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Goethe über seinen "West-östlichen Divan" - Teil 4

Poeterey


Johann Wolfgang von Goethe



Noten und Abhandlungen
zu besserem Verständnis
des West-östlichen Divans


(Teil 4)




Naturformen der Dichtung


Es gibt nur drei echte Naturformen der Poesie: Die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama. Diese drei Dichtweisen können zusammen oder abgesondert wirken. In dem kleinsten Gedicht findet man sie oft beisammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raum das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswertesten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden. Im älteren griechischen Trauerspiel sehen wir sie gleichfalls alle drei verbunden, und erst in einer gewissen Zeitfolge sondern sie sich. Solange der Chor die Hauptperson spielt, zeigt sich Lyrik obenan; wie der Chor mehr Zuschauer wird, treten die andern hervor, und zuletzt, wo die Handlung sich persönlich und häuslich zusammenzieht, findet man den Chor unbequem und lästig. Im französischen Trauerspiel ist die Exposition episch, die Mitte dramatisch, und den fünften Akt, der leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft, kann man lyrisch nennen.

Das Homerische Heldengedicht ist rein episch; der Rhapsode waltet immer vor, was sich ereignet, erzählt er; niemand darf den Mund auftun, dem er nicht vorher das Wort verliehen, dessen Rede und Antwort er nicht angekündigt. Abgebrochene Wechselreden, die schönste Zierde des Dramas, sind nicht zulässig.

Höre man aber nun den modernen Improvisator auf öffentlichem Markt, der einen geschichtlichen Gegenstand behandelt; er wird, um deutlich zu sein, erst erzählen, dann, um Interesse zu erregen, als handelnde Person sprechen, zuletzt enthusiastisch auflodern und die Gemüter hinreißen. So wunderlich sind diese Elemente zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Unendliche mannigfaltig, und deshalb auch so schwer eine Ordnung zu finden, wonach man sie neben- oder nacheinander aufstellen könnte. Man wird sich aber einigermaßen dadurch helfen, dass man die drei Hauptelemente in einem Kreis gegeneinander über stellt und sich Musterstücke sucht, wo jedes Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beispiele, die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von allen dreien erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist.

Auf diesem Wege gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge. Und obgleich diese Verfahrungsart mehr zu eigner Belehrung, Unterhaltung und Maßregel als zum Unterricht anderer geeignet sein mag, so wäre doch vielleicht ein Schema aufzustellen, welches zugleich die äußeren zufälligen Formen und diese inneren notwendigen Uranfänge in fasslicher Ordnung darbrächte. Der Versuch jedoch wird immer so schwierig sein als in der Naturkunde das Bestreben, den Bezug aufzufinden der äußeren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandteilen, um eine naturgemäße Ordnung dem Geiste darzustellen.


Nachtrag


Höchst merkwürdig ist, dass die persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein dramatischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müsste ein anderes Ansehen gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie lässt sich gern etwas vorerzählen, daher die Unzahl Märchen und die grenzenlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden, und wir finden, dass eine jede Einwendung gegen Willen und Befehl des Herrschers allenfalls nur in Zitaten des Korans und bekannter Dichterstellen hervortritt, welches aber zugleich einen geistreichen Zustand, Breite, Tiefe und Konsequenz der Bildung voraussetzt. Dass jedoch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag, sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelgespräche des Ferideddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beispiel.


Buchorakel


Der in jedem Tag düster befangene, nach einer aufgehellten Zukunft sich umschauende Mensch greift begierig nach Zufälligkeiten, um irgendeine weissagende Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlossene findet nur sein Heil im Entschluss, dem Ausspruch des Loses sich zu unterwerfen. Solcher Art ist die überall herkömmliche Orakelfrage an irgendein bedeutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeichnete Stelle beim Aufschlagen gläubig beachtet. Wir waren früher mit Personen genau verbunden, welche sich auf diese Weise bei der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen Erbauungswerken zutraulich Rats erholten und mehrmals in den größten Nöten Trost, ja Bestärkung fürs ganze Leben gewannen.

Im Orient finden wir diese Sitte gleichfalls in Übung; sie wird Fal genannt, und die Ehre derselben begegnete Hafisen gleich nach seinem Tode. Denn als die Strenggläubigen ihn nicht feierlich beerdigen wollten, befragte man seine Gedichte, und als die bezeichnete Stelle seines Grabes erwähnt, das die Wanderer dereinst verehren würden, so folgerte man daraus, dass er auch müsse ehrenvoll begraben werden. Der westliche Dichter spielt ebenfalls auf diese Gewohnheit an und wünscht, dass seinem Büchlein gleiche Ehre widerfahren möge.


Blumen- und Zeichenwechsel

Um nicht zu viel Gutes von der so genannten Blumensprache zu denken oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren lassen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauß als Geheimschrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bei einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchstaben bilden, sondern alles Sichtbare, Transportable wird mit gleichem Recht angewendet.

Doch wie das geschehe, um eine Mitteilung, einen Gefühl- und Gedankenwechsel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigenschaften orientalischer Poesie vor Augen haben: Den weit umgreifenden Blick über alle Weltgegenstände, die Leichtigkeit, zu reimen, sodann aber eine gewisse Lust und Richtung der Nation, Rätsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit ausbildet, Rätsel aufzulösen, welches denjenigen deutlich sein wird, deren Talent sich dahin neigt, Scharaden, Logogriphen und dergleichen zu behandeln.

Hierbei ist nun zu bemerken: Wenn ein Liebendes dem Geliebten irgendeinen Gegenstand zusendet, so muss der Empfangende sich das Wort aussprechen und suchen, was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte. Dass hierbei eine leidenschaftliche Divination obwalten müsse, fällt sogleich in die Augen. Ein Beispiel kann die Sache deutlich machen, und so sei folgender kleine Roman in einer solchen Korrespondenz durchgeführt.

„Die Wächter sind gebändiget
Durch süße Liebestaten;
Doch wie wir uns verständiget,
Das wollen wir verraten;
Denn, Liebchen, was uns Glück gebracht,
Das muss auch andern nutzen,
So wollen wir der Liebesnacht
Die düstern Lampen putzen.
Und wer sodann mit uns erreicht,
Das Ohr recht abzufeimen,
Und leibt wie wir, dem wird es leicht,
Den rechten Sinn zu reimen.
Ich schickte dir, du schicktest mir,
Es war sogleich verstanden.


Amarante                                                                  Ich sah und brannte.
Raute                                                                        Wer schaute?
Haar vom Tiger                                                        Ein kühner Krieger.
Haar der Gazelle                                                      An welcher Stelle?
Büschel von Haaren                                                 Du sollst’s erfahren.
Kreide                                                                       Meide.
Stroh                                                                         Ich brenne lichterloh.
Trauben                                                                    Will’s erlauben.
Korallen                                                                    Kannst mir gefallen.
Mandelkern                                                               Sehr gern.
Rüben                                                                       Willst mich betrüben.
Karotten                                                                    Willst meiner spotten.
Zwiebeln                                                                   Was willst du grübeln?
Trauben, die weißen                                                 Was soll das heißen?
Trauben, die blauen                                                  Soll ich vertrauen?
Quecken                                                                    Du willst mich necken.
Nelken                                                                      Soll ich verwelken?
Narzissen                                                                  Du musst es wissen.
Veilchen                                                                   Wart’ ein Weilchen.
Kirschen                                                                   Willst mich zerknirschen.
Feder vom Raben                                                     Ich muss dich haben.
Vom Papageien                                                        Musst mich befreien.
Maronen                                                                   Wo wollen wir wohnen?
Blei                                                                           Ich bin dabei.
Rosenfarb                                                                 Die Freude starb.
Seide                                                                         Ich leide.
Bohnen                                                                     Will dich schonen.
Majoran                                                                    Geht mich nichts an.
Blau                                                                          Nimm’s nicht genau.
Traube                                                                      Ich glaube.
Beeren                                                                      Will’s verwehren.
Feigen                                                                       Kannst du schweigen?
Gold                                                                          Ich bin dir hold.
Leder                                                                        Gebrauch’ die Feder.
Papier                                                                       So bin ich dir.
Maßlieben                                                                Schreib nach Belieben.
Nachtviolen                                                              Ich lass’ es holen.
Ein Faden                                                                  Bist eingeladen.
Ein Zweig                                                                 Mach’ keinen Streich.
Strauß                                                                        Ich bin zu Haus.
Winden                                                                     Wirst mich finden.
Myrten                                                                      Will dich bewirten.
Jasmin                                                                       Nimm mich hin.
Melissen                                                                    *** auf einem Kissen.
Zypressen                                                                  Will’s vergessen.
Bohnenblüte                                                              Du falsch Gemüte.
Kalk                                                                           Bist ein Schalk.
Kohlen                                                                       Mag der *** dich holen.


Und hätte mit Boteinah so
Nicht Dschemil sich verstanden,
Wie wäre denn so frisch und froh
Ihr Name noch vorhanden?“

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Vorstehende seltsame Mitteilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander gewogenen Personen auszuüben sein. Sobald der Geist eine solche Richtung nimmt, tut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur eine.

Zwei liebende Paare machen eine Lustfahrt von einigen Meilen, bringen einen frohen Tag miteinander zu; auf der Rückkehr unterhalten sie sich, Scharaden aufzugeben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich erraten, sondern zuletzt sogar das Wort, das der andere denkt und eben zum Worträtsel umbilden will, durch die unmittelbarste Divination erkannt und ausgesprochen.

Indem man dergleichen zu unsern Zeiten erzählt und beteuert, darf man nicht fürchten, lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zutage gebracht hat.


Chiffer


Eine andere Art aber, sich zu verständigen, ist geistreich und herzlich! Wenn bei der vorigen Ohr und Witz im Spiel war, so ist es hier ein zart liebender ästhetischer Sinn, der sich der höchsten Dichtung gleichstellt.

Im Orient lernte man den Koran auswendig, und so gaben die Suren und Verse durch die mindeste Anspielung ein leichtes Verständnis unter den Geübten. Das gleiche haben wir in Deutschland erlebt, wo vor fünfzig Jahren die Erziehung dahin gerichtet war, die sämtlichen Heranwachsenden bibelfest zu machen; man lernte nicht allein bedeutende Sprüche auswendig, sondern erlangte zugleich von dem übrigen genugsame Kenntnis. Nun gab es mehrere Menschen, die eine große Fertigkeit hatten, auf alles, was vorkam, biblische Sprüche anzuwenden und die Heilige Schrift in der Konversation zu verbrauchen. Nicht zu leugnen ist, dass hieraus die witzigsten, anmutigsten Erwiderungen entstanden, wie denn noch heutigentags gewisse ewig anwendbare Hauptstellen hier und da im Gespräch vorkommen.

Gleicherweise bedient man sich klassischer Worte, wodurch wir Gefühl und Ereignis als ewig wiederkehrend bezeichnen und aussprechen.

Auch wir vor fünfzig Jahren, als Jünglinge die einheimischen Dichter verehrend, belebten das Gedächtnis durch ihre Schriften und erzeigten ihnen den schönsten Beifall, indem wir unsere Gedanken durch ihre gewählten und gebildeten Worte ausdrückten und dadurch eingestanden, dass sie besser als wir unser Innerstes zu entfalten gewusst.

Um aber zu unserm eigentlichen Zweck zu gelangen, erinnern wir an eine, zwar wohlbekannte, aber doch immer geheimnisvolle Weise, sich in Chiffern mitzuteilen: Wenn nämlich zwei Personen, die ein Buch verabreden und, indem sie Seiten- und Zeilenzahl zu einem Briefe verbinden, gewiss sind, dass der Empfänger mit geringem Bemühen den Sinn zusammenfinden werde.

Das Lied, welches mir mit der Rubik Chiffer bezeichnet, will auf eine solche Verabredung hindeuten. Liebende werden einige, Hafisens Gedichte zum Werkzeug ihres Gefühlwechsels zu legen; sie bezeichnen Seite und Zeile, die ihren gegenwärtigen Zustand ausdrückt, und so entstehen zusammengeschriebene Lieder vom schönsten Ausdruck; herrliche zerstreute Stellen des unschätzbaren Dichters werden durch Leidenschaft und Gefühl verbunden, Neigung und Wahl verleihen dem Ganzen ein inneres Leben, und die Entfernten finden ein tröstliches Ergeben, indem sie ihre Trauer mit Perlen seiner Worte schmücken.

  „Dir zu eröffnen
Mein Herz, verlangt mich;
Hört’ ich von deinem,
Darnach verlangt mich;
Wie blickt so traurig
Die Welt mich an!

  In meinem Sinne
Wohnet mein Freund nur,
Und sonsten keiner
Und keine Feindspur.
Wie Sonnenaufgang
Ward mir ein Vorsatz!

  Mein Leben will ich
Nur zum Geschäfte
Von seiner Liebe
Von heut’ an machen.
Ich denke seiner,
Mir blutet’s Herz.

  Kraft hab’ ich keine,
Als ihn zu lieben,
So recht im stillen.
Was soll das werden!
Will ihn umarmen
Und kann es nicht.“



Künftiger Divan


Man hat in Deutschland zu einer gewissen Zeit manche Druckschriften verteilt als Manuskript für Freunde. Wem dieses befremdlich sein könnte, der bedenke, dass doch am Ende jedes Buch nur für Teilnehmer, für Freunde, für Liebhaber des Verfassers geschrieben sei. Meinen „Divan“ besonders möchte’ ich also bezeichnen, dessen gegenwärtige Ausgabe nur als unvollkommen betrachtet werden kann. In jüngeren Jahren würd’ ich ihn länger zurückgehalten haben, nun aber find’ ich es vorteilhafter, ihn selbst zusammenzustellen, als ein solches Geschäft, wie Hafis, den Nachkommen zu hinterlassen. Denn eben dass dieses Büchlein so dasteht, wie ich es jetzt mitteilen konnte, erregt meinen Wunsch, ihm die gebührende Vollständigkeit nach und nach zu verleihen. Was davon allenfalls zu hoffen sein möchte, will ich Buch für Buch der Reihe nach andeuten.

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Buch des Dichters. Hierin, wie es vorliegt, werden lebhafte Eindrücke mancher Gegenstände und Erscheinungen auf Sinnlichkeit und Gemüt enthusiastisch ausgedrückt und die näheren Bezüge des Dichters zum Orient angedeutet. Fährt er auf diese Weise fort, so kann der heitere Garten aufs anmutigste verziert werden; aber höchst erfreulich wird sich die Anlage erweitern, wenn der Dichter nicht von sich und aus sich allein handeln wollte, vielmehr auch seinen Dank Gönnern und Freunden zu Ehren ausspräche, um die Lebenden mit freundlichem Wort festzuhalten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wieder zurückzurufen.

Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermäßig lobende Dichtart, dem Gefühl des Westländers vielleicht nicht zusagen möchte. Wir ergehen uns hoch und frei, ohne zu Hyperbeln unsre Zuflucht zu nehmen: Denn wirklich nur eine reine, wohl gefühlte Poesie vermag allenfalls die eigentlichsten Vorzüge trefflicher Männer auszusprechen, deren Vollkommenheiten man erst recht empfindet, wenn sie dahin gegangen sind, wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr stören und das Eingreifende ihrer Wirkungen uns noch täglich und stündlich vor Augen tritt. Einen Teil dieser Schuld hatte der Dichter vor kurzem, bei einem herrlichen Feste in Allerhöchster Gegenwart, das Glück, nach seiner Weise gemütlich abzutragen.

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Das Buch Hafis. Wenn alle diejenigen, welche sich der arabischen und verwandter Sprachen bedienen, schon als Poeten geboren und erzogen werden, so kann man sich denken, dass unter einer solchen Nation vorzügliche Geister ohne Zahl hervorgehen. Wenn nun aber ein solches Volk in fünfhundert Jahren nur sieben Dichtern den ersten Rang zugesteht, so müssen wir einen solchen Ausspruch zwar mit Ehrfurcht annehmen, allein es wird uns zugleich vergönnt sein, nachzuforschen, worin ein solcher Vorzug eigentlich begründet sein könne.

Diese Aufgabe, insofern es möglich ist, zu lösen, möchte wohl auch dem künftigen Divan vorbehalten sein. Denn, um nur von Hafis zu reden, wächst Bewunderung und Neigung gegen ihn, je mehr man ihn kennen lernt. Das glücklichste Naturell, große Bildung, freie Fazilität und die reine Überzeugung, dass man den Menschen nur alsdann behagt, wenn man ihnen vorsingt, was sie gern, leicht und bequem hören, wobei man ihnen denn auch etwas Schweres, Schwieriges, Unwillkommenes gelegentlich mit unterschieben darf. Wenn Kenner im nachstehenden Liede Hafisens Bild einigermaßen erblicken wollen, so würde den Westländer dieser Versuch ganz besonders erfreuen.

Was alle wollen, weißt du schon [weiter s. „An Hafis“].

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Buch der Liebe würde sehr anschwellen, wenn sechs Liebespaare in ihren Freuden und Leiden entschiedener aufträten und noch andere neben ihnen aus der düsteren Vergangenheit mehr oder weniger klar hervorgingen. Wamik und Asra z.B., von denen sich außer den Namen keine weitere Nachricht findet, könnten folgendermaßen eingeführt werden:

Ja, Lieben ist ein groß Verdienst! [weiter s. „Noch ein Paar“].


Nicht weniger ist dieses Buch geeignet zu symbolischer Abschweifung, deren man sich in den Feldern des Orients kaum enthalten kann. Der geistreiche Mensch, nicht zufrieden mit dem, was man ihm darstellt, betrachtet alles, was sich den Sinnen darbietet, als eine Vermummung, wohinter ein höheres geistiges Leben sich schalkhaft-eigensinnig versteckt, um uns anzuziehen und in edlere Regionen aufzulocken. Verfährt hier der Dichter mit Bewusstsein und Maß, so kann man es gelten lassen, sich daran freuen und zu entschiedenerem Auffluge die Fittiche versuchen.

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Buch der Betrachtungen erweitert sich jeden Tag demjenigen, der im Orient hauset; denn alles ist dort Betrachtung, die zwischen dem Sinnlichen und Übersinnlichen hin und her wogt, ohne sich für eins oder das andere zu entscheiden. Dieses Nachdenken, wozu man aufgefordert wird, ist von ganz eigner Art; es widmet sich nicht allein der Klugheit, obgleich diese die stärksten Forderungen macht, sondern es wird zugleich auf jene Punkte geführt, wo die seltsamsten Probleme des Erdelebens strack und unerbittlich vor uns stehen und uns nötigen, dem Zufall, einer Vorsehung und ihren unerforschlichen Ratschlüssen die Knie zu beugen und unbedingte Ergebung als höchstes politisch-sittlich-religiöses Gesetz auszusprechen.

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Buch des Unmuts. Wenn die übrigen Bücher anwachsen, so erlaubt man auch wohl diesem das gleiche Recht. Erst müssen sich anmutige, liebevolle, verständige Zutaten versammeln, eh’ die Ausbrüche des Unmuts erträglich sein können. Allgemein menschliches Wohlwollen, nachsichtiges, hilfreiches Gefühl verbindet den Himmel mit der Erde und bereitet ein den Menschen gegönntes Paradies. Dagegen ist der Unmut stets egoistisch; er besteht auf Forderungen, deren Gewährung ihm außen blieb; er ist anmaßlich, abstoßend und erfreut niemand, selbst diejenigen kaum, die von gleichem Gefühl ergriffen sind. Dessen ungeachtet aber kann der Mensch solche Explosionen nicht immer zurückhalten; ja er tut wohl, wenn er seinem Verdruss, besonders über verhinderte, gestörte Tätigkeit, auf diese Weise Luft zu machen trachtet. Schon jetzt hätte dies Buch viel stärker und reicher sein sollen; doch haben wir manches, um alle Missstimmung zu verhüten, beiseite gelegt. Wie wir denn hierbei bemerken, dass dergleichen Äußerungen, welche für den Augenblick bedenklich scheinen, in der Folge aber, als unverfänglich, mit Heiterkeit und Wohlwollen aufgenommen werden, unter der Rubrik Paralipomena künftigen Jahren aufgespart worden.

Dagegen ergreifen wir diese Gelegenheit, von der Anmaßung zu reden, und zwar vorerst, wie sie im Orient zur Erscheinung kommt. Der Herrscher selbst ist der erste Anmaßliche, der die übrigen alle auszuschließen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst, er ist Gebieter sein selbst, niemand gebietet ihm, und sein eigner Wille erschafft die übrige Welt, so dass er sich mit der Sonne, ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auffallend ist es jedoch, dass er eben dadurch genötigt ist, sich einen Mitregenten zu erwählen, der ihm in diesem unbegrenzten Felde beistehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter, der mit und neben ihm wirkt und ihn über alle Sterbliche erhöht. Sammeln sich nun an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so gibt er ihnen einen Dichterkönig und zeigt dadurch, dass er das höchste Talent für seinesgleichen anerkenne. Hierdurch wird der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet, ebenso hoch von sich zu denken als von dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der größten Vorzüge und Glückseligkeiten zu fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die grenzenlosen Geschenke, die er erhält, durch den Reichtum, den er sammelt, durch die Einwirkung, die er ausübt. Auch setzt er sich in dieser Denkart so fest, dass ihn irgendein Misslingen seiner Hoffnungen bis zum Wahnsinn treibt. Ferdusi erwartet für sein Schah Nameh nach einer früheren Äußerung des Kaisers sechzigtausend Goldstücke; da er aber dagegen nur sechzigtausend Silberstücke erhält, eben da er sich im Bade befindet, teilt er die Summe in drei Teile, schenkt einen dem Boten, einen dem Bademeister und den dritten dem Sorbetschenken und vernichtet sogleich, mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen, alles Lob, was er seit so vielen Jahren dem Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen Hass auf die Seinigen über, so dass seine Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom begütigten Sultan abgesendet, aber leider erst nach des Bruders Tode ankommend, gleichfalls verschmäht und abweist.

Wollten wir nun das alles weiter entwickeln, so würden wir sagen, dass vom Thron durch alle Stufen hinab bis zum Derwisch an der Straßenecke alles voller Anmaßung zu finden sei, voll weltlichen und geistlichen Hochmuts, der auf die geringste Veranlassung sogleich gewaltsam hervorspringt.

Mit diesem sittlichen Gebrechen, wenn man’s dafür halten will, sieht es im Westlande gar wunderlich aus. Bescheidenheit ist eigentlich eine gesellige Tugend; sie deutet auf große Ausbildung; sie ist eine Selbstverleugnung nach außen, welche, auf einem großen innern Werte ruhen, als die höchste Eigenschaft des Menschen angesehen wird. Und so hören wir, dass die Menge immer zuerst an den vorzüglichsten Menschen die Bescheidenheit preist, ohne sich auf ihre übrigen Qualitäten sonderlich einzulassen. Bescheidenheit aber ist immer mit Verstellung verknüpft und eine Art Schmeichelei, die um desto wirksamer ist, als sie ohne Zudringlichkeit dem andern wohl tut, indem sie ihn in seinem behaglichen Selbstgefühl nicht irre macht. Alles aber, was man gute Gesellschaft nennt, besteht in einer immer wachsenden Verneinung sein selbst, so dass die Sozietät zuletzt ganz null wird; es müsste denn das Talent sich ausbilden, dass wir, indem wir unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit des andern zu schmeicheln wissen.

Mit den Anmaßungen unsers westlichen Dichters aber möchten wir die Landsleute gern versöhnen. Eine gewisse Aufschneiderei durfte dem Divan nicht fehlen, wenn der orientalische Charakter einigermaßen ausgedrückt werden sollte.

In die unerfreuliche Anmaßung gegen die höheren Stände konnte der Dichter nicht verfallen. Seine glückliche Lage überhob ihn jedes Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Gebietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein. Die hohen Personen, mit denen er sonst in Verhältnis gestanden, pries und preist man noch immer. Ja man kann dem Dichter vorwerfen, dass der enkomiastische Teil seines Divans nicht reich genug sei.

Was aber das Buch des Unmuts betrifft, so möchte man wohl einiges daran zu tadeln finden. Jeder Unmutige drückt zu deutlich aus, dass seine persönliche Erwartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht anerkannt sei. So auch er! Von oben herein ist er nicht beengt, aber von unten und von der Seite leidet er. Eine zudringliche, oft platte, oft tückische Menge mit ihren Chorführern lähmt seine Tätigkeit; erst waffnet er sich mit Stolz und Verdruss, dann aber, zu scharf gereizt und gepresst, fühlt er Stärke genug, sich durch sie durchzuschlagen.

Sodann aber werden wir ihm zugestehen, dass er mancherlei Anmaßung dadurch zu mildern weiß, dass er sie, gefühlvoll und kunstreich, zuletzt auf die Geliebte bezieht, sich vor ihr demütigt, ja vernichtet. Herz und Geist des Lesers wird ihm das zugute schreiben.


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Buch der Sprüche
sollte vor andern anschwellen; es ist mit den Büchern der Betrachtung und des Unmuts ganz nahe verwandt. Orientalische Sprüche jedoch behalten den eigentümlichen Charakter der ganzen Dichtkunst, dass sie sich sehr oft auf sinnliche, sichtbare Gegenstände beziehen; und es finden sich viele darunter, die man mit Recht lakonische Parabeln nennen könnte. Diese Art bleibt dem Westländer die schwerste, weil unsere Umgebung zu trocken, geregelt und prosaisch erscheint. Alte deutsche Sprichwörter jedoch, wo sich der Sinn zum Gleichnis umbildet, können hier gleichfalls unser Muster sein.

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Buch des Timur.
Sollte eigentlich erst gegründet werden, und vielleicht müssten ein paar Jahre hingehen, damit uns die allzu nah liegende Deutung ein erhöhtes Anschaun ungeheurer Weltereignisse nicht mehr verkümmerte. Erheitert könnte diese Tragödie werden, wenn man des fürchterlichen Weltverwüsters launigen Zug- und Zeltgefährten Nussredin Chodscha von Zeit zu Zeit auftreten zu lassen sich entschlösse. Gute Stunden, freier Sinn werden hierzu die beste Fördernis verleihen. Ein Musterstück der Geschichtchen, die zu uns herüber gekommen, fügen wir bei.

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Timur war ein hässlicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuß. Indem nun eines Tages Chodscha um ihn war, kratzte sich Timur den Kopf, denn die Zeit des Barbierens war gekommen, und befahl, der Barbier solle gerufen werden. Nachdem der Kopf geschoren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah im Spiegel und fand sein Ansehen gar zu hässlich. Darüber fing er an, zu weinen, auch der Chodscha hub an, zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hierauf trösteten einige Gesellschafter den Timur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf, sondern fing erst recht an, stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: „Höre! Ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr hässlich gesehen, darüber betrübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermögen und Sklavinnen habe, daneben aber so hässlich bin; darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören?“ Der Chodscha antwortete: „Wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Beschauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können, dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn tun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht anzusehen haben? Wenn wir nicht weinen, wer soll denn weinen! Deshalb habe ich geweint.“ – Timur kam vor Lachen außer sich.


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Buch Suleika.
Dieses, ohnehin das stärkste der ganzen Sammlung, möchte wohl für abgeschlossen anzusehen sein. Der Hauch und Geist einer Leidenschaft, der durch das Ganze weht, kehrt nicht leicht wieder zurück, wenigstens ist dessen Rückkehr, wie die eines guten Weinjahres, in Hoffnung und Demut zu erwarten.

Über das Betragen des westlichen Dichters aber in diesem Buche dürfen wir einige Betrachtungen anstellen. Nach dem Beispiel mancher östlichen Vorgänger hält er sich entfernt vom Sultan. Als genügsamer Derwisch darf er sich sogar dem Fürsten vergleichen; denn der gründliche Bettler soll eine Art von König sein. Armut gibt Verwegenheit. Irdische Güter und ihren Wert nicht anzuerkennen, nichts oder wenig davon zu verlangen, ist sein Entschluss, der das sorgloseste Behagen erzeugt. Statt einen angstvollen Besitz zu suchen, verschenkt er in Gedanken Länder und Schätze und spottet über den, der sie wirklich besaß und verlor. Eigentlich aber hat sich unser Dichter zu einer freiwilligen Armut bekannt, um desto stolzer aufzutreten, dass es ein Mädchen gäbe, de ihm deswegen doch hold und gewärtig ist.

Aber noch eines größeren Mangels rühmt er sich: Ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht geckenhaft zudringlich, nein! Ihrer Gegenliebe gewiss. Sie, die Geistreiche, weiß den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt.

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Das Schenkenbuch. Weder die unmäßige Neigung zu dem halbverbotenen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermisst werden; letztere wollte jedoch unsern Sitten gemäß in aller Reinheit behandelt sein.

Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein echt pädagogisches Verhältnis. Eine leidenschaftliche Neigung des Kindes zum greise ist keineswegs eine seltene, aber selten benutzte Erscheinung. Hier gewahre man den Bezug des Enkels zum Großvater, des spät geborenen Erben zum überraschten zärtlichen Vater. In diesem Verhältnis entwickelt sich eigentlich der Klugsinn der Kinder; sie sind aufmerksam auf Würde, Erfahrung, Gewalt des Älteren; rein geborne Seelen empfinden dabei das Bedürfnis einer ehrfurchtsvollen Neigung; das Alter wird hiervon ergriffen und festgehalten. Empfindet und benutzt die Jugend ihr Übergewicht, um kindliche Zwecke zu erreichen, kindische Bedürfnisse zu befriedigen, so versöhnt uns die Anmut mit frühzeitiger Schalkheit. Höchst rührend aber bleibt das heranstrebende Gefühl des Knaben, der, von dem hohen Geiste des alters erregt, in sich selbst ein Staunen fühlt, das ihm weissagt, auch dergleichen könne sich in ihm entwickeln. Wir versuchten, so schöne Verhältnisse im Schenkenbuch anzudeuten und gegenwärtig weiter auszulegen. Saadi hat jedoch uns einige Beispiele erhalten, deren Zartheit, gewiss allgemein anerkannt, das vollkommenste Verständnis eröffnet.

Folgendes nämlich erzählt er in seinem Rosengarten: „Als Mahmud, der König zu Chuaresm, mit dem König von Chattaj Friede machte, bin ich zu Kaschker (einer Stadt der Usbeken oder Tartern) in die Kirche gekommen, woselbst, wie ihr wisst, auch Schule gehalten wird, und habe allda einen Knaben gesehen, wunderschön von Gestalt und Angesicht. Dieser hatte eine Grammatik in der Hand, um die Sprache rein und gründlich zu lernen; er las laut und zwar ein Exempel von einer Regel: Saraba Seidon Amran. Seidon hat Amran geschlagen oder bekriegt. Amran ist der Akkusativus. (Diese beiden Namen stehen aber hier zu allgemeiner Andeutung von Gegnern, wie die Deutschen sagen: Hinz oder Kunz.) Als er nun diese Worte einige Mal wiederholt hatte, um sie dem Gedächtnis einzuprägen, sagte ich: Es haben ja Chuaresm und Chattaj endlich Friede gemacht; sollen denn Seidon und Amran stets Krieg gegeneinander führen? Der Knabe lachte allerliebst und fragte, was ich für ein Landsmann sei? Und als ich antwortete: Von Schiras, fragte er, ob ich nicht etwas von Saadis Schriften auswendig könnte, da ihm die persische Sprache sehr wohl gefalle?

Ich antwortete: Gleichwie sein Gemüt aus Liebe gegen die reine Sprache sich der Grammatik ergeben hat, also ist auch mein Herz der Liebe zu dir völlig ergeben, so dass deiner Natur Bildnis das Bildnis meines Verstandes entraubet. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als wollt’ er forschen, ob das, was ich sagte, Worte des Dichters oder meine eignen Gefühle seien; ich aber fuhr fort: Du hast das Herz eines Liebhabers in dein Netz gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon gegen Amran, abgeneigt und feindlich. Er aber antwortete mir mit einiger bescheidenen Verlegenheit in Versen aus meinen eignen Gedichten, und ich hatte den Vorteil, ihm auf eben die Weise das Allerschönste sagen zu können, und so lebten wir einige Tage in anmutigen Unterhaltungen. Als aber der Hof sich wieder zur Reise beschickt, und wir willens waren, den Morgen früh aufzubrechen, sagte einer von unsern Gefährten zu ihm: Das ist Saadi selbst, nach dem du gefragt hast.

Der Knabe kam eilend gelaufen, stellte sich mit aller Ehrerbietung gar freundlich gegen mir an und wünschte, dass er mich doch eher gekannt hätte, und sprach: Warum hast du diese Tage her mir nicht offenbaren und sagen wollen: Ich bin Saadi, damit ich dir gebührende Ehre nach meinem Vermögen antun und meine Dienste vor deinen Füßen demütigen können? Aber ich antwortete: Indem ich dich ansah, konnte ich das Wort, ich bin’s, nicht aus mir bringen, mein Herz brach auf gegen dir als eine Rose, die zu blühen beginnt. Er sprach ferner, ob es denn nicht möglich wäre, dass ich noch etliche Tage daselbst verharrte, damit er etwas von mir in Kunst und Wissenschaft lernen könnte, aber ich antwortete: Es kann nicht sein; denn ich sehe hier vortreffliche Leute zwischen großen Bergen sitzen, mir aber gefällt, mich vergnügt, nur eine Höhle in der Welt zu haben und daselbst zu verweilen. Und als er mir darauf etwas betrübt vorkam, sprach ich: Warum er sich nicht in die Stadt begebe, woselbst er sein Herz vom Bande der Traurigkeit befreien und fröhlicher leben könnte. Er antwortete: Da sind zwar viel schöne und anmutige Bilder, es ist aber auch kotig und schlüpfrig in der Stadt, dass auch wohl Elefanten gleiten und fallen könnten; und so würd’ auch ich, bei Anschauung böser Exempel, nicht auf festem Fuße bleiben. Als wir so gesprochen, küssten wir uns darauf Kopf und Angesicht und nahmen unsern Abschied. Da wurde denn wahr, was der Dichter sagt: Liebende sind im Scheiden dem schönen Apfel gleich; Wange, die sich an Wange drückt, wird vor Lust und Leben rot; die andere hingegen ist bleich wie Kummer und Krankheit.“

An einem andern Ort erzählt derselbige Dichter:

„In meinen jungen Jahren pflog ich mit einem Jüngling meinesgleichen aufrichtige, beständige Freundschaft. Sein Antlitz war meinen Augen die Himmelsregion, wohin wir uns im Beten als zu einem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte dafür, dass keiner unter den Menschen (unter den Engeln möchte es allenfalls sein) auf der Welt gewesen, der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Aufrichtigkeit und Ehre. Nachdem ich solcher Freundschaft genossen, hab’ ich es verredet, und es deucht mir unbillig zu sein, nach seinem Tode meine Liebe einem andern zuzuwenden. Ungefähr geriet sein Fuß in die Schlinge seines Verhängnisses, dass er schleunigst ins Grab musste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben.“


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Buch der Parabeln. Obgleich die westlichen Nationen von Reichtum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuernten finden, welches näher zu bezeichnen wir folgendes eröffnen.

Die Parabeln sowohl als andere Dichtarten des Orients, die sich auf Sittlichkeit beziehen, kann man in drei verschiedene Rubriken nicht ungeschickt einteilen: in ethische, moralische und asketische. Die ersten enthalten Ereignisse und Andeutungen, die sich auf den Menschen überhaupt und seine Zustände beziehen, ohne dass dabei ausgesprochen werde, was gut oder bös sei. Dieses aber wird durch die zweiten vorzüglich herausgesetzt und dem Hörer eine vernünftige Wahl vorbereitet. Die dritte hingegen fügt noch eine entschiedene Nötigung hinzu: Die sittliche Anregung wird Gebot und Gesetz. Diesen lässt sich eine vierte anfügen: Sie stellen die wunderbaren Führungen und Fügungen dar, die aus unerforschlichen, unbegreiflichen Ratschlüssen Gottes hervorgehen, lehren und bestätigen den eigentlichen Islam, die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, die Überzeugung, dass niemand seinem einmal bestimmten Lose ausweichen könne. Will man noch eine fünfte hinzutun, welche man die mystische nennen müsste: Sie treibt den Menschen aus dem vorhergehenden Zustand, der noch immer ängstlich und drückend bleibt, zur Vereinigung mit Gott schon in diesem Leben und zur vorläufigen Entsagung derjenigen Güter, deren allenfallsiger Verlust uns schmerzen könnte. Sondert man die verschiedenen Zwecke bei allen bildlichen Darstellungen des Orients, so hat man schon viel gewonnen, indem man sich sonst in Vermischung derselben immer gehindert fühlt, bald eine Nutzanwendung sucht, wo keine ist, dann aber eine tiefer liegende Bedeutung übersieht. Auffallende Beispiele sämtlicher Arten zu geben, müsste das Buch der Parabeln interessant und lehrreich machen. Wohin die von uns diesmal vorgetragenen zu ordnen sein möchten, wird dem einsichtigen Leser überlassen.

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Buch des Parsen. Nur vielfache Ableitungen haben den Dichter verhindert, die so abstrakt scheinende und doch so praktisch eingreifende Sonn- und Feuerverehrung in ihrem ganzen Umfang dichterisch darzustellen, wozu der herrlichste Stoff sich anbietet. Möge ihm gegönnt sein, das Versäumte glücklich nachzuholen.

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Buch des Paradieses. Auch diese Region des mahometanischen Glaubens hat noch viele wunderschöne Plätze, Paradiese im Paradiese, dass man sich daselbst gern ergehen, gern ansiedeln möchte. Scherz und Ernst verschlingen sich hier so lieblich ineinander, und ein verklärtes Alltägliche verleiht uns Flügel, zum Höheren und Höchsten zu gelangen. Und was sollte den Dichter hindern, Mahomets Wunderpferd zu besteigen und sich durch alle Himmel zu schwingen? Warum sollte er nicht ehrfurchtsvoll jene heilige Nacht feiern, wo der Koran vollständig dem Propheten von obenher gebracht ward? Hier ist noch gar manches zu gewinnen.


Zu Teil 5

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