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Goethe über seinen "West-östlichen Divan" - Teil 1

Poeterey


Johann Wolfgang von Goethe



Noten und Abhandlungen
zu besserem Verständnis
des West-östlichen Divans

(Teil 1)

Wer das Dichten will verstehen,
Muss ins Land der Dichtung gehen;
Wer den Dichter will verstehen,
Muss in Dichters Lande gehen.



Einleitung


Alles hat seine Zeit! - Ein Spruch, dessen Bedeutung man bei längerem Leben immer mehr anerkennen lernt; diesem nach gibt es eine Zeit zu schweigen, eine andere zu sprechen, und zum letzten entschließt sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren Alter Tun und Wirken gebührt, so ziemt dem spätren Betrachtung und Mitteilung.

Ich habe die Schriften meiner ersten Jahre ohne Vorwort in die Welt gesandt, ohne auch nur im mindesten anzudeuten, wie es damit gemeint sei; dies geschah im Glauben an die Nation, dass sie früher oder später das Vorgelegte benutzen werde. Und so gelang mehreren meiner Arbeiten augenblickliche Wirkung, andere, nicht ebenso fasslich und eindringend, bedurften, um anerkannt zu werden, mehrerer Jahre. Indessen gingen auch diese vorüber, und ein zweites, drittes nachwachsendes Geschlecht entschädigt mich doppelt und dreifach für die Unbilden, die ich von meinen früheren Zeitgenossen zu erdulden hatte.

Nun wünscht’ ich aber, dass nichts den ersten guten Eindruck des gegenwärtigen Büchleins hindern möge. Ich entschließe mich daher, zu erläutern, zu erklären, nachzuweisen, und zwar bloß in der Absicht, dass ein unmittelbares Verständnis Lesern daraus erwachse, die mit dem Osten wenig oder nicht bekannt sind. Dagegen bedarf derjenige dieses Nachtrags nicht, der sich um Geschichte und Literatur einer so höchst merkwürdigen Weltregion näher umgetan hat. Er wird vielmehr die Quellen und die Bäche leicht bezeichnen, deren erquickliches Nass ich auf meine Blumenbeete geleitet.

Am liebsten aber wünschte der Verfasser vorstehender Gedichte als ein Reisender angesehen zu werden, dem es zum Lob gereicht, wenn er sich der fremden Landesart mit Neigung bequemt, deren Sprachgebrauch sich anzueignen trachtet, Gesinnungen zu teilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen gewissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem eigenen Akzent, an einer unbezwinglichen Unbiegsamkeit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem Büchlein gewährt sein! Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, nehmen das Dargebotne unbefangen auf.

Damit aber alles, was der Reisende zurückbringt, den Seinigen schneller behage, übernimmt er die Rolle eines Handelsmanns, der seine Waren gefällig auslegt und sie auf mancherlei Weise angenehm zu machen sucht; ankündigende, beschreibende, ja lobpreisende Redensarten wird man ihm nicht verargen.

Zuvörderst also darf unser Dichter wohl aussprechen, dass er sich, im Sittlichen und Ästhetischen, Verständlichkeit zur ersten Pflicht gemacht, daher er sich denn auch der schlichtesten Sprache, in dem leichtesten, fasslichsten Silbenmaß seiner Mundart befleißigt und nur von weitem auf dasjenige hindeutet, wo der Orientale durch Künstlichkeit und Künstelei zu gefallen strebt.

Das Verständnis jedoch wird durch manche nicht zu vermeidende fremde Worte gehindert, die deshalb dunkel sind, weil sie sich auf bestimmte Gegenstände beziehen, auf Glauben, Meinungen, Herkommen, Fabeln und Sitten. Diese zu erklären heilt man für die nächste Pflicht und hat dabei das Bedürfnis berücksichtigt, das aus Fragen und Einwendungen deutscher Hörenden und Lesenden hervorging. Ein angefügtes Register bezeichnet die Seite, wo dunkle Stellen vorkommen, und auch wo sie erklärt werden. Dieses Erklären aber geschieht in einem gewissen Zusammenhang, damit nicht abgerissene Noten, sondern ein selbständiger Text erscheine, der, obgleich nur flüchtig behandelt und lose verknüpft, dem Lesenden jedoch Übersicht und Erläuterung gewähre.

Möge das Bestreben unseres diesmaligen Berufes angenehm sein! Wir dürfen es hoffen: Denn in einer Zeit, wo so vieles aus dem Orient unserer Sprache treulich angeeignet wird, mag es verdienstlich erscheinen, wenn auch wir von unserer Seite die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken suchen, woher so manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hoffen ist.



Hebräer


Naive Dichtkunst ist bei jeder Nation die erste, sie liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je naturgemäßer sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich die nachherigen Epochen.

Da wir von orientalischer Poesie sprechen, so wird notwendig, der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein großer Teil des Alten Testaments ist mit erhöhter Gesinnung, ist enthusiastisch geschrieben und gehört dem Felde der Dichtkunst an.

Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit, wo Herder und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so gedenken wir eines hohen Genusses, dem reinen orientalischen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was solche Männer uns verliehen und hinterlassen, darf nur angedeutet werden, und man verzeiht uns die Eilfertigkeit, mit welcher wir an diesen Schätzen vorübergehen.

Beispielswillen jedoch gedenken wir des Buches Ruth, welches bei seinem hohen Zweck, einem Könige von Israel anständige, interessante Voreltern zu verschaffen, zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist.

Wir verweilen sodann einen Augenblick bei dem Hohen Lied, als dem Zartesten und Unnachahmlichsten, was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmutiger Liebe zugekommen. Wir beklagen freilich, dass uns die fragmentarisch durcheinander geworfenen, übereinander geschobenen Gedichte keinen vollen, reinen Genuss gewähren, und doch sind wir entzückt, uns in jene Zustände hineinzuahnen, in welchen die Dichtenden gelebt. Durch und durch wehet eine milde Luft des lieblichsten Bezirks von Kanaan; ländlich trauliche Verhältnisse, Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein königlicher Hof mit seinen Herrlichkeiten im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch bleibt glühende Neigung jugendlicher Herzen, die sich suchen, finden, abstoßen, anziehen, unter mancherlei höchst einfachen Zuständen.

Mehrmals gedachten wir aus dieser lieblichen Verwirrung einiges herauszuheben, aneinanderzureihen; aber gerade das Rätselhaft-Unauflösliche gibt den wenigen Blättern Anmut und Eigentümlichkeit. Wie oft sind nicht wohl denkende, ordnungsliebende Geister angelockt worden, irgendeinen verständigen Zusammenhang zu finden oder hineinzulegen, und einem folgenden bleibt immer dieselbige Arbeit.

Ebenso hat das Buch Ruth seinen unbezwinglichen Reiz über manchen wackern Mann schon ausgeübt, dass er dem Wahn sich hingab, das in seinem Lakonismus unschätzbar dargestellte Ereignis könne durch eine ausführliche, paraphrastische Behandlung noch einigermaßen gewinnen.

Und so dürfte, Buch für Buch, das Buch aller Bücher dartun, dass es uns deshalb gegeben sei, damit wir uns daran, wie an einer zweiten Welt, versuchen, uns daran verirren, aufklären und ausbilden mögen.


Araber


Bei einem östlichern Volke, den Arabern, finden wir herrliche Schätze an den Moallakat. Es sind Preisgesänge, die aus dichterischen Kämpfen siegreich hervorgingen; Gedichte, entsprungen vor Mahomets Zeiten, mit goldenen Buchstaben geschrieben, aufgehängt an den Pforten des Gotteshauses zu Mekka. Sie deuten auf eine wandernde, herdenreiche, kriegerische Nation, durch den Wechselstreit mehrerer Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt sind: Festeste Anhänglichkeit an Stammgenossen, Ehrbegierde, Tapferkeit, unversöhnbare Rachelust gemildert durch Liebestrauer, Wohltätigkeit, Aufopferung, sämtlich grenzenlos. Diese Dichtungen geben uns einen hinlänglichen Begriff von der hohen Bildung des Stammes der Koraischiten, aus welchem Mahomet selbst entsprang, ihnen aber eine düstere Religionshülle überwarf und jede Aussicht auf reinere Fortschritte zu verhüllen wusste.

Der Wert dieser trefflichen Gedichte, an Zahl sieben, wird noch dadurch erhöht, dass die größte Mannigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir nicht kürzere und würdigere Rechenschaft geben, als wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige Jones ihren Charakter ausspricht. „Amralkais Gedicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und anmutig. Tarafas: Kühn, aufgeregt, aufspringend und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Gedicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll moralischer Gebote und ernster Sprüche. Lebids Dichtung ist leicht, verleibt, zierlich, zart; sie erinnert an Virgils zweite Ekloge: Denn er beschwert sich über der Geliebten Stolz und Hochmut und nimmt daher Anlass, seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Antaras zeigt sich stolz, drohend, treffend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder. Amru ist heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch erscheinen die beiden letzten als poetisch-politische Streitreden, welche vor einer Versammlung Araber gehalten wurden, um den verderblichen Hass zweier Stämme zu beschwichtigen.“

Wie wir nun durch dieses Wenige unsere Leser gewiss aufregen, jene Gedichte zu lesen oder wieder zu lesen, so fügen wir ein anderes bei, aus Mahomets Zeit und völlig im Geiste jener. Man könnte den Charakter desselben als düster, ja finster ansprechen, glühend, rachlustig und von Rache gesättigt.

1.
Unter dem Felsen am Wege
Erschlagen liegt er,
In dessen Blut
Kein Tau herabträuft.

2.
Große Last legt’ er mir auf
Und schied;
Fürwahr, diese Last
Will ich tragen.

3.
„Erbe meiner Rache
Ist der Schwestersohn,
Der Streitbare,
Der Unversöhnliche.

4.
Stumm schwitzt er Gift aus,
Wie die Otter schweigt,
Wie die Schlange Gift haucht,
Gegen die kein Zauber gilt.“

5.
Gewaltsame Botschaft kam über uns
Großen mächtigen Unglücks;
Den Stärksten hätte sie
Überwältigt.

6.
Mich hat das Schicksal geplündert,
Den Freundlichen verletzend,
Dessen Gastfreund
Nie beschädigt ward.

7.
Sonnenhitze war er
Am kalten Tag,
Und brannte der Sirius,
War er Schatten und Kühlung.

8.
Trocken von Hüften,
Nicht kümmerlich,
Feucht von Händen,
Kühn und gewaltsam.

9.
Mit festem Sinn
Verfolgt’ er sein Ziel,
Bis er ruhte;
Da ruht’ auch der feste Sinn.

10.
Wolkenregen war er,
Geschenke verteilend;
Wenn er anfiel,
Ein grimmiger Löwe.

11.
Staatlich vor dem Volke,
Schwarzen Haares, langen Kleides,
Auf den Feind rennend
Ein magrer Wolf.

12.
Zwei Geschmäcke teilt’ er aus,
Honig und Wermut;
Speise solcher Geschmäcke
Kostete jeder.

13.
Schreckend ritt er allein,
Niemand begleitet’ ihn
Als das Schwert von Jemen,
Mit Scharten geschmückt.

14.
Mittags begannen wir Jünglinge
Den feindseligen Zug,
Zogen die Nacht hindurch,
Wie schwebende Wolken ohne Ruh.

15.
Jeder war ein Schwert,
Schwertumgürtet,
Aus der Scheide gerissen
Ein glänzender Blitz.

16.
Sie schlürften die Geister des Schlafes,
Aber wie sie mit den Köpfen nickten,
Schlugen wir sie –
Und sie waren dahin.

17.
Rache nahmen wir völlige;
Es entrannen von zwei Stämmen
Gar wenige,
Die wenigsten.

18.
Und hat der Hudseilite
Ihn zu verderben die Lanze gebrochen,
Weil er mit seiner Lanze
Die Hudseiliten zerbrach.

19.
Auf rauen Ruhplatz
Legten sie ihn,
An schroffen Fels, wo selbst Kamele
Die Klauen zerbrachen.

20.
Als der Morgen ihn da begrüßt,
Am düstern Ort, den Gemordeten,
War er beraubt,
Die Beute entwendet.

21.
Nun aber sind gemordet von mir
Die Hudseiliten mit tiefen Wunden.
Mürbe macht mich nicht das Unglück,
Es selbst wird mürbe.

22.
Des Speeres Durst ward gelöscht
Mit erstem Trinken,
Versagt war ihm nicht
Wiederholtes Trinken.

23.
Nun ist der Wein wieder erlaubt,
Der erst versagt war;
Mit vieler Arbeit
Gewann ich mir die Erlaubnis.

24.
Auf Schwert und Spieß
Und auf’s Pferd erstreckt’ ich
Die Vergünstigung,
Das ist nun alles Gemeingut.

25.
Reiche den Becher denn,
O Sawad Ben Amre:
Denn mein Körper um des Oheims willen
Ist eine große Wunde.

26.
Und den Todeskelch
Reichten wir den Hudseiliten,
Dessen Wirkung ist Jammer,
Blindheit und Erniedrigung.

27.
Da lachten die Hyänen
Beim Tode der Hudseiliten,
Und du sahest Wölfe,
Denen glänzte das Angesicht.

28.
Die edelsten Geier flogen daher,
Sie schritten vom Leiche zu Leiche,
Und von dem reichlich bereiteten Mahle
Nicht in die Höhe konnten sie steigen.



Wenig bedarf es, um sich über dieses Gedicht zu verständigen. Die Größe des Charakters, der Ernst, die rechtmäßige Grausamkeit des Handelns sind hier eigentlich das Mark der Poesie. Die zwei ersten Strophen geben die klare Exposition, in der dritten und vierten spricht der Tote und legt seinem Verwandten die Last auf, ihn zu rächen. Die fünfte und sechste schließt sich dem Sinne nach an die ersten, sie stehen lyrisch versetzt; die siebente bis dreizehnte erhebt den Erschlagenen, dass man die Größe seines Verlustes empfinde. Die vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert die Expedition gegen die Feinde; die achtzehnte führt wieder rückwärts; die neunzehnte und zwanzigste könnte gleich nach den beiden ersten stehen. Die einundzwanzigste und zweiundzwanzigste könnte nach der siebzehnten Platz finden; sodann folgt Siegeslust und Genuss beim Gastmahl, den Schluss aber macht die furchtbare Freude, die erlegten Feinde, Hyänen und Geiern zum Raube, vor sich liegen zu sehen.

Höchst merkwürdig erscheint uns bei diesem Gedicht, dass die reine Prosa der Handlung durch Transposition der einzelnen Ereignisse poetisch wird. Dadurch und dass das Gesicht fast alles äußern Schmucks ermangelt, wird der Ernst desselben erhöht, und wer sich recht hinein liest, muss das Geschehene, von Anfang bis zu Ende, nach und nach vor der Einbildungskraft aufgebaut erblicken.


Übergang


Wenn wir uns nun zu einem friedlichen, gesitteten Volke, den Persern, wenden, so müssen wir, da ihre Dichtungen eigentlich diese Arbeit veranlassten, in die früheste Zeit zurückgehen, damit uns dadurch die neuere verständlich werde. Merkwürdig bleibt es immer dem Geschichtsforscher, dass, mag auch ein Land noch sooft von Feinden erobert, unterjocht, ja vernichtet sein, sich doch ein gewisser Kern der Nation immer in seinem Charakter erhält und, ehe man sich’s versieht, eine altbekannte Volkserscheinung wieder auftritt.

In diesem Sinne möge es angenehm sein, von den ältesten Persern zu vernehmen und einen desto sicheren und freieren Schritt bis auf den heutigen Tag eilig durchzuführen.


Ältere Perser


Auf das Anschauen der Natur gründete sich der alten Parsen Gottesverehrung. Sie wendeten sich, den Schöpfer anbetend, gegen die aufgehende Sonne, als der auffallend herrlichsten Erscheinung. Dort glaubten sie den Thron Gottes, von Engeln umfunkelt, zu erblicken. Die Glorie dieses Herz erhebenden Dienstes konnte sich jeder, auch der Geringste, täglich vergegenwärtigen. Aus der Hütte trat der Arme, der Krieger aus dem Zelt hervor, und die religiöseste aller Funktionen war vollbracht. Dem neugebornen Kinde erteilte man die Feuertaufe in solchen Strahlen, und den ganzen Tag über, das ganze Leben hindurch, sah der Parse sich von dem Urgestirne bei allen seinen Handlungen begleitet. Mond und Sterne erhellten die Nacht, ebenfalls unerreichbar, dem Grenzenlosen angehörig. Dagegen stellt sich das Feuer ihnen zur Seite; erleuchtend, erwärmend, nach seinem Vermögen. In Gegenwart dieses Stellvertreters Gebete zu verrichten, sich vor dem unendlich Empfundenen zu beugen, wird angenehme fromme Pflicht. Reinlicher ist nichts als ein heiterer Sonnenaufgang, und so reinlich musste man auch die Feuer entzünden und bewahren, wenn sie heilig, sonnenähnlich sein und bleiben sollten.

Zoroaster scheint die edle, reine Naturreligion zuerst in einen umständlichen Kultus verwandelt zu haben. Das mentale Gebet, das alle Religionen einschließt und ausschließt, und nur bei wenigen, Gott begünstigten Menschen den ganzen Lebenswandel durchdringt, entwickelt sich bei den meisten nur als flammendes, beseligendes Gefühl des Augenblicks, nach dessen Verschwinden sogleich der sich selbst zurückgegebene, unbefriedigte, unbeschäftigte Mensch in die unendlichste Langeweile zurückfällt.

Diese mit Zeremonien, mit Weihen und Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Neigen und Beugen umständlich auszufüllen, ist Pflicht und Vorteil der Priesterschaft, welche denn ihr Gewerbe durch Jahrhunderte durch in unendliche Kleinigkeiten zersplittert. Wer von der ersten, kindlich-frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie noch diesen Tag in Indien stattfindet, sich einen schnellen Überblick verschaffen kann, der mag dort eine frische, vom Schlaf dem ersten Tageslicht sich entgegenregende Nation erblicken, hier aber ein verdüstertes Volk, welches gemeine Langeweile durch fromme Langeweile zu töten trachtet.

Wichtig ist es jedoch, zu bemerken, dass die alten Parsen nicht etwa nur das Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus auf die Würde der sämtlichen Elemente gegründet, insofern sie das Dasein und die Macht Gottes verkündigen. Daher die heilige Scheu, das Wasser, die Luft, die Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht vor allem, was den Menschen Natürliches umgibt, leitet auf alle bürgerlichen Tugenden: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiß wird angeregt und genährt. Hierauf war die Landeskultur gegründet; denn wie sie keinen Fluss verunreinigten, so wurden auch die Kanäle mit sorgfältiger Wasserersparnis angelegt und rein gehalten, aus deren Zirkulation die Fruchtbarkeit des Landes entquoll, so dass das Reich damals über das Zehnfache mehr bebaut war. Alles, wozu die Sonne lächelte, ward mit höchstem Fleiß betrieben, vor anderm aber die Weinrebe, das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.

Die seltsame Art, ihre Toten zu bestatten, leitet sich her aus eben dem übertriebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizei wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit der Straßen war eine Religionsangelegenheit, und noch jetzt, da die Guebern vertrieben, verstoßen, verachtet sind und nur ebenfalls in Vorstädten in verrufenen Quartieren ihre Wohnung finden, vermacht ein Sterbender dieses Bekenntnisses irgendeine Summe, damit eine oder die andere Straße der Hauptstadt sogleich möge völlig gereinigt werden. Durch eine so lebendige praktische Gottesverehrung ward jene unglaubliche Bevölkerung möglich, von der die Geschichte ein Zeugnis gibt.

Eine so zarte Religion, gegründet auf die Allgegenwart Gottes in seinen Werken der Sinnenwelt, muss einen eignen Einfluss auf die Sitten ausüben. Man betrachte ihre Haupt-Gebote und Verbote: Nicht lügen, keine Schulden machen, nicht undankbar sein! Die Fruchtbarkeit dieser Lehren wird sich jeder Ethiker und Askete leicht entwickeln. Denn eigentlich enthält das erste Verbot die beiden andern und alle übrigen, die doch eigentlich nur aus Unwahrheit und Untreue entspringen; und daher mag der Teufel im Orient bloß unter Beziehung des ewigen Lügners angedeutet werden.

Da diese Religion jedoch zur Beschaulichkeit führt, so könnte sie leicht zur Weichlichkeit verleiten, sowie denn in den langen und weiten Kleidern auch etwas Weibliches angedeutet scheint. Doch war auch in ihren Sitten und Verfassungen die Gegenwirkung groß. Sie trugen Waffen, auch im Frieden und geselligen Leben, und übten sich im Gebrauch derselben auf alle mögliche Weise. Das geschickteste und heftigste Reiten war bei ihnen herkömmlich, auch ihre Spiele, wie das mit Ballen und Schlegel, auf großen Rennbahnen, erhielt sie rüstig, kräftig, behänd; und eine unbarmherzige Konskription machte sie sämtlich zu Helden auf den ersten Wink des Königs.

Schauen wir zurück auf ihren Gottessinn. Anfangs war der öffentliche Kultus auf wenige Feuer eingeschränkt und daher desto ehrwürdiger; dann vermehrte sich ein hochwürdiges Priestertum nach und nach zahlreich, womit sich die Feuer vermehrten. Dass diese innigst verbundene geistliche Macht sich gegen die weltliche gelegentlich auflehnen würde, liegt in der Natur dieses ewig unverträglichen Verhältnisses. Nicht zu gedenken, dass der falsche Smerdis, der sich des Königreichs bemächtigte, ein Magier gewesen, durch seine Genossen erhöht und eine Zeitlang gehalten worden, so treffen wir die Magier mehrmals den Regenten fürchterlich.

Durch Alexanders Invasion zerstreut, unter seinen parthischen Nachfolgern nicht begünstigt, von den Sassaniden wieder hervorgehoben und versammelt, bewiesen sei sich immer fest auf ihren Grundsätzen und widerstrebten dem Regenten, der diesen zuwiderhandelte. Wie sie denn die Verbindung des Chosru mit der schönen Schirin, einer Christin, auf alle Weise beiden Teilen widersetzlich verleideten.

Endlich von den Arabern auf immer verdrängt und nach Indien vertrieben, und was von ihnen oder ihren Geistesverwandten in Persien zurückblieb, bis auf den heutigen Tag verachtet und beschimpft, bald geduldet, bald verfolgt nach Willkür der Herrscher, hält sich noch diese Religion hie und da in frühesten Reinheit, selbst in kümmerlichen Winkeln, wie der Dichter solches durch das Vermächtnis des alten Parsen auszudrücken gesucht hat.

Dass man daher dieser Religion durch lange Zeiten durch sehr viel schuldig geworden, dass in ihr die Möglichkeit einer höhern Kultur lag, die sich im westlichen Teil der östlichen Welt verbreitet, ist wohl nicht zu bezweifeln. Zwar ist es höchst schwierig, einen Begriff zu geben, wie und woher sich diese Kultur ausbreitete. Viele Städte lagen als Lebenspunkte in vielen Regionen zerstreut; am bewundernswürdigsten aber ist mir, dass die fatale Nähe des indischen Götzendienstes nicht auf sie wirken konnte. Auffallend bleibt es, da die Städte von Balch und Bamian so nah aneinander lagen, hier die verrücktesten Götzen in riesenhafter Größe verfertigt und angebetet zu sehen, indessen sich dort die Tempel des reinen Feuers erhielten, große Klöster dieses Bekenntnisses entstanden und eine Unzahl von Mobeden sich versammelten. Wie herrlich aber die Einrichtung solcher Anstalten müsse gewesen sein, bezeugen die außerordentlichen Männer, die von dort ausgegangen sind. Die Familie der Barmekiden stammte daher, die so lange als einflussreiche Staatsdiener glänzten, bis sie zuletzt, wie ein ungefähr ähnliches Geschlecht dieser Art zu unsern Zeiten, ausgerottet und vertrieben worden.


Regiment


Wenn der Philosoph aus Prinzipien sich ein Natur-, Völker- und Staatsrecht auferbaut, so forscht der Geschichtsfreund nach, wie es wohl mit solchen menschlichen Verhältnissen und Verbindungen von jeher gestanden habe. Da finden wir denn im ältesten Oriente: Dass alle Herrschaft sich ableiten lasse von dem Rechte, Krieg zu erklären. Dieses Recht liegt, wie alle übrigen, anfangs in dem Willen, in der Leidenschaft des Volkes. Ein Stammglied wird verletzt, sogleich regt sich die Masse unaufgefordert, Rache zu nehmen am Beleidiger. Weil aber die Menge zwar handeln und wirken, nicht aber sich führen mag, überträgt sie, durch Wahl, Sitte, Gewohnheit, die Anführung zum Kampfe einem einzigen, es sei für einen Kriegszug, für mehrere; dem tüchtigen Manne verleiht sie den gefährlichen Posten auf Lebenszeit, auch wohl endlich für seine Nachkommen. Und so verschafft sich der einzelne, durch die Fähigkeit, Krieg zu führen, das Recht, den Krieg zu erklären.

Hieraus fließt nun ferner die Befugnis, jeden Staatsbürger, der ohnehin als kampflustig und streitfertig angesehen werden darf, in die Schlacht zu rufen, zu fordern, zu zwingen. Diese Konskription musste von jeher, wenn sie sich gerecht und wirksam erzeigen wollte, unbarmherzig sein. Der erste Darius rüstet sich gegen verdächtige Nachbarn, das unzählige Volk gehorcht dem Wink. Ein Greis liefert drei Söhne, er bittet, den jüngsten vom Feldzuge zu befreien, der König sendet ihm den Knaben in Stücken zerhauen zurück. Hier ist also das Recht über Leben und Tod schon ausgesprochen. In der Schlacht selbst leidet’s keine Frage: Denn wird nicht oft willkürlich ungeschickt ein ganzer Heeresteil vergebens aufgeopfert, und niemand fordert Rechenschaft vom Anführer?

Nun zieht sich aber bei kriegerischen Nationen derselbe Zustand durch die kurzen Friedenszeiten. Um den König her ist’s immer Krieg und niemanden bei Hofe das Leben gesichert. Ebenso werden die Steuern fort erhoben, die der Krieg nötig machte. Deshalb setzte denn auch Darius Codomannus vorsichtig regelmäßige Abgaben fest statt freiwilliger Geschenke. Nach diesem Grundsatz, mit dieser Verfassung stieg die persische Monarchie zu höchster Macht und Glückseligkeit, die denn doch zuletzt an dem Hochsinn einer benachbarten kleinen, zerstückelten Nation endlich scheiterte.


Geschichte


Die Perser, nachdem außerordentliche Fürsten ihre Streitkräfte in eins versammelt und die Elastizität der Masse aufs höchste gesteigert, zeigten sich selbst entferntern Völkern gefährlich, um so mehr den benachbarten.

Alle waren überwunden, nur die Griechen, uneins unter sich, vereinigten sich gegen den zahlreichen, mehrmals herandringenden Feind und entwickelten musterhafte Aufopferung, die erste und letzte Tugend, worin alle übrigen enthaltne sind. Dadurch ward Frist gewonnen, dass, in dem Maße wie die persische Macht innerlich zerfiel, Philipp von Mazedonien eine Einheit gründen konnte, die übrigen Griechen um sich zu versammeln und ihnen für den Verlust ihrer innern Freiheit den Sieg über äußere Dränger vorzubereiten. Sein Sohn überzog die Perser und gewann das Reich.

Nicht nur furchtbar, sondern äußerst verhasst hatten sich diese der griechischen Nation gemacht, indem sie Staat und Gottesdienst zugleich bekriegten. Sie, einer Religion ergeben, wo die himmlischen Gestirne, das Feuer, die Elemente als gottähnliche Wesen in freier Welt verehrt wurden, fanden höchst scheltenswert, dass man die Götter in Wohnungen einsperrte, sie unter Dach anbetete. Nun verbrannte und zerstörte man die Tempel und schuf dadurch sich selbst ewig Hass erregende Denkmäler, indem die Weisheit der Griechen beschloss, diese Ruinen niemals wieder aus ihrem Schutt zu erheben, sondern, zu Anreizung künftiger Rache, ahnungsvoll liegen zu lassen. Diese Gesinnungen, ihren beleidigten Gottesdienst zu rächen, brachten die Griechen mit auf persischen Grund und Boden; manche Grausamkeit erklärt sich daher, auch will man den Brand von Perserpolis damit entschuldigen.

Die gottesdienstlichen Übungen der Magier, die freilich, von ihrer ersten Einfalt entfernt, auch schon Tempel und Klostergebäude bedurften, wurden gleichfalls zerstört, die Magier verjagt und zerstreut, von welchen jedoch immer eine große Menge versteckt sich sammelten und auf bessere Zeiten Gesinnung und Gottesdienst aufbewahrten. Ihre Geduld wurde freilich sehr geprüft: Denn als mit Alexanders Tod die kurze Alleinherrschaft zerfiel und das Reich zersplitterte, bemächtigten sich die Parther des Teils, der uns gegenwärtig besonders beschäftigt. Sprache, Sitten, Religion der Griechen ward bei ihnen einheimisch. Und so vergingen fünfhundert Jahre über der Asche der alten Tempel und Altäre, unter welchen das heilige Feuer immerfort glimmend sich erhielt, so dass die Sassaniden zu Anfang des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, als sie, die alte Religion wieder bekennend, den frühern Dienst herstellten, sogleich eine Anzahl Magier und Mobeden vorfanden, welche an und über der Grenze Indiens sich und ihre Gesinnungen im stillen erhalten hatten. Die altpersische Sprache wurde hervorgezogen, die griechische verdrängt und zu einer eigenen Nationalität wieder Grund gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeitraum von vierhundert Jahren die mythologische Vorgeschichte persischer Ereignisse durch poetisch-prosaische Nachklänge einigermaßen erhalten. Die glanzreiche Dämmerung derselben erfreut uns immerfort, und eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und Ereignissen erweckt großen Anteil.

Was wir aber auch von Bild- und Baukunst dieser Epoche vernehmen, so ging es damit doch bloß auf Pracht und Herrlichkeit, Größe und Weitläufigkeit und unförmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’ es auch anders werden, da sie ihre Kunst vom Abendland hernehmen mussten, die schon dort so tief entwürdigt war? Der Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sapor des Ersten, einen Onyx, offenbar von einem westlichen Künstler damaliger Zeit, vielleicht einem Kriegsgefangenen, geschnitten. Und sollte der Siegelschneider des überwindenden Sassaniden geschickter gewesen sein als der Stempelschneider des überwundenen Valerian? Wie es aber mit den Münzen damaliger Zeit aussehe, ist uns leider nur zu wohl bekannt. Auch hat sich das Dichterisch-Märchenhafte jener überbliebenen Monumente nach und nach, durch Bemühung der Kenner, zur historischen Prosa herabgestimmt. Da wir denn nun deutlich auch in diesem Beispiel begreifen, dass ein Volk auf einer hohen sittlich-religiösen Stufe stehen, sich mit Pracht und Prunk umgeben und in Bezug auf Künste noch immer unter die barbarischen gezählt werden kann.

Ebenso müssen wir auch, wenn wir orientalische und besonders persische Dichtkunst der Folgezeit redlich schätzen und nicht, zu künftigem eigenen Verdruss und Beschämung, solche überschätzen wollen, gar wohl bedenken, wo denn eigentlich die werte, wahre Dichtkunst in jenen Tage zu finden gewesen.

Aus dem Westlande scheint sich nicht viel selbst nach dem nächsten Osten verloren zu haben; Indien hielt man vorzüglich im Auge; und da denn doch den Verehrern des Feuers und der Elemente jene verrückt-monströse Religion, dem Lebemenschen aber eine abstruse Philosophie keineswegs annehmlich sein konnte, so nahm man von dorther, was allen Menschen immer gleich willkommen ist, Schriften, die sich auf Weltklugheit beziehen; da man denn auf die Fabeln des Bidpai den höchsten Wert legte und dadurch schon eine künftige Poesie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zugleich hatte man aus derselben Quelle das Schachspiel erhalten, welches, in Bezug mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn den Garaus zu machen völlig geeignet ist. Setzen wir dieses voraus, so werden wir das Naturell der späteren persischen Dichter, sobald sie durch günstige Anlässe hervorgerufen wurden, höchlich rühmen und bewundern, wie sie so manche Ungunst bekämpfen, ihr ausweichen oder vielleicht gar überwinden können.

Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit den westlichen Kaisern und daraus entspringenden wechselseitigen Verhältnisse bringen endlich ein Gemisch hervor, wobei die christliche Religion zwischen die der alten Parsen sich einschlingt, nicht ohne Widerstreben der Mobeden und dortigen Religionsbewahrer. Wie denn doch die mancherlei Verdrießlichkeiten, ja großes Unglück selbst, das den trefflichen Fürsten Chosru Parvis überfiel, bloß daher seinen Ursprung nahm, weil Schirin, liebenswürdig und reizend, am christlichen Glauben festhielt.

Dieses alles auch nur obenhin betrachtet, nötigt uns zu gestehen, dass die Vorsätze, die Verfahrungsweise der Sassaniden alles Lob verdienen; nur waren sie nicht mächtig genug, in einer von Feinden rings umgebenen Lage zur bewegtesten Zeit sich zu erhalten. Sie wurden, nach tüchtigem Widerstand, von den Arabern unterjocht, welche Mahomet durch Einheit zur furchtbarsten Macht erhoben hatte.


Mahomet


Da wir bei unsern Betrachtungen vom Standpunkte der Poesie entweder ausgehen oder doch auf denselben zurückkehren, so wird es unsern Zwecken angemessen sein, von genanntem außerordentlichen Manne vorerst zu erzählen, wie er heftig behauptet und beteuert: Er sei Prophet und nicht Poet, und daher auch sein Koran als göttliches Gesetz und nicht etwa als menschliches Buch, zum Unterricht oder zum Vergnügen, anzusehen. Wollen wir nun den Unterschied zwischen Poeten und Propheten näher andeuten, so sagen wir: Beide sind von einem Gott ergriffen und befeuert, der Poet aber vergeudet die ihm verliehene Gabe im Genuss, um Genuss hervorzubringen, Ehre durch das Hervorgebrachte zu erlangen, allenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen Zwecke versäumt er, sucht mannigfaltig zu sein, sich in Gesinnung und Darstellung grenzenlos zu zeigen. Der Prophet hingegen sieht nur auf einen einzigen bestimmten Zweck; solchen zu erlangen, bedient er sich der einfachsten Mittel. Irgendeine Lehre will er verkünden und, wie um eine Standarte, durch sie und um sie die Völker versammeln. Hiezu bedarf es nur, dass die Welt glaube; er muss also eintönig werden und bleiben, denn das Mannigfaltige glaubt man nicht, man erkennt es.
Der ganze Inhalt des Korans, um mit wenigem viel zu sagen, findet sich zu Anfang der zweiten Sura und lautet folgendermaßen: „Es ist kein Zweifel in diesem Buch. Es ist eine Unterrichtung der Frommen, welche die Geheimnisse des Glaubens für wahr halten, die bestimmten Zeiten des Gebets beobachten und von demjenigen, was wir ihnen verliehen haben, Almosen austeilen; und welche der Offenbarung glauben, die den Propheten vor dir herabgesandt worden, und gewisse Versicherung des zukünftigen Lebens haben: Diese werden von ihrem Herrn geleitet und sollen glücklich und selig sein. Die Ungläubigen betreffend, wird es ihnen gleichviel sein, ob du sie vermahnest oder nicht vermahnest; sie werden doch nicht glauben. Gott hat ihre Herzen und Ohren versiegelt. Eine Dunkelheit bedecket ihr Gesicht, und sie werden eine schwere Strafe leiden.“

Und so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. Glauben und Unglauben teilen sich in Oberes und Unteres; Himmel und Hölle sind den Bekennern und Leugnern zugedacht. Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplifikationen aller Art, grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.

Worin es daher jedem Geschichtsforscher von der größten Wichtigkeit bleiben muss, sprechen wir aus mit den Worten eines vorzüglichen Mannes: „Die Hauptabsicht des Korans scheint diese gewesen zu sein, die Bekenner der drei verschiedenen, in dem volkreichen Arabien damals herrschenden Religionen, die meistenteils vermischt untereinander in den Tag hinein lebten und ohne Hirten und Wegweiser herumirrten, indem der größte Teil Götzendiener und die übrigen entweder Juden oder Christen eines höchst irrigen und ketzerischen Glaubens waren, in der Erkenntnis und Verehrung des einigen, ewigen und unsichtbaren Gottes, durch dessen Allmacht alle Dinge geschaffen sind und die, so es nicht sind, geschaffen werden können, des allerhöchsten Herrschers, Richters und Herrn aller Herren, unter der Bestätigung gewisser Gesetze und den äußerlichen Zeichen gewisser Zeremonien, teils von alter und teils von neuer Einsetzung, und die durch Vorstellung sowohl zeitlicher als ewiger Belohnungen und Strafen eingeschärft wurden, zu vereinigen und sie alle zu dem Gehorsam des Mahomet, als des Propheten und Gesandten Gottes, zu bringen, der nach den wiederholten Erinnerungen, Verheißungen und Drohungen der vorigen Zeiten endlich Gottes wahre Religion auf Erden durch Gewalt der Waffen fortpflanzen und bestätigen sollte, um sowohl für den Hohenpriester, Bischof oder Papst in geistlichen, als auch höchsten Prinzen in weltlichen Dingen erkannt zu werden.“

Behält man diese Ansicht fest im Auge, so kann man es dem Muselmann nicht verargen, wenn er die Zeit vor Mahomet die Zeit der Unwissenheit benennt und völlig überzeugt ist, dass mit dem Islam Erleuchtung und Weisheit erst beginne. Der Stil des Korans ist, seinem Inhalt und Zweck gemäß, streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den andern, und darf sich über die große Wirksamkeit des Buches niemand verwundern. Weshalb es denn auch von den echten Verehrern für unerschaffen und mit Gott gleich ewig erklärt wurde. Dessen ungeachtet aber fanden sich gute Köpfe, die eine bessere Dicht- und Schreibart der Vorzeit anerkannten und behaupteten: Dass, wenn es Gott nicht gefallen hätte, durch Mahomet auf einmal seinen Willen und eine entschieden gesetzliche Bildung zu offenbaren, die Araber nach und nach von selbst eine solche Stufe und eine noch höhere würden erstiegen und reinere Begriffe in einer reinen Sprache entwickelt haben.

Andere, verwegener, behaupteten: Mahomet habe ihre Sprache und Literatur verdorben, so dass sie sich niemals wieder erholen werde. Der Verwegenste jedoch, ein geistvoller Dichter, war kühn genug, zu versichern: Alles, was Mahomet gesagt habe, wollte er auch gesagt haben, und besser; ja, er sammelte sogar eine Anzahl Sektierer um sich her. Man bezeichnete ihn deshalb mit dem Spottnamen Motanabbi, unter welchem wir ihn kennen, welches so viel heißt als: Einer, der gern den Propheten spielen möchte.

Ob nun gleich die muselmännische Kritik selbst an dem Koran manches Bedenken findet, indem Stellen, die man früher aus demselben angeführt, gegenwärtig nicht mehr darin zu finden sind, andere, sich widersprechend, einander aufheben, und was dergleichen bei allen schriftlichen Überlieferungen nicht zu vermeidende Mängel sind, so wird doch dieses Buch für ewige Zeiten höchst wirksam verbleiben, indem es durchaus praktisch und den Bedürfnissen einer Nation gemäß verfasst worden, welche ihren Ruhm auf alte Überlieferungen gründet und an herkömmlichen Sitten festhält.

In seiner Abneigung gegen Poesie erscheint Mahomet auch höchst konsequent, indem er alle Märchen verbietet. Diese Spiele einer leichtfertigen Einbildungskraft, die vom Wirklichen bis zum Unmöglichen hin- und widerschwebt und das Unwahrscheinliche als ein Wahrhaftes und Zweifelloses vorträgt, waren der orientalischen Sinnlichkeit, einer weichen Ruhe und bequemem Müßiggang höchst angemessen. Diese Luftgebilde, über einem wunderlichen Boden schwankend, hatten sich zur Zeit der Sassaniden ins Unendliche vermehrt, wie sie uns Tausend und Eine Nacht, an einen losen Faden gereiht, als Beispiele darlegt. Ihr eigentlicher Charakter ist, dass sie keinen sittlichen Zweck haben und daher den Menschen nicht auf sich selbst zurück, sondern außer sich hinaus ins unbedingte Freie führen und tragen. Gerade das Entgegengesetzte wollte Mahomet bewirken. Man sehe, wie er die Überlieferungen des Alten Testaments und die Ereignisse patriarchalischer Familien, die freilich auch auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam beruhen, in Legenden zu verwandeln weiß, mit kluger Ausführlichkeit den Glauben an Gott, Vertrauen und Gehorsam immer mehr auszusprechen und einzuschärfen versteht; wobei er sich denn manches Märchenhafte, obgleich immer zu seinen Zwecken dienlich, zu erlauben pflegt. Bewundernswürdig ist er, wenn man in diesem Sinne die Begebenheiten Noahs, Abrahams, Josephs betrachtet und beurteilt.


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