Günthern, für Proben anführen. Allein ich will nur noch ein paar aus, Pietschen hersetzen. In dem Gesange auf den Eugen finde ich, unter andern die räuberische Zeit, dauerhafte Musen, den belorberten Eugen, imgleichen den unsterblichen Eugen u.d.gl.
27. §. Bey dem allen fragt es sich, ob es angehenden Poeten zu rathen sey, sich dergleichen schöne Beywörter und andere poetische Redensarten zu sammeln, oder dieselben in gedruckten Sammlungen nachzuschlagen und zu brauchen? Wir haben eine Menge solcher Handbücher, die ich alle hier namhaft machen wollte, wenn ich ihren Gebrauch für nöthig hielte. Zwar einem solchen Reimschmiede,

Der keine Griffe weis, und mit dem Hübner spielt,
Und keinen Funken Trieb in seinen Adern fühlt,


wie Günther schreibt, thun dergleichen Bücher zuweilen gute Dienste. Allein, das sind eben die Leute nicht, die dem Vaterlande durch ihre Poesie Ehre bringen werden: und also wäre es besser, daß man ihnen den Weg zum Reimen und Sylbenhenken nicht erleichterte. Geistreiche Köpfe brauchen solche Gängelwägen nicht, ihre Muse zu leiten. Poeten zu lesen, und bey ihren schönen Ausdrückungen den Witz, der darinnen stecket, zu überdenken, das rücket uns freylich den Kopf zurechte. Ein Feuer zündet das andere an, und man wird selber allmählich geschickt, guten Mustern zu folgen. Allein ein Chaos von allerley zusammengestoppelten Blümchen nachzuschlagen, und bey jeder Zeile, die man schreibt, einen poetischen Trichter in Händen zu haben, daraus man Wörter sucht, Gedanken auszudrücken, die man noch nicht hat; das heißt gewiß schlecht poetisiret. Gemeiniglich bekömmt auch ein Beywort seine ganze Schönheit aus dem Zusammenhange, darinn es stehet. In einer solchen Schatzkammer aber findet man nichts, als

DISIECTI MEMBRA POËTAE.

HOR.


die verstümmelten Glieder eines zerrissenen Poeten; die nunmehro dasjenige nicht mehr sind, was sie an ihrem rechten Orte gewesen. Wie kann also ein Ausdruck, außer seiner rechten Stelle, seine Anmuth und seinen Nachdruck behalten?
28. §. Nun muß ich auch auf die Wortspiele kommen, die vorzeiten überall so beliebt gewesen; zu unsern Zeiten aber ganz lächerlich geworden. Wenn ich durch ein Wortspiel eine jede Wiederholung eines Wortes oder einer Sylbe verstehen wollte, so würde ich in der That viele poetische Schönheiten verwerfen müssen. Z.E. Wenn Flemming auf der 129. S. schreibt:

Wohl dem, der so verdirbt!
Wer eh stirbt, als er stirbt, der stirbt nicht, wenn er stirbt.


So kann ich dieß unmöglich ein verwerfliches Wortspiel nennen. Denn der Poet hat lauter wahre und wohlgegründete Gedanken im Kopfe, die er am allerbesten auf diese Art auszudrücken dachte. Es ist wahr, daß das Wort sterben hier in dreyerley Bedeutung genommen wird. Denn ehe sterben, als man stirbt; das heißt eigentlich, seinen Lüsten absagen, und die Welt verschmähen, ehe noch die Seele vom Leibe getrennet wird. Und nicht sterben, wenn man stirbt, heißt so viel, als in der Welt in gutem Andenken bleiben, ja auch der Seelen nach ewig leben; wenn man gleich dem Körper nach entseelet worden. Also könnte man freylich hier sagen, der Poet hätte mit dem Worte sterben gespielet, und es bald in eigentlichem, bald in verblümten Verstande genommen. Allein gesetzt, daß man dieses ein Wortspiel heißen wollte, welches denn eine willkührliche Sache ist: so könnte es doch kein verwerfliches Wortspiel heißen. Denn der Gedanken in der ganzen Zeile ist richtig, deutlich und auf eine sinnreiche Art ausgedrückt. Man hätte ihn weder kürzer fassen, noch dem Leser in so wenigen Sylben mehr gute Betrachtungen veranlassen können. Alle Bedeutungen, die endlich das Wort stirbt, bekömmt, sind gewöhnlich; und der Leser darf sich also keine Gewalt thun, einen unerhörten Sinn desselben zu errathen.
29. §. Ganz anders wird es sich, meines Erachtens, bey folgenden Proben von Wortspielen verhalten, die ich aus eben dem Poeten nehmen will. Er setzt z.E.

367. S. Schaffet, daß sich Selbsten müssen
Die geküßten Küsse küssen.

386. S. Frey ist freyen, wie es heißt,
Frey will seyn ein freyer Geist,
Freyt denn! freyet nach Belieben etc.

393. S. Als der gute Tityrus
Denen kaum erwachten Schläfern,
Seinen treuen dreyen Schäfern,
Brachte seinen lieben Gruß.


Hier glaube ich nun, wird wohl ein jeder begreifen, daß diese Wortspiele nichts als leere Schellen sind, die nur im Gehöre klingen, dem Verstande aber keinen neuen Gedanken veranlassen. Denn was soll es heißen, daß sich die geküßten Küsse küssen? Ein Kuß kann ja nicht geküßt werden, weil er im Küssen erst entsteht, und sogleich aufhört zu seyn. Vielweniger kann er selber küssen. Dieses sind also Töne ohne Sinn. Und was hat das Freyseyn mit dem freyen zu thun? Wenn gleich das eine Wort von dem andern abstammete; so wäre es doch noch kein Grund, das Freyen aller Kinder ihrer Willkühr zu überlassen. In allen diesen Wiederholungen ähnlicher Wörter stecket weiter nichts, als die Gleichheit des Tones, die so leicht einen Ekel, als Wohlklang erwecken kann. Das dritte Exempel ist vollends eine sehr läppische Art des Spieles. Ein Buchstabe muß durch seine Aehnlichkeit mit dem andern der ganzen Zeile eine vermeynte Schönheit geben. Die obigen Spiele sind mir also eben so lächerlich, als folgende Misgeburt eines Pegnitzschäfers vorgekommen:

Ihr Matten voll Schatten begrasete Wasen,
Ihr närbigt und färbigt geblümete Rasen,
Ihr buntlichen Sternen,
Ihr Felderlaternen,
Hört wieder die Lieder von Schäferschalmeyen etc.

Ihr trägen Goldbächlein, ihr hellen Glasquellen,
Ihr schwällende Wellen, ihr Süberfluthzellen,
Ihr Pegnitznajaden
In sumpfigten Pfaden,
Nehmt dieses, nehmt hiesig erneurende Lieder etc.


30. §. Es giebt noch eine Art der Wortspiele, darauf sich gewisse Leute Wunder was einbilden. Es sind die Anspielungen auf Namen, wo ich so reden darf; dabey sie einen besondern Witz zu bezeigen vermeynen. Flemming hat es uns auch an solchen Exempeln nicht fehlen lassen, welche ich, der Hochachtung unbeschadet, die ich sonst gegen ihn habe, zu dem Ende anführe, damit man sehe: wie sich auch Leute, denen es an Witz und Geist sonst nicht fehlet, in dergleichen Kleinigkeiten verlieben können. Auf der 364 S. steht ein Lied auf eine Hochzeit Johann Weinmanns, mit Magd. Wasserführerinn. Da heißt nun eine Strophe:

Schöne Braut, gedenkt zurücke,
Und erwegt des Himmels Gunst,
Der euch, helfe Gott zu Glücke!
Einen Weinmann, eure Brunst,
Einen Weinmann, der euch liebet,
Für den Wasserführer giebet.


Welch eine Wohlthat Gottes! einen Mann zu bekommen, der vom Weine den Namen hat; nachdem man einen verlohren, der ihn vom Wasser herleitete. Ohne Zweifel wird die gute Frau bey dem ersten lauter Wasser, und beym andern lauter Wein getrunken haben. Die 17te Ode in seinem III. Buche ist auf Nicl. von Höveln und Elis. Niehusens Hochzeit gemacht, und darinnen spielt er so unsauber:

Höfelt euer neues Haus
Bräutgam aus etc.


Dieses läuft nun gar wieder die Ehrbarkeit, wird aber von schmutzigen Versmachern desto lieber nachgemacht. In der 19ten Ode desselben Buchs, auf Dan. Gläsers und Mar. Reimininn Hochzeit, steht folgende letzte Strophe:

Braut, gedenket unterdessen,
Daß an euch was gläserns ist,
Bräutgam, thut auch nicht vergessen,
Was ihr nun fort reimen müßt.
Daß ihr mögt nach kurzen Tagen
Neue Reim und Gläser tragen.


31. §. Wer nun in allen dergleichen Kindereyen Schönheiten zu sehen meynet, dem kann man seinen Geschmack wohl lassen: aber wer etwas wahres und gründliches dem scheinbaren vorziehen will und kann, der wird besser thun, wenn er alle diese Klapperwerke sorgfältig vermeidet. Die Exempel großer Leute, die sich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht aus. Man hat freylich in Virgils Schäfergedichten dergleichen eins gefunden:

DIC, QUIBUS IN TERRIS, ET ERIS MIHI MAGNUS APOLLO,
TRES PATEAT CAELI SPATIUM NON AMPLIUS VLNAS?


Dieses Räthsel besteht bloß in der Zweideutigkeit des Wortes CAELI, welches entweder von CÄLIUS herkommt, und also das Grab eines gewissen CAELII zu verstehen giebt: oder von CAELUM ein Abfall ist, und also die Breite des Himmels andeutet. Allein der Poet kann leicht damit entschuldiget werden, daß er sein Räthsel in den Mund eines einfältigen Schäfers leget, der auf dem Dorfe leicht etwas für schön halten konnte, was doch Virgil selbst für was schlechtes hielt. Nur wäre es zu wünschen, daß Martial und andere neuere Verfasser von Sinngedichten, als z.E. Ovenus sich nicht ohne solchen Vorwand, in eben diese Spielwerke verliebet hätten. Ihre Gedichte wimmeln aber von solchen Einfällen, und gefallen mittelmäßigen Köpfen oft darum, warum sie ihnen misfallen sollten. Ja junge Leute ahmen oft diesem falschen Witze desto lieber nach, je leichter er ihnen fällt, wenn sie noch keinen bessern Vorrath guter Gedanken haben.
32. §. Von Opitzen und andern Poeten unsers Vaterlandes, darf man mir also destoweniger einen Einwurf machen. Ich weis wohl, daß sie sich zuweilen von dem verderbten Geschmacke ihrer Zeiten, gleichsam wieder ihren Willen haben hinreißen lassen. Ihr Exempel aber, kann uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten Gründen unterstützet ist. Wir folgen vielmehr der Vorschrift des Boileau, der in seiner Dichtkunst ausdrücklich die Wortspiele verworfen hat. Denn er erzählt, wie anfänglich die Spitzfündigkeken und zweydeutigen Worte aus Italien gekommen, und erstlich in die Sinngedichte, hernach, da der Pöbel dadurch verblendet wurde, in Madrigalen, Tragödien, Elegien, Schäfergedichten, ja gar vor Gerichte und auf der Kanzel eingeführet worden.

ON VIT TOUS LES BERGERS DANS LEURS PLAINTES NOUVELLES,
FIDELES À LA POINTE, ENCOR PLUS QU'À LEURS BELLES,
CHAQUE MOT EUT TOUJOURS DEUX VISAGES DIVERS;
LA PROSE LA REÇÛT AUSSI-BIEN QUE LES VERS;
L'AVOCAT AU PALAIS EN HERISSA SON STILE,
ET LE DOCTEUR EN CHAIRE EN SEMA L'EVANGILE.


Hierauf sagt er, die Vernunft hätte endlich die Augen aufgethan, und sie einmal für allemal aus ernsthaften Schriften verbannet, sie allenthalben, für unehrlich erkläret, und ihnen kaum in Sinngedichten, doch mit dem Bedinge, einen Platz vergönnet, daß sie mit den Gedanken und nicht mit Worten spielen möchten. Darauf hätten zwar allenthalben die Unordnungen aufgehört: doch wären bey Hofe Possenreißer geblieben; abgeschmackte Lustigmacher, unselige Pickelheringe, altfränkische Verfechter grober Wortspiele.

LA RAISON OUTRAGÉE ENFIN OUVRIT LES YEUX,
LA CHASSA POUR JAMAIS DES DISCOURS SERIEUX,
ET DANS TOUS CES ÉCRITS LA DECLARANT INFAME,
PAR GRACE LUI LAISSA L'ENTRÉE EN L'EPIGRAMME:
POURVEU QUE SA FINESSE, ÉCLATANT À PROPOS,
ROULAST SUR LA PENSÉE, & NON PAS SUR LES MOTS.
AINSI DE TOUTES PARTS LES DESORDRES CESSERENT,
TOUTESFOIS À LA COUR LES TURLUPINS RESTERENT,
INSIPIDES PLAISANS, BOUFFONS INFORTUNÉZ,
D'UN JEU DE MOT GROSSIER PARTISANS SURANNEZ.


33. §. Was könnte ich nicht aus des Grafen Schafftsbury Schriften, und aus dem Zuschauer für Stellen anführen, darinn sie über den verderbten Geschmack ihrer Landesleute in diesem Stücke die heftigsten Klagen führen. Siehe von diesem letzten das 58. Blatt des I. Bandes. Allein es ist genug gesagt, wenn ich nur noch die Probe eines guten Gedankens, die von einigen vorgeschlagen wird, werde angemerkt haben. Man sagt: alles, was sich in eine fremde Sprache übersetzen läßt, und gleichwohl noch die vorige Schönheit behält, das ist ein gründlicher und richtiger Gedanke; was aber alsdann sich selbst nicht mehr ähnlich sieht, das ist zu verwerfen. Nun trifft dieses zwar nicht allemal ein, indem manche Wortspiele in mehr als einer Sprache angehen: allein in Ermanglung einer bessern, will ich mich nicht bemühen, diese Regel umzustoßen. Ein Kopf, der richtig denken gelernt hat, wird auch nicht leicht eine Anweisung dazu brauchen. Das ist endlich noch anzumerken, daß man zum Gelächter und irgend eines lustigen Einfalls wegen, wohl zuweilen ein Wort in anderm Verstande nehmen, und zum Scherze brauchen kann, ohne so den guten Geschmack dadurch zu verletzen. Boileau selber erlaubt dieses in folgender Stelle:

CE N'EST PAS QUELQUE FOIS, QU'UNE MUSE UN PEU FINE,
SUR UN MOT EN PASSANT NE JOUE & NE BADINE,
ET D'UN SENS DETOURNÉ N'ABUSE AVEC SUCCÉS:
MAIS FUYEZ SUR CE POINT UN RIDICULE EXCÉS,
ET N'ALLEZ PAS TOUJOURS D'UNE POINTE FRIVOLE,
ALGUISER PAR LA QUEUË UNE EPIGRAMME FOLLE.


Wie viel gezwungene Spitzfindigkeiten müßten wir nicht aus unsern meisten Poeten ausmustern; wenn wir des Boileau Vorschrift in diesem Stücke folgen wollten?


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