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Gottsched: Das VI. Capitel

Poeterey




Erster allgemeiner Theil


Das VI. Capitel.


Von der Wahrscheinlichkeit in der Poesie.


1. §. Aus dem vorigen Capitel wird man zur Gnüge ersehen haben, daß das Wunderbare in der Dichtkunst nicht ohne Unterscheid statt findet: Es muß auch glaublich herauskommen, und zu dem Ende weder unmöglich noch widersinnisch aussehen. Daher kömmt es denn, daß man auch im Dichten eine Wahrscheinlichkeit beobachten muß, ohne welche eine Fabel, Beschreibung, oder was es sonst ist, nur ungereimt und lächerlich seyn würde. Ich verstehe nämlich durch die poetische Wahrscheinlichkeit nichts anders, als die Aehnlichkeit des Erdichteten, mit dem, was wirklich zu geschehen pflegt; oder die Uebereinstimmung der Fabel mit der Natur. Horaz hat gleich im Anfange seiner Dichtkunst die Thorheit eines Malers verspottet, der in einem Gemälde einen Menschenkopf auf einen Pferdehals setzen, einen Vogelkropf mit bunten Federn hinzufügen, und den Leib aus Gliedmaßen verschiedener anderer Thiere zusammen flicken wollte. Die Ursache dieser seiner Regel aber ist keine andre, als weil solch ein Bild wider alle Wahrscheinlichkeit laufen würde. Es thut auch der Einwurf dieser Vorschrift keinen Eintrag, den er sich im Namen gewisser poetischen Freygeister machet.

PICTORIBUS ATQUE POËTIS
QUIDLIBET AUDENDI SEMPER FUIT AEQUA POTESTAS.


Denn, wie schon oben in den Anmerkungen der Uebersetzung dieser Stelle erinnert worden, so beantwortet er denselben gleich darauf so, daß er die Freyheit im Dichten in gebührende Grenzen einschränket.


SCIMUS, & HANC VENIAM PETIMUSQUE DAMUSQUE VICISSUN:
SED NON VT PLACIDIS COËANT IMMITIA; NON VT
SERPENTES OUIBUS GEMINENTUR, TIGRIBUS AGNI.


Was heißt das anders gesagt, als daß ein Poet in seinen Fabeln beständig die Regeln der Wahrscheinlichkeit vor Augen haben müsse?
2. §. Vielleicht denkt jemand, dieses sey demjenigen zuwider, was in dem Capitel von der Fabel schon gesagt worden. Wir theilten da die Fabeln in glaubliche, unglaubliche und vermischte ein, und rechneten zu den unglaublichen die meisten äsopischen, wo nämlich die unvernünftigen Thiere redend eingeführet werden. Soll nun die Wahrscheinlichkeit in allen Gedichten herrschen, so wird man etwa sprechen: so müssen ja alle diese thierische Begebenheiten ganz verworfen und aus der Poesie verbannet werden. Allein man muß hier die poetische Wahrscheinlichkeit in eine unbedingte und eine bedingte Wahrscheinlichkeit abtheilen. Jene findet sich freylich in den äsopischen Fabeln nicht, wenn Bäume und Thiere als vernünftige Menschen handelnd eingeführet werden. Nach dem gemeinen Laufe der Natur pflegt solches nicht zu geschehen; daher pflegt man auch Kindern bey Erzählung solcher Fabeln vorherzusagen: sie hätten sich damals zugetragen, als die Thiere noch reden konnten; wodurch man ihnen zugesteht, daß solche Begebenheiten freylich, nach der itzigen Beschaffenheit der Thiere, keinen Schein der Möglichkeit an sich hätten.
3. §. Deswegen aber kann man doch diesen Fabeln die hypothetische Wahrscheinlichkeit nicht absprechen, die unter gewissen Umständen dennoch statt hat, wenn gleich so schlechterdings keine vorhanden wäre. Daß z.E. die Bäume sich einen König wählen können, das ist an sich selbst, in dieser Welt, weder möglich noch wahrscheinlich: gleichwohl macht dort im Buche der Richter Jotham eine schöne Fabel dar aus, der es an ihrer hypothetischen Wahrscheinlichkeit nicht im geringsten mangelt. Denn man darf nur die einzige Bedingung zum voraus setzen, daß die Bäume etwa in einer andern Welt Verstand und eine Sprache haben: so geht alles übrige sehr wohl an. Es wird möglich und wahrscheinlich seyn, daß sie in ihrer Wahl auf den Oelbaum fallen werden, und daß der Oelbaum solches abschlagen und sagen wird: Soll ich meine Fettigkeit lassen etc. Es wird möglich seyn, daß sie ferner auf den Feigenbaum gerathen können; und daß dieser ihnen gleichfalls eine abschlägige Antwort geben wird: Soll ich meine Süßigkeit lassen etc. u.s.w. Hier thun weder die Bäume überhaupt, noch jeder ins besondre etwas, das nach der einmal angenommenen Bedingung unmöglich wäre. Ein Oelbaum redet, wie ein Oelbaum, und ein Feigenbaum, wie ein Feigenbaum reden würde, wenn beyde den Gebrauch der Sprache hätten. Hier ist also nichts Widersprechendes in der Begebenheit, folglich auch nichts Unwahrscheinliches. Daß nun dergleichen hypothetische Wahrscheinlichkeit in der Fabel zulänglich sey, das habe ich oben in der Beschreibung derselben schon sattsam angezeiget; und daß Homerus dieselbe beobachtet habe, zeiget Horatius, wenn er von ihm schreibet:

ATQUE ITA MENTITUR, SIC VERIS FALSA REMISCET,
PRIMO NE MEDIUM, MEDIO NE DISCREPET IMUM.


4. §. Will man hiervon in Aristotels Poetik das IXte und XXVste Capitel nachschlagen, so wird man finden, daß seine Gedanken eben dahinaus laufen; ohngeachtet er sich zuweilen harter Ausdrückungen bedienet. Le Clerc, in seinen Parrhasianis hat sich sonderlich darüber aufgehalten, daß dieser Philosoph gesagt: Die poetische Wahrscheinlichkeit gehe zuweilen bis aufs Unvernünftige. Allein, wer das Exempel ansieht, welches Aristoteles davon gegeben, nämlich da Achilles den Hektor dreymal rund um die Stadt Troja getrieben, die Armeen aber indessen stockstille gestanden, wie Homer in der Ilias erzählt: so wird man wohl sehen, daß dieses so ungereimt nicht ist, als es wohl scheint. Freylich ließe sich solches auf der Schaubühne nicht wahrscheinlich vorstellen, wie Aristoteles selbst gesteht. Allein in einem Heldengedichte, wo man nur die Erzählungen liest, da kann es wohl wahrscheinlicher klingen; sonderlich, wenn der Poet das Unglaubliche dabey künstlich zu verstecken weis. Zum wenigsten hat Homer diese Kunst gewußt; denn er erzählt diese Fabel so künstlich, daß man mit den Gedanken ganz auf die beyden Helden verfällt, und die beyden Armeen darüber ganz vergißt. So wird denn die Wahrscheinlichkeit zum mindesten in so weit erhalten, als dieselbe von einem Leser des Heldengedichtes verlanget wird: gesetzt, daß die Sache an sich selbst wunderlich genug aussehen würde. Ueberdem darf man sich nur erinnern, daß uns auch die alten Geschichtschreiber mehr als eine solche Begebenheit erzählen, da die Heerführer, vor den Augen ihrer Heere sich in einen hitzigen Zweykampf eingelassen, und nicht eher nachgelassen, als bis einer von beyden auf dem Platze geblieben.
5. §. Ueberhaupt ist von der Wahrscheinlichkeit dieses anzumerken, daß oft eine Sache, die an sich unglaublich und unmöglich aussieht, durch den Zusammenhang mit andern Begebenheiten, und unter gewissen Umständen nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich und glaublich werden könne. Dahin gehören, zum Exempel, viele Fabeln, wo die Götter oder andre Geister darzwischen kommen. Diesen trauet man ja größere Kräfte zu, als bloßen Menschen. Wenn nun dieselben einem Helden, oder sonst einem von ihren Lieblingen zu gefallen, etwas außerordentliches unternehmen, das man sonst nicht glauben würde; so wird dieses eben dadurch wahrscheinlich, wenn es nur nicht an und für sich selbst unmöglich ist. Hierwider hat nun Homer gewiß verstoßen, wenn er den Vulcan solche künstliche Werke verfertigen läßt, die ganz unbegreiflich sind. Er macht Dreyfüsse oder Stühle, die von sich selbst in die Versammlung der Götter spazieren. Er schmiedet goldene Bildseulen, die nicht nur reden, sondern NB. auch denken können. Er macht endlich dem Achilles einen Schild, der eine besondere Beschreibung verdient. Erstlich ist er mit einer so großen Menge von Bildern und Historien gezieret, daß er zum wenigsten so groß müßte gewesen seyn, als des Tasso diamantner Schild, aus der himmlischen Rüstkammer, dessen oben gedacht worden. Fürs andre sind seine Figuren auf dem Schilde lebendig, denn sie rühren und bewegen sich, so, daß man sich selbige wie die Mücken vorstellen muß, die rund um den Schild schweben. Fürs dritte, sind zwo verschiedene Städte darauf zu sehen, die zwo verschiedene Sprachen reden, und wo zween Redner sehr nachdrückliche und bewegliche Vorstellungen an das Volk thun. Wie ist es möglich, das alles auf einem Schilde auch durch eine göttliche Macht zuwege zu bringen? Kurz, Homerus hat sich versehen, und die Wahrscheinlichkeit nicht recht beobachtet.
6. §. Eben das kann man von seinen Göttern sagen, die er noch viel ärger, als die unvollkommensten Menschen geschildert hat. Sie sind wie Menschen gebohren, verheirathen sich wie Menschen, und vermehren ihre Geschlechter wie Menschen. Sie sind allen unsern Leidenschaften, Krankheiten, ja gar der Gefahr des Todes unterworfen. Sie werden verwundet, vergießen Blut, und haben so gar einen Balbier nöthig. Sie zanken sich, drohen einander Schläge, und verspotten sich, wie die kleinen Kinder. Es ist wahr, daß zu Homers Zeiten, die Lehre von Gott noch in dicken Finsternissen gestecket hat. Die Philosophen hatten sich noch nicht auf die Untersuchung der göttlichen Natur geleget: und von einer Offenbarung wußte man nichts. Was uns also heute zu Tage sehr unwahrscheinlich vorkömmt, das konnte damals dem Volke sehr wahrscheinlich klingen. Dem ungeachtet hätte doch Homerus die Gottheiten nicht so verächtlich abbilden sollen, als er gethan hat. Man hielt sie zwar größtentheils für gewesene Menschen, aber doch für solche, die vergöttert, das ist, in einen vollkommnern Zustand versetzet worden. Dieses hätte also auch aus ihren Beschreibungen und Thaten erhellen müssen, damit man desto mehr Ehrerbiethung gegen sie bey sich empfunden hätte. Da nun dieses der Poet nicht gethan, so sind einige auf die Gedanken gekommen: er habe mit Fleiß die Götter so lächerlich beschrieben, theils das Lob seiner Helden destomehr zu erheben, theils, die ernsthaften Thaten derselben mit etwas lustigem abzuwechseln, und also dem Ekel seiner Leser zuvorzukommen.
7. § Kommen wir auf seine Helden, so hat man auch da ein vieles bemerket, was wider die Wahrscheinlichkeit läuft. Etliche rechnen das Hauptwerk des ganzen Gedichtes, nämlich den trojanischen Krieg hieher, und meynen, es sey ungereimt, zu glauben: daß sich zwey tapfere Völker, um eines schönen Weibes willen, zehn Jahre lang die Köpfe zerschmeißen würden. Allein dieses geschieht ohne Grund. Man muß der alten Zeiten, und ihrer Sitten kundig seyn. Das Rauben der schönen Weiber war damals so ungewöhnlich nicht. Europa, Medea u.a. waren aus Asien nach Europa entführet worden: dieses zu rächen, hohlte sich Paris die Helena. Es hatte sich also in diesen Krieg der Ehrgeiz und die Rachgier mit eingemischet. Die Griechen wollten stärker als die Trojaner, und diese tapferer als jene seyn; und die gute Prinzeßinn Helena kam fast darüber ins Vergessen. Andre können es nicht verdauen, wenn der große Held Achilles seinen Gästen selbst eine Mahlzeit zubereitet, die Küche bestellet, aufträgt, und zu Tische dient. Allein, sie müßten zuförderst beweisen, daß man sich damals schon, nach unserm heutigen Ceremoniel, durch Edelknaben, Kammerdiener und Lakeyen aufwarten lassen, oder einen eigenen Mundkoch gehalten hätte. Die Einfalt der alten Zeiten macht dergleichen Verhalten des Achilles so wahrscheinlich: so ungereimt es heutiges Tages klingen würde, wenn man einen Marlborough, oder Prinz Eugen dergestalt beschreiben wollte.
8. §. Indessen wäre es sehr gut, wenn man den Homer überall so leicht entschuldigen könnte. Allein, wenn er seine Helden mitten im hitzigsten Gefechte zusammen kommen, und halbe Stunden lang mit einander zanken läßt, als wenn sie weder Spieß noch Schwerdt in Händen hätten: so kann man nicht leicht einen Vorwand finden, ihn zu rechtfertigen. Sie schimpfen einander aufs ärgste, ein jeder pralt dem andern seine Abkunft, seine Waffen und Thaten vor: ja sie erzählen einander wohl gar die Geschlechtregister ihrer Pferde, daß einem Leser Zeit und Weile darüber lang wird. Das schicket sich nun für wütende Soldaten, und für solche herzhafte Kriegsleute gar nicht, als seine Helden waren. Warum schlagen sie nicht lieber zu? Warum verderben sie die Zeit mit einem unnöthigen Geplauder? Hier läuft alles wider die Natur menschlicher Affecten, die zu allen Zeiten einerley gewesen; und Homer kann auf keine Weise gerettet werden. Eben diese Unwahrscheinlichkeit herrschet in den langen Anreden, die Hektor, z.E. an seine vier Pferde hält.¹ Scheint es hier nicht, als wenn Homerus seine Pferde den Menschen gleich gemacht hätte; indem er sie auf eben die Art durch die Beredsamkeit lenken läßt, als ob sie Verstand und Freyheit hätten? Und wer kann also glauben, daß hier die Regeln der Wahrscheinlichkeit beobachtet worden?
9. §. Es ist Zeit, auf den Virgil zu kommen, und einige Fehler anzumerken, die er dawider begangen. Von den Wundern, die er hier und da eingestreuet hat, ist schon im vorigen Capitel gedacht worden. Nur das muß ich hinzusetzen, daß Voltaire, in seinen Gedanken vom Heldengedichte, diesen Poeten dadurch hat entschuldigen wollen, daß schon Dionysius von Halicarnaß, in seiner Historie sowohl der Harpyen, als des Celeno und des Königes Cacus gedacht; und daß Virgil also Wahrscheinlichkeit genug für sich gehabt habe. Allein, erstlich ist es gewiß, daß dieser Geschichtschreiber, seinem eigenen Geständnisse nach, sein Buch allererst zwanzig Jahre nach geendigten Bürgerkriegen in Italien geschrieben; als Virgil schon zehn oder zwölf Jahre todt gewesen: so, daß eher Dionysius den Poeten, als dieser jenen gelesen und gebrauchet haben kann. Gesetzt aber, zweytens, es wäre so, wie Voltaire meynt: so würde doch eine unglaubliche Sache nicht wahrscheinlicher, wenn sie gleich ein fabelhafter Geschichtschreiber erzählet hätte. Zum Exempel, wer auch in Versen alles anbringen wollte, was Herodotus erzählet, der würde lächerlich dadurch werden. Die Verwandlung der Schiffe in Seenymphen, die er vermuthlich nur aus der gemeinen Sage der Leute hergenommen, hätte er auch ersparen können: und meines Erachtens hilft es nichts, daß er den Vers hinzugesetzt:

– – PRISCA FIDES FACTO, SED FAMA PERENNIS.


Denn warum mußte er alle Mährchen, die er selbst nicht glaubte, in sein Heldengedichte bringen?
10. §. Weit ärger hat indessen Virgil wider die Wahrscheinlichkeit verstoßen, da er den Aeneas zur Dido nach Africa kommen, und die neuangelegte Stadt Carthago hat besuchen lassen. Es ist bekannt, wie unmöglich dieses nach der Zeitrechnung ist; indem Dido allererst zwey bis dreyhundert Jahre nach des Aeneas Ankunft in Italien, gelebt hat. Wenn das angienge, so müßte es auch erlaubt seyn, daß Gott mit den Kindern Adams ein Examen aus Luthers Catechismo angestellet, wie Hans Sachse in einer schönen Tragödie gethan; oder, daß Adam selbst auf seinem Sterbebette ein Testament gemacht, und darinn anbefohlen, an Gott Vater, Sohn und heiligen Geist zu glauben; wie Loredano in dem Leben Adams schreibt. Es ist wahr, daß man in Rom die alte Chronologie so genau nicht gewußt, und daß also der Pöbel diesen Fehler Virgils nicht wahrgenommen hat. Allein, in solchen Stücken muß ein Dichter mehr auf einen verständigen Richter, als auf eine Stadt voll unwissender Leute sehen: weil der Tadel, den er bey jenem verdient, ihm weit mehr schaden, als der Beyfall von diesen nützen kann. Ich übergehe hier die entsetzlich lange Erzählung, die Virgil seinen Helden bey der Dido einen Abend machen läßt: wo es gewiß viel wahrscheinlicher ist, daß sie darüber eingeschlafen seyn, oder doch fleißig gejähnet haben würde; als daß sie ihm so geduldig, und ohne ein Wort darzwischen zu reden, zugehöret haben sollte. Ich verschweige auch noch viel andere Unwahrscheinlichkeiten dieses Poeten, und komme auf die Fehler einiger Neuern in diesem Stücke.
11. §. Camoens, den ich nur aus dem Auszuge kenne, den uns Herr Voltaire in seiner Abhandlung vom Heldengedichte gegeben hat, ein neuer portugiesischer Poet, hat auf eine besondre Art wider die Wahrscheinlichkeit verstoßen, wenn er die heidnischen Götter und das Christenthum vermischet hat. Verasco, sein Held, ruffet Christum in einem Gebethe an: und an statt dessen kömmt ihm die Göttinn Venus zu Hülfe. Die Absicht der ganzen Schiffahrt, die er beschreibt, soll die Ausbreitung der christlichen Religion seyn: indessen regieren Jupiter, Bacchus und Venus die ganze Reise, und das Unternehmen des Verasco. Unter andern sagt dieser Held einmal zu einem wilden Könige, dem er seine Geschichte erzählet: O König, urtheile nun, ob Aeneas und Ulysses so weit gereiset, als ich, und so viel Gefährlichkeiten ausgestanden, als ich? gerade, als wenn die Africaner von Virgils und Homers Schriften etwas wissen könnten.
12. §. Alonzo, ein Spanier, in seinem Gedichte Auracana genannt, darinn er seine eigene Heldenthaten wider ein mexicanisches Volk beschrieben, hat sich, nach Voltairens Auszuge ebenfalls sehr oft versehen. Z.E. Er marschirt einmal des Nachts mit seinen Soldaten, um den Feind unversehens zu überfallen: und da erhebt sich unter ihnen zum Zeitvertreibe ein Gespräch vom Virgil, und sonderlich von der Dido. Alonzo ergreift diese Gelegenheit, aus den alten Geschichten, den Poeten zu widerlegen, und der armen Dido ihre Ehre zu retten: und die Abhandlung einer so wichtigen Sache geräth so lang, daß sie zwey ganze Bücher des Heldengedichtes anfüllet. Ob dieses soldatische Unterredungen sind, womit sie sich auf dem Marsche in feindlichen Landen belustigen, das mag ein jeder selbst beurtheilen. Zum wenigsten müßte mehr, als ein Don Alonzo bey der Armee gewesen seyn, wenn dieses einige Wahrscheinlichkeit haben sollte.
13. §. Tasso, der die beyden vorigen unendlich weit übertrifft, hat nichts destoweniger oft wider die Wahrscheinlichkeit gesündiget. Der Zauberer Ismeno, räth im andern Buche ein Marienbild in eine türkische Moschee zu tragen, um dadurch die Ungläubigen unüberwindlich zu machen. Diese Vermischung des Christenthums mit der türkischen Religion wahr scheinlich zu machen, bemüht sich zwar Tasso sehr; indem er sagt, Ismeno wäre ein abgefallener Christ gewesen:


QUESTI HOR MACONE ADORA, E FU CHRISTIANO,
MA I PRIMI RITI ANCOR LASCIAR NON PUOTE;
ANZI SOVENTE, IN USO EMPIO E PROFANO,
CONFONDE LE DUE LEGGI A SE MAL NOTE.


Er schiebt es also auf die Unwissenheit und den Aberglauben des Zauberers, daß er einen so wunderlichen Anschlag giebt. So wahrscheinlich er aber dadurch den Anschlag macht: so unwahrscheinlich bleibt es noch, daß ihm der König Aladin von Jerusalem, nebst der mahometanischen Priesterschaft, werde Gehör gegeben haben. Die Bewegungsgründe, womit er jenen zu bereden suchet, sind folgende:

HOR QUESTA EFFIGIE LOR DI LÀ RAPITA,
VOGLIO, CHE TU DI PROPRIA MAN TRASPORTE,
E LA RIPONGA ENTRO LA TUA MESCHITA.
IO POSCIA INCANTO, ADOPRERO SI FORTE,
CH'OGNI HOR, MENTRE ELLA QUI FIA CUSTODITA,
SARA FATAL CUSTODIA A QUESTE PORTE;
TRA MURA INESPUGNABILI AL TUO IMPERO
SICURA FIA, PER NOVO ALTO MISTERO.
SI DISSE, E'L PERSUASE, ETC.


Aber ein jeder mag selbst urtheilen, ob es glaublich sey, daß ein Mahometaner, dem Schwarzkünstler zu gefallen, eine seiner Religion so widerwärtige Sache gethan haben würde?
14. §. Allein das ist nicht das Aergste. Armide ist noch eine größere Hexe als Ismeno. Sie verwandelt wohl zehn christliche Prinzen in Fische, und ein Papagey muß allerhand verliebte Liederchen singen, die er NB. selbst gemacht hat. Das übertrifft fast noch die homerischen Erzählungen von der Circe; ist aber um destoweniger zu entschuldigen, da es in einer weit erleuchtetern Zeit geschrieben worden, als jenes. Noch mehr, Rainaldo kann aus den Händen eines mahometanischen Zauberers nicht anders, als durch die schwarze Kunst eines christlichen Hexenmeisters befreyet werden. Dergestalt muß es nun sowohl türkische, als christliche Teufel geben, die einander zuwider sind: und die Gewalt der christlichen muß der mahometanischen Teufel ihrer, weit überlegen seyn. Das heißt ja, ein rechtes Belieben an Teufeleyen haben, und dadurch, zum wenigsten außer Italien, alle Wahrscheinlichkeit aus den Augen setzen. Kurz, es ist dem guten Tasso nichts schweres, die Messe, Beichte und Litaney mit Beschwerungen und Teufelskünsten; den Michael samt allen Engeln mit dem Pluto und der Alekto; das ist, den Himmel mit der Hölle, das Christenthum mit dem Heidenthume und dem mahometanischen Aberglauben, durch einander zu mischen.
15. §. Ich kann nicht umhin, noch ein paar Proben, von der seltsamen Begierde, das Wunderbare in Hexereyen zu suchen, aus diesem Poeten anzuführen. Ubaldo wird zu einem alten und heiligen Beschwerer gesandt, der ihn bis in den Mittelpunct der Erden bringt: wo er mit seinem Gefährten an einem Strome ganz voller Edelgesteine spazieren geht. Von da schickt man ihn nach Askalon zu einer alten Vettel, die ihn auf einem Schifflein in die canarischen Inseln versetzet. Unter Gottes Beystand kömmt er, einen bezauberten Ring in Händen habend, glücklich daselbst an, und führet den tapfern Rainald bis ins christliche Lager mit sich zurück. Aber zu was Ende? Die Zauberkunst muß diesen Helden so viel tausend Meilen weit zurück bringen; bloß weil ihn die Vorsehung bestimmet hatte, etliche alte Bäume, in einem von Gespenstern beunruhigten Walde, zu fällen.
16. §. Im Anfange befiehlt Gott dem Erzengel Michael, die in der Luft umher schwärmenden Teufel in die Hölle zu stürzen; weil sie lauter Ungewitter machten, und ihm die Donnerkeile allezeit, den Mahometanern zum Besten, auf die Christen lenketen. Michael thut es, und gebeut ihnen, sich niemals in die Händel der Christen zu mengen. Sogleich gehorsamen sie, und versenken sich in den Abgrund. Aber es dauret nicht lange. Der Zauberer Ismeno hat mehr Gewalt, als Michael. Denn auf seinen Wink kommen sie wieder heraus, und wissen den göttlichen Befehl durch gewisse künstliche Ausflüchte ungültig zu machen. Sie erschrecken die Christen im Walde, durch allerley fürchterliche Larven. Tancredo findet seine Clorinde in eine Fichte verzaubert, und durch den Hieb verwundet, den er dem Baume gegeben. Armide siehet dieses hinter einem Myrthengebüsche zu, ob sie gleich zu derselben Zeit auch in Aegypten ist: und der Poet berichtet uns gleichwohl gar nicht, wie auch die künstlichste Zauberinn an zweyen Orten zugleich seyn könne?
17. §. Ariost, ein Landsmann des Tasso, hat denselben an seltsamer Unwahrscheinlichkeit weit übertroffen, und zum wenigsten dadurch verdienet, daß er von vielen Italienern demselben vorgezogen wird. Sein rasender Roland ist bekannt, und soll eben sowohl ein Heldengedichte heißen, als das befreyte Jerusalem. Dieser Held war aus Eifersucht über die schöne Angelica zum Narren geworden, weil sein Nebenbuhler Medor glücklicher bey ihr gewesen, als er. Astolph, ein andrer Ritter, befand sich eines Tages im irdischen Paradiese, auf dem Gipfel eines hohen Berges, wohin ihn ein geflügelter Löwe getragen hatte. Daselbst traf er den heiligen Johannes an, welcher ihm zu wissen that, daß er den Roland von seiner Raserey zu befreyen, eine Reise nach dem Monden thun müsse. Astolph bedenket sich nicht lange, seine irrende Ritterschaft, auch außer der Erdkugel fortzusetzen: und alsbald ist ein feuriger Wagen da, der den Apostel und Ritter durch die Luft wegführt. Wie erstaunet Astolph nicht, als er bey seiner Annäherung gewahr wird, daß der Mond weit größer ist, als er sonst aussieht; und daß er endlich Land und Wasser, Berge und Ströme, Seen und Städte, ja so gar Nymphen gewahr wird, die sich in den Wäldern mit der Jagd belustigen. Man sollte denken, Ariost wäre den neuern Philosophen zugethan gewesen, die den Mond sowohl für eine bewohnte Weltkugel halten, als die Erde: allein das Folgende wird sattsam zeigen, daß man ihm diese Ehre nicht anthun könne. Er findet auch ein seltsames Thal im Monden, wo alles anzutreffen ist, was auf der Erde verlohren gegangen; es mochte nun seyn was es wollte: Kron und Zepter, Geld und Gut, Ehre und Ansehen, gute Hoffnung, verschwendete Zeit, die Allmosen der Verstorbenen, die Lobgedichte auf große Herren, und so gar die Seufzer der Verliebten.
18. §. Bey so vielen Wunderdingen, die der Ritter daselbst antraf, war denn auch eine unglaubliche Menge verlornes Verstandes daselbst zu finden. Da stunden unzähliche Gläser mit einem subtilen Wässerchen angefüllet, auf deren jedem der Name dessen geschrieben war, dem der Verstand zugehörete. Unter so vielen Gläsern solcher Leute, die Astolph allezeit für sehr klug gehalten hatte, und die doch so ziemlich voll waren, fand er auch sein eigen Gläschen; welches er sogleich erhaschte: und mit Erlaubniß des Apostels zog er seinen Verstand, wie ungarisch Wasser, durch die Nase wieder in sich. Das Glas Rolands traf er endlich auch an: er bemächtigte sich desselben, um es mit sich zurücke zu nehmen; weil dieses der Zweck seiner Reise war. Er fand, daß dasselbe sehr schwer zu tragen war, weil Roland kaum etliche Tropfen davon übrig behalten, und sonst die Art desselben eben nicht die feineste gewesen seyn mochte. Hiebey fängt nun Ariost an, einen verliebten Seufzer an seine Schöne zu thun, dergleichen er mitten in seinem Heldengedichte zu thun pflegt. Er sagt ihr, daß er seinen Verstand auch zwar verlohren hätte; aber daß er ihn nicht so weit würde zu suchen haben. Er schwebe auf ihren Augen und Lippen herum, und er bäthe sich deswegen nur die Erlaubniß aus, denselben mit seinen Lippen wieder zu haschen. Genug von Ariosts Phantasien, die gewiß eher den Träumen eines Kranken, wie Horaz spricht, als der vernünftigen Dichtung eines Poeten ähnlich sehen: weil weder Wahrscheinlichkeit, noch Ordnung darinn anzutreffen ist.
19. §. Was soll ich von dem Marino sagen, dessen Schriften eben so voll unwahrscheinlicher Dinge sind, als seiner Landsleute? Zur Probe darf ich nur die entsetzliche Abbildung nehmen, die er im Anfange seines Kindermordes von dem Satan gemacht hat. Er liegt im Abgrunde ohne Grund, an einer scheußlichen Kette, von hundert in einander geschlungenen Schlangen. Sein Kleid und Thron, ist ein unauslöschlich Feuer. Sein vormals leuchtender Mantel, ist nunmehr aus Flammen und Finsterniß gewebet. Sieben Hörner hat er auf dem Haupte, darum sich lauter Hydren und Cerasten gewickelt haben, die gleichsam die Edelsteine in seiner Krone ausmachen. In seinen Augen flammt ein rothes und trübes Licht, und seine Blicke gleichen den Cometen und Blitzen. Gestank und Finsterniß dampfet aus seiner Nase, sein Hauch ist dem Wetterstrale, und sein Seufzen dem Donner ähnlich. Dadurch sowohl, als durch seine feurige Blicke zündet er selbst den Holzstoß an, (der doch vorher schon brannte) welcher unverbrennlich ist, und doch alles verzehret. Seine von Geifer und Rost angefressene Zähne klappern und machen ein groß Geräusche, durch ihr Knirschen; und sein Schwanz schlägt in der Glut, auf die Schuppen seiner stählernen Gliedmaaßen.
20. §. Bey diesem höllischen Tyrannen stehn drey Furien, (damit ja das Heidenthum wieder ins Christenthum gemischt werde) ihn auf ewig auf die Folterbank zu spannen, und mit ihren Natterstreichen unaufhörlich zu geißeln. Ihre Haare sind magre Schlangen, sein Zepter ist von Stahl: und kurz, er ist so abscheulich, daß er vor sich selbst sowohl, als vor seinem Reiche einen Abscheu hat. Nun fängt der Poet an, diesen gefallenen Geist aus der heidnischen Mythologie zu schimpfen, und ihn bald einen Narciß, bald einen Phaeton zu nennen, und die strenge Richterhand des wahren Gottes, mit einem fabelhaften Phlegeton zu vermengen. Die Sybillen und Orakel, werden bald darauf von der Jungfer Maria und der Elisabeth abgelöset: und auf die Geburt Christi muß der Friedensgöttinn Tempel einfallen. Endlich holt der Poet noch nach, daß Satan auch Flügel gehabt, die er als die größten Schiffsegel ausgedehnet hätte, um vor dem bethlehemitischen Sterne zu entfliehen; aber er wäre durch ein stählernes Gebiß in seinem ewigen Gefängnisse fest behalten worden.
21. §. Ob nun eine solche Schilderey des Satans, die halb christlich, halb heidnisch ist; ihn bald zum Könige und bald zum Sklaven macht; bald andere schlagen, bald selbst gefoltert und gepeitschet werden läßt; ihm Hörner und Klauen, einen Schwanz und stählerne Schuppen giebt; ihn mit Feuer und Schlangen zugleich umgiebt; ja bekleidet auch nackend zugleich, auf dem Throne und auf der Folterbank zugleich vorstellt u.s.w. ja ferner alles übrige durch einander menget; ob diese Beschreibung wahrscheinlich sey, sage ich, das lasse ich meine Leser selbst urtheilen. Mir kömmt es vor, daß der Dichter aus großer Begierde recht was Wunderbares zu machen, die Regel des Horaz vergessen:

AUT FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE
SCRIPTOR.


Imgleichen:


FICTA VOLUPTATIS CAUSSA SINT PROXIMA VERIS,
NEC QUODCUNQUE VOLET POSCAT SIBI FABULA CREDI.


Es ist nicht genug, daß man sagt, die Maler pflegten ja den Satan dergestalt abzubilden; und also wäre es schon wahrscheinlich, daß Satan so aussähe. Denn was haben doch die Maler nicht für ungereimte Sachen abgeschildert? Wollte ein Poet ihnen folgen: so würde er auch Troja und Jerusalem mit Carthaunen beschießen, und mit Mörsern bombardiren dörfen, wie man es in vielen Holzschnitten alter Bücher wahrnehmen kann. Wie wollte man aber dieses mit den alten Geschichten zusammen reimen?
22. §. Ich komme auf den Milton, der in englischer Sprache ein Heldengedichte vom verlohrnen Paradiese geschrieben hat; welches uns vor etlichen Jahren in der Schweiz im Deutschen geliefert worden. Dryden, ein andrer englischer Poet, zieht ihn dem Homer und Virgil in einer Sinnschrift vor:

THE FORCE OF NATURE COULD NO FURTHER GO,
TO MAKE A THIRD, SHE JOIN'D THE FORMER TWO.


Er hat sich aber auch nicht aller Fehler in diesem Stücke enthalten können, so große Fähigkeit er auch sonst im Dichten erwiesen hat. Erstlich erklärt er alle heidnische Gottheiten für Teufel, die unter verschiedenen Namen von den Heiden wären angebethet worden: hernach berufft er sich auf den Raub der Proserpina, als auf eine wahre Geschicht. Wer hätte es denken sollen, daß in der biblischen Materie vom Falle der Engel das Heidenthum statt finden würde? Am seltsamsten sieht sein Pandämonium aus, das ist der Ort, wo die Teufel mit einander zu Rathe gegangen. Satan hatte sie schon einmal in einem weiten Felde zusammen beruffen, und eine Anrede an sie gehalten; und also schien es vergebens zu seyn, daß er noch ein besonderes Gebäude hätte, wo er mit ihnen rathschlagen könnte. Aber der Poet scheint ein Belieben getragen zu haben, sein Pandämonium nach der dorischen Ordnung zu bauen, es mit allerley Verzierungen, als Karnießen und goldnen Blumen ausschmücken. Diese Erfindung scheint sich nun zwar nicht aufs beste für einen ernsthaften Milton zu schicken: aber noch schöner kommt es heraus, wenn sich alle seine Teufel in Zwerge verwandeln müssen, damit sie nur in dem gar zu engen Gebäude, Platz finden mögen. Lucifer indessen, mit seinen vornehmsten Bedienten, behalten ihre natürliche ungeheure Größe; daher der gemeine Pöbel böser Geister nur in Gestalt kleiner Pygmäen erscheinen muß. Wenn das nicht das Lächerliche aufs höchste getrieben heißt: so weis ich nicht mehr, was wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Erdichtungen seyn sollen.
23. §. Noch eine Fabel ist indessen werth, aus diesem Dichter angemerket zu werden. Die Sünde wird aus dem Gehirne Satans, als eine Minerva aus dem Haupte Jupiters gebohren. Satan aber zeuget von dieser seiner Tochter abscheulicher Weise ein Kind, nämlich den Tod: und dieses rasende und schmutzige Ungeheuer beschläft wieder seine Mutter, so wie es der Vater mit seiner Tochter gemacht hatte. Aus dieser neuen Blutschande wird ein ganzes Nest voll Schlangen erzeuget, die in den Schooß ihrer Mutter kriechen, und alle die Eingeweide verzehren, daher sie entsprossen sind. Ob eine so schmutzige und wahrhaftig abscheuliche Allegorie Wahrscheinlichkeit genug habe, will ich abermal nicht selbst beurtheilen, sondern einem jeden seine Gedanken davon lassen. Zum wenigsten sieht man nicht, warum die Sünde mit dem Tode noch einmal verbothener Weise hat zuhalten müssen. Dieses hat in der Sache selbst keinen Grund mehr, und scheint von dem Poeten nur zur Vergrößerung der Abscheulichkeiten ersonnen zu seyn. Eben dadurch verliert nun seine Fabel die Wahrscheinlichkeit: weil man es nicht begreifen kann, warum der Tod noch die Schlangen habe zeugen müssen? Nicht besser geht es mit dem Paradiese der Narren, wo die Mönche, Capuciner, Indulgenzien, Bullen und Reliquien auf den Flügeln des Windes herumspazieren; Petrus aber mit seinen Schlüsseln an der Himmelsthür steht. Wie konnten alle diese Dinge zu der Zeit vorhanden seyn, da das Paradies verlohren gegangen? Für den Ariost würden sich solche Thorheiten besser, als für einen Milton geschicket haben. Ich übergehe hier noch die Abwechselung des Tages und der Nacht, im Himmel vor Erschaffung der Welt, die Weltgegenden, Berg und Thal, ja einen Boden voller Metalle, daraus die Teufel allerley künstliche Dinge machen, zum Exempel, Carthaunen und Schießpulver, womit sie die Engel zerschmettern, die Thore und Schildwachten an der göttlichen Residenz, und tausend andre Possen mehr. Siehe der Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache etc. I. Band, wo ein Auszug aus diesem Gedichte zu finden ist.
24. §. Nun könnte ich noch zu ein paar neuern Heldengedichten der Engländer, nämlich dem Könige Arthur, den Richard Blackmore gemacht, und dem Leonidas, den uns vor kurzem Herr Glover geliefert hat, fortschreiten. Allein, je neuer die Zeiten werden, und jemehr die Vernunft aufgeklärt wird, desto reiner werden solche Werke von allen Fehlern wider die Wahrscheinlichkeit. Ich mag mich also bey Kleinigkeiten nicht aufhalten, und komme auf die Franzosen. Es ist Schade, daß Voltaire in seinem neuen Heldengedichte darinn er es allen vorigen, in Beobachtung und Wahrscheinlichkeit, zuvorgethan, nicht gänzlich von Fehlern hat frey bleiben können. Ich will hier nicht an die Fabel gedenken, da er Heinrich den Vierten, seinen Held, gleich im Anfange seines Gedichtes eine Reise nach Engeland thun läßt, um sich den Beystand der Königinn Elisabeth zuwege zu bringen. Dieses ist ja freylich in der Historie nicht gegründet, und also nicht wirklich geschehen: allein, es ist doch wahrscheinlich; weil Heinrich gleichsam etliche Monate in einer solchen Stille zugebracht, daß man indessen von ihm nichts aufgezeichnet findet. Hier stund es nun dem Poeten frey, seinem Helden, der ohnedem in Frankreich nichts versäumete, außer Landes was zu thun zu geben. Er zaubert ihn aber nicht etwa in die canarischen Inseln, und wieder zurück; wie Tasso es mit seinem Rainald macht: sondern er läßt ihn natürlicher Weise über den Canal zwischen Frankreich und Engeland schiffen u.s.w.
25. §. Ich frage nur, ob der alte Greis, den er so gleich auf der englischen Küste in einer Einöde antreffen, und seinem Helden sein ganzes künftiges Schicksal vorhersagen läßt; ob diese Fabel, sage ich, Wahrscheinlichkeit genug für sich habe? Der Einsiedler muß ein Prophet werden, und zwar ein wirklich von Gott erleuchteter Prophet, dergleichen die im alten Testamente gewesen. Er sagt ausdrücklich:

CE DIEU, QU'IL ADOROIT, PRIT SOIN DE SA VIEILLESSE,
IL FIT DANS SON DESERT DESCENDRE SA SAGESSE,
ET PRODIGUE ENVERS LUI DE SES TRESORS DIVINS,
IL OUVRIT À SES YEUX LE LIVRE DES DESTINS.


Ich weis nicht, ob diese vier Zeilen es wahrscheinlich und glaublich machen können: daß Gott die Bücher des Verhängnisses einem Eremiten werde eröffnet haben; welches er ohne Noth niemals gethan, auch niemals zu thun versprochen hat. Um so viel mehr aber ist mir dieser neue Prophet ärgerlich anzuhören, da er, als ein eifriger Papist, die protestantische Religion für einen Irrthum ansieht; den Uebertritt Heinrichs des IV. zur römischen Kirche eine Erleuchtung nennet, u.s.w.

DE DIEU, DIT LE VIEILLARD, ADORONS LES DESSEINS,
ET NE L'ACCUSONS PAS DES FAUTES DES HUMAINS.
J'AI VÛ NAITRE AUTREFOIS LE CALVINISME EN FRANCE,
FOIBLE, MARCHANT DANS L'OMBRE, HUMBLE DANS SA NAISSANCE.
JE L'AI VU SANS SUPPORT, EXILÉ DANS NOS MURS,
S'AVANCER À PAS LENTS PAR CENT DETOURS OBSCURS.
ENFIN, MES YEUX ONT VU DU SEIN DE LA POUSSIERE
CE FANTÔME EFFRAYANT LEVER SA TÊTE ALTIERE,
SE PLACER SUR LE TRÔNE, INSULTER AUX MORTELS,
ET D'UN PIED DEDAIGNEUX RENVERSER NOS AUTELS.
LOIN DE LA COUR ALORS EN CETTE GROTTE OBSCURE,
DE MA RELIGION JE VINS PLEURER L'INJURE.
LÀ QUELQUE ESPOIR AU MOINS CONSOLE MES VIEUX JOURS;
UN CULTE SI NOUVEAU NE PEUT DURER TOUJOURS.
DES CAPRICES DE L'HOMME IL A TIRÉ SON ÊTRE,
ON LE VERRA PERIR, AINSI QU'ON I'A VU NAITRE ETC. ETC.


26. §. Ob nun ein Prophet, der die gereinigten Wahrheiten des Evangelii für ein Ungeheuer schilt, sie einen neuen Gottesdienst nennet, und ihren Ursprung aus dem menschlichen Eigensinne herleitet, und ihnen einen baldigen Untergang drohet: ob ein solcher ein wahrer Prophet seyn könne; das mögen alle Protestanten, davon halb Europa voll ist, selbst bedenken. Gleichwohl verkündiget unser Einsiedler alles vorher, als ob er die Geschichte Heinrichs des IV. schon zum voraus gelesen hätte. Man darf nicht sagen, es könne von einem katholischen Poeten nicht gefordert werden, daß er als ein Protestant schreiben solle. In Frankreich werde dieser Eremit wahrscheinlich genug seyn etc. Ich antworte: Voltaire hat in so vielen Stellen seines Gedichtes, welches gewiß viel zu der Schönheit desselben mit beyträgt, genugsam zu verstehen gegeben, daß er kein so blinder Papist sey, als mancher wohl denken möchte. Hat er nun selbst das Herz gehabt, viel Sätze einfließen zu lassen, die seinen Religionsverwandten so sehr misfallen haben, daß er das Land deswegen räumen müssen: warum hat er nicht vollends diesen Einsiedler, der doch die Creatur seiner Einbildungskraft ist, so gebildet, daß er überall und nicht nur in Frankreich wahrscheinlich herausgekommen?
27. §. Ich komme auf die Hexerey der Verschwornen, die er im fünften Buche seines Gedichtes beschrieben hat; und davon schon oben gedacht worden. Es kann seyn, daß die damalige Königinn von Frankreich, eine Liebhaberinn der Zauberkunst gewesen; und es kann seyn, daß ihr Exempel viele ihrer Unterthanen nach sich gezogen. Es ließe sich daher auch mit einiger Wahrscheinlichkeit dichten, die sechzehn Häupter der Rebellen hätten zu einem Schwarzkünstler ihre Zuflucht genommen, um das Schicksal ihres Reichs zu erfahren. Dieß finstre unterirdische Gewölbe, alle die abergläubischen Zurüstungen des jüdischen Hexenmeisters, kurz, alles, was vorhergeht, und sich bloß auf die thörichte Phantasie der Menschen gründet, ist in meinen Augen nicht unwahrscheinlich. Aber, daß der Poet auf eine so verdammliche Begierde das Künftige zu wissen, auf solche gotteslästerliche und ruchlose Beschwerungen und Zauberformeln, eine Erhörung ihres Wunsches erfolgen läßt, das kann ich ihm nicht vergeben. Gott bestärket diese abergläubische Rotte in ihrer Thorheit. Was der Zauberer nicht vermag, das thut derjenige, den er gelästert hat: und was das Aergste ist, durch ein wahrhaftes Wunderwerk, dabey er die Gesetze der Natur aufheben muß. So sagt der Poet:


AUX MAGIQUES ACCENTS, QUE SA BOUCHE PRONONCE,
LES SEIZE OSENT DU CIEL ATTENDRE LA REPONSE:
A DEVOILER LEUR SORT ILS PENSENT LE FORCER;
LE CIEL, POUR LES PUNIR, VOULUT LES EXAUCER,
IL INTERROMPT POUR EUX LES LOIX DE LA NATURE.
DE CES ANTRES MUËTS SORT UN TRISTE MURMURE,
MILLE ÉCLAIRS REDOUBLEZ DANS LA PROFONDE NUIT,
POUSSENT UN JOUR AFFREUX, QUI RENAIT & QUI FUIT.
AU MILIEU DE CES FEUX HENRI BRILLANT DE GLOIRE,
APPAROIT À LEURS YEUX SUR UN CHAR DE VICTOIRE ETC.


Wo hat man nun ein Exempel von dergleichen Begebenheiten gehört oder gesehen, da Gott an statt des Satans einem Hexenmeister seinen Wunsch erfüllet; ihn dadurch in seiner Thorheit gestärket, und also der Ehre seines eigenen Namens selbst Hindernisse in den Weg gelegt hat? Herr Voltaire, der sonst solche gesunde Begriffe von dem höchsten Wesen hat, sollte sich hier wohl etwas behutsamer aufgeführt haben; damit er die Regeln der Wahrscheinlichkeit, die er andern so wohl vorzuschreiben weis, selbst nicht aus den Augen gesetzt hätte.
28. §. Ich habe mich bisher in Bemerkung der Fehler allein bey den berühmten Heldengedichten der ältern und neuern Zeiten aufgehalten, und würde noch ein deutsches Heldengedichte vornehmen müssen; wenn eins vorhanden wäre, das sich der Mühe verlohnte. Wir haben zwar den Wittekind, den uns Postel verfertiget hat: allein dieser verdient eben so wenig eine Critik, als des Chapelains Mägdchen von Orleans, oder des St. Amand erretteter Moses, in Frankreich. Zudem wird er fast von niemanden gelesen, und also ist es nicht zu besorgen, daß sein Exempel andre verführen werde. Man sehe indessen, was von dem habspurgischen Ottobert in den critischen Beyträgen der deutschen Gesellschaft geurtheilet worden. Ich komme also noch mit wenigem auf die Fehler, die in dramatischen Poesien wieder die Wahrscheinlichkeit begangen werden. Die Alten sind davon eben so wenig frey, als die Neuern, und wenn wir sie gleich loben, so wollen wir nicht alles Schlechte damit gut heißen, das ihnen zuweilen entwischet ist. Sophokles soll uns bey den Griechen mit seinem Oedipus zum Beyspiele dienen, daß er auch habe fehlen können: wenn gleich die Fabel überhaupt und das ganze Stück seinen Werth behält.
29. §. Der Schauplatz öffnet sich durch einen Chor thebanischer Bürger, die vor den Altären auf ihren Knien liegen, und von den Göttern das Ende ihres Unglücks erbitten wollen. Oedipus, ihr König, erscheint mitten unter ihnen, und sagt: Ich bin Oedipus, der in aller Welt so berühmt ist. Was ist die Ursache, meine Kinder, weswegen ihr hieher gekommen? Ist es hier wohl wahrscheinlich, daß die Thebaner ihren Herrn nicht gekannt; und daß er es also nöthig gehabt zu sagen, wer er sey? oder sollte es der König eines Volkes nicht wissen, daß eine Pest in seinem Lande wüte? Der Hohepriester antwortet ihm indessen im Namen des Volks: Du siehst hier Jünglinge und alte Männer vor dir. Ich, der ich dich anrede, bin der Oberpriester Jupiters. Deine Stadt ist wie ein Schiff, das von Ungewittern bestürmt wird etc. Und hier fängt er ihm an die Pest zu beschreiben, die im Lande damals wütete. Sollte hier wohl Oedipus wiederum den Hohenpriester nicht gekannt haben? Indem die Beschreibung der Pest noch währet, kömmt Creon, der Jokasta Bruder, den man an das Orakel geschickt hatte, eine göttliche Antwort wegen der Landplage zu vernehmen. Dieser redet den Oedipus an: Herr, spricht er, wir haben vormals einen König gehabt, der Lajus hieß. Ich weis es, erwiedert jener, ob ich ihn gleich niemals gesehen habe. Er ist erschlagen worden, versetzt Creon, und Apollo will, daß wir seine Mörder zur Strafe ziehen sollen. Ist denn Lajus zu Hause oder im Felde erschlagen worden? fragt Oedipus hierauf.
30. §. Hier sieht nun wohl abermal ein jeder, es sey gar nicht wahrscheinlich, daß Creon eine so bekannte Sache, als der Tod des Königs Lajus in Theben seyn mußte, demjenigen, als was Unbekanntes würde erzählet haben, der an seiner Stelle schon etliche Jahre regieret hatte: vielweniger, daß Oedipus sich in so langer Zeit nicht mehr um die Art seines Todes bekümmert haben würde. Doch er fährt fort, zu fragen, ob denn aus der Anzahl der Gefährten, die bey dem erschlagenen Könige gewesen, niemand wieder zurücke gekommen? Einer, der wirklich mit zugegen gewesen, giebt zur Antwort, daß es von einer Menge von Straßenräubern geschehen; da es doch von einer einzigen Person, nämlich vom Oedipus selbst geschehen war. Wie war es nun möglich, eine so falsche Antwort zu geben, da man bey Entdeckung der Wahrheit nicht das geringste zu besorgen hatte? Oedipus vernimmt endlich, daß Phorbas, einer von den damaligen Gefährten des Lajus noch lebe; und von diesem hätte er leicht völlige Nachricht einziehen können. Allein, er läßt ihn, wider alles Vermuthen, nicht einmal zu sich fordern. Auch der Chor, der ihm allezeit Anschläge giebt, denkt nicht daran; sondern räth ihm, lieber den Tiresias fordern zu lassen. Endlich in der vierten Handlung kömmt Phorbas. Ohne Zweifel denkt man hier, Oedipus werde ihn mit großer Ungeduld fragen: Wie es mit dem Tode des Königes bewandt gewesen? weil er so begierig war, seinem Volke zu helfen. Aber nichts weniger, als das. Die Tragödie endigt sich, ehe Phorbas ein Wort von dem Tode seines Herrn zu reden bekommen hat.
31. §. Dieß mag zu einer Probe genug seyn, daß Sophokles die Wahrscheinlichkeit nicht genau beobachtet habe. Wer sich ausführlicher darum bekümmern will, der kann die Critik nachlesen, die Voltaire über die drey Oedipos, nämlich den griechischen, des Corneille französischen, und seinen eigenen gemacht hat. Imgleichen kann man die Critik über den Cid, von der französischen Academie, in dieser Absicht zu rathe ziehen; welches Stück auch in der deutschen Schaubühne I. Theile befindlich ist. In eben diesem Theile steht auch mein Cato, von welchem in den critischen Beyträgen eine Beurtheilung, nebst einer Antwort zu lesen ist. Man sehe auch in eben diesen Beyträgen, was von dem gedrückten und erquickten Jacob, imgleichen vom Trauerspiele Polyeuktes, dem dresdenischen Telemach, und Herodes dem Kindermörder, endlich auch von Schakespears Cäsar, hin und wieder geurtheilet worden. Die Liebhaber der Opern mögen St. Evremonts Gedanken darüber nachschlagen, die in den Schriften der deutschen Gesellschaft übersetzt zu lesen sind. Und überhaupt von theatralischen Poesien kann man nachlesen, was Cervantes im Don Quixote, einen gewissen Canonicus, davon hat sagen lassen. Die Wahrscheinlichkeit in Schäfergedichten anlangend, darf man nur Fontenellens Discurs, der auch bey den Gesprächen, von mehr, als einer Welt, von mir übersetzt anzutreffen ist, imgleichen den Guardian davon besehen. Die Satire betreffend, sehe man Muralts Briefe über die Franzosen nach, wo er des Boileau Satire über Paris untersuchet hat.
32. §. Ich sehe es schon vorher, daß viele diese beyde letzte Hauptstücke mit scheelen Augen werden angesehen haben. Es wird wenigen von unsern deutschen Poeten gefallen, daß man sich die Freyheit nimmt, die Gedichte der größten Meister so scharf zu prüfen. Man wird sagen, es schicke sich nicht, aller Leute Geschmack nach seinem eigenen Leisten zu messen. Was mir nicht gefiele, das könnte deswegen doch andern gefallen, und also auch schön seyn. Und endlich wäre ich der Mann nicht, der sich über die größten Meister zum Richter erheben könnte. Allein ich antworte auf dieses letzte, daß ich mir meiner Schwachheit selbst schon bewußt bin. Ich habe selbst kein Heldengedicht geschrieben, und gebe mich also für keinen Poeten aus, der allen denen gleich zu schätzen, geschweige denn vorzuziehen wäre, die ich beurtheilet habe. Allenfalls ist es auch gar nicht nöthig, selbst was bessers machen zu können, wenn man andre nach den Kunstregeln beurtheilet. Sind denn Aristotels Rhetorik und Poetik deswegen zu verwerfen, weil ihr Urheber selbst weder ein großer Redner, noch ein Poet gewesen? Seine Regeln sind doch richtig, und seine Urtheile von so vielen poetischen und oratorischen Werken seiner Zeit bleiben wohl gegründet; so lange Vernunft und Geschmack in der Welt seyn wird. Zudem habe ich mir ja keine neue Gesetze und Kunstregeln ausgesonnen; ich sage nur Anfängern in der Poesie, was ich von den Alten für poetische Regeln gelernet habe, und wie man die Gedichte darnach prüfen müsse. Horaz machte es auch so:

FUNGAR VICE COTIS; ACUTUM
REDDERE QUAE FERRUM VALET, EXSORS IPSA SECANDI.
MUNUS & OFFICIUM, NIL SCRIBENS IPSE, DOCEBO:
VNDE PARENTUR OPES, QUID ALAT FORMETQUE POETAM?
QUID DECEAT, QUID NON? QUO VIRTUS, QUO FERAT ERROR?


33. §. Den Freunden des willkührlichen Geschmacks aber aufs erste zu antworten, so gebe ich ihnen eine treffliche Stelle des englischen Grafen Schaftsbury zu überlegen, die ich, weil das Buch nicht überall zu haben ist, hersetzen will.² Ueberdas aber gebe ich es ihnen zu bedenken, ob sie auch demjenigen das Wort reden wollen, der in der Unterscheidung der Metalle sich auf den Augenschein allein verlassen, Gold, Messing, Silber und Zinn für einerley halten, und sich über denjenigen erzürnen wollte, der bey dem Einkaufe solcher Waaren sich des Probiersteins bedienete, oder eine Goldwage zu rathe zöge. Meines Erachtens werden sie so billig seyn, und die Behutsamkeit dieses letztern, der Einfalt des erstern vorziehen: weil nicht die Farbe, sondern der innere Gehalt, und die Schwere den wahren Werth der Metalle entdecket. Dasselbe Urtheil nun muß ja billig von dem menschlichen Witze und seinen Früchten gefället werden. Es muß nicht auf den bloßen Glanz und Schimmer feiner Werke ankommen; weil nicht alles Gold ist, was da gleißet. Was nicht bey der gesunden Vernunft die Probe oder den Strich hält, das kann nicht für vollgültig genommen werden. Die Regeln der Kunstrichter aber, die gehörig erwiesen worden, sind der poetische Probierstein, der das Zweifelhafte entscheiden, und die wahren Schönheiten so sehr ins Licht setzen, als die falschen Putzwerke und wesentlichen Unrichtigkeiten sinnreicher Schriften beschämen kann.


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Fußnoten

¹ Xanthus und Podargus, heißt es, und du Ethon und Lampus, hier habt ihr die schönste Gelegenheit, mir alle die Mühe zu vergelten, die Andromacha, des großmüthigen Ektions Tochter, an euch gewandt hat, indem sie euch täglich selbst gefüttert, und lieber euch, als mir, das Brodt und den Wein von meinem Tische gegönnet hat. Wie oft hat sie mich verlassen, um euch zu besuchen? Die Pferde der Götter sind selbst niemals besser gehalten worden. Zeiget denn eure Erkenntlichkeit itzo, verfolget den Feind aufs schleunigste, schonet euch nicht, eilet, damit ich den Schild Nestors bekomme, der ganz von dichtem Golde ist, und dessen Ruhm bis an die Sterne steiget; wie auch den wunderwürdigen Küraß Diomeds, der ein Meisterstück des künstlichen Vulcans ist. Erobern wir diese preiswürdige Beute, so ist kein Zweifel, die Griechen werden sich diese Nacht auf ihre noch übrige Schiffe begeben, und unser Ufer verlassen.

² FOR THIS REASON WE PRESUME NOT ONLY TO DEFEND THE CAUSE OF CRITICS; BUT TO DECLARE OPEN WAR AGAINST THOSE INDOLENT SUPINE AUTHORS, PERFORMERS, READERS, AUDITORS, ACTORS OR SPECTATORS; WHO MAKING THEIR HUMOUR ALONE THE RULE OF WHAT IS BEAUTIFUL AND AGREEABLE, AND HAVING NO ACCOUNT TO GIVE OF SUCH ODD FANCY, REJECT THE CRITICIZING OR EXAMINING ART, BY WHICH ALONE THEY ARE ABLE, TO DISCOVER THE TRUE BEAUTY AND WORTH OF EVERY OBJECT.
ACCORDING TO THAT AFFECTED RIDICULE WHICH THESE INSIPID REMARKERS PRETEND TO THROW UPON JUST CRITICKS, THE ENJOYMENT OF ALL REAL ARTS OR NATURAL BEAUTYS, WOU'D BE INTIRELY LOST. EVEN IN BEHAVIOUR AND MANNERS WE SHOU'D AT THIS RATE BECOME IN TIME AS BARBAROUS, AS IN OUR PLEASURE AND DIVERSIONS. I WOU'D PRESUME IT, HOWEVER, OF THESE CRITICK-HATERS, THAT THEY ARE NOT YET SO UNCIVILIZED, OR VOID OF ALL SOCIAL SENSE AS TO MAINTAIN: THAT THE MOST BARBAROUS LIFE, OR BRUTISCH PLEASURE, IS AS DESIRABLE AS THE MOST POLISHD OR REFIN'D. FOR MY OWN PART, WHEN I HAVE HEARD SOMETIMES MEN OF REPUTED ABILITY JOIN IN, WITH THAT EFFE MINATE PLAINTIVE TONE OF INVECTIVE AGAINST CRITICKS, I HAVE REALLY THOUGHT, THEY HAD IT IN THEIR FANCY, TO KEEP DOWN THE GROWING GENIUS OF THE YOUTH, THEIR RIVALS, BY TURNING THEM ASIDE FROM THAT EXAMINATION AND SEARCH, ON WHICH ALL PERFORMANCE, AS WELL AS GOOD JUDGMENT DEPENDS & C. TOM. III. seiner CHARACTERISTICS MISC. III. C. 2. P. 165. D. i.
Aus dieser Ursache, wollen wir nicht allein die Sache der Critikverständigen, vertheidigen; sondern auch allen den nachläßigen und gleichgültigen Schriftstellern, Verfassern, Lesern, Zuhörern, Comödianten und Zuschauern einen offenbaren Krieg ankündigen, die ihre Einfälle allein zu einer Regel der Schönheiten und Annehmlichkeiten machen; und da sie von diesem ihrem Eigensinne, oder ihrer wunderlichen Phantasie keine Red und Antwort geben können, die Critik, oder Untersuchungskunst verwerfen; wodurch sie doch allein geschickt werden könnten, die wahre Schönheit und den rechten Werth jedes Dinges zu entdecken.
Nach der erzwungenen Auslachenswürdigkeit, die solche abgeschmackte Leute wahren Criticis aufbürden wollen, würde das Belustigende von allen Künsten und natürlichen Schönheiten verlohren geben. So gar in Trachten und Sitten würden wir zu diesen Zeiten so barbarisch werden, als wir in unsern Ergetzungen und Lustbarkeiten sind. Doch will ichs von diesen Feinden der Critik hoffen, sie würden nicht so unhöflich, oder von aller Menschlichkeit so entfernt seyn, zu behaupten: daß das allerunmenschlichste Leben, und ganz viehische Belustigungen, eben so hoch, als die artigsten und feinesten Vergnügungen zu schätzen wären.

Meines theils, wenn ich zuweilen Männer von bekannter Geschicklichkeit, mit einem weibischen und kläglichen Tone, wider die Kunstrichter habe eifern hören; so habe ich wirklich gedacht: Sie hättens im Sinne, den anwachsenden Geist junger Leute, die ihnen nacheifern, niederzuschlagen; indem sie dieselben von derjenigen Untersuchung und Prüfung abzuwenden suchen, ohne welche eine tüchtige Arbeit so wenig, als ein richtiges Urtheil bestehen kann.


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